Mein erster Tag im BERG & MENTAL

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Mein erster Tag im BERG & MENTAL

Heute gibt es einen Gastbeitrag von der einmaligen Jules aka Julie Prantl aka Zebra Jules. In ihm erfahrt Ihr, wie sie die Eröffnung vom BERG & MENTAL erlebt hat. Vielleicht gibt er Euch die Möglichkeit, unser Mental Health Café mal aus einer anderen Perspektive – als immer nur meiner – zu sehen =).


Jules erstes Selfie im Mental Health Café

Der 2. Dezember 2019 war ganz und gar kein „normaler“ Tag.
Zumindest nicht für die Zebra Jules und die Mental Health Crowd.

Für mich, und besonders für Dominique de Marné (kurz: Dommi) und Lasse Münstermann (kurz: Lasse) als auch alle treuen Anhänger der Mental Health Crowd war der 2. Dezember 2019 ein mehr als bewegender Tag.

Wir sind auf der Suche nach mehr Menschlichkeit im Umgang mit psychischen Krankheiten. Wir wären gerne wieder menschlicher. Authentischer. Wir würden uns gerne mehr um andere kümmern. Aber wie macht man da den Anfang?

Im BERG & MENTAL fängt es damit an, dass ich frage, ob ich mich dazusetzen kann. Oder ich schnappe mir ein grünes Fähnchen, und warte auf mutige Mitmenschen. Mit fremden Menschen an einem Tisch sitzen und ungehemmt ein Gespräch anfangen, das dann einfach so seinen Lauf nimmt? Das kann, darf, und soll im BERG & MENTAL gerne so gemacht werden. Und es ist eine tolle Erfahrung kann ich euch sagen. Auf einer Skala von 1-10 definitiv eine 9 oder sogar eine 10.

Kein normales Café

Um 9 Uhr morgens war es soweit, und die Pforten in der Thalkirchener Straße 62 öffneten sich. Nicht zögerlich, sondern selbstbewusst, freundlich, und mit Wildkaffeegeruch. (Die Zebra Jules wollte eigentlich um 9 Uhr auch da sein. Aber wer mich ein bisschen besser kennt, weiß, dass das nicht sehr wahrscheinlich ist.)

Um 9:45 Uhr überquerte ich dann mit einem Strahlen und ansteckend guter Laune die Türschwelle. Nach einer herzlichen Begrüßung und einem flüchtigen Studieren der Karte ertönte dann ein „Einen Milchkaffee und… so ein Laugenhörndl, bitte!“.

Das BERG & MENTAL ist kein „normales“ Café – es bringt die Menschen ins Gespräch.

Auf die Frage, ob ich auf Zimmernummer oder gleich bezahlen wolle, war ich hin- und hergerissen. Ich entschied mich dafür, sofort zu bezahlen. Der Bon Nummer 7 war damit meiner. Damit hatte ich es in die Top10 geschafft! Eine ulkige Freude überkam mich. Es war ein schönes Gefühl, bei den ersten dabei zu sein. Da gehörte schon Mut dazu.

Neugierig ließ ich meinen Blick einmal über das Café wandern. Wer war denn da noch alles bei den ersten Besuchern dabei? Ahhh, ein paar von denen kenn ich. Aber auch ein paar neue Gesichter. Juhuu, neue potentielle Freunde!

Neuer Weg – Neues Glück

Mit schweifenden Blicken trat ich näher in das Café ein. Die Bücher und Karten im Shop ums Eck hatte ich bei der Family & Friends Feier zwei Tage davor schon ausgiebig begutachtet. Ansonsten wäre ich schnurstracks in diese Richtung gegangen. So waren aber die anderen Menschen im Laden mein erstes Ziel. Ein Gesicht erkannte ich von einem der Bilder auf der Webseite wieder. Und er saß an einem Tisch alleine mit einem grünen Fähnchen. Ich durfte (oder sollte) ihn also ansprechen! Na, wenn er das vorher gewusst hätte!

Im Neuen liegt bekanntlich auch immer das Glück des Unbekannten verborgen.

Minuten später saß ich bei ihm am Tisch und verwickelte den armen Mann mit der Brille in ein angeregtes Gespräch. Peter war für alles Rechtliche zuständig, von Anfang an mit dabei bei dem Projekt, und würde später den ersten Workshop im Café mit moderieren. Wie aufregend! Er bräuchte noch ein neues Bild für die Website. Na, dann machen wir das doch! Klick, und das Foto war im Kasten und gleich per WhatsApp an ihn gesendet. Da wird nicht lange gefackelt bei der Zebra Jules!

Und schwuppdiwupps waren wir angekommen in diesem trauten Heim.

Marcel und Fabian saßen am Tisch daneben. Die kannte wir doch auch schon von Veranstaltungen, und dem ein oder anderen Facebook und/oder Instagram Post. Weil ich nicht wollte, dass sie sich irgendwie ausgeschlossen fühlten, ging ich kurz rüber und lud sie ein, sich an unseren Tisch zu gesellen. Sie freuten sich, lehnten das Angebot aber höflich ab. Kurzum widmete ich meine Aufmerksamkeit wieder ganz meinem Gespräch mit Peter. Sogar so bewusst, dass ich mein Handy wegpackte, um ein Signal zu setzen. Du verdienst hier meine ganze Aufmerksamkeit. Peter nahm das lautlose Kompliment dankend entgegen.

Das Gespräch war geprägt von viel Verständnis auf beiden Seiten. Und als er sich eine Stunde später auf den Weg machte, um noch die Flipcharts für den bevorstehenden Workshop zu holen, war ich schon ein bisschen traurig.

Aus ToGo wird ToStay

Zum Glück gesellte sich gleich eine weitere außerordentlich nette Person an meinen Tisch: Anna. Als Ärztin mit Erfahrung in der Kinder- und Jugendpsychosomatik war Anna als Profi mit vor Ort. Ich hingegen fühlte mich noch am Anfang meiner Mental Health „Karriere“.

Ich hatte eine DBT-Therapie in der Psychiatrie in Haar absolviert, und war seit September 2018 in psychotherapeutischer Behandlung. Seitdem hatte ich viel gelernt, über mich selbst, und auch über andere. Und meine Berührungsängste im Umgang mit psychischen Krankheiten (und man könnte auch sagen Menschen) waren seitdem auch so gut wie verschwunden (sehr zur Erheiterung der betroffenen Mitmenschen).

Wieso sind eigentlich alle immer auf dem Sprung? Kann jemand mal bleiben?

Es dauerte nicht lange, und wir ulkten herum, und führten ein lustiges Gespräch über pfeifende Schweinchen, über den Ausdruck von Emotionen, über Psyche, und über was man halt so redet, wenn man sich im ersten Mental Health Café Europas befindet. In der Mitte des Gesprächs fiel mir auf, dass wir uns bei der großen Streichaktion vor ein paar Wochen schon kennengelernt hatten.

Die Mental Health Crowd wächst

Das Gespräch zwischen uns beiden blieb wohl nicht unbeobachtet. Denn ein paar Minuten später kamen zwei junge Männer angetrabt. Augenscheinlich arbeiteten sie beim Bayerischen Fernsehen (weil sie mit Kameras und Mikrophonen hantierten – call me Sherlock!), und fragten, ob wir das Gespräch von eben noch einmal nachstellen könnten. Diesmal allerdings verkabelt und verfilmt. Anna und ich schauten uns mit großen Augen an. Was wollen die von uns? Uns aufnehmen? Fürs Fernsehen? Wollen wir das?

Am Ende siegte die Neugierde… oder vielleicht war es doch ein ziemlich großes Quäntchen Mut? Wer weiß. Aber über was redeten wir jetzt? Über pfeifende Schweinchen wohl nicht mehr?! Wir vertreten hier schließlich Dommi’s Vision. Oder vielleicht gerade deswegen?!

Wir waren beide schon seit Monaten treue Unterstützer der Mental Health Crowd.

Ich ging an den Tisch nebenan, um mir von Fabian und Marcel etwas Input und Rat zu holen. Über was sollten wir denn nun reden?! „Katzenbabies“ war die pragmatische Antwort von Fabian. Und dass ich mir vielleicht nicht zu viele Gedanken machen sollte, weil es dann wieder nicht authentisch wird. Da hat er leider auch wieder Recht.

Café an – Kamera läuft!

Also versuchte ich mich zu entspannen – wahrlich leichter geschrieben als getan! Die Tatsache, dass ich eine Woche später im ERG & MENTAL saß und an diesem Blogartikel schrieb, beweist wohl, dass alles irgendwie gutgegangen ist. Und wer den finalen Output der Aktion sehen will, kann sich diesen Ausschnitt in der Sendung „Heimatrauschen“ zum BERG & MENTAL gerne ganz anschauen.

Ich hatte es irgendwie geschafft, die Kameras auszublenden, und gab mich so natürlich und unbekümmert wie es mir denn möglich war. Das Gespräch war erstaunlich tiefgründig und offenherzig trotz der komischen Situation. Erst war Anna dran mit reden, und dann ich. Gestärkt durch Anna’s selbstbewusste und inspirierende Schilderungen davor verlief mein Interview ziemlich emotional.

Ich sprach über meine große Leidenschaft, den Tennissport, und wie sehr es mich noch heute nervt, dass der Ausdruck von Emotionen so tabuisiert wird. Schläger schmeißen vor Wut? Eine Katastrophe. Rumbrüllen? Lenkt einen doch nur vom Spiel ab. Hängende Schultern, wenn man enttäuscht ist? Doch nicht dem Gegner zeigen. Gefühle auf dem Tennisplatz? Vollkommen daneben. Ich, als erwachsener Mensch, fand das mehr als schrecklich.

Leistung Sport?

Und ich werde daran etwas ändern. Wie ich und wir mit Emotionen umgehen.

Je mehr ich redete, umso bewusster wurde ich mir, dass ich ein Vorbild für viele andere sein könnte, die vielleicht ähnliche Erfahrungen in ihrer Jugend gemacht hatten. Sportler, die von ihren Eltern in den Leistungssport gedrängt wurden, und die Ehre aber auch die Bürde hatten, den Takt des Lebens ihrer Eltern und wie in meinem Falle der ganzen Familie zu bestimmen.

Verlor ich, war mein Vater schlecht gelaunt, und sprach kaum mit mir oder dem Rest der Familie. Gewann ich, war das gut, aber meist auch irgendwie erwartet. Das Match wurde trotzdem von vorne bis hinten analysiert. Bis es allen bei den Ohren hinauswuchs, welche Punkte besonders gut oder schlecht waren.

Tennis war ein Fluch und Segen für mich gleichzeitig – eine Hassliebe.

Der Leistungssport war eine Lebensfalle, auch wenn mir der Erfolg auf dem Platz vieles (wie zum Beispiel das Studieren in den USA) ermöglicht hatte. Der Erwartungsdruck, die Rastlosigkeit, das ständige Streben nach mehr, nach dem perfekten Winner, dem perfekten Match. All diese Verhaltensmuster und vor allem meinen grenzenlosen Perfektionismus und die ständige Unzufriedenheit mit mir selbst übernahm ich in meinen (Arbeits)Alltag.

Und dann irgendwann war es zu viel. Diagnose: Burnout. Eine Welt brach zusammen. Der tiefste Punkt meines Tals war am 07.01.2018 erreicht, als meine Partnerschaft in die Brüche ging, mein damaliger Arbeitsvertrag endete, und ich eine Absage auf meine letzte Jobhoffnung kassierte. Alles innerhalb von einer Woche. Aber ich schweife ab (liegt wahrscheinlich an meinem leichten ADHS). Eigentlich wollte ich euch ja von meinem ersten Tag im BERG & MENTAL erzählen…

Also, zurück im Text. Das Interview war also überraschend gut verlaufen.

Kopf voll – Akku leer

Nachdem der Fernsehauftritt fürs Erste zu Ende war, kamen Anna’s Eltern zu Besuch ins Café. Das Gespräch über die pfeifenden Schweine würde nun in eine zweite Runde gehen, weil der Mann, der die Schweine aufgenommen hatte, jetzt angekommen war: Anna’s Vater. Ich gesellte mich an den Tisch der beiden, und fand schnell Themen, über die ich mit der Mutter als auch dem Vater debattieren konnte.

Der Tennissport auf der einen Seite und die Verhaltensforschung auf der anderen Seite. Anna’s Mutter hatte früher mal richtig gut Tennis gespielt, und interessierte sich sehr für unsere gemeinsame Leidenschaft, und Anna’s Vater war Tierarzt und machte sich außerdem sehr viele Gedanken darüber, wie man Tiere in Zukunft besser behandeln konnte.

Und dann war da noch der Käsekuchen, der vorzüglich schmeckte.

Auch wenn Anna’s Eltern wirklich nett waren, war ich doch ein wenig froh, als sie sich verabschiedeten. Im tiefsten Herzen war ich eben ein introvertierter Mensch, und dieser ganze Sozialkontakt ging mir langsam aber sicher an die Energiereserven. Ich wusste, dass ich mich nun erst einmal für ein halbes Stündchen oder länger zurückziehen musste.

Also schnappte ich mir ein rotes Fähnchen, setzte mich an einen Tisch am Fenster, und packte meine fünf Karten aus, die ich auf dem Weg zum Café noch gekauft hatte – und damit wisst ihr nun auch den eigentliche Grund, warum ich so spät dran war! Schließlich erwartete ich noch Besuch von genau einer Hand voll Freunden über den Tag verteilt, und auch Dommi und Lasse hatten definitiv eine Karte und einen Schwall positiver Worte verdient – und nötig – an diesem stressigen, ersten Tag.

Worte und Taten

Und so fing ich an, munter drauf los zu schreiben.

„Liebe Julia“, „Liebe Dommi“, „Lieber Lasse“, „Liebe Linda“, und „Liebe Chrissy“. Zwanzig Minuten später waren die Briefe im Kasten, und mein persönlicher Akku war wieder etwas voller. Freudig überreichte ich Dommi und Lasse ihre Karten mit den liebevoll gewählten und kreativen Wortwitzen. Die beiden freuten sich gar sehr, hatten aber gar nicht die Zeit, diese Freude so voll auszukosten. Das machte aber gar nichts. Sie würden es trotzdem auf ihre persönliche Wall of Fame in der Gästetoilette schaffen.

Ich sah das Glitzern in ihren Augen und kehrte gerührt an meinen Tisch zurück.

Als meine Freundin Julia von der Schule dann ein paar Minuten später den Laden betrat, und Pierre, mein ehemaliger Tennisschüler, gleich hinterher, war der Tag so gut wie perfekt. Wir drei setzten uns gemeinsam an einen Tisch und wurde sofort mit Fragen gelöchert. Ich erzählte ihnen die Entstehungsgeschichte von BERG & MENTAL, und freute mich sehr, dass die beiden sich getraut hatten, heute hier zu sein. Später kam dann noch Linda hinzu. Wir kannten uns aus der Klinik, und sie hatte heute echt keinen leichten Tag. Von dem her war ich stolz wie die weibliche Form von Oskar , dass sie hier war.

Beseelt war ich vom Anblick meiner mutigen Freunde an einem Tisch.

Ende gut, Jules gut

Um 18:30 Uhr war es dann Zeit, zu gehen. Das Café hatte eigentlich schon vor einer halben Stunde zugemacht. Aber im BERG & MENTAL wurde man nicht einfach so hinausgekickt. Vor allem nicht, wenn man in ein gutes Gespräch verwickelt ist.

Auf den kleinen „Sonnenstrahl“ musste ich leider noch ein paar Tage warten. Dafür gab es eine große „Baumgrenze“ für die Linda (Sonnenstrahl und Baumgrenze sind frisch gepresste Säfte). Mit Rosmarin. Ein sehr leckerer Umtrunk. Und ein würdiger Abschluss für einen tollen ersten Tag im BERG & MENTAL. Die Baumgrenze hatten wir definitiv erreicht. Und der Gipfel ist in Sichtweite. Das BERG & MENTAL.

Das Café entsteht – Streicharbeiten im Herbst 2019
Streichaktion während der Umbauarbeiten
Der erste Tag im Mental Health Café
Schnappschuss vom Tag der Eröffnung

Die Zebra-Jules – wahrhaft Flawsome!
Die ZebraJules – wahrhaft Flawsome

Ein Ort zum Ankommen und Verweilen. Für die Seele, den Körper, und den Geist.

Das war er also, mein erster Tag. Danach ging ich noch mit Linda und Chrissy zum Essen. Chrissy hatte es leider nicht mehr rechtzeitig zu den Öffnungszeiten geschafft, aber auch ihr erster Besuch im BERG (wie sie das Café liebevoll jetzt schon nennt) und auch ein Workshop (zum Thema Hypnose übrigens) war nicht in allzu weiter Ferne.

Und auch für mich würden und werden noch ganz viele weitere Besuche folgen. Noch genau tausend. So zumindest hatte ich es Dommi beim Gehen versprochen. Und Versprechen bricht man nicht, vor allem nicht, wenn sie gut für einen selbst und für andere sind. 993 Besuche im Café habe ich noch vor mir.

Wer kommt beim nächsten Mal mit – oder ist schon da?