Von der Diagnose nach Hamburg

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Von der Diagnose nach Hamburg

Wie ich zu meiner Diagnose gekommen bin, wisst ihr seit diesem Artikel. Wie es dann aber weiter ging, hab ich euch bisher noch nicht erzählt. Was macht es mit einem, wenn man so einen Diagnose-Brocken vor die Füße geworfen bekommt bekommt?


Endlich ist es an der Zeit, meine Geschichte weiter zu schreiben. Prinzipiell ist dieser ganze Blog ja ein einziges großes „Nach der Borderline-Diagnose“. Hier und heute wird es aber darum gehen, wie ich vom ersten „Borderline“ auf die Station 2E der Schön Klinik in Hamburg gekommen bin.

Es ist eine BPS!

Herbst 2013 – die Diagnose ist da. Es ist eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ. Herzlichen Glückwunsch! Wie ich schon in Mein Weg zur Borderline-Diagnose geschrieben habe, kam nach dem ersten Schock die große Erleichterung. Aber warum Erleichterung?

Ihr könnt euch das Gefühl nicht vorstellen, als ich wenige Tage nach der Diagnose das erste Mal in einem Buch über Borderline las. Einerseits zu erfahren, dass es andere Leute gibt, die genau die gleichen Macken haben wie ich. Die die gleichen Kämpfe mit ihrem Kopf führen. Die Erfahrungsberichte anderer Betroffener fühlten sich teilweise so an wie direkt aus meinem Leben raus kopiert.

Und das zweite tolle war, zu lesen, dass es Menschen gibt, die für die vielfältigen Probleme und die bunte Symptomatik der Borderline-Persönlichkeitsstörung Lösungsansätze haben. Dass es Therapien gibt. Dass es besser werden kann. Wenn ich heute daran zurückdenke habe ich noch genau das gleiche Gefühl im Bauch, wie damals. Ein „Du-bist-nicht-allein-und-es-gibt-Hilfe“-Gefühl.

Natürlich bleibt man auch nach einer Diagnose der gleiche Mensch. Aber ich muss schon sagen, dass ich mich danach mit anderen Augen gesehen habe. Die Diagnose-Brille lässt einen genauer hinschauen.

Es ist ein bisschen wie mit einer Maschine, die nicht rund läuft. Und wenn man kein Experte für diese Maschine ist, dann tut man eben sein bestes, um das Ding irgendwie am Laufen zu halten. Klebt hier ein bisschen Tape drauf, schmiert da ein bisschen Fett hin. Und die Maschine läuft weiter. Jeder Profi würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber man weiß es eben nicht besser und bemüht sich sehr.

Und dann kommt jemand und sagt „Die Maschine kenn ich – hier ist die Bedienungsanleitung.“ Kein blindes Rumprobieren mehr, sondern an den richtigen Stellen mit dem richtigen Werkzeug ansetzen. Natürlich heißt das nicht, dass die Maschine nun von heute auf morgen reibungslos funktioniert und alles rund läuft. Die Macken und Schwachstellen hatten schließlich lange genug Zeit, um im Material ihre Spuren zu hinterlassen. Aber trotzdem – es ist ein Anfang.

Einmal Bruch, bitte!

Aber eben erst der Anfang. Denn da saß ich nun also in München mit meiner neuen Bekannten, der Borderline-Diagnose, hab Bücher gelesen, das Web durchsucht, bin zu meiner Therapeutin. Und hab mich gefragt „Na, und jetzt?“.

Ich hab dann recht bald gemerkt, dass das so nichts wird. Alles läuft weiter wie bisher, mit dem einen Unterschied, dass ich einmal die Woche zur Therapie laufe. Es muss sich was ändern. Nicht schleichend und langsam, sondern mit einem Knall.

Die Diagnose aka Bedienungsanleitung alleine reicht noch nicht. Sie will durchgearbeitet, verstanden und angewendet werden. Und für mich hieß das ohne langes Überlegen – aus allem raus. Von allem weg. Einmal reset, sozusagen. Und an diesem Punkt tauchte dann – vielleicht zwangsläufig – irgendwann das Wort „stationär“ auf.

Man könnte denken, der Gedanke, sich über mehrere Wochen selber in eine Klinik zu stecken, muss einem Angst machen. Bei mir war es genau das Gegenteil. Eine Mischung aus Vorfreude, Aufregung, Nervosität – und ja, natürlich – ein bisschen Bammel war schon auch dabei.

Der größte Schritt für mich war wohl, das erste Mal in meinem Leben keine Rücksicht auf andere zu nehmen. Jetzt sollte es mal nur um mich gehen. Bisher stand immer jemand anders auf Platz 1 meiner Wichtigkeits-Liste. Mich selber ohne Kompromisse in meinen eigenen Mittelpunkt zu stellen – das stand jetzt mal an.

Freunde & Familie

Ich hatte weder das Bedürfnis noch sah ich einen Grund, meine Entscheidung an die große Glocke zu hängen. Dazu war die Diagnose und meine Entscheidung wohl auch noch zu frisch. Ein paar wenige enge Freunde hab ich eingeweiht. Und da gingen die Reaktionen von bewundernd über Respekt bis zu erschrocken, würde ich mal zusammen fassen.

Die Freunde, denen ich was gesagt hab, wussten zu dem Zeitpunkt aber immerhin alle wenigstens ein bisschen Bescheid, was mit mir los ist. Keiner alles und wahrscheinlich auch niemand, wie schlecht es mir wirklich ging. Aber meinen Arm zum Beispiel hab ich vor ausgewählten Kreisen irgendwann aufgehört zu verstecken.

Ganz im Gegensatz zu meiner Familie. Die hab ich wohl am meisten mit der Sache überrascht. Bisher hatte ich meine kleinen und großen Problemchen ziemlich komplett für mich behalten. Sozusagen im Stillen gekämpft. Ob sie oder irgendjemand anders irgendwann mal was geahnt hat, kann ich heute nicht sagen. Jedenfalls hat mich nie jemand angesprochen.

Wie ich hier und da schon angedeutet habe, war für mich lange Zeit das Schlimmste, was ich mir vorstellen konnte, dass meine Familie irgendwas davon mitbekommt, wie sehr ich immer wieder am kämpfen bin. Dass ich mich selbst verletzte. Und auch sonst ziemlich selbstschädigend unterwegs war.

Und deswegen war dieser Teil für mich wohl auch der schwierigste. Den ich auch nicht persönlich übers Herz gebracht habe, sondern nur per E-Mail. Und erst, als ich schon in Hamburg war. Leicht war es natürlich trotzdem nicht – aber im Nachhinein nicht annähernd so „schlimm“ wie ich es mir die Wochen, Monate, Jahre zuvor vorgestellt hatte. Gegen Ende der Therapie hab ich dann auch familiären Besuch in Hamburg bekommen bzw. zugelassen. Alles andere muss bis zu einem anderen Post warten.

Jeder, der sich nicht durch gute Freundschaft, Familienzugehörigkeit oder andere Umstände für die Wahrheit qualifizierte – und den interessierte, wo ich denn die ganze Zeit steckte – hat eine sehr vage „Praktikum-in-Hamburg“-Variante aufgetischt bekommen. Das war’s.

Das Organisatorische

Und dann gab es ja auch noch so Thema Uni bzw. Arbeit. Man muss vielleicht von Glück sprechen, dass ich zum Zeitpunkt des Beginns meiner stationären Therapie bereits in meinem letzten Bachelor-Semester war. Alle Seminare, Vorlesungen und Prüfungen hatte ich schon hinter mir – übrig war nur noch die Bachelor-Arbeit.

Hier war also ein weiteres Hosen-runter angesagt. Vor meiner Dozentin und meinem Betreuer. Hab gar nicht versucht, lange drum herum zu reden sondern ihnen gesagt, ich müsse Anfang Mai eine stationäre Therapie machen. Warum genau, das hab ich nicht gesagt. Nicht, weil es mir unangenehm oder peinlich gewesen wäre, sondern einfach, weil ich finde, dass sie das nichts angeht.

Durch meine Abwesenheit würde ich Seminare verpassen, die im Rahmen der Bachelor-Arbeit eigentlich Pflicht sind. Darin geht es aber „nur“ darum, die Kommilitonen und die Dozenten auf den neuesten Stand zu bringen, wie weit man mit den Vorbereitungen der Bachelor-Arbeit schon ist. Sobald diese Veranstaltungen durch sind, geht die „offizielle“ Bearbeitungszeit los. Und auch während dieser würde ich eben in Hamburg sein.

Begeistert waren meine zwei zuständigen Dozenten nicht. Aber ich habe die ganze Sache nicht als Frage oder Option dargestellt, sondern klar gesagt, dass das so sein muss. Lediglich die mündliche Prüfung konnte ich nicht im gleichen Zeitraum wie meine Kurs-Kolleginnen absolvieren, das hab ich dann erst nachholen können als ich aus Hamburg zurück war.

Da saß ich dann also in Hamburg, und hab auf Station zwischen meinen Therapien, Sitzungen und Terminen an meiner Bachelor-Arbeit gesessen. Und dann irgendwann eine Druckerei in Hamburg gesucht, das gute Stück drucken und nach München schicken lassen. (Wen’s interessiert: Bachelorarbeit 2,3, Disputation 1,7 – find ich für die Umstände ganz passabel)

Und dann gibt es da natürlich noch die Themen Arbeit und Geld. Bei dem Café, bei dem ich damals gearbeitet hab, habe ich gesagt, ich bräuchte jetzt all meine Zeit für meine Bachelorarbeit. Ich hatte zwar keine großen Ersparnisse im Vorfeld der Therapie ansammeln können, dafür ging das dann alles doch zu schnell, aber durch die „Rundumversorgung“ in der Klinik und etwas Unterstützung von Arvid habe ich dann auch das hinbekommen.

Der Weg nach Hamburg

So, Uni geregelt, Arbeit klar, Umfeld mehr oder weniger informiert – aber wie bin ich denn jetzt nach Hamburg gekommen? Ist ja nun nicht die nächste Klinik.

Stationär sollte es also sein. Von Anfang an war klar „Nicht in München“. Ich wollte wirklich einen Cut, einen Bruch, eine klare Kante zu meinem bisherigen Alltag. Und dann begibt man sich auf die Suche durch das große, weite Internetz. Und findet da auch was. Aber nicht wirklich viel, um ehrlich zu sein.

Neben „Nicht-München“ war für mich klar, dass ich wohin möchte, wo nicht nur das Thema Borderline, sondern auch das Thema Alkohol professionell angepackt wird. Denn dass der bei meiner ganzen psychischen Problematik kräftig seine Finger im Spiel hat, konnte auch ich quasi nicht mehr übersehen. Anspannungs-Regulations-Mittel erster Klasse und Güte.

Wenn man nach dieser Kombination sucht, dann findet man (oder zumindest war es damals, als ich gesucht habe) genau drei Kliniken. Hamburg, Erlangen und irgendwo in der Mitte Deutschlands. Nach Erlangen bin ich sogar gefahren und hab mir die Station angeschaut – war aber irgendwie gruselig. Und da ich eh noch nie in Hamburg war, den Norden aber prinzipiell mag und die Klinik auch noch einen „netten“ Eindruck machte – hab ich mich dort beworben.

Telefonate, ein sehr langes und detailliertes Bewerbungsschreiben meinerseits – und dann kam der Zuschlag. Früher als erwartet bekam ich nach nur wenigen Wochen – statt wie angekündigt mehreren Monaten – den Bescheid, dass ich am 03. Mai 2014 meine stationäre DBT-S-Therapie auf der Station 2E der Schön Klinik in Hamburg-Eilbek beginnen könnte. Ich wusste ja noch nicht, was mich erwarten würde.

BPD Symptome erklärt | N°9

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Was gucken die denn alle so?“ – „Wer?“ – „Na, alle!“

BPD Symptome erklärt | N°9

Last but not least Symptom: Paranoia und Dissoziation. Hier erwartet euch vielleicht nicht ganz, was ihr erwartet.

In der Reihe BPD Symptome erklärt möchte ich euch nach und nach anhand der „offiziellen Kriterien“ des DSM die Symptome der Borderline Persönlichkeitsstörung vorstellen. Wie bei allen Beiträgen auf meiner Seite gilt: hier geht es um meine Welt, um meine Erfahrungen, um meine Ansichten. Heute geht es zu Kriterium N°9:

Vorübergehend paranoide Vorstellungen oder dissoziative Gefühle wie Selbstentfremdung infolge von Belastungssituationen


Das 9. und damit letzte Symptom auf der „offiziellen“ Diagnose-Liste ist mal wieder eines, was mich (zum Glück) nur so halb trifft. Die paranoiden Vorstellungen kenne ich sehr gut. Dissoziative Gefühle dagegen kaum. Was genau darunter jeweils zu verstehen ist und wie ich die Dinge erlebe, lest ihr nun hier.

Paranoia wer?

Paranoia – was ein schweres und hartes Wort. Beim ersten Mal überfliegen der klassischen Symptomauflistung habe ich diesen Punkt geradezu überlesen. Ich bin doch nicht paranoid. Ha! Denkste. Denn gerade in Bezug auf Borderline hatte ich ein ziemlich falsches Bild der Sache.

Unter Paranoia habe ich verstanden, die eigene Wohnung nicht mehr zu verlassen aus Angst vor Menschen, Aliens, Bakterien oder Strahlung. Oder sich alle zwei Schritte aus Angst vor Verfolgung umzudrehen. Und so weiter. Das stimmt zwar irgendwie auch alles, bzw. kann stimmen. Aber paranoide Vorstellungen können auch viel „kleiner“ ausfallen.

Wikipedia drückt es so aus: Die Betroffenen leiden an einer verzerrten Wahrnehmung ihrer Umgebung in Richtung auf eine feindselige (im Extrem bösartig verfolgende) Haltung ihrer Person gegenüber.

Und das trifft es dann schon besser. Auch wenn es sich bei Borderlinern meist „nur“ um paranoide Vorstellungen und keine ausgewachsene Paranoia handelt, kann dieses Symptom einem das Leben ganz schön schwer machen. Bei mir – und auch bei vielen anderen Betroffenen – äußert sich das so, dass man einfach ständig denkt, alle um einen herum beobachten einen. Sprechen über einen. Machen sich lustig. Lästern. Ob die Kommilitonen im Hörsaal, die besten Freunde wenn man vom Klo kommt oder Fremde auf der Straße, die einem „so einen komischen Blick“ zuwerfen.

Mein Erleben des Symptoms in einem Absatz: Alle beobachten mich. – Alle sind gegen mich.Keiner mag mich wirklich. Das sind wahrscheinlich drei der zentralsten Gedanken, die meine paranoiden Vorstellungen angeführt haben. Und die beiden zentralen Strategien im Umgang mit diesen Gedanken sind 1. Sich zu verstellen, keinem zeigen, wer man wirklich ist, dann haben sie nichts gegen mich in der Hand. und 2. Niemandem vertrauen, keinem zu nahe kommen, lieber alleine bleiben – sonst wird man nur enttäuscht, verletzt, vorgeführt oder alles zusammen.

Scheinwerfer an!

Als hätte man einen riesigen Scheinwerfer über sich, der einen permanent in strahlen helles Licht taucht. Und dazu steht man noch auf einem Podest. Damit auch wirklich ALLE einen sehen können. So hat es sich für mich lange angefühlt, durchs Leben zu gehen.

Dieses ständige Gefühl des Beobachtet-Werdens, das einen durch den Alltag begleitet und nicht loslässt, ist enorm belastend. Es verursacht einen hohen Druck, keine Angriffsfläche zu bieten. Bloß keine Fehler. Keine Mängel. Keine Ausrutscher. Sonst ist man das Gespött aller. Noch mehr als man es sowieso schon ist.

Ich hab mich in der Gegenwart von anderen Menschen nie „frei“ gefühlt – sondern immer befangen. Nie entspannt sondern immer auf der Hut. Dieser Stress hat bei mir dazu geführt, dass ich mich einfach lieber von anderen Menschen fern gehalten habe. Für mich alleine geblieben bin. Während meines Studiums zum Beispiel nicht in die Mensa gegangen bin – sondern allein im Englischen Garten Pause gemacht habe. Im Hörsaal immer ganz hinten saß. Abstand herstellen. Denn dann fällt dieser ganze Druck zwar auch an, aber geringer. Entfernter. Situationen, die für andere normal sind, lösen bei mir Anspannung und Hochstress aus.

In Gesellschaft anderer verstellt man sich oft, um sich den Vorstellungen, die man über die Vorstellungen der anderen hat, anpassen zu können. Um das Gerede und Geläster möglichst klein halten zu können. Das ist anstrengend, aber eine wirkliche Alternative gibt es nicht. Und für jemanden, der sowieso ein sehr instabiles Selbstbild hat, macht dies das Leben natürlich nicht einfacher.

Freund und Feind

Wer jetzt denkt, dieses Symptom beschränkt sich nur auf Fremde, Zufallsbegegnungen oder entfernte Bekannte, den muss ich leider enttäuschen. Wie oben schon angedeutet gelten die gleichen Regel auch für die Familie, die Kollegen und auch die engsten Freunde. Niemand ist vor den paranoiden Gedanken eines Borderliners sicher.

Und genau das macht jede Art von Beziehung zu einem Betroffenen auch oft so schwer, oder so anstrengend. Wie soll man ein Vertrauensverhältnis aufbauen wenn eine der beiden Parteien ständig an den Grundlagen der Beziehung zweifelt.

Auch die nettesten, liebsten und best gemeinten Worte habe ich umdeuten können – oder tue es heute noch ab und zu. Automatisch. Bis sich meine Ratio einschaltet und versucht, die Sache zu beenden.

Bestimmt spielt diese ganze Geschichte auch bei dem mir unbekannte Zugehörigkeitsgefühl aus Borderline goes München eine Rolle – so wie sich die einzelnen Symptome an vielen Stellen mischen und zusammenarbeiten. Wer seiner Umwelt unterschwellig immer böse Absichten und einen doppelten Boden unterstellt, dem wird es schwer gelingen, sich einfach mal irgendwo aufgenommen, angenommen und entspannt zu fühlen.

Dissoziationen

„Richtige“ Dissoziationen kenne ich zum Glück nur von anderen Betroffenen. Auch wenn ich also (leider) nicht aus eigener Erfahrung berichten kann, möchte ich das Thema trotzdem kurz behandeln.

Auch hier greife ich zum besseren Verständnis auf wikipedia zurück. Dort heißt es Der Begriff Dissoziation beschreibt in der Psychologie die Trennung von Wahrnehmungs- und Gedächtnisinhalten, welche normalerweise assoziiert sind. Hierdurch kann die integrative Funktion des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Wahrnehmung und der Identität beeinträchtigt werden. und weiter Bei Dissoziationen handelt es sich um eine vielgestaltige Störung, bei der es zu einem teilweisen oder völligen Verlust von psychischen Funktionen wie des Erinnerungsvermögens, eigener Gefühle oder Empfindungen (Schmerz, Angst, Hunger, Durst, …), der Wahrnehmung der eigenen Person und/oder der Umgebung sowie der Kontrolle von Körperbewegungen kommt. Der Verlust dieser Fähigkeiten kann von Stunde zu Stunde unterschiedlich ausgeprägt sein.

Aus der Klinik und Büchern kenne ich Betroffene, die regelmäßig dissoziieren, sich dann nicht an Minuten, Situationen, Erlebnisse oder Begegnungen erinnern können. Nach außen hin sind diese dissoziativen Zustände schwer zu erkennen. Das gelingt oft nur Profis und auch nur wenn sie den Betroffenen schon lange kennen oder intensiv mit ihm gearbeitet haben. Mehr zum Thema Dissoziation und Borderline findet ihr zum Beispiel bei der borderline-plattform oder hier.

Meine Besserung

Mir hat erstmal wieder sehr gut getan, als ich nach meiner Diagnose in Büchern gelesen und in Hamburg gelernt habe, dass viele andere Betroffene das Gefühl des ständigen Beobachtet-Seins kennen. Wissen, wovon ich spreche.

Inzwischen habe ich verstanden, dass die meisten Menschen die meiste Zeit einfach so sehr mit sich selber beschäftigt sind, dass sie weder Zeit noch Energie noch Interesse an meiner Person haben. Es gibt keinen Scheinwerfer und auch kein Podest. (Hier war ein wichtiger Moment für mich, als ich gegen Ende meines Studiums zum ersten Mal mit einer bestimmten Kommilitonin gesprochen habe und ich mir sicher war, sie würde mich kennen und so etwas sagen „du sitzt doch immer da hinten oben, ganz links“ und sich dann herausstellte, dass sie überhaupt nicht wusste, dass ich seit fast drei Jahren mit ihr studierte. Für andere wäre dies vielleicht ein trauriger, enttäuschender oder schmerzhafter Moment gewesen. Für mich war er aber irgendwie sehr erleichternd und befreiend.)

Das war deswegen vielleicht am Anfang schwer zu verstehen, weil ich – ob das jetzt typisch Borderline ist oder einfach ich bin, weiß ich nicht – extrem offene Sinne habe. Meine Antennen stehen immer auf vollen Empfang, ich bekomme mehr von meiner Umwelt mit, als die „normalen“ um mich rum. Und lange dachte ich, jeder Mensch ist so.

Ich habe es inzwischen geschafft, entspannter mit mir und damit, wie mich andere wahrnehmen, umzugehen. Gelernt, dass die Welt nicht gleich untergeht wenn jemand über mich redet.

Auch heute noch können mich schräge Blicke in der Bahn (vielleicht sogar plus Getuschel), zweideutige Kommentare in der Arbeit oder von Freunden sehr schnell sehr unsicher werden lassen. Dann springt alles alte wieder an – „die mögen dich eigentlich gar nicht“. Manchmal kann ich das schnell wieder abschütteln, machmal bleibt es ein bisschen an mir kleben. Das Wichtige aber ist: die paranoiden Vorstellungen haben keinen so großen Einfluss mehr auf mein Leben, mein Verhalten – so wie sie es über viele Jahre hatten. (Alleine in ein Yoga-Studio auf Bali gehen, in dem ich noch nie war, in dem ich niemanden kenne? Wäre früher unmöglich gewesen! Aber genau das habe ich vor wenigen Wochen getan!)

Nach wie vor finde ich es unangenehm, wenn ich unfreiwillig in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerate – weil ich etwas peinliches gemacht oder das falsche gesagt habe. Und nach wie vor kämpfe und hadere ich mit solchen Situationen vermutlich stärker als andere. Manchmal auch noch eine Woche, zwei Monate oder drei Jahre später. Aber zu einem gewissen Teil habe ich wohl akzeptiert, dass ich das das nie ganz abstellen können werde.

Ein wirkliches, 100-Prozentiges Vertrauen in eine andere Person, in eine Freundschaft oder Beziehung werde ich vielleicht nie erreichen können. Es werden immer die Verzerrung ins Feindselige, die Zweifel und nagenden Stimmen in meinem Kopf bleiben. Aber heute sind da auch andere Stimmen und Erklärungen, die mir dabei helfen, mich nicht mehr so davon beeinflussen zu lassen.

Was hilft?

Angehörige können mal wieder vor allem durch helfen, dass sie dem Betroffenen Rückmeldung zu seiner Wahrnehmung geben. Eine zweite Sicht aufzeigen, alternative Interpretationen der Situation liefern und dem Borderliner so zeigen, dass seine (paranoide) Wahrnehmung nur eine mögliche Variante ist.

Mit Worten zu beteuern, dass man den Betroffenen wirklich mag/liebt/schätzt bringt aus meiner persönlichen Erfahrung nur bedingt etwas. Die Zweifel bleiben. Natürlich kann man versuchen, durch seine Worte und Taten die Zweifel im Borderline-Kopf nicht noch weiter anzufachen, aber das darf nur so weit gehen dass der Angehörige sich nicht selber einschränken muss.

Rücksicht darf und sollte da sein. Aber ich kann jedem Angehörigen nur raten, sich nicht aus Angst oder Umsicht anders zu verhalten – auch das schafft der Borderline-Kopf im Zweifelsfalle nur zu seinen Zwecken zu deuten.

Den Betroffenen will ich sagen – dieser Punkt ist bei mir nach Therapiebeginn mit am schnellsten besser geworden. Der wichtigste Schritt ist wohl wieder, sich die Mechanismen überhaupt mal bewusst zu machen. Damit man dann etwas hat, an dem und mit dem man arbeiten kann.

In diesem Falle „Mein Kopf verzerrt die Realität und meine Beobachtungen oft ganz schön ins unrealistische und negative – und immer zu meinen Ungunsten.“

So, und jetzt geh ich raus aus euren Köpfen.