Borderline-Trialog

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Borderline-Trialog

Trialog? Da schauen die meisten Leute mich erstmal fragend an. Was genau das ist, wie man sich das vorstellen kann und warum ich so ein großer Fan davon bin.


Ich sitze mit 60 oder sogar 80 fremden Menschen in einem Raum. Genauer zählen ist schwer wenn man mit einem starren Blick auf den Boden vor sich versucht, unsichtbar zu sein. Ich bin nicht freiwillig hier. Im Gegensatz zum Rest. Ausgenommen wahrscheinlich meine Mitpatienten von Station. Es wurde uns nahe gelegt, diesen »Trialog« zu besuchen. Mit anderen Worten: wer nicht mitkommt, bekommt nen Strich in seine Akte.

Was ich weiß, dass es hier und heute um Borderline gehen wird; dass alle hier irgendwie mit dem Thema zu tun haben. Das ist aber dann auch schon alles… und das fühlt sich ziemlich bescheiden an. 

Umso besser fühlt es sich an, als wir knapp zwei Stunden später wieder auf unsere Station zurück dürfen. Gesprochen habe ich genau zwei Worte. »Dominque. Betroffene.« Gehört habe ich einige mehr. Und gehe wenige Wochen später zu meinem nächsten Trialog. Freiwillig.


Immer wieder werde ich von anderen Betroffenen und auch von Angehörigen gefragt, ob es in München eine Selbsthilfegruppe zum Thema Borderline gibt. Die Antwort lautet im Moment (leider): Nein, gibt es nicht. Aber es gibt etwas viel besseres* – nämlich den Borderline-Trialog.

Ja, ich hatte definitiv meine Anlaufschwierigkeiten mit dem Konzept. Hauptgründe dafür waren Unsicherheit, Angst, Nicht-Wissen was auf mich zukommen, wie es ablaufen, wie gut ich mich zurückhalten bzw. verstecken können würde. Heute bin ich großer, sehr großer Fan und überzeugte Anhängerin des Trialog-Konzepts. Arbeite selber mit, besuche die Abende regelmäßig, mache Werbung.

Und im Grunde ist dieser Artikel genau das: Werbung. Aber auch Anleitung. Ich möchte verhindern, dass andere von den gleichen Ängsten, Sorgen und Unsicherheiten zurückgehalten werden. In sicherem Abstand könnt ihr lesen, was euch beim Trialog erwartet – und dann hoffentlich von diesem Wissen und eurer Neugier getrieben eines Tages einen bei euch in der Nähe besuchen.

Trialog – Was ist das?

Aber bevor ich richtig einsteige erstmal die Basics: Was ist denn nun dieser Trialog? Trialog bedeutet, dass sich alle Parteien, die mit dem Thema zu tun haben, zusammensetzen. Bei der Borderline-Persönlichkeittsstörung sind das neben den Betroffenen deren Angehörige, also Familie, Freunde, Partner etc., sowie Fachleute, die beruflich mit Borderline zu tun haben, also Psychologen, Psychiater, Sozialarbeiter, Ärzte, Therapeuten und Co. 

An meinem ersten Trialog habe ich teilgenommen, als ich in Hamburg meine stationäre Therapie gemacht habe. Wie oben beschrieben weder freiwillig noch begeistert. Das hat sich mit der Zeit aber dann ziemlich radikal geändert.

Und die Freude, als ich dann letztes Jahr erfahren habe, dass es seit 2015 auch einen Trialog in München gibt, war dann doch ziemlich groß. Nach diversen Malen als »normale« Teilnehmerin bin ich nun seit diesem Jahr auch im Orga-Team des Münchner Borderline-Trialogs und vertrete dort die Betroffenen-Seite.

Ganz wichtig: der Trialog ist keine therapeutische Maßnahme. Es geht nicht darum, einer Einzelperson zu helfen sondern darum, auf allen Seiten Verständnis und Wissen zu steigern. Darüber hinaus gibt es einen Büchertisch mit Empfehlungen für die jeweilige Partei und im Einzelfall kann das Orga-Team auch bei der Vermittlung einer weiterführenden Maßnahme helfen. Dies ist aber nicht Zentrum oder Ziel des Trialogs.

Trialog – Wie kann man sich das vorstellen?

Jetzt mal ganz konkret – wie sieht so ein Abend beim Trialog aus. In München findet das ganze in Staffeln statt. Eine Staffel besteht aus vier Terminen. Eine davon liegt im Frühjahr, die andere im Herbst. Dazwischen sind einige Wochen Pause.

Los geht es bei uns um 18 Uhr und in der großen Runde. Das heißt, alle Anwesenden werden zusammen begrüßt, es gibt eine kurze Einführung in den Trialog, manchmal einen kleinen Impulsvortrag und dann teilt man sich in kleinere Gruppen auf. Diese Gruppen bestehen idealerweise aus 15 bis 20 Teilnehmern und wir versuchen darauf zu achten, dass alle drei Parteien in jeder Kleingruppe vertreten sind, um einen trialogischen Austausch zu erleichtern.

Die Kleingruppen werden von jeweils zwei Moderatoren angeleitet, welche zu Beginn nochmals kurz die »Regeln« des Trialogs wiederholen. Je nach Größe, Lust und Laune gibt es dann eine kleine Vorstellungsrunde. Meistens wird hier nur der Name gesagt und zu welcher »Partei« man gehört, manchmal kommen aber hier auch schon Themen zur Sprache.

Apropos Thema: jeder Trialog-Abend hat ein übergeordnetes Thema. Diese können z.B. lauten Selbst- vs. Fremdfürsorge, Funktion von Selbstschädigung, Berufstätigkeit – Wollen und Können, Nach der Krise ist vor der Krise: Vorbereitet sein, Borderline-Kriterien besser verstehen oder Spaß mit Borderline – Gaben, Stärken und Talente. Diese Themen sind keine strikte Vorgabe sondern dienen eher als Anstoß und Anregung. Der Austausch entwickelt sich dann meistens von Selbst und bleibt manchmal näher am Thema oder zieht auch mal weitere Kreise.

Kein Muss für niemanden!

Die Rolle der Moderatoren: Ziel ist es, dass der Austausch ohne ein Eingreifen der Moderatoren abläuft. Sie passen aber auf, dass sich das Gespräch nicht zu sehr auf eine oder wenige Personen konzentriert, dass jeder Gelegenheit bekommt, etwas zu sagen, alle auf Augenhöhe bleiben, holen die Gruppe bei Bedarf auch mal wieder zurück zum Thema oder einer Frage oder geben der Runde durch eine Frage oder eine Anmerkung einen neuen Anstoß.

Zu diesen »klassischen« Kleingruppen gibt es auch noch Varianten wie eine offene Gruppe, welche sich ganz frei vom Thema des Abends austauschen kann (wenn sich dafür genügend Leute finden) oder auch eine feste Gruppe, bei der die Mitglieder an allen vier Abenden einer Staffel die gleichen sind und deren Teilnehmer sich so über die Termine hinweg besser kennenlernen.

Insgesamt gilt für den Trialog: Niemand muss etwas sagen, niemand wird gezwungen oder schief angeschaut. Es darf geskillt, den Raum verlassen, ein Beitrag geleistet und geschwiegen werden genau so, wie man sich fühlt. Jeder hier weiß, »womit« er es zu tun hat. Die Bitte ist lediglich, dass jeder auf sich selbst aufpasst und das tut, was für ihn oder sie gerade am besten ist – denn Gedanken lesen kann auch in dieser Runde leider niemand.

Ende des Trialoges ist gegen 20 Uhr, wobei meistens noch eine kleine Feedbackrunde in den Gruppen gemacht wird, bevor alle Teilnehmer wieder zusammen treffen.

Trialog – Warum bin ich so ein großer Fan davon?

Obwohl ich bereits seit 15 Jahren mit Borderline lebe, seit vier Jahren in ambulanter und stationärer Gruppen- und Einzeltherapie bin, diverse Bücher drüber gelesen habe, mich viel mit anderen (nicht) Betroffenen über das Thema unterhalten habe – an jedem Trialog-Abend lerne ich wieder etwas dazu. Über mich, über Borderline an sich und natürlich auch immer wieder etwas aus den anderen Perspektiven.

Nicht jeder Abend ist einfach. Manchmal baut sich aufgrund gesagter Worte oder eines Teilnehmers Anspannung in mir auf. Aber in den meisten Fällen fühle ich mich danach gut, besser als davor. Nicht mehr so alleine, sondern verstanden – und immer wieder auch ein wenig stolz.

Denn eine Sache, die mir der Trialog quasi konstant vor Augen hält ist, wie weit ich auf meiner Recovery schon gekommen bin. Wie ja auch im Artikel Geschenk an mich geschrieben vergesse und übersehe ich im Alltag allzu gerne, dass ich schon ganz schön große Fortschritte gemacht habe, in den letzten Wochen, Monaten und Jahren. Dass es hier und dort deutliche Verbesserungen gibt.

Beim Trialog treffen sich alle Level – solche, die ganz neu in der Thematik sind und alte Hasen. Und immer wieder merke ich, wie sehr wir »alten Hasen« den Neulingen Mut machen können, ihnen Hoffnung geben. Betroffenen wie Angehörigen.

Unmögliches möglich machen

Immer wieder merken wir im Austausch, dass wir uns alle eigentlich ganz schön ähnlich sind. Dass der Unterschied zwischen »normal« und »krank« gerade bei Borderline oft nur die Intensität ist. Wir aber oft wissen, worüber der Andere gerade spricht. Kennen es von uns selber.

Ich finde es toll, durch die anderen Perspektiven meinen eigenen Blick auf Borderline erweitern zu können. Die Geschichte aus den Augen der anderen zu sehen ist für mich eine ungemeine Bereicherung. Und ich merke, wie die Profis an mancher Stelle erstaunt gucken, weil sie eine Sache so noch nie gesehen haben.

Im Trialog finden dringend benötigte Gespräche statt, die sonst niemals stattfinden würden. Familien untereinander reden anders miteinander, manchmal gar nicht. Im Trialog werden die Parteien aber von Nicht-Familienmitgliedern übernommen. Und so eine ganz neue Kommunikation möglich. Da sitzen einem andere Mütter und Väter und Partner gegenüber. Ohne ein vorbelastetes Verhältnis.

So lernt man dank anderer Menschen etwas über die eigenen Systeme, versteht plötzlich die Reaktion der Eltern oder das Verhalten des Partners. Dass er oder sie es gar nicht so böse meinte, wie man immer dachte. Sondern dass Motive dahinter stecken, die einem selber niemals in den Sinn gekommen wären.

Gleiches gilt für Profi und Patient. So manches kann bzw. darf im professionellen Umfeld gar nicht in dieser Art und Weise besprochen werden. Im Trialog aber schon. Auch hier findet ein Blick hinter die jeweils andere Seite statt, der die eigene Arbeit mit der Diagnose verändern, verbessern kann.

Trialog – Was noch?

Mittlerweile habe ich nun schon einige Trialoge mitgemacht. Und immer noch weiß ich nicht, ob ich mich freuen soll, dass regelmäßig viele bis alle Stühle besetzt sind. Oder ob ich fast schon schockiert darüber bin, wie wenige Menschen den Weg zu uns finden.

Und genau da liegt wohl as Problem. Noch ist der Trialog viel zu wenig bekannt. Dabei ist die potentielle Zielgruppe enorm hoch. Wenn Ich mit der Zahl 1,5% rechne, die angibt, wie viele Menschen Borderline haben, dann ergibt das alleine für München mit seinen 1,43 Millionen Einwohnern eine Zahl von über 20.000. Und da kommen ja dann noch die Angehörigen und Profis mit dazu.

Nun mag die Form des Trialoges vielleicht nicht für jeden funktionieren. Auch wenn ich bisher wenig bis keine Menschen getroffen habe, die nach der Teilnahme an einem Trialog gesagt hätten, dass der Austausch sie nicht weitergebracht und/oder in irgendeiner Form geholfen hätte.

Das Hauptproblem liegt wohl wirklich (noch) an der Bekanntheit des Trialoges. Und unter anderem dazu ist dieser Artikel da. Diese tolle Idee mehr Leuten nahe zu bringen.

Trialog – Da geht noch mehr!

Es tut gut, zu sehen, wie viel sich schon getan hat in den letzten Jahren. Gerade beim Austausch im Trialog fallen mir immer wieder die Unterschiede der Erfahrungen und auch der Eigenwahrnehmung auf zwischen Teilnehmern, die älter als ich und denen, die jünger als ich sind.

Tun sich die älteren nicht nur bis heute oft schwer damit, offen mit ihrer Diagnose umzugehen, erzählen von schlimmen Erfahrungen im privaten und professionellen Umfeld legen die jüngeren eine ganz andere Art von Selbstbewusstsein und Lockerheit an den Tag. Das macht die Krankheit nicht weniger schlimm. Aber sich nicht mehr ständig im Alltag verstecken, zusammenreißen und gegen sich selber kämpfen zu müssen macht die Sache erträglicher – für den Betroffenen, aber auch für sein Umfeld.

Und leider gilt weiterhin: hat sich beim Umgang mit Borderline und mit psychischen Krankheiten generell auch schon so einiges getan hat – Ausgrenzung, Stigmatisierung, Verleumdung, Verstecken, Schuld und Scham gibt es nach wie vor. Auf allen Seiten!

Auch hier macht der Trialog mir Mut. Mut, für meinen Weg, meine Mission zu verändern, dass und wie wir als Gesellschaft über psychische Krankheiten reden. Wenn ich sehe, wie sehr reden hilft. Dem Einzelnen, aber auch der Gruppe. Wenn der Rahmen stimmt können Worte erstaunliches bewegen. Und je größer und fester der Rahmen ist, desto mehr kann sich bewegen.

Also, lasst uns Rahmen bauen!


Alle Städte und mehr Informationen rund um den Borderline-Trialog findet ihr unter www.borderlinetrialog.de

Für die nächsten Termine in München geht auf www.blt-muenchen.de

Anmerkung: Ich spreche in diesem Artikel über den Trialog hier in München. Es kann durchaus sein, dass es an anderen Orten und in anderen Städten etwas anders abläuft. Wobei ich nach meinen Erfahrungen in Hamburg und auch in Ansbach vermute, dass der Ablauf vermutlich doch überall recht ähnlich ist. 


*Wenn ich sage, dass ich den Trialog „besser“ finde als die klassische Selbsthilfegruppe (SHG), so spreche ich mal wieder nur für mich. Ich habe mir diverse SHGs angeschaut und ausprobiert – aber so richtig wohl habe ich mich bisher noch nie gefühlt. Ganz anders beim Trialog. Das soll nicht heißen, dass ich SHGs generell nicht gut finde oder deren Leistungen und Hilfe, welche sie für viele Menschen darstellen, in irgendeiner Weise schmälern möchte. Es heißt nur, dass ich den Austausch aus verschiedenen Perspektiven für mich bereichernder finde.