Mental Health Nachwuchs – Teil 1

Lesezeit: 7 minuten

Teil 1: Die Schwangerschaft

„Ich bin Mutter. So richtig kann ich das noch immer nicht glauben. Letzte Woche haben wir Tigermädchens 1. Geburtstag gefeiert. Wow! In der Vergangenheit hat mir das Schreiben oft dabei geholfen, Aspekte meines Lebens zu verstehen – vielleicht hilft’s diesmal auch =)

Wie war das für mich und uns, was hat die Schwangerschaft mit meiner mentalen Gesundheit gemacht – und was meine mentale Gesundheitsgeschichte mit der Schwangerschaft und dem Mama-sein.


Weil es ganz schön viel zu sagen und zu schreiben gibt, wird dieser Post dreiteillig: In Teil 1 geht’s um die Schwangerschaft, in Teil 2 dann um Geburt und die ersten Wochen. Und in Teil 3 dann um den ganz normalen Alltagswahnsinn als Mama, Unternehmerin, Partnerin, Freundin, Mensch.

Die Vorgeschichte – Schwangerschaft die Erste

Und um das Geschriebene besser einordnen zu können fange ich da an, wo alles angefangen hat: beim ersten positiven Schwangerschaftstest im Frühjahr 2020, der völlig überraschend unser Leben auf den Kopf gestellt hat. Nein, die Sache war nicht geplant. Um die Überforderung zu verringern führte der Weg uns zu einer Beratungsstelle. Um Fragen und Ängste loszuwerden, Möglichkeiten und Informationen zu bekommen.

Trotz aller anfänglichen Panik fanden wir uns irgendwie recht schnell in die neuen Rollen ein. Und fingen irgendwie auch ziemlich bald an uns zu freuen. Erzählten engen Freund:innen von der frohen Kunde und begannen, uns das neue Leben auszumalen.

Doch dann: Fehlgeburt, Missed Miscarriage. Und innerhalb von Sekunden bricht mal eben eine Welt zusammen.

Das Gute für uns: es geschah recht früh. Wir hatten noch keinen Herzschlag auf dem Ultraschall gesehen, was die Sache für uns irgendwie erträglicher machte. Trotzdem war die Welt erstmal nur schwarz.

Ach ja, und genau in dieser Zeit nahm Corona so richtig Fahrt auf und stellte auch die Welt außerhalb unseres kleinen Universums auf den Kopf. Zum Glück wussten wir damals noch nicht, wie lange und wie hart die kommenden Monate werden würden – unternehmerisch, wirtschaftlich, psychisch, …

Wir haben uns viel Zeit und Raum genommen, die Sache zu verarbeiten. Geholfen hat, dass medizinisch nicht nachgeholfen werden musste, sondern mein Körper es ganz alleine geschafft hat. So saß ich in der ersten Woche des ersten vollen Lockdowns zuhause.

Draußen fuhr die Feuerwehr durch die Straßen und machte Durchsagen, drinnen erlebten wir eine stille Geburt.

Stille Geburt im Lockdown

Natürlich haben wir geweint, waren starr vor Schock und Trauer, wurden von Wut und Nicht-Begreifen können aufs Sofa gedrückt. Aber wir haben nicht verdrängt. Haben allem Platz und Raum gegeben, hatten tolle Freunde und Familien an der Seite, die da waren für uns. Haben alle Gedanken und Gefühle kommen und sein lassen. Haben kleine Rituale durchgeführt, um unsere Trauer zu verarbeiten. Haben Briefe an unser kleines Sternchen geschrieben und zusammen mit den wenigen Fotos in einen Umschlag getan.

Haben beschlossen, dass dies das Opa-Kind ist. Denn unsere beiden Väter sind leider sehr jung verstorben. Nun sitzen die beiden da oben zusammen und haben ein kleines Lichtchen zwischen sich und passen aufeinander und auf uns auf. Mir hilft dieses Bild sehr.

Dass mich diese Zeit, diese Erlebnisse in denen so vieles zusammen kam, privat und beruflich, emotional und gesamtgesellschaftlich nicht aus der Bahn geworfen hat, ich bei allem Sturm stabil geblieben bin, ein Rückfall welcher Art auch immer nicht mal in der Ferne zu sehen war war für mich ein tolles Zeichen dafür, was ich in den letzten Jahren geschafft habe. Und jetzt und hier beim Schreiben spüre ich, dass ich richtig stolz auf mich bin deswegen. Ein seltenes Gefühl bei mir…

Tabuthema Fehlgeburt

Was hilft ist, dass ich mir zu keinem Zeitpunkt selber Schuld gegeben habe. Was leider viele Frauen in ähnlichen Situationen tun. Ich habe mir keine Hätte-Wäre-Wenn-Fragen gestellt. Sondern habe das Geschehene als das akzeptiert, was es sehr sicher war: eine tolle Leistung der Natur. Habe mich verneigt vor den Prozessen in meinem Körper, die erkannt haben, dass dies die bessere Entscheidung ist. Und habe noch mehr Demut vor dem Leben an sich bekommen und war teilweise wirklich geradezu hingerissen von der Faszination der Reise, die wir alle so früh schon hinter uns haben. Welch komplexe Vorgänge, die bei aller Fehleranfälligkeit doch so oft gut ausgehen – sonst wäre keiner von Euch hier.

Heut weiß ich, wie viele Frauen, wie viele Paare, wie viele Familien ähnliche Erfahrungen machen müssen. Dass zwölf bis 24 Prozent der schwangeren Frauen eine Fehlgeburt haben – das ist in etwa jede sechste. Und es sich aber hier mal wieder leider auch um ein Tabuthema handelt.

Diese Fakten stellen auch die hierzulande so weit verbreitete „Regel“ in Frage, dass man in den ersten 12 Wochen besser noch niemandem erzählen soll, wenn man schwanger ist. Weil „ja noch was passieren könnte“. Übersetzt heißt das, dass man mit dem Schmerz und der Trauer nach einer frühen Fehlgeburt doch bitte niemanden belästigen soll?

Wir waren froh, dass wir so früh schon Menschen in unserem Umfeld eingeweiht hatten. Denn genau diese Menschen haben uns bei der Bewältigung geholfen.

Und gleichzeitig verstehe ich es, wenn man den Kreis, in dem man die Botschaft verkündet, erst nach und nach weitet. Im Fall des Falles der Chefin, dem Nachbarn, der Kassiererin erzählen zu müssen, dass aus der frohen Kunde ein wahrer Albtraum wurde, sich vielleicht noch Ratschläge oder Phrasen „Wer weiß wofür es gut ist!“ anhören zu müssen… keine schöne Vorstellung.

Und nun?

Wie geht es jetzt weiter?

Natürlich erstmal verarbeiten, Kopf und Körper Zeit geben zu heilen. Antworten auf die Fragen finden, ob es das nun gewesen ist? Ob dass das Zeichen war, dass es eben nicht sein soll? Aber was mit den aufgekeimten Elterngefühlen machen? Die sich nach dem ersten Verstehen doch so gut und auch so schön angefühlt haben?

Können wir es uns leisten, es erlauben es nochmal zu wagen? Wir entschieden uns dazu, es auf jeden Fall nicht aktiv zu verhindern und gaben dem Leben und dem Schicksal das Ruder in die Hand.

Ja, Ihr kennt das Ende der Geschichte schon: wir sind wieder schwanger geworden. Weiter ging sie also, die Achterbahnfahrt.

Schwangerschaft die Zweite

Die ersten Wochen oder eigentlich Monate waren geprägt von der Angst, dass wieder etwas schief gehen würde. Verständlich, trotzdem nicht schön.

Ständig diese Gedanken im Nacken sitzen zu haben „Was wäre wenn…?“. Die Panik, wieder durch einen Verlust gehen zu müssen. Die Suche nach Sicherheit, nach Zahlen, Statistiken die das Gegenteil verkünden. Die Vorsicht, keine Bilder der Zukunft entstehen zulassen. Das Zurückhalten von Freude.
Gleichzeitig wissend, wie sehr das Wesen da im Bauch all das schon mitbekommt. Dass es schon jetzt Liebe und Zuneigung braucht.

Also: aktiv mit allen Ängsten gearbeitet, sie zugelassen und nicht weggeschoben. Mir Hilfe gesucht und viel geredet. Dem Nachwuchs in mir erklärt, warum da neben all der Vorfreude und den schönen Gefühlen auch so eine dunkle Wolke durch mich wabert. Immer wieder Zeiten geblockt, an denen wirklich nur die positiven Gefühle erlaubt waren – 5 Minuten Freude auf Rezept sozusagen.

Sehr geholfen hat im ganzen Prozess die tolle Begleitung durch meine Gynäkologin und unsere Hebamme. Sie beide kannten unsere Vorgeschichte, waren sensibel, haben ernstgenommen und unterstützt, haben uns Mut zugesprochen und waren die gesamte Schwangerschaft über wirklich immer da. Auch das keine Selbstverständlichkeit, auch dafür bin ich unfassbar dankbar.

Auf mentaler Ebene also so gut für mich gesorgt, wie ich nur konnte. Und weil Kopf und Körper sich bekanntlich beeinflussen auch auf physischer Ebene gut für mich gesorgt – Ernährung, Schlaf, Bewegung.

Warum eigentlich Tigerbaby?

So stand ich eines Morgens auf der Yogamatte, startete den Tag mit einer Prenatal-Klasse und wurde von der Lehrerin dazu aufgefordert mir vorzustellen, ich sei ein Tiger der durch den Dschungel schreitet – kraftvoll, elegant, stark. Eine Tatze vor die andere setzend. Und dieses Bild half mir in diesem Moment so, so sehr dass ich danach zu Lasse ging und sagte: dieses Tigerbaby in mir drin ist stark und wird es zu uns schaffen.

Und für die nächsten Monate blieb das der „Arbeitstitel“ – das Tigerbaby.

Nicht Tigermädchen oder Tigerjunge – ich wollte das Geschlecht nicht vorher wissen, wollte nicht schon vor der Geburt mit vermeintlichen Rosa-Blau-Klischees umgehen müssen. Gar nicht so leicht, in einer Gesellschaft in der Babyausstattung von Kleidung über Spielzeug noch ganz klar unterteilt wird…

Lasse hätte das Geschlecht gern vorher gewusst – aufgrund der Pandemie durfte er jedoch nicht mit zu den Ultraschall-Untersuchungen (bis auf eine Ausnahme) und bekam so gar nicht die Chance, mir und meinem Wunsch ein Schnippchen zu schlagen… generell hat uns dieser Umstand aber sehr zu schaffen gemacht. Also der, dass ich immer alleine in die Praxis meiner Frauenärztin gehen musste.

Der Moment, wenn da auf dem Ultraschall ein Herz zu sehen ist, sich was bewegt, dieser kleine Mensch von Mal zu Mal mehr gestalt annimmt – so unvergesslich schön und so unverschämt ungerecht, diesen Moment nicht teilen zu können. Ja, ich habe Fotos und Videos gemacht und ausgedruckt Bilder in die Hand gedrückt bekommen – aber das ist eben nicht das gleiche. Ganz zu schweigen von der emotionalen Achterbahnfahrt im Wartezimmer. All die Ängst und Gedanken und Sorgen die dort nochmal erst recht komprimiert auftauchen während die Zeit sich zieht und zieht. Danke, Corona!

Mamas, wo seid Ihr?

Sehr zu schaffen gemacht hat mir der ebenfalls pandemibedingte fehlende Kontakt zu anderen werdenden Müttern. Von Schwangerschafts-Yoga zu Rückbildungsgymnastik – dank Corona alles nur Online. Auch toll, auch praktisch – aber wirklich Kontakte zu knüpfen ist auf diese Weise eben doch nicht ganz so leicht…

Ist das normal, was mein Kopf und mein Körper da gerade so macht? Was habt Ihr heute wieder verrücktes gegoogelt? Welche Bücher lest Ihr? Habt Ihr schon Strampler gekauft? Wie macht Ihr das mit dem Schlafen? Tragetuch oder Kinderwagen?

Ja, am Ende müssen wir sowieso für uns selber entscheiden, was für uns am besten ist. Aber einfach mal jemanden zu haben, der einen versteht, der jetzt in dem Moment in der gleichen Lage ist. Ich habe Freunde, die schon Eltern sind, die schon ein paar Schritte weiter sind… auch ein netter und toller und wichtiger Austausch. Aber gerade in Schwangerschaft und den ersten Monaten macht es einen Unterschied, wie weit und wie alt der kleine Mensch ist, um den sich da irgendwie plötzlich so viel dreht. Die Schwangere in der fünften Woche hat andere Themen als die werdenden Eltern im 7. Monat.

Ganz besonders habe ich mir immer wieder Austausch mit anderen Müttern gewünscht, die in ihrer Vergangenheit auch Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen gemacht haben. Mit Ängsten, Depressionen & Co. Sind meine Gedanken einfach normaler Teil einer Schwangerschaft? Gehören sie einfach zu diesem Prozess dazu? Oder mischen da andere Sachen mit, melden sich die Geister der Vergangenheit da gerade?

Diese tolle Mutter Natur

So anstrengend und herausfordernd die Schwangerschaft für mich mental war, so unkompliziert war sie körperlich. Ich kann es nicht anders sagen als: Mein Körper hat das großartig gemacht (gerade so, als wäre er dafür gemacht…)

Natürlich gab es Zipperlein und Problemchen, haben Sodbrennen, Hüftschmerzen und ein saftiger Schwangerschaftsschnupfen mich am Ende nur noch im Sitzen schlafen lassen. Aber dafür, dass da gerade in mir drin ein neuer Mensch gebaut wurde, hielt sich das alles sehr in Grenzen. Wofür ich wahnsinnig dankbar bin, denn ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist.

So wuchs der Bauch, irgendwann haben wir uns tatsächlich getraut, erste Sachen zu kaufen, die Wohnung vorzubereiten. Haben die tolle Nachricht mit mehr und mehr Menschen geteilt (war auch irgendwann nicht mehr zu verbergen), haben noch schnell alle Vides für den Mental Health Guide gedreht bevor der Bauch zu präsent wurde, haben schließlich auch die Social Media Crowd mit einem Post über die Schwangerschaft und das Tigerbaby informiert – und waren überwältigt von der Mitfreude und den Gratulationen.

Ja und dann, an einem Freitag morgen, knapp zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin ging es los.

weiter geht’s in Teil 2: Geburt und die ersten Wochen