Ja! Nein! Vielleicht! Rocken! Abkacken! DaumenHoch! DaumenRunter! - In einer Minute.
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Ich schaffe das – ich rock das Ding jetzt! Vergiss es, das packst du nie. Geh lieber wieder in deine Ecke.

BPD Symptome erklärt | N°3

In der Reihe BPD Symptome erklärt möchte ich euch nach und nach anhand der „offiziellen Kriterien“ des DSM die Symptome der Borderline Persönlichkeitsstörung vorstellen. Wie bei allen Beiträgen auf meiner Seite gilt: hier geht es um meine Welt, um meine Erfahrungen, um meine Ansichten. Nun also zu Kriterium N°3:

Identitätsstörung in Form eines ausgeprägten und andauernden instabilen Selbstbilds oder einer instabilen Selbstwahrnehmung

Wieder mal die Wechsel. Von „Ich finde mich großartig (oder zumindest gut)“ zu „Ich bin der letzte Dreck“. Innerhalb von Tagen, Stunden oder auch Minuten. Das kann einem manchmal ganz schöne Striche durch die Rechnungen machen.


Du kennst das bestimmt: du hast gute Tage. Da guckst du in den Spiegel und denkst dir „Ach, so scheiße seh ich eigentlich gar nicht aus.“ Der Tag läuft, du bekommst viel auf die Reihe. Und dann gibt es Tage, da stehst du auf, und bist von dir selber genervt. Die Haare sitzen nicht. Und überhaupt. Irgendwie alles doof. Du weißt nicht so richtig, wohin mit dir.

Jetzt verstärke das mal zehn. Wie mit allen deinen Gedanken, Gefühlen und deinem ganzen Erleben kannst du das eigentlich so handhaben: wenn du erahnen möchtest, wie diese Situation für jemanden mit Borderline wäre, verstärke alles mal zehn. Oder besser, mal fünfzig. Dann kannst du dir vielleicht ungefähr vorstellen, wie anstrengend das Ganze ist.

Egal ob es um die Liebe, Freundschaften, meinen Körper, meine Zukunft, mein Können, mein Wissen, meine Talente oder meine Hobbies geht. Meine Meinung darüber wechselt häufig. Mehrmals in der Stunde, am Tag, in der Woche, im Monat. Mir fehlt die Sicherheit über mich selbst. Wer ist diese Person, mit der ich jeden Tag 24 Stunden verbringe?

Suche: Selbstsicherheit!

Dieses Symptom hält sich hauptsächlich im Hintergrund auf. Der Kampf mit meinem Bild über mich spielt sich vor allem in mir drinnen ab. Es ist für andere nicht so deutlich sicht- und fühlbar, wie zum Beispiel meine Wutausbrüche.  Da kommt wenn dann nur auf subtilem Wege was nach außen. Meine Selbstzweifel, meinen Selbsthass, meine schlechte Meinung über mich selber kann ich sehr gut verbergen. Da stimmt Arvid mir zu.

Ein Beispiel: ich will mich für ein Praktikum bewerben. Ich muss. Ich sollte. Ich setze mich ins Internet und suche mir Firmen aus, auf die ich richtig Lust habe. Ich fange an, meinen Lebenslauf auf den neuesten Stand bringen. Setze Schreiben auf. Läuft. Dann muss ich weg vom Rechner. Aus irgendeinem Grund.

Und dann geht nix mehr. Für Wochen. Warum soll ich mich bewerben? Die nehmen mich eh nicht. Ich habe so einen komischen Lebenslauf. So eckig. Und kantig. Und kurvig. Das will doch keiner. Da gibt es so viele andere da draußen. Die passen viel besser. Ich lass die ganze Sache lieber. Tausend Gründe fallen mir ein, warum ich nichts tauge. Nicht für diesen Job. Und auch für keinen anderen.

Für Wochen. Und dann, eines Tages: Geil, heute schreibe ich Bewerbungen. Und die nehmen mich eh. Ich kann mir ja quasi aussuchen, wo ich hin will. Mit meinem geilen Lebenslauf passe ich da super hin. So eckig. Und kantig. Und kurvig. Genau was die suchen. Und innerhalb von Stunden ist alles im Kasten und auf dem Weg zu den Empfängern.

An manchen Tagen (das sind leider die wenigeren) denke ich, Arvid hat so ein Glück mit mir. Ich bin intelligent, witzig, sportlich und habe keine Hackfresse. Und an anderen Tagen: ich bin so anstrengend, es gibt so viele Mädels, die sind hübscher als ich, erfolgreicher, kreativer, unterhaltsamer. Was will der eigentlich mit mir? Eh klar, dass er mich quasi morgen verlassen wird.

Finde: öfter mal was neues!

Was macht mich aus? Wofür stehe ich? Was sind meine guten Seiten? Was sind meine Vorlieben? Alles Fragen, die „normalen Menschen“ dabei helfen, zu erkennen, was für eine Art Mensch sie sind. Wenn du diese Anker aber nicht hast, sondern wie ein hilfloses Beiboot zwischen allen möglichen Meinungen und Sichtweisen hin- und hergerissen wirst, verlierst du auf Dauer die Sicherheit über dich selbst. Ich mag Sport? Ach ja, mag ich Sport wirklich? Oder habe ich diese Sichtweise nur irgendwo übernommen und lasse sie nicht mehr los? Bin ich wirklich „Sportlerin“? Um nicht mehr weiter umhergeschleudert zu werden bleibt man dann irgendwann einfach bei irgendetwas kleben. Damit man sagen kann: das und das bin ich. Das mag ich. Blöd nur, wenn man dann nach einer Weile feststellt, dass es eigentlich gar nicht stimmt.

Ich habe mich in den letzten Monaten zu einigen großen Themen in meinem Leben neu positioniert. Ich habe mir ein paar Dinge genau angesehen und festgestellt, sie sind mir nicht so wichtig, wie ich es immer dargestellt habe. Und wohl auch selber geglaubt habe. Was hier so lapidar klingt war ein echt gutes Gefühl. Und das ganze passiert auch andersrum.

Vor einigen Jahren, Monaten oder Wochen habe ich über Dinge wie Bergsteigen, Yoga oder Meditation geschimpft, mich lustig gemacht oder sie sinnfrei gefunden. Heute kann ich mir ein Leben ohne diese Dinge nicht mehr vorstellen. Ich sehe aber das positive daran: Erstens glaube ich daran, dass Menschen sich ändern können – denn ich bin das beste Beispiel. Zweitens: ich bleibe immer offen für neues, denn wer weiß wie ich morgen über die Dinge denke? Und drittens: es wird nie langweilig mit mir – nicht für mich und nicht für andere. Immer neue Impulse, immer neue Ideen, immer neue Pläne.

Einmal zum Ausgang, bitte!

Aber ich will nicht schön reden, dass es auch verflucht anstrengend sein kann. Und richtig blöd wird es immer dann, wenn diese Launen Sachen beeinflussen, von denen ich auf keinen Fall will, dass sie beeinflusst werden. Zum Beispiel diese Seite hier. Im Vorfeld des Launches gab es oft genug Momente, in denen ich an der ganzen Sache gezweifelt habe. Das will eh keiner lesen. Wer interessiert sich schon dafür. Es gibt viel schlimmere Dinge auf der Welt. Und so weiter.

In den anderen, den Up-Phasen sah es dann wieder ganz anders aus. Ich will, dass diese Krankheit bekannter wird. Ich will Vorurteile abbauen. Ich will helfen, zu entstigmatisieren. Ich will, dass Betroffene nicht mehr so eine Angst vor den Reaktionen haben müssen. Und da kommt dann wieder die Pflicht ins Spiel, die mir auch bei der Depression hilft. In gewissem Sinne sehe ich es als meine Aufgabe, dass ich als funktionale Borderlinerin für alle anderen mitkämpfe, die diese Schlacht nicht selber schlagen können.

Eine Sache, die bei mir also hilft: das Gedankenkarussel von mir selber wegzubewegen. Andere in den Mittelpunkt zu stellen. Denn wenn es nicht mehr direkt um mich geht, läuft das ganze gleich schon wieder viel besser. „Die Anderen“ ändern sich auch nicht so schnell. Da kann ich mich festlegen und Verantwortung übernehmen. Das hilft. Auch wenn ich mir die Verantwortung nur selber auferlege. Mir zu sagen, dass ich die Ressourcen dazu habe, das Leben von anderen Menschen vielleicht etwas leichter zu machen. Dieses Denken hilft bei der Suche nach dem Weg aus dem Motivationsloch.

(Ihr seht, ich habe mittlerweile schon viel Übung darin bekommen, mich selber auszutricksen. Wenn man wenigstens in Ansätzen verstanden hat, wie mein Kopf so funktioniert, kann man damit auch arbeiten.) 

Kurz und gut

Bei diesem Symptom hilft einem als Betroffener vor allem eine riesige Portion Akzeptanz. Du kannst nicht ändern, dass die Meinungsachterbahn losfährt. Aber du kannst versuchen, die Fahrt nicht mit angstverzerrtem Gesicht über dich ergehen zu lassen. Such dir Fixpunkte. Sachen, die dich schon lange begleiten. Bei mir ist das Reisen einer dieser Fixpunkte: Egal wie es mir geht, was ich denke, welche Laune gerade den Ton angibt: Reisen geht immer! Dran denken, davon träumen, was planen. Und glaub mir, wenn deine ganze Welt anfängt zu verschwimmen, weil du dir bei gar nichts mehr sicher bist, dann ist so ein Fixpunkt Gold wert. Und reicht zum Navigieren und Vorwärtskommen.

Beim Schreiben dieses Artikels ist mir die Idee gekommen, am nächsten guten Tag mal ein paar von den netteren Gedanken aufzuschreiben. Für schlechte Zeiten. Um mich an den Scheißtagen dran zu erinnern, dass ich kein komplett hoffnungsloser Fall bist. Denn wenn ich mal unten bin, im Sumpf der Selbstverachtung, dann können so ein paar geschriebene Worte vielleicht helfen, da schneller wieder rauszukommen. Also, nächster guter Tag, komm bitte bald!

Als Angehöriger kannst du vor allem zwei Dinge tun: dich nicht wundern und den Betroffenen nicht mit seinen Meinungsänderungen ärgern oder aufziehen. Wie oben geschrieben, fand ich Yoga lange doof. Und hab bestimmt auch drüber gelästert. Irgendwann war die Neugierde aber groß und ich hab mal ein bisschen ausprobiert. Und es hat mir getaugt. Sehr. So dass ich inzwischen zwei- bis dreimal die Woche Yoga mache. Die erste Zeit hat Arvid JEDES Mal, wenn ich vom Thema angefangen habe, gesagt: „Also, vor nem Jahr fandest du das noch total scheiße.“ Je. Des.Mal. NA UND? Jetzt finde ich es eben gut.

Genug der Worte von mir. Hier noch ein paar Worte von wem anders:

The less of routine, the more of life.

Amos Bronson Alcott