Recovery und Relapse – B

Lesezeit: 6 minuten

Recovery und Relapse – B

Part B | Immer noch geht es um Recovery und Relapse. Darum, was sich mit fortschreitender Recovery verändert und was bleibt. Dass nicht immer alles nur besser wird aber ich trotzdem weiter mache.

Gerade als dieser Artikel in meinem Kopf langsam Gestalt annimmt erreicht mich der neue Blogpost einer britischen Blogger-Kollegin, die ebenfalls über ihre Erfahrungen mit Borderline schreibt. Diesmal trägt ihr Text den Titel „The battle inside my head“. Als ich ihn gelesen hatte musste ich ihr sofort schreiben, wie sehr ich mich in ihren Worten wiedergefunden habe. (Und weil ich gerne teile lest ihr in diesem Post mehrere Zitate aus ihrem Artikel, über einen Besuch auf ihrer Seite freut sie sich aber bestimmt trotzdem.)

Als ich einmal angefangen hatte, über all die Dinge die gerade so in meinem Kopf sind, zu schreiben, gab es gar kein Ende mehr. Und damit ich euch nicht mit einem langen Text erschlage habe ich diesen Post zweigeteilt. Dies hier ist der zweite Teil, der erste Streich nennt sich Recovery und Relapse – A


Am Ende von Teil 1 dieses Textes ging es darum, wie ich aus meinen Relapse-Löchern wieder herausfinde. Und eigentlich nur darum, dass ich mich da immer irgendwie selber an den Haaren draus rausziehen muss. Vielleicht hat sich der ein oder andere gefragt, wie es denn eigentlich mit Hilfe von außen ist. Kann man mir helfen, wenn ich im Loch sitze?

Gute Frage – einfach zu beantworten. Bestimmt kann man mir irgendwie helfen. Aber bisher habe ich dieses irgendwie noch nicht gefunden. Und ich gebe zu: ich habe auch nicht wirklich danach gesucht. Denn ich würde dieses Wissen sowieso nicht anwenden. Ich bin einfach nicht besonders gut darin, um Hilfe zu bitten.

In der Klinik und auch in meiner ambulante Therapie geht es immer wieder um Glaubenssätze. Das sind verinnerlichte Ansichten, die einen seit der frühesten Kindheit begleiten. Am Anfang dachte ich noch, so was gäbe es bei mir nicht. Hach, wie falsch ich da mal wieder lag. Denn es gibt so einige. Und der Glaubenssatz, der mich wohl am meisten steuert und kontrolliert ist „Ich schaff das alleine.“ Egal was.

Woher dieser Glaubenssatz kommt, warum er da ist – spielt keine Rolle. Für mich bedeutet er, kurz und knapp gesagt: ich will nicht, dass mir jemand helfen muss. Ich hasse es, zu zeigen, dass es mir nicht gut geht. Dass ich gerade kämpfe. Dass ich gerade in einer Wolke aus Depression umherlaufe. Oder dass ich seit Tagen immer wieder denke „Ritzen wäre ne gute Idee.“

Ich wehre mich schon genug dagegen, mit diese Dinge selber einzugestehen. Da muss ich sie nicht auch noch jemand anderem auf die Nase binden. Ich hasse es zu spüren, dass ich jetzt vielleicht gerade Hilfe gebrauchen könnte. Und ich möchte auch nicht, dass ich mir selber helfen muss. Meine Armee aus Kraft und Wissen an die unzähligen Fronten schicken muss, damit sie Kriege führen, die ich schon lange als beendet gewähnt hatte.

Kein weiß ohne schwarz

Was die Sache vielleicht gerade noch schwerer macht ist, zu wissen, wie es auch aussehen kann. Früher waren die endlosen Gedankengefechte in meinem Kopf, die Gefühlsturbulenzen im Herz, die Wut- und Anspannungsbälle im Bauch einfach das einzige, was ich kannte. Hoffnungslosigkeit, Selbsthass, Hilflosigkeit, Verzweiflung, Selbstzweifel waren meine täglichen Begleiter. Eigentlich meine einzigen Bekannten. Heute weiß ich, dass es da noch viel mehr gibt. Dass es ein Leben, einen Alltag geben kann, in dem ich nicht ständig an allen Fronten gegen mich selber kämpfe.

Sometimes I tell myself – at least there is a battleground. At least it is a fight rather than a walkover. Because it wouldn’t be without the battle. In the past, the emotions I was feeling and the words that I was hearing in my head, would have felt like the only possibility and the only reality. They would have been experienced as fact, without question.

Life in a Bind

Früher gab es für mich nur die kaputte Dommi. Die komische Dommi, die irgendwie nichts hinbekommt und es nur mit Hilfe einer ordentlichen Dosis selbstschädigenden Verhaltens schafft, auf Kurs zu bleiben. Ich habe nicht geahnt, dass da noch viel mehr ist.

Man sagt immer so schön, dass man die Hochs des Lebens erst so richtig genießen kann, wenn man auch die Tiefs kennt. Dass man nur glücklich sein kann, wenn man auch traurig kennt. Dass man sich erst so richtig über die Sonne freut weil man weiß wie doof Regen sein kann und so weiter.

Die eine Seite kenne ich zur Genüge. Die andere habe ich vor kurzem erst entdeckt. Und manchmal scheine ich diese neue, gute Seite – die „heile“ Dommi, die läuft und Yoga macht und sich gesund ernährt und den Skill „Entscheidung für den neuen Weg“ so richtig und wichtig findet – gar nicht mehr loslassen zu wollen.

Ich kämpfe damit, dass die Wechsel normal sind. Dazugehören. Dass es gesund ist, nicht immer auf einem Level zu verharren. Leider bedeuten bei mir die Ausschläge nach unten oft gleich richtige Talfahrt. Und nicht nur eine kurze Delle. Aber immerhin kenne ich jetzt die Kehrseite. Ich weiß also, wofür ich jeden Tag mit mir selber kämpfe. Und das alleine ist eigentlich schon eine ganz schön tolle Sache.

Authentizität vs. Wunschbild

Nach außen sind diese ganzen Kämpfe, die ich da mit mir austrage, eigentlich nie sichtbar. Weil ich nicht anders kann oder will – auch das ist eine andere Frage.

Auf jeden Fall trete ich heute sehr oft sehr selbstsicher auf, wenn es um das Thema Borderline geht. So, wie ich darüber rede bekommen meine Gegenüber wohl schnell den Eindruck, dass ich erfolgreich austherapiert bin und mich jetzt einfach noch weiter damit beschäftige. Oder vielleicht noch mit den Nachwehen meiner Persönlichkeitsstörungen zu tun habe. Wenn überhaupt. Es wird einfach sehr gerne vergessen bzw. ausgeblendet, dass ich eine ganz schön ernsthafte Erkrankung mit mir herumtrage. Immer.

I walk around in an ordinary way, doing ordinary things; but I am the walking wounded, only half alive because so much energy is being drained away, dealing with what is happening inside.

Life in a Bind

Und irgendwie ist das ja auch gut, ich möchte auf keinen Fall immer als „die Borderlinerin“ gesehen werden. Aber mittlerweile habe ich fast ein schlechtes Gewissen meiner Umwelt gegenüber, Wenn ich eine neue Runde auf der Relapse-Bahn drehe. Wenn der Schalter von Recovery auf Relapse springt. Wenn die Borderline mal wieder am Steuer der Achterbahn sitzt. Wenn die Depression sich auf meiner Couch einnistet.

Die „gesunde Dominique“ ist wie die „kranke Dominique“ ein Teil von mir. Ich bin nicht „geheilt“. (Siehe auch Grundkurs Borderline zum Thema Heilung) Ich bin nach wie vor Borderlinerin. Auch wenn ich über die letzten Monate verdammt viel gelernt habe. Arbeit in mich gesteckt habe. Und ganz klar: ja, es geht mir heute besser als früher. Irgendwie.

Ich will gleichzeitig authentisch sein und nicht am Bild der „heilen, starken“ Dominique rütteln. Es fühlt sich falsch an. Und das führt dann wiederum verstärkt dazu, dass ich mich in schlechten Phasen wieder sehr zurückziehe, von allen distanziere und meine dunklen Kriege mit mir alleine führe. Und erst recht nicht um Hilfe frage.

Schwarz-Weiß-Denken

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung bringt es mit sich, dass für Betroffene die Welt, eine Sache, ein Mensch oft entweder NUR gut, super, toll ist oder NUR schlecht, scheiße und unbrauchbar. Das kann im Minuten-, Stunden-, Tage- oder Wochentakt wechseln. Und irgendwie blende ich oft aus, wie sehr dieses Schwarz-Weiß-Denken mein Leben, mein Erleben, meinen Alltag, meine Interaktionen mit anderen Menschen prägt. (Und jetzt gerade merke ich, wie sehr ich darüber mal einen Artikel schreiben möchte und müsste. Kommt!)

Aber zurück: Dieses Entweder-Oder-Denken wirkt sich eben auch auf mein Recovery-Relapse-Erleben aus.

Das heißt also, wenn es mir gut geht, wenn ich gerade eine Aufwärts-Phase habe, dann ist alles gut: mein Selbstbild, mein Selbstvertrauen, meine Pläne, meine Vorhaben. „Mir ging es mal schlecht? – Ach, so schlimm war das doch nicht. Alles halb so wild.“ 

Klingt doch gar nicht schlecht? Stimmt, aber leider funktioniert es genau so, wenn es mir nicht gut geht. Nur eben in die andere Richtung. Dann ist alles schlecht: Ich bin scheiße, kein Selbstvertrauen in mich vorhanden, meine Pläne unbrauchbar, meine Zukunft zum Vergessen. „Mir ging es mal gut? – Kann nicht sein, das wüsste ich. Gut? Wie fühlt sich das an?“

In den letzten Monaten habe ich nun dank Therapie (hier werde ich langsam besser im Hilfe annehmen) gelernt, nach den Grautönen zwischen den beiden Polen zu suchen. Und überhaupt: ich habe gelernt, dass ich, dass mein Kopf, mein Denken, so funktioniert. Und dass ich, mein Kopf, mein Denken mir da was vormacht. Ich versuche, mich gerade nicht mehr so von diesen beiden Seiten mitreißen zu lassen. Sondern öfter meine Ratio und damit Objektivität einzuschalten.

Ich lerne also langsam, dass selten alles nur gut ist. Aber genau so selten alles nur scheiße.

The battleground means that resistance is alive – on both sides. Resistance to the self-sabotaging parts of myself and the negative thoughts and emotions; but also resistance to any positive external or internal influence that tries to show me that I have choices, and that all is not as it seems. The battleground means that I’m not just accepting what my inner thoughts are telling me; that I’m not just absorbing every emotion that wants to carry me away.

Life in a Bind

Auf zur nächsten Runde

Wie ich es schaffe, alle Seiten unter einen Hut zu bringen, sie zu einem stimmigen Gesamtbild zusammensetzen, in dem alle Teile und Phasen ihren Platz finden, daran muss ich in den nächsten Monaten noch arbeiten. Und zwar nicht nur in Bezug auf meine Recovery, sondern generell.

Wenn ich das geschafft habe, dann werden mich hoffentlich auch die großen und kleinen Relapse, die der Alltag und das Leben so für mich bereit halten, nicht mehr ganz so doll aus der Bahn werfen können. Weil ich weiterhin weiß, dass die Sonnenseite immer noch da ist, auch wenn ich sie gerade nicht sehe.

Die nächste Talfahrt wird kommen, die nächste Depression irgendwann vor der Tür stehen, das nächste Loch mich irgendwann erwarten. Meine treuen Begleiter aus alten Tagen werden mich irgendwann wieder in ihre Arme schließen. Einzeln oder in Kombination. Und ich werde nicht viel tun können. Außer zu wissen, dass ich schon mal dort war. Und also schon mal wieder rausgekommen bin.

There is also the war with helplessness, hopelessness, desperation, self-criticism and ultimately with the desire to die. I remind myself that I have been here before, that I will see beyond this. But my biggest ally in these times tends to be not words, but waiting; hanging on for dear life until I can once again see that life is dear, or at least liveable with.

Life in a Bind

Also, abwarten und Yogi-Tee trinken.

Recovery und Relapse – A

Lesezeit: 7 minuten

Recovery und Relapse – A

Part A | Ein Artikel über die Kämpfe und Kriege, die eine Recovery so mit sich bringt. Wie sich der Kopf mit den Schlachten ändert. Und warum Rahmen und Routinen für mich lebenswichtig ist.


Gerade als dieser Artikel zu den Tücken der Recovery in meinem Kopf langsam Gestalt annimmt erreicht mich der neue Blogpost einer britischen Blogger-Kollegin, die ebenfalls über ihre Erfahrungen mit Borderline schreibt. Diesmal trägt ihr Text den Titel „The battle inside my head“. Als ich ihn gelesen hatte musste ich ihr sofort schreiben, wie sehr ich mich in ihren Worten wiedergefunden habe. Und weil ich gerne teile, lest ihr in diesem Post mehrere Zitate aus ihrem Artikel, über einen Besuch auf ihrer Seite freut sie sich aber bestimmt trotzdem.

One of the hardest parts of my recovery from BPD is enduring the battleground in my head. The constant, ceaseless, unremitting war of words, its assault deafening my thinking space, and its fallout poisoning the air around my heart. I suspect this is true of many with a mental health condition, irrespective of their diagnosis.

Life in a Bind

Ich bin in Recovery – klingt erstmal toll. Ist es aber nicht immer. Recovery klingt nach guten Tagen, nach alles super, nach „Ich hab’s geschafft!“.

Gerade hab – oder vielleicht hatte – ich einen Relapse – klingt erstmal scheiße. Ist es aber nicht immer. Relapse klingt nach miesen Tagen, nach alles wieder beim Alten, nach „Ich muss nochmal ganz von vorne anfangen“.

Dass ein richtiger Recovery-Relapse-Prozess aber weder das eine noch das andere in Reinform ist, das merke ich grad mal wieder. „Rückfall“ bedeutet nicht immer gleich „zurück zum Anfang“. Sondern diese Rückschritte und Ehrenrunden sind meistens viel kleiner. Manchmal dauern sie nur Momente. Manchmal Stunden. Manchmal Tage. Und manchmal eben Wochen.

Und dann kann es sich auch mal so anfühlen, als hätte man in drei Jahren noch überhaupt nichts erreicht. Als wäre die Lage genau so aussichtslos wie sie am tiefsten aller Tiefpunkte mal war. Dann kommt einem das Wort Recovery wie ein spöttischer Geselle vor, der eigentlich nur dazu da ist, einen auszulachen.

Zwischen den Wörtern

Manchmal bin ich eine Borderlinerin wie sie im Buche steht. Vollblut-Borderlinerin. Wutausbrüche, instabiles Selbstbild, Anspannung. Manchmal nur kurze Momente, manchmal für Stunden, manchmal einen ganzen Tag. Oder mehrere. Und manchmal bin ich Vollblut-Gesund. Achtsam. Yoga-Fan. Läuferin. Meditierende.

Manchmal bin ich nur eines dieser vielen Dinge. Manchmal alles. Mir fällt es oft selber schwer zu erkennen, in welcher Phase ich eigentlich gerade stecke. Wie soll das dann jemand Außenstehendes erkennen?

Bin ich noch krank? Oder schon gesund? Was trifft auf mich zu? Welches Wort passt? Wie will, kann und darf ich meinen Zustand gerade beschreiben? Manche werden vielleicht sagen „Ist doch egal, du bist halt wie es grad ist“. Ich nenne Dinge aber gerne beim Namen. Es hilft mir, zu sortieren. Mit mir zu arbeiten. Ich stehe nicht mehr vor der Borderline. Aber ich bin auch noch nicht drüber. Ich bin auf dem Weg.

Und für diesen Zustand finde ich in der deutschen Sprache einfach nicht das richtige Wort. Im englischen Recovery dagegen finde ich mich wieder. Das Wort beinhaltet alle störrischen deutschen Übersetzungen in einem – Erholung, Gesundung, Besserung, Rückgewinnung, Bergung. Für sich gesehen alles sehr nette Worte. Aber nicht genug um zu beschreiben, wie ich mich fühle. Ich mag an Recovery besonders den „Re“-Teil. Ich hole mir etwas zurück. Und gleichzeitig lege ich andere Dinge ab, decke zu – cover.

Und auch mit Relapse fühle ich mich deutlich wohler als mit dem deutschen Rückfall. Denn Rückfall wiederum ist ganz schön negativ besetzt. „Lap“ bedeutet Runde. Relapse bedeutet für mich, dass man noch eine Runde dreht. Sich nochmal aufmacht. Aber ich bleibe weiter auf dem Weg. Ich kehre nie ganz zum Ausgangspunkt zurück. Ich gehe nicht zurück zum Los. Sondern halte immer ein paar Felder Abstand zwischen mir und dem Vorher.

Hätte ich nicht auf die englische Sprache ausweichen können, hätte ich auf Deutsch wohl am ehesten so etwas gewählt: zwei Schritte vor, einer zurück. Einen Schritt vor, drei zurück. Vier Schritte vor, zwei zurück. Und immer fröhlich so weiter. Oder euch einfach das Bild hier gezeigt:

Recovery - Expectations and Reality | Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.
Recovery – Expectations and Reality | Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

Die ganze Recovery-Geschichte ist im Endeffekt also doch eine Linie, die irgendwie immer bergauf geht. Auch wenn man das nicht immer sehen mag. Manchmal muss man aber vielleicht genau die paar Schritte wieder zurück gehen, damit man erkennt, wie weit oben man eigentlich schon mal war. Und zu merken, dass man da wieder vorbei kommen kann. Vorbeikommen wird.

Krieg im Kopf

„Was genau macht es denn jetzt so schwer? Dir geht’s doch offensichtlich besser als früher? Und du bist gut drauf, warst gerade vier Monate in Asien – so schlimm kann das doch alles gar nicht sein?!“

Meine Antwort: Mit Borderline kämpfst du ständig gegen dich selbst. Egal ob du noch mitten in der Krankheit, vor der Diagnose oder auf Therapie-Kurs bist. Dein Kopf bleibt der selbe. Und feuert weiter. Greift dich an. Lässt dich zweifeln. Und je mehr du dich in Richtung Recovery bewegst, desto entscheidender scheinen die eigenen Gedanken dich manchmal sabotieren zu wollen.

It is exhausting to be fighting with myself; or, as sometimes happens, to feel like an observer of a fight between parts of myself. To be under attack and have to constantly try and defend, push back, stave off, but also rationalise, encourage, remember. To try to summon up words both to retaliate against the offensive and to build up and strengthen the defense. 

Life in a Bind

Das was es heute manchmal noch so viel anstrengender macht, ist das Bewusstsein über die Spannungen, Konflikte, Positionen, Kämpfe und Wirbel in mir drin. Früher waren sie da. Und ich musste wohl oder übel mitmachen. Durch alles, was ich in den letzten Jahren gelernt habe, ist mir vieles von dem, was in mir drin so vorgeht, sehr viel bewusster als früher.

Sometimes I feel as though I’ve exchanged the emotional exhaustion of the rollercoaster of intense and changeable feelings, for the mental exhaustion of being aware of the rollercoaster and trying to persuade myself not to get on it

Life in a Bind

Irgendwann hab ich mal zu irgendwem gesagt, dass eigentlich nicht die Tage, an den ich gegen mich selbst verliere – also mich in irgendeiner Art und Weise selbst schädige – als Niederlage sehe, sondern jeden Tag an dem ich nichts dergleichen tue, als Erfolg. Denn sich ergeben und die weiße Fahne der Niederlage zu hissen wäre ganz klar der einfachste Weg.

Am Ende des Tages sind alle Sachen, die mir nicht gut tun, nach wie vor am wirkungsvollsten. Ob das jetzt SVV oder Trinken oder Frieren oder Verkriechen oder Hunger ist. Und es braucht enorm viel Kraft, diesen Verführungen jeden Tag zu widerstehen. Sich nicht einfach zu ergeben und zu sagen „ihr habt gewonnen“.

Und manchmal bin ich einfach müde. Müde vom gegen mich selber kämpfen. Erschöpft vom Auf und Ab. Geschwächt vom Hin und Her. Dann geht für eine Weile einfach nichts mehr. Dann geht nur noch Loch. Ich krieche heute meistens nicht mehr ganz so tief ins Loch wie früher. Und bleibe da auch nicht mehr so lange. Aber die Löcher kommen noch.

Rückfall á la Borderline

Wie die Löcher aussehen? Was für mich ein Relapse ist? Ein Rückfall? Nun, erster Gedanke: zu viel trinken. Ja, kommt auch vor. Aber für mich sind Relapse noch viel mehr. Es sind Gedanken ans Ritzen. Und Tage, an denen mich die Depression so fest umklammert dass ich nicht mal mehr von der Couch aufstehe. Geschweige denn aufstehen möchte. Relapse sind Momente, Tagen und Phasen, in denen mich die Borderline mal wieder mit voller Wucht in ihre Achterbahn presst. Mit allem, was dazu gehört. Das sind die richtig fiesen Rückschläge.

Dann wackelt nicht nur meine Stimmung und Laune, sondern (so zum Beispiel in den letzten Wochen) leiden darunter mein Selbstbild, mein Selbstvertrauen, meine Zukunftspläne, meine Aussichten, meine Zuversicht. Ich stelle alles in Frage, alles. Und verliere jegliches Vertrauen in mich, in meinen Blog, in meine Mission, in meine Zukunft. Und wenn ich erstmal an diesem Punkt bin, dann kann ich sicher sein, dass die Depression bald vorbeischaut um es sich mit mir und der Borderline auf der Couch so richtig gemütlich zu machen.

Wenn ich dann auf dieser Couch, in diesem Loch sitze, kann ich mir absolut nicht mehr vorstellen, dass es jemals wieder anders werden wird. Oder dass es schon mal anders war. Dann verwandelt mein Kopf alle meine Fortschritte, Errungenschaften und Erfolge in Hirngespinste und Nichtigkeiten um. Und dann dauert es auch mal drei Wochen, bis ich euch einen neuen Artikel schicken kann. That’s Borderline-Life.

Routine bitte. Die Routine bitte!

Wie ich da wieder raus komme? Nun, die nette, positiven, bestärkenden Stimmen in meinem Kopf wohnen ja noch nicht lange dort, scheinen sich da aber ziemlich wohl zu fühlen und machen nicht gern lange Urlaub. Und selbst wenn sie nicht selber da sind, haben sie eine Art Urlaubsvertretung in Stellung, die mich dazu bringt, für mich zu sorgen. Nicht komplett nachzulassen. Weiter zu laufen. Weiter Yoga zu machen. Weiter genug zu schlafen. Weiter zu meditieren. Weiter gesund zu essen.

Ob es dann dem Duo aus Depression und Borderline irgendwann zu langweilig wird, weil ich mich nicht mehr zu so spaßigen Sachen wie Ritzen, Betrinken und Nächten vor dem Fernseher breitschlagen lasse, oder ob mein „guter Kopf“ einfach irgendwann seinen Urlaub beendet, sich in seinen Chefsessel schwingt und sagt „So, Kinder. Jetzt machen wir mal wieder Ordnung hier und klettern weiter Richtung Recovery“.

Was mir aus der Misere raus hilft ist also wieder einmal meine Ratio, die mich zwischen drin erkennen, aufsagen lässt und mir vor Augen führt, was sich alles in meinem Leben geändert hat. Was ich erreicht habe. Wie viel besser ich heute mit meiner Anspannung umgehe. Und wie viel souveräner mit den Borderline-Symptomen generell. (Beispiel: Alleine in ein Yoga-Studio gehen. Das ich nicht kenne? Wo mich keiner kennt? Früher wäre das ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Heute nicht nur auf Bali, sondern auch in München geschafft. Ein kleiner Schritt für „normale“ Menschen – ein SEHR großer Schritt für die kleine, unsichere, paranoide, selbstzweiflerische Dommi!)

Und die andere Sache, die mir hilft, aus der Misere raus (oder idealerweise gar nicht erst rein) zu kommen, ist Routine. Programm. Termine. Disziplin. Nennt es, wie ihr wollt. Zusammengefasst ein Rahmen, der dafür sorgt, dass ich in der Spur bleibe, an dem ich mich festhalten kann und der den Gedanken nicht zu viel Platz lässt, um frei herumzulaufen. Leerlauf heißt ganz oft Gedankenattacken.

I meet every attack with a riposte; every pessimistic comment with a different reading; every negative interpretation with a reminder of a past positive event or word; every urge to self-destruct with a suggestion for an alternative course of action. Every barb must be dealt with; every challenge, challenged-back – if not, the words settle in, start to sink below the surface, and start to infect other parts of me.

Life in a Bind

Und genau das ist dann der Anfang allen Übels. Der erste Abzweig Richtung Relapse. Das muss ich verhindern. „Immer wachsam!“ wie Mad-Eye Moody so schön sagt. Nicht nachlassen. Dran bleiben. Auch wenn’s anstrengend ist. Und viel Kraft kostet. Aber die Alternative lautet Loch – und dann kämpfe ich doch lieber.

Als ich einmal angefangen hatte, über all die Dinge die gerade so in meinem Kopf sind, zu schreiben, gab es gar kein Ende mehr. Und damit ich euch nicht mit einem langen Text erschlage habe ich diesen Post zweigeteilt. Dies hier ist der erste Teil, den zweiten Streich lest ihr hier: Recovery und Relapse – Part B.