Mental Health Nachwuchs – Teil 3

Lesezeit: 7 minuten

Teil 3: Das erste Jahr als Mama

Ein Post über das Mama-sein – über den Alltag als Familie, über neue Prioritäten, über das Auf und Ab der ersten Monate. Über das Infrage stellen von allem, das Reinfinden in die neue Rolle, und das Raushauen von Unnötigem. Wie war das erste Jahr für uns als Familie? Was sagt meine mentale Gesundheit dazu? Beobachtungen aus unserem neuen Leben.

Dieser Beitrag ist der dritte und letzt einer Mini-Serie über meine Reise ins Mamaleben. In Teil 1 geht es um die Vorgeschichte und die Schwangerschaft, in Teil 2 um Geburt und die ersten Wochen und diesem Teil heute geht es schließlich um die ersten Monate und den Alltag mit unserem Tigermädchen.

Leben intensiv – die ersten 12 Monate

Irgendwie ist alles anders. Und irgendwie ist alles gleich. So in etwa lässt sich zusammenfassen, wie die letzten Monate so waren. Vor wenigen Tagen ist unsere Kleine nun tatsächlich schon eins geworden. Und wenn ich auf dieses Jahr zurück blicke ist da ganz schön viel.

(Anmkerung der Autorin: Der Text wurde wirklich kurz nach Tigermädchens 1. Geburtstag im Mai geschrieben. Nur komme ich erst jetzt im Oktober dazu, ihn zu veröffentlichen. Ich habe mich entschieden, den Text nicht an das Heute anzupassen – wir gehen auf den 1 1/2 Geburtstag zu – und es hat sich schon wieder so viel getan, dass einfach bald der nächste Blogbeitrag her muss. Daher lasse ich den Text vom Mai weitestgehend, wie ich ihn damals geschrieben habe und habe nur kleine formale Änderungen vorgenommen.)

Erst die Arbeit?

Nach dem Trubel der ersten Tage, dem Wochenbett und dem ganzen Berg an neuem, den wir zum Teil wie im Nebel erlebt haben, wartete dahinter: Alltag. Arbeit. Sozusagen die Vorher-Version unseres Lebens, die nun mit der neuen Situation vereint werden wollte.

Und hier haben wir dann auch gemerkt, dass Tigermädchen zwar unser erstes Kind ist, das aber nur teilweise stimmt – abgesehen von Jarvis, unserem kleinen Stern – da noch ein Baby namens Mental Health Crowd nach unserer Aufmerksamkeit verlangte.

Gehörten die ersten Wochen nach Geburt wirklich nur unserem kleinen Wunder, konnten wir dank entsprechenden Arrangements im Unternehmen, Mutterschutz und Elternzeit wirklich alle Arbeitsthemen für eine Weile ausblenden, war es dann nicht nur das Müssen, sondern auch das Wollen was Lasse etwas früher, mich etwas später wieder zur Arbeit brachte.

Das BERG & MENTAL noch im Lockdown ging das dank Homeoffice ziemlich gut, erst als die Entscheidung fallen musste, den Laden pandemiebedingt zu schließen erforderte das wieder etwas mehr Pendelei.

Erstens kommt es anders …

… und zweitens als man denkt. Selten habe ich diesen Spruch als so wahr empfunden wie nun beim Eltern werden. Ähnlich wie bei der Geburt hatten wir uns auch über allerlei Themen rund um Erziehung und wie wir das mit Kind alles machen wollen würden Gedanken gemacht. Wie wollen wir wickeln, wo schläft das Kind, Kinderwagen oder Trage – you name it, we thought about it.

Um dann zu merken, dass Vorstellungen und Pläne das eine sind. Die Realität und Kräfte es dann aber manchmal anders kommen lassen. Ja, ich finde windelfrei total super – ich hatte aber einfach nicht die Energie und Geduld dafür. Ja, ich hätte gerne allen Babybrei selber gekocht – hatte aber nicht die Zeit und Energie dafür. Ja, ich hatte den Plan keinen Schnuller zu benutzen – hatte aber keine Geduld und Zeit dafür.

Wir haben also vor allem gelernt, flexibel zu bleiben. Uns der Situation anzupassen – und nicht nur auf uns, sondern auch auf unser Kind zu hören.

Geholfen hat wohl, dass ich nie den Anspruch an mich hatte, eine perfekte Mama sein zu wollen – ich bin mir nur allzu bewusst, dass das gar nicht geht. Stattdessen will ich echt sein, Mensch bleiben, Fehler machen, dazu stehen.

Das klingt hier so selbstsicher – aber natürlich haben gerade in den ersten Monaten viele Unsicherheiten an allen Ecken und Enden enorm viel Kraft gekostet. Wie geht das denn nun richtig? Was ist das beste? Wie läuft es „normal“? Bin ich eine gute Mama?

Bücher? Nein Danke!

Und zum ersten Mal habe ich mir eingestehen müssen, dass Bücher mir an dieser Stelle nicht helfen. Beziehungsweise lesen allgemein. Was mir sonst so eine Sicherheit gibt und mein Go-To-Mittel ist, wenn ich ein Problem habe, hat sich an dieser Stelle als geradezu schädlich herausgestellt. Vor allem aus zwei Gründen:

  1. Egal um welches Thema, ob Wickeln oder Stillen oder Tragen oder Schnuller oder Schlafen und egal welche Meinung man vertritt, man findet Heerscharen aus Menschen und Argumenten, die genau diese Meinung absolut und 100% unterstützen – oder ihr absolut und 100% widersprechen. Ich war am Ende häufig so verunsichert, was denn nun richtig“ ist, dass ich nicht nur verzweifelt und überfordert war, sondern auch vollkommen vergessen habe, in mich reinzuhorchen. Mich zu fragen: was fühlt sich für mich richtig an? Was fühlt sich für UNS richtig an?
  2. Und zweitens fiel mir auf, dass ich mir nach der Lektüre von Baby- und Erziehungsbüchern oft geradezu minderwertig und unfähig und schlecht vorkam. „Es ist ganz wichtig, dass Sie mit Ihrem Kind singen/spielen/kuscheln/üben/… – und wenn sie das nicht tun vermurksen sie damit Ihr Kind von Grundauf und für sein ganzes Leben!“ Und was man nicht alles mit den Kleinen machen soll. Dann noch zu lesen, dass xx Prozent der Baby in Alter x schon x und x können – und dann kann Tigermädchen das noch nicht gibt dann den Rest.

Nach und nach habe ich gelernt, verstanden, akzeptiert, dass eben jedes Kind sein eigenes Tempo hat und jedes seine eigenen Stärken und am Ende doch irgendwie alle groß und hoffentlich glücklich werden. Ich habe also nicht länger zwischen den Seiten danach gesucht, was für eine Mama ich sein will. Sondern in mir drin. Und das war für mich ein sehr entscheidender Schritt!

Invalidieren – Mama hat nicht immer recht

Ein Punkt, bei dem ich mich ein wenig über mich selbst erschrocken habe war, wie schnell man den kleinen Wutzeln ihre Emotionen abspricht oder meint, es besser zu wissen. Beispiel: „Aber da musst Du doch jetzt nicht weinen?!“

„Doch – muss ich, Mama!“

Was bei Erwachsenen schon doof und unnötig ist, ist bei Babys und kleinen Kindern noch viel dööfer und unnötiger – und potentiell wirklich schädlich.

Was soll das Kind denn draus lernen, wenn es immer wieder hört, dass es ja wohl gerade keinen Grund gibt, wütend/traurig/frustriert zu sein? Richtig, dass die eigenen Emotionen wohl irgendwie falsch sind und man ihnen lieber nicht trauen soll.

Stattdessen: begleiten beim Fühlen. Wissen, dass so kleine Kinder eben noch verwirrt sind, sie aber niemals irgendwas böse, manipulativ mit Absicht machen. Sondern einfach nach ihren Bedürfnissen handeln. Und bei Bedürfnissen sind wir an einem guten Punkt:

Meine Bedürfnisse

Nämlich meinen eigenen Bedürfnisse. Ja, da ist nun ein kleiner Mensch in meinem bzw. unserem Leben, der auch Bedürfnisse. Und die sind wichtig. Und müssen – gerade am Anfang – schnell befriedigt werden.

Das heißt aber alles nicht, dass ich plötzlich keine Bedürfnisse mehr habe. Oder dass sie unwichtiger geworden sind. Sondern eigentlich im Gegenteil: Nur wenn ich gut für mich sorge, kann ich auch voll und ganz und gut für meine Kleine da sein.

Ich bin tatsächlich immer wieder erschrocken wenn ich gesehen oder gehört habe, wie sehr andere Frauen (& Männer) sich hintenanstellen, sobald sie Mütter (und Väter) geworden sind. Wobei hier vielleicht der Knackpunkt liegt: viele Menschen, ob Eltern oder nicht, haben das eben nie gelernt mit den Bedürfnisse, wie wichtig sie sind, welche sie haben, auf sie zu hören.

Zu meinem Glück habe ich das in den letzten Jahren lernen dürfen, lernen müssen. Und also schon vor der Geburt ein Leben gehabt, in dem meine Bedürfnisse eine große Rolle spielen, ich sie benennen kann und versuche, ihnen nachzukommen.

Das alles hilft mir dabei, auch jetzt weiter auf sie zu hören. Und ja, im Zweifelsfall gewinnt auch mal das Tigermädchen mit ihren Bedürfnisse, und meine müssen sich kurz hintenanstellen. Mal. Und dann auch nicht ewig. Sondern eben kurz.

Und klar ist auch, dass das Bedürfnis nach Schlaf und Ruhe gerade schwieriger umzusetzen ist, also vorher. Besonders in den ersten Monaten. Dann muss ich das an anderer Stelle reinholen. Und wohl auch ganz wichtig: Ich, wir dürfen uns Unterstützung holen!

„Danke, Mama!“

Da sind wir beim nächsten Punkt, für den wir wahnsinnig dankbar sind: die Tigeroma. Ohne ihre Unterstützung wäre dieses ganze neue Leben nochmal härter und anders, das ist klar. Nur dank Ihr können wir heute wieder in Teilzeit-Elternzeit arbeiten – bis die Kleine dann bald in die Kita geht. Nur dank ihr haben wir die Möglichkeit, immer wieder durchzuatmen.

Mir ist klar, was wir für ein Glück haben. Und für alle, die das lesen und neidisch oder gar wütend werden, Euch kann ich nur sagen: Bitte, auch ohne Tigeroma, sucht Euch Support, Hilft, Unterstützung. Es gibt so vieles da draußen, in Eurem Umfeld, von den Kommunen, von Stiftungen – von Leihomas zu Tagespflege.

Ihr müsst das nicht alles alleine schaffen. Haben Eltern noch nie, mussten Mütter noch nie. Da gab es immer Menschen drum herum, die geholfen und supported haben.

Vor allem müsst Ihr nicht gleichzeitig zur neuen Mutter- oder Vaterrolle auch auf allen anderen Hochzeiten in Perfektion tanzen. Bitte: seid nett zu Euch, TK-Pizza ist ok, Heulkrämpfe auch, genau wie gekaufter Kuchen, dreckige Böden oder Wäscheberge.

Aus Baby wird Mensch

Inzwischen ist aus unserem kleinen, zarten Bündel eine kleine wilde Tigerin geworden. Die Entwicklung der letzten Monate ist wirklich unfassbar. Vom kleinen, hilflosen Wesen, dass quasi nur rumliegt zu einem Kleindkind, dass erst auf vier und immer mehr auf zwei Beinen die Welt erkundet. Die immer mehr versteht und kommuniziert. Die wir immer besser kennenlernen – mit ihren Stärken (und Schwächen), ihren Eigenheiten und Besonderheiten.

Und die uns so vieles nochmal so neu erleben lässt. Wir überdenken Prioritäten, setzen neue Schwerpunkte, ändern Meinungen und entdecken neu.

Und ja, es gibt Dinge die wir gerade nicht machen können – aber das war klar. Dafür gibt es um so mehr Dinge, die wir vorher schon gemacht haben, die aber nun ganz neue Bedeutung bekommen.

Ich finde schade, wenn Eltern sich auf die Einschränkungen konzentrieren, die das Leben mit Kind eben mit sich bringt. Das ist alles nur vorübergehend. Und ehrlich gesagt sind es wirklich nicht viele Sachen, die man mit Kind nicht machen kann. Vielleicht muss man sie anders angehen, kreativ werden. Und in den meisten Fällen ist das nur vorübergehend, und sobald die Kids größer werden werden auch die Möglichkeiten wieder größer.

Hört man (jungen) (Groß)Eltern im Small Talk so zu, hört man oft und viel wie anstrengend alles ist. Und ja, ich kann es nun bestätigen. Aber es ist auch wunderschön, aufregend, beglückend, bereichernd, unbezahlbar.

„Hey meine Große, …“

Tigermädchen, diese Worte sind für Dich: Ich bin so froh, dass es Dich gibt – da gibt es keine Worte für. Ich bin so dankbar, dass Du gesund und munter bist. Ich bin so stolz auf Dich, wie ich noch nie in meinem Leben auf irgendwas stolz war.

Nein, ich bin keine perfekte Mama – ich bin eine echte Mama. Ich mache Fehler, ich weiß manchmal nicht weiter, ich habe manchmal keine Kraft. Und all das verstecke ich nicht vor Dir, sondern lasse Dich dran teilhaben. Und vor allem: ist da ganz viel Liebe!

So wie Du bist, bist Du richtig und genug. Du musst nichts leisten oder schaffen. Und ich weiß, dass auch Du nicht perfekt bist. Und möchte niemals, dass Du das denkst. Das Leben ist wild und aufregend und komisch und schön und verwirrend. Dass Du diesen wilden Ritt nun gemeinsam mit uns erlebst, dass wir ihn mit Dir erleben dürfen – macht jeden Tag schöner!