Bali 2| Ankommen im Süden
Während in Deutschland die zu warme Vorweihnachtszeit den Alltag bestimmte, haben wir den Dezember in einer tollen Villa in Strandnähe verbracht. Vier Wochen waren wir hier. An der Südwestküste Balis. Eigentlich immer noch zu kurz um so RICHTIG einzutauchen. Aber lange genug, um auch so etwas wie Alltag zu etablieren. Und viel zu entdecken!
Für mich steht fest: wir haben unsere Zeit in der Villa mit einer geradezu perfekten Mischung aus süßem Nichtstun, arbeitsreichen Tagen und ausführlichen Entdeckungstouren verbracht. Ankommen in der Auszeit – sozusagen. Ja, wir haben ganze Tage in der Villa verbracht. Mit Lesen zum Beispiel. Und in den Pool springen. Und dann haben wir wieder ganze Tage auf dem Roller verbracht. Viel davon geplant haben wir nicht. Aufwachen und beim Frühstück entscheiden, was wir das Leben an diesem Tag mit uns anstellen lassen wollen.
Auf den Straßen von Bali
Das erste Abenteuer hat schon gleich am ersten Tag nach dem Einzug auf uns gewartet: ein Roller. Unsere spanische Vermieterin/Mitbewohnerin/inzwischen Freundin Elena hatte – ohne unser Wissen – organisiert, dass uns ein solches Zweirad in die Einfahrt gestellt wurde. Wir, aus dem Häuschen wie zwei Kinder.
Aus dem Häuschen vor Aufregung. Und Nervosität! Arvid ist so ein Ding zumindest schon einmal gefahren. Ich dagegen bin kompletter Neuling. Wenn man den Verkehr hier auf Bali sieht, dann wird einem schnell klar, dass dies entweder der perfekte, oder der absolut ungeeignetste Ort ist, um das Roller fahren zu lernen. Aber gut, wir wollen die Insel erkunden. Und nicht jedes Mal 450.000 Rupiah (ca. 30€) an Gusti oder einen anderen Fahrer abtreten.
Also, Helme auf und los. Zum Glück ist unser Haus umgeben von einem ruhigen Wohngebiet. So konnten wir unsere verborgenen Talente erst einmal auf Spielstraßen-Niveau testen. Das ging ganz gut. Aber das Fahren an sich ist ja auch nicht das Problem. Wie Fahrrad. Nur schneller. Kompliziert wird es, wenn andere Verkehrsteilnehmer ins Spiel kommen. Nach einer halben Stunde im Kreis fahren und kichern haben wir den Sprung auf die Straße gewagt. Ab auf die Jalan Batu Belig. Hauptverkehrsstraße hier an der Küste. Ziel: Supermarkt. Etwa 2km entfernt.
Arvid hat die erste Runde übernommen. Ich hinten drauf. Bis wir uns aus der Einfahrt getraut hatten, verging für balinesische Zeitverhältnisse eine halbe Unendlichkeit. Aber schließlich kam eine Lücke, die so groß war, dass wir sie nicht mehr ignorieren konnten. Und schwupps – fahren wir Roller auf Bali! Und nach 10 Minuten waren wir tatsächlich am gewünschten Supermarkt. Schweiß gebadet. Und übers ganze Gesicht strahlend!
Anfangs waren wir besonders glücklich, wann immer es gerade aus ging. Denn das hatten wir schnell raus. Schwieriger waren da schon Kurven, Ampeln, Ein- und Ausfahrten, Abbiegen und solche Späße. Nach einigen Tagen, an denen wir extrem langsam, extrem passiv, extrem zurückhaltend, extrem zögernd und extrem vorsichtig gefahren sind, haben wir bald auf sehr langsam, sehr passiv, sehr zurückhaltend, sehr zögernd und sehr vorsichtig upgegraded. Aber auch bei aller deutschen Disziplin – manchmal hilft einfach nur noch: Losfahren! Denn sonst kommt man gar nicht weiter.
Und ich muss zwei Dinge sagen:
1. Wenn man erstmal drin steckt, dann ist der Verkehr gar nicht mehr so schlimm, wie er von außen aussieht. Alle folgen einer Art System. Einem System ohne offizielle Regeln. Aber jeder macht mit. Und das funktioniert überraschend gut. Man schwimmt mit dem Strom der Roller. Und solange man sich an die wichtigste und einzigste Verkehrsregel hält, die es zu geben scheint, rollt es wunderbar. Diese lautet: alles was vor einem fährt, hat Vorfahrt. That’s it!
2. Wir brauchen so einen Roller. Wenn wir zurück sind. In Deutschland. Unbedingt. Sofort. Auch wenn wir bestimmt am Anfang dank balinesischer Fahrweise für einiges an unfreiwilligem Aufsehen sorgen werden. Aber es ist einfach zu praktisch! Und macht zu viel Spaß, als dass wir diese neuerworbenen Kenntnisse hier auf der Insel zurück lassen wollen.
Meine Villa, Mein Strand, Meine Hood
Wie schon im ersten Bali-Artikel geschrieben, haben wir uns für die Gegend um Canggu herum hauptsächlich wegen der tollen Angebote auf airbnb, der Nähe zum Strand und einer bunten Gastro- und Shopping-Szene entschieden. Und das war auch genau, was wir gefunden haben. Wobei wir irgendwann festgestellt haben, dass wir eigentlich gar nicht in Canggu, sondern in Kerobokan wohnen. Manchmal hieß unsere Gegend aber auch Seminyak. Oder Nord-Kuta. So sicher ist man sich da nicht. So wichtig ist das vielleicht aber auch gar nicht.
Wohl gefühlt haben wir uns dennoch – auch ohne zu wissen, wo genau wir eigentlich wohnen. Was natürlich zum großen Teil an unserer Villa und ihren Annahmlichkeiten lag. Eine ganze Etage für uns. Zwei-Seiten Balkon. Tolle Vermieterin. Große Küche. Pool. Zwei Mal die Woche Zimmerservice. Ihr versteht – nicht wohlfühlen ging praktisch nicht.
Dazu kamen immer wieder neue Leute ins dritte-Villa Zimmer, das Elena auch über airbnb vermietet. Mal blieben sie nur für eine Nacht, mal für ein paar Tage. Dabei waren ein Pärchen aus Neuseeland, eine Business-Coachine aus England, drei spanische Surferjungs, ein (vermeintlich) schwules Pärchen aus Singapur, zwei Mädels aus Holland – und so weiter. Auf jeden Fall immer wieder anders – und immer wieder interessant.
Man packe auf dieses wunderbare Gesamtpaket noch den kurzen Fußweg zum Strand – und erhalte den Hauptgewinn. Egal ob abendliche Laufeinheit, Sonnenuntergänge im Schwulen-Warung oder lange Spaziergänge – das Leben am Meer kann schon sehr schön sein. Surfer beobachten, Einheimische beobachten, Selfie-Marathone beobachten – ein endloser Spaß.
Und ja, wir haben auch die 24-h-Supermärkte und die große Auswahl an Restaurants jeglicher Klasse, Kategorie und Preisspanne genossen. Und ja, wir waren in einer französische Bäckerei frühstücken, haben uns in einem Day-Spa drei Stunden lang zum Spottpreis massieren lassen und uns eine Yoga-Delivery gegönnt. Eine private Yoga-Stunde, direkt bei uns zuhause. Wir haben also alle Vorteile, die das Hip-Sein einer Gegend nun mal auch so mit sich bringt, in Anspruch genommen.
Bis auf ein überteuertes Edelrestaurant würden wir auch alles genau wieder so machen. Und ganz klar weitermpfehlen. Aber beim Essen gilt: wir ziehen inzwischen jeden einheimischen Warung mit wild möbliertem Speiseraum, zerliebter Küche und kleiner Speisekarte einem 4-Sterne Laden vor. Nicht nur des Geldes wegen. Sondern auch wegen der Atmosphäre. Und den Erlebnissen. Und oft auch schlicht wegen dem hervorragenden Essen.
Den Süden Balis erkunden
Und natürlich hatte unser Zuhause eine tolle Ausgangslage zum Erkunden der Region Südbali. Die Ergebnisse der Stunden vor dem Rechner konntet ihr zum Teil schon begutachten. Oder werdet es bald noch tun können. Die Tage, die wir versteckt hinter Buchseiten oder lümmelnd am Pool und auf unserem Balkon genossen haben, könnt ihr euch gerne vorstellen – wenn ihr euch ein bisschen wegträumen wollt. Von den Entdeckungstouren in drei Himmelsrichtungen möchte ich euch allerdings doch ein wenig erzählen.
Erstmal: Tempel. Die stehen bekanntlich hier auf Bali an jeder Ecke. Stichwort „höchste Tempeldichte der Welt“. Man kann also jeden Tag 20 davon besichtigen – wenn man denn möchte. Unter diesen zahllosen heiligen Gebäuden befinden sich aber ein paar, die etwas sehenswerter sind als der Rest. Dazu zählen ganz klar Tanah Lot und Luhur Uluwatu. Beides Tempel an der Küste. Zu den beeindruckenden Bauten und einer interessanten Geschichte kommt also noch ein herrlicher Ausblick.
In Tanah Lot haben wir zum Glück einen Tipp aus unserem Lonely Planet befolgt. Und sind ganz früh morgens dort gewesen. Noch vor 7 Uhr. Und das war einmalig. Der Parkplatz noch leer – keine Touristenbusse. Die unzähligen Shops, Läden, Stände, Bars und Restaurants – noch zu. Dafür: viel Ruhe, viele Einheimische die den kühlen Morgen für ein erfrischendes Bad im Meer nutzen. Es war herrlich. Je später der Morgen desto zahlreicher die Besucher. Von einem ruhigen Plätzchen aus haben wir dem bunter werdenden Treiben noch ein wenig zugeschaut – bevor wir wieder auf den Roller sind und los.
Denn ganz wichtig hier: Cruisen. Einfach drauf losfahren. Mal links, mal rechts. Wo einen der Wind und die Straßen so hintreiben. Dabei bekommt man dann eine Show zu sehen, die abwechselnd aus sattgrünen Reisterassen, fantastischen Weitblicken über die Insel, ursprünglichen Dörfern und chaotischen Kleinstädten besteht. Wir beide wechseln uns mit dem Fahren und dem Gucken immer ab. Es gibt so viel zu sehen. Und der Popo tut irgendwann weh und freut sich über Abwechslung.
Manchmal sind wir aber auch mit einem groben Ziel losgecruist. Und haben uns einzelne Orte oder Gegenden zum Erkunden vorgenommen. Mal ging es an die Ostküste rüber nach Sanur. Wunderbarer Strand, viele bunte Fischerboote – aber noch mehr aufdringliche Händler und Verkäufer. Das kann einem die beste Stimmung vermiesen.
Ein andernmal haben wir uns aufgemacht, den Süd-Süden von Bali zu erkunden, die Halbinsel Bukit. Über den abgefahrenen Fischmarkt bei Jimbaran zum schönen Tempel Uluwatu und weiter an einen ruhigen Strand. An dem wir dann kleben geblieben sind.
Überhaupt haben wir viele Strände gesehen und besucht. Manche rau und wild und ein Traum für Surfer. Andere weiß und palmengesäumt und wie aus dem Prospekt. Andere flach und badetauglich und perfekt für Familien. Wieder andere gesäumt von Restaurants und Bars und ideal zum Sonnenuntergang-Genießen. Es ist wirklich für jeden etwas dabei.
Mit Borderline auf Bali
Während unseren Wochen in Canggu gab es so einige Momente, in denen sich die Borderline bemerkbar gemacht hat. Am häufigsten in Momenten, in denen sich die arme Seite von Bali gezeigt hat.
Es ist vielleicht nicht die beste Idee, als so sensible Person wie ich es nun mal bin, auf eine Insel zu reisen, auf der das soziale Gefälle so krass ist. Und so nah nebeneinander existiert. Es ist wirklich unglaublich: fünf Meter neben einem Luxushotel steht eine Bretterbude, in der eine fünfköpfige Familie lebt – isst, schläft, arbeitet. Aus dem Hintereingang so mancher Touristenhochburg huschen die Köche einmal über die Straße, um sich beim Straßenverkäufer ihr Mittagessen zu kaufen. Alles andere wäre undenkbar und zu teuer. Links der Infinity Pool – rechts der Reisbauer der in der prallen Hitze auf seinem Feld schuftet. Ich könnte ewig so weiter machen.
Und mir tut es jedes Mal weh, diese Bilder zu sehen. Vor allem, weil sie hier zum Alltag, zum Straßenbild gehören. Ein wirkliches Gegenmittel habe ich noch nicht gefunden. Ich möchte diese Gefühle und Gedanken in keinster Weise vollständig loswerden. Es wäre nur manchmal schön, wenn sie mich nicht alle paar Minuten so knallhart von der Seite treffen würden.
Wenn die Emotionen zu stark werden, hilft nur eines: Ablenkung. Nicht mehr hinschauen. Auf was anderes konzentrieren. Und auf Dauer hilft es mit weiterhin, mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Um ihre Sichtweise, ihre Einschätzungen und ihre Geschichte zu hören. Und es hilft mir, mit Arvid gemeinsam diese Erlebnisse zu reflektieren. Sie einzuordnen. Momentan überlegen wir, ob man daraus nicht sogar eine Art Fotoprojekt machen könnte. Mehr wird aber noch nicht verraten.
So schwer mir diese „Anfälle“ den Alltag manchmal machen, so klar werde ich mich davon aber auch in Zukunft nicht abhalten lassen, weiter zu reisen. Weiter zu entdecken. Die Stimmung mag darunter manchmal leiden. Meine persönliche Entwicklung kann davon aber nur profitieren.
Eine Zweite Sache, die hier in Canggu das erste Mal seit dem Start von THE|trip aufgetaucht ist, waren ein paar schattige Gedanken. Und irgendwie ist es hier gerade besonders fies, wenn finstere, depressive Wolken im Kopf auftauchen. Dann kommt sofort der „Aber du bist doch gerade auf Bali! Also eigentlich im Paradies! Wie viele Menschen wären jetzt gerne hier? Wie kann es dir schlecht gehen? Wir kannst du es wagen, nicht permanent vor Glück zu explodieren?“-Wächter. Und der ist natürlich in keinster Weise hilfreich.
Was das angeht, muss ich wohl zwei Dinge lernen: 1. Es ist ok, auch bei Sonnenschein und 35 Grad mal melancholische Momente zu haben. Denn 2. Die gehen auch wieder weg.
Mit diesen beiden Punkten kämpfe ich auch zuhause ziemlich oft. Zu akzeptieren, dass Traurigkeit und Melancholie genau so normal sind, wie ihre angenehmeren Kollegen Freude und Glück. Dass die „negativen“ Emotionen genau so wichtig sind, wie die positiven. Ich esse ja auch nicht immer nur Pizza und Crème Brulée. Das wäre weder ratsam noch gesund. Ein bisschen Spinat und Brokkoli tun dem Körper zwischendrin auch ganz gut.
Mein Problem besteht wahrscheinich darin, dass ich in der Vergangenheit zu oft erlebt und mein Körper somit gelernt hat, dass ein schlechter Gedanken schnell zu einem Expresszug in die Depression werden kann. Trauer bedeutet Absturz bedeutet Loch bedeutet ungesunde Verhaltensweisen. Deswegen hat sich in mir eine Art Abwehr gegen jede Art von negativem Gefühl entwickelt. Ich will die am liebsten gar nicht haben! Wer weiß, ob die wieder weggehen?
Ich bemühe mich also, zu lernen, die positiven Seiten von negativen Gefühlen zu erkennen und zu verstehen. Den Wechsel wertzuschätzen. Zu viel gut ist nicht gut, zu viel schlecht aber auch nicht. Wie bei so vielem liegt die Wahrheit wohl in der Mitte. Nicht nur bei Gefühlen und dem Essen. Die gesunde Mischung – das sagt ja eigentlich schon alles. Ich muss es mir nur noch öfter sagen. Und vielleicht eine Pizza mit viel Gemüse bestellen.
Fazit zu 4 Wochen Süd-Bali
Während ich hier so schreibe rekapituliere ich den Monat in der Villa natürlich nochmal besonders gründlich. Und ich muss sagen: wir hätten es nicht besser machen können. Ich fühle mich angekommen, erholt und motiviert.
Elena ist die beste Gastgeberin, die man sich vorstellen kann. Unsere Villa samt Umgebung der absolute Volltreffer. Wir haben alles gesehen, was wir uns nicht vorgenommen haben. Und wir haben die Diems Gecarpt so sehr uns der Sinn danach stand.
Selbst den Abschied hat Canggu uns leicht gemacht. Mit Regeneinlagen, die für regelmäßige Überschemmungen vor unserem Schlafzimmer gesorgt haben. Mit Windböen, die uns die Jalousien nur so um die Ohren geworfen haben. Mit Stromausfällen tag und nacht, minuten- und stundenlang. Mit einer allabendlichen Flugameisen-Heimsuchung ohne Entkommen.
Das Gute daran war, dass es uns nicht zu schwer gefallen ist, die Villa zu verlassen. Wir freuen uns auf Nächte, in denen wir nicht alle paar Stunden zum Wasser schieben aufstehen müssen und von herumfliegenden Jalousien wach gehalten werden. Aber den ganzen Rest werden wir wohl schon ein bisschen vermissen. Zum Glück heißt die nächste Station „Balis Berge“. Und wir sind guter Dinge, dass die Natur und Ruhe da oben es schaffen werden, die Wehmut in Schach zu halten.