Psychische Krankheiten und Berufsunfähigkeitsversicherung

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Psychische Krankheiten und Berufsunfähigkeitsversicherung

Dieser Artikel erschien zuerst am 03. Juni 2018 auf www.versicherung-borchardt.de . Wir veröffentlichen ihn hier mit dem Einverständnis des Autors. Wir wollen damit keine Werbung machen, sondern sind bei der Recherche zu diesem wichtigen Thema auf diesen sehr guten, toll zusammengefassten und umfassenden Artikel gestoßen, den wir euch gerne zuteil haben lassen wollen.


Berufsunfähigkeitsversicherung Depressionen – keine Chance auf einen Abschluß?

„Berufsunfähigkeitsversicherung trotz psychischer Vorerkrankung?“ – das ist eine der häufigsten Fragen, die wir gestellt bekommen. Oft handelt es sich bei der Vorerkrankung um Depressionen oder Burnout. Unsere Antwort lautet dann nicht etwa: „Nein, keine Chance“, sondern: „Es kommt darauf an, ob …“.

Wie die Risikoprüfung bei Erkrankungen im Bereich der Psyche in der BU-Versicherung abläuft, wie die Versicherungen das Risiko Depression einschätzen, wie man am besten vorgeht und was zu beachten ist, das erläutern wir in diesem Artikel.

Inhalt

  • Aus psychischen Gründen berufsunfähig- ein häufiger Fall
  • Versicherbar trotz Depression? Auf die Details kommt es an.
  • Wie lange behandlungs- und beschwerdefrei?
  • BU mit Auschlussklausel Psyche oder Risikozuschlag?
  • Beispiele aus der Risikovorprüfung
  • Depressive Episode
  • Leichte Depression
  • Erschöpfung / Trauerverarbeitung
  • Prüfungsangst
  • Depression – versicherbar über eine BU-Sonderaktion?
  • Alternativen zur BU
  • Vorgehensweise Abschluss BU-Versicherung mit psychischer Vorerkrankung

Aus psychischen Gründen berufsunfähig – ein häufiger Fall

Versicherungsgesellschaften sind äußerst zurückhaltend und vorsichtig, wenn als Vorerkrankung eine Erkrankung im Bereich der Psyche angegeben wird.

Realistischerweise sind die Chancen auf einen Abschluss in vielen Fällen daher nicht gut. Woran liegt das? Es gibt eine einfache Erklärung: Statistisch gesehen werden psychische Erkrankungen immer häufiger. Selbst bei jungen Menschen.

Der „Tagesspiegel“ etwa meldete kürzlich: Jeder sechste Student ist psychisch krank.

Gleichzeitig steigt die Häufigkeit der Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen psychischer Beschwerden und auch die Häufigkeit einer Berufsunfähigkeit wegen Erkrankungen der Psyche. Laut dem Institut Morgen und Morgen waren 2016 in 31 % der Fälle „Nervenkrankheiten“ die Ursache der Berufsunfähigkeit. 2018 sind es 31,52 %. Zum Vergleich: Unfälle sind nur in knapp 9 % der Fälle (2016: 10 %) der Grund für die Berufsunfähigkeit.

Nervenerkrankungen sind seit vielen Jahren die häufigste Ursache für eine Berufsunfähigkeit.

Häufigste BU-Ursache mit eindeutigem Abstand: Psychische Krankheiten – Quelle: MORGEN & MORGEN Rating Berufsunfähigkeit 2018

Versicherbar trotz Depressionen? Auf die Details kommt es an.

Der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung mit Vorerkrankung (en) ist meistens nicht einfach und das gilt um so mehr, wenn es um psychische Vorerkrankungen geht. Aber eine Chance liegt darin, dass jeder Versicherer seine eigene Entscheidung darüber trifft, ob er einen Kunden versichern kann und falls ja zu welchen Bedingungen. Die Ergebnisse von Risikovoranfragen sind oft überraschend. Manchmal ist es so, dass der eine Versicherer überhaupt keinen Versicherungsschutz anbieten will bzw. kann, während sich ein anderer Versicherer offen für einen Abschluss zumindest mit einem Ausschluss und / oder Risikozuschlag zeigt.

Es kommt ganz auf den Einzelfall an und auf die medizinischen Details. Deshalb sind Risikovoranfragen bei mehreren Versicherern sehr hilfreich bei der Klärung der Frage der Versicherbarkeit.

Dass selbst bei psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel einer Depression nicht in allen Fällen überhaupt keine Hoffnung besteht zeigen die Grundsätzen zur Risikoprüfung der Versicherungsgesellschaft ALTE LEIPZIGER, aus denen wir hier einmal zitieren wollen:

„Bei psychischen Erkrankungen kommt es vorwiegend auf die Art der Erkrankung und deren Ausprägung an. Auch hier gibt es natürlich berufliche Einflüsse und weitere Faktoren. Grundsätzlich ist bei Antragstellung ein Therapie-Abschlussbericht notwendig.

In der Regel kann jedoch nach folgenden Kriterien entschieden werden:

Reaktive Erkrankungen (z. B.: nach Tod eines Angehörigen) können, sofern die Behandlung max. 6 Monate gedauert hat, wenige Sitzungen erfolgten und diese ohne weitere Medikamenteneinnahme abgeschlossen sind, im Regelfall normal versichert werden.

Die Versicherbarkeit einer leichten Depression (z. B. Belastungsstörungen) kann geprüft werden, sofern die Behandlung seit mindestens einem Jahr abgeschlossen ist. Sofern keine Medikamente genommen werden, ist die Absicherung der Berufsunfähigkeit mit Zuschlag möglich.

Alle anderen Formen von depressiven Erkrankungen setzen eine Behandlungs- und Medikamentenfreiheit von mind. 3 Jahren voraus. Wie diese versichert werden können, ist sowohl von der Art der früheren Erkrankung als auch von der Behandlung abhängig.

Wie lange behandlungs- und beschwerdefrei?

Gute Chancen hat man, wenn die Erkrankung schon einige Zeit zurückliegt, also wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung keinerlei Beschwerden mehr auftreten und die letzte Behandlung / der letzte Arztkontakt schon einige Zeit zurück liegt. Noch größer sind die Chancen natürlich wenn die Erkrankung so lange zurück liegt, dass sie gar nicht mehr angegeben werden muss, weil sie außerhalb des Abfragezeitraumes der Gesundheitsfragen des Versicherers liegt. Hier lohnt sich also auch ein Vergleich der Antragsfragen der verschiedenen Anbieter.

BU mit Ausschlussklausel Psyche oder Risikozuschlag?

Einige Gesellschaften bieten tatsächlich an, psychische Erkrankungen vom Versicherungsschutz auszuschließen. Der Anbieter einer Online-BU, die getsurance, bietet eine Variante ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung an, bei der psychische Erkrankungen schon von vornherein nicht mitversichert sind.

Andere Anbieter bieten – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – gelegentlich die Vereinbarung eines Auschlusses für psychische Erkrankungen an. Das aber sicher nicht, wenn die Beschwerden noch andauern, also z.B. wenn der Antragssteller sich noch in einer laufenden Psychotherapie befindet.

Wie das oben genannte Beispiel der ALTE LEIPZIGER zeigt, kann das Ergebnis der Risikoprüfung im Einzelfall auch ein Risikozuschlag sein, aber eben nur wenn es sich um eine leichte Depression gehandelt hat, die Behandlung seit mindestens einem Jahr abgeschlossen ist und keine Medikamente eingenommen werden.

Beispiele aus der Risikovorprüfung

Depressive Episode

Beispiel 1

eher Überlastung, kurzfristig und einmalig in 07/2014, mit pflanzlichem Lavendelextrakt behandelt, 4 Tage morgens und abends, 10 Tage AU, Therapie abgeschlossen, keine Folgen

Beruf: Erzieher

Votum des Versicherers: normale Annahme

Beispiel 2

mit reaktiver Depression bei Trauerreaktion aufgrund Erkrankung des Ehemannes ins 2012 (Krebs) und beim Tod 2013, 2012 6 Wochen, keine Psychopharmaka, 2013 Reha vom Kunden abgelehnt, Umzug nach Dresden mit ambulanter Betreuung vom christlichen Hospizdienst und Trauergruppe für junge Witwen, Therapie erfolgreich abgeschlossen

Beruf: Operations Specialist Projektcontroller

Votum des Versicherers: normale Annahme

Beispiel 3

Anfang 2010, Beschwerden: Niedergeschlagenheit, Antriebshe4mjung, Zweifel an sich selbst, Ursache: unbewußte Konflikte aktualisiert durch Trennungserlebnis, therapeutische Behandlung von 02/2010-12/2012, danach bis 10/2016 Ursachenforschung durch Arzt Arzt-Bescheinigung: Mai 2010 beginnende Psychoanalyse, erfolgreich abgeschlossen, bis heute keine medikamentöse Behandlung

Beruf: Personalentwickler

Votum des Versicherers: Ausschlussklausel

Leichte Depression

Beispiel 1

leicht, erstmals 07/2013 aufgetreten, Beschwerden: Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Ursache: Beziehungsprobleme mit der Partnerin, Beschwerden letztmals 12/2013 aufgetreten, in Behandlung gewesen von 09/13 – 12/14

Beruf: Tischler

Votum des Versicherers: Ausschlußklausel

Beispiel 2

wegen Stoffwechsel – Serotoninmangel, 8-10 Sitzungen

Beruf: Sozialpädagoge

Votum des Versicherers: Ausschlußklausel

Erschöpfung / Trauerverarbeitung

einmalig nach Tod des Vaters, wöchentlich 1 Sitzung, vollständig beschwerdefrei

Beruf: Student Lehramt

Votum des Versicherers: normale Annahme

Prüfungsangst

seit 09/2008 mehrmalig bis zuletzt 01/2015, Ereignis: Universitätsprüfung, seit 01/2015 vollständig beschwerdefrei

Beruf: Diplom-Geographin

Votum des Versicherers: Ausschlußklausel

Depression – versicherbar über eine BU-Sonderaktion?

Gelegentlich bieten einige Versicherer ihre BU-Versicherung zeitlich begrenzt und mit Einschränkungen z.B. bei der versicherbaren Rente mit vereinfachten Gesundheitsfragen an.

Hier einmal ein Beispiel für die einzige Gesundheitsfrage aus der BU-Aktion der HDI (Duales Modell).

Gesundheitsfrage der HDI BU-Sonderaktion u.a. für Mitglieder des VWI
HINWEIS: Diese Sonderaktion in dieser Form (mit der ganz vereinfachten Gesundheitsfrage) ist zwischenzeitlich vom Versicherer eingestellt worden

Wer aktuell wegen einer Depression in Behandlung ist dürfte diese Frage nicht verneinen können. Denn bei einer Depression dürfte sich immer auch eine Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit ergeben.

Allein aus dem reduzierten Abfragezeitraum ergeben sich aber Vorteile gegenüber den „normalen“ Gesundheitsfragen.

In Anträgen mit Gesundheitsfragen in normalem Umfang beträgt der Abfragezeitraum bezüglich der Psyche nämlich bei vielen Versicherern 5 Jahre, hier ein Beispiel aus dem Antrag der ALTE LEIPZIGER.

Die Alte Leipziger fragt bezüglich Erkrankungen der Psyche 5 Jahre zurück

Alternativen zur BU

Wenn Risikovoranfragen ergeben haben, dass in der BU-Versicherung tatsächlich keine Chance besteht und auch BU-Sonderaktionen nicht passen, kann man noch die Alternativen zur Berufsunfähigkeitsversicherung prüfen. Zu nennen sind hier die Erwerbsunfähigkeitsversicherung, die Schwere-Krankheiten-Vorsorge, die Grundfähigkeitenversicherung und die Multi-Renten. Bei den drei letztgenannten Versicherungsarten ist die Psyche meist nicht unmittelbar mitversichert, so dass psychische Vorerkrankungen bei der Risikoprüfung nicht die große Bedeutung wie bei Berufsunfähigkeitsversicherung haben.

Bei einigen dieser Alternativprodukte wird überhaupt nicht nach psychischen Erkrankungen gefragt. Beispiel: PLAN D der DORTMUNDER.

Berufsunfähigkeitsversicherung ohne Mitversicherung der Psyche

Schließlich gibt es noch eine weitere Möglichkeit, die allerdings gut überlegt werden sollte. Ein Anbieter bietet eine BU-Versicherung an, bei der von vornherein die Psyche nicht mitversichert ist. Dabei handelt es sich um den Anbieter getsurance. Bei getsurance können sich also auch Personen versichern mit psychischen Vorerkrankungen.

Vorgehensweise Abschluss BU-Versicherung mit psychischer Vorerkrankung

1. Zunächst genauestens die Gesundheitsgeschichte aufarbeiten

(Achtung: nicht nur für die psychische Erkrankung , sondern für alle Erkrankungen und Behandlungen nach denen der Versicherer im Antrag fragt.)

2. Zusatzfragebögen ausfüllen (hier ebenfalls auf Genauigkeit achten).

3. Laborberichte / Atteste / Befunde etc. sichten und ggf. mit in die Unterlagen für die Risikovoranfragen aufnehmen. Ggf. Arztberichte / Patientenakte in Kopie beim behandelnden Arzt /Therapeuten anfordern.

4. Erste Einschätzung zur Versicherbarkeit durch den Makler. Ggf. Besprechung welche weiteren Unterlagen, Angaben für die Voranfragen benötigt werden.

Risikovoranfragen einreichen lassen.

Ergebnisse auswerten (lassen). Besprechung der Ergebnisse und Entscheidung, ob weitere Voranfragen sinnvoll sind.

Wenn die Ergebnisse noch eine Auswahl zulassen: Leistungsinhalte prüfen lassen / vergleichen.

Leistungsumfang festlegen (Rentenhöhe, Laufzeit, Dynamik, garantierte Rentensteigerung, AU-Klausel ja / nein und so weiter …

5. Erst jetzt: Antrag bei dem Versicherer einreichen, der die besten Konditionen anbieten kann.


Über den Autor:

Eckhard Borchardt
Eckhard Borchardt ist Versicherungsmakler mit den Schwerpunkten BU, private Krankenversicherung (PKV) und Altersvorsorge in Hamburg. Er schreibt außerdem regelmäßig in seinem
Blog zu den Themen BU, PKV und Altersvorsorge.

Wir bedanken uns bei Herrn Borchardt für die Zur­ver­fü­gung­stel­lung des Artikels. BU ist ein wichtiges Thema, wir sind keine Fachleute, Herr Borchardt – ebenso wie viele andere Versicherungsmakler – aber schon. Für weiterführende Fragen und genauere Informationen wendet euch bitte an eben diese Fachleute.

Wie es sich anfühlt, ein Buch geschrieben zu haben

Lesezeit: 8 minuten

Wie es sich anfühlt, ein Buch geschrieben zu haben

Ich bin nun also Autorin. Buchautorin. Offiziell. Ich habe ein Buch geschrieben. Wie fühlt sich das an? Was macht das mit einem? Nun, natürlich ändert sich das Leben nicht von heute auf morgen, nur weil ein bisschen Papier mit dem eigenen Namen drauf in den Läden liegt. Trotzdem waren die letzten Tage und Wochen – nicht nur, aber besonders wegen des Buches – ganz schön intensiv.


Nein, ich habe mich noch nicht dran gewöhnt, mein Gesicht auf dem Cover eines Buches zu sehen. Oder Widmungen in Bücher zu schreiben. Oder aus meinem eigenen Buch vorzulesen.

Zu diesem Zeitpunkt ist das Buch gerade erschienen. Erste Menschen haben es gelesen, andere bekommen es dieser Tage zugesandt. Mich erreichen erste Fotos von Menschen, mit denen ich seit langem oder sehr langem keinen Kontakt mehr hatte und die mich nun plötzlich in Buchhandlungen liegen sehen und mir davon Fotos schicken. Noch habe ich wenig Reaktionen, Meinungen, Feedback erhalten. Was vor allem noch auf sich warten lässt sind erste Kritiker. Aber ich bin sicher, auch die werden kommen.

Ich gebe erste Interviews, bei denen es aber weniger um das Buch als um meine Mission generell geht – was auch total ok ist, denn dieses Buch ist ja quasi meine Mission komprimiert auf 240 Seiten. Ich möchte nun mal verändern, dass und wie wir über psychische Gesundheit reden. Ob das nun lesend oder redend oder als Autorin oder Mental Health Advoate passiert, ist im Grunde egal. Hauptsache, es wird geredet. Als erstes großes Highlight geht’s dann bald auf die Leipziger Buchmesse.

Ein Blick zurück

Bevor ich aber weiter im Jetzt bleibe, nochmal kurz ein paar Schritte zurück. Wie kam es eigentlich zu dem Buch? Und wie ist aus der ersten Idee ein fertiges Werk geworden?

Nun, die Idee ein Buch zu schreiben war schon älter. Nicht ganz so alt wie der Blog (*2015). Aber doch schon ein paar Jährchen in meinem Kopf. Letztes Jahr nun habe ich mich ganz vorsichtig mit dem Gedanken angefreundet, dass ich wohl irgendwie recht gut schreibe, dass mir das liegt. Ich gewöhne mich immer noch dran, das zu akzeptieren – dass ich in etwas gut bin – aber die vielen tollen Rückmeldungen über all die Monate haben diesen kleinen Gedanken in mir doch immer größer werden lassen.

2018 dann habe ich den Gedanken das erste Mal dann gepackt und mir genauer angeschaut. Den mit dem Schreiben. Und den mit dem Buch. Und habe aus dem groben Plan eine konkrete Idee werden lassen. Habe mich informiert, wie man einen Verlag findet, wie ein gutes Exposé aussieht und habe dann Mitte des Jahres eine Handvoll Verlage und Agenturen angeschrieben. Darauf hin kamen aber entweder Absagen oder gar keine Reaktionen. Aber das war noch nicht schlimm. Das waren nur die ersten Versuche.

Bevor ich dann in eine neue Runde starten konnte, hat sich das Leben, Schicksal, Karma eingeschaltet. Und zwar in Form eines Freundes von Lasse. Die beiden kennen sich noch aus Lasses Snooker-Zeiten. Und als eben dieser Freund dann nach und nach erfuhr, was ich und wir da so treiben und das wohl irgendwie gut fand, meinte er „Ich hab da einen guten Freund, der hat einen Verlag. Soll ich dem mal was schicken?“ Und zack, lag mein Exposé bei eben diesem Verlag. Sehr kurze Zeit später bekam ich schon einen Anruf, es fand ein Treffen statt, man lernte sich kennen, alle Seiten konnten sich eine Zusammenarbeit gut vorstellen. Und kurz darauf unterschrieb ich im September 2018 einen Autorenvertrag beim Scorpio-Verlag.

Von der Idee zum Buch

Einziger „Haken“ am Vertrag: ich hatte nur knapp drei Monate Zeit, um das Buch zu schreiben. So wirklich als Haken hab ich das aber nicht empfunden. Ich mag es, die Dinge kurz und knackig zu machen. Und da ich doch recht gut darin bin, mich und meine Arbeit einzuschätzen, hatte ich keine Zweifel daran, dass ich das schaffen würde. Unterstützt hat mich dabei der Vorschuss des Verlages, der mich für diese Zeit doch – finanziell – deutlich entspannte.

So hab ich mich also dran gemacht, zwischen dem „normalen“ Wahnsinn des Alltags zu schreiben. Wann immer und wo immer sich Gelegenheit bot. Das konnte zuhause auf dem Sofa, im Arbeitszimmer, im Zug nach Brüssel oder unterwegs auf dem Handy sein. Am längsten hat es wohl gedauert, bis die Grundstruktur stand. Die erste Zeit sammelte ich einfach nur Themen, Schlagworte, Bereiche, über die ich schreiben wollte. Mit als erstes stand der Prolog und der Teil, in dem ich mich bei Menschen bedanke.

Schreibblockaden oder ähnliches gab es nicht. Es gab so viel, was ich schreiben und in die Tasten bringen wollte, dass es einfach nur toll war, am Buch arbeiten zu können. Trotzdem kamen zwischendrin Zweifel. Am Buch, an meinen Fähigkeiten, an meiner Mission generell. Und Ängste: Was, wenn keiner das Buch lesen will? Was, wenn ich nur schlechte Reaktionen bekomme? Was, wenn dem Verlag mittendrin auffällt, dass ich überhaupt nicht das bringe, was sie von mir erwarten?

Zu einem gewissen Teil gehören solche Gedanken wohl zu solch einem Prozess dazu. Man schreibt schließlich nicht jeden Tag ein Buch. Und vor allem schreibe ich ja keinen Fantasy-Roman, sondern in gewisser Weise über mein Leben. Schicke private Dinge in die Welt hinaus. Aus Überzeugung, dass einfach mal jemand anfangen muss. Genau diese Gedanken haben mich dann auch immer wieder zurück gebracht.

Von dieser Achterbahn gelang aber mal wieder kaum was nach außen. Mit dem Verlag stand ich während dieser Zeit zwar ständig im Kontakt. Aber dabei ging es nicht um meinen Kopf und die kleinen Monster darin, sondern die Ebene war doch etwas professioneller. Ich hielt sie auf dem Laufenden, schickte erste Auszüge und wir berieten uns über die Struktur.

Ein Buch entsteht

Und dann, zwei Wochen vor dem vertraglich festgelegten Datum, war ich fertig. Mit der Rohversion. Und einer Punktlandung bei der Länge: der Umfang sollte etwa 240 Seiten sein. Das Dokument, das ich dem Verlag schickte, meldete: 240 Seiten. Ich glaube, das passierte ihnen nicht so oft. Dass ein Autor beim ersten Werk sowohl zeitlich als auch vom Umfang so brav ist. Da hab ich mich schon ein bisschen gefreut.

Was nun folgte war das Lektorat. Hier dürfte ich mich einer wundervollen Lektorin zusammenarbeiten, die sich im Thema auch auskannte und den Job schon ziemlich lange macht. Schon nach den ersten Seiten bekam ich von ihr die Rückmeldung: „Gut, was das Schreiben an sich angeht muss ich ja quasi gar nichts bei dir machen. Das kannst du einfach. Nur bei der Struktur kann ich dir vielleicht noch helfen.“ Eine schöne Rückmeldung.

Und in der Tat bekam ich dann in den nächsten Wochen mein Buch abschnittsweise von ihr zurück. Hier ging es weniger um Rechtschreibfehler – auch wenn sie alle, die sie gefunden hat, ausgebessert hat – sondern mehr um den Inhalt an sich. An ein paar Stellen wies sie mich darauf hin, dass der Leser noch mehr Infos bräuchte oder dass ich mich hier vielleicht etwas zu kompliziert ausgedrückt hatte. Aber die Bemerkungen hielten sich wirklich in Grenzen und waren allesamt mehr als brauchbar. Zur gleichen Zeit dürfte Lasse einmal lesen – als einziger. Und auch von ihm kam nochmal toller Input.

Als dieser Teil fertig war ging es an die Gestaltung. Das Cover musste schon im Dezember stehen, weil dann die Kataloge gedruckt wurden. Da gab es also nichts mehr dran zu machen. Nun ging es an das Innenleben. Und da bin ich froh, dass vom Verlag der Vorschlag kam, den Text mit ein paar kleinen Männchen aufzulockern. Und auch da hat ihre Grafikerin einen tollen Job gemacht und ihre kleinen Illustrationen lockern das Buch auf und bereichern es gleichzeitig.

Als das alles stand und der Text auch noch mal von einer Korrektorin durchgearbeitet war wurde der Text gesetzt, also das finale Layout an das Seitenformat angepasst. Dann sind alle Beteiligten nochmal über das Buch durch und über jede einzelne Seite drüber gegangen. Und dann: ging es im Februar in den Druck.

Herzlichen Glückwunsch – es ist ein Buch!

Diese Zeit war dann irgendwie die schlimmste seit Beginn des ganzen Prozesses: die Warterei. Ich wusste, das mein Buch nun irgendwo in Deutschland gerade gedruckt wurde. Dass große Maschinen damit beschäftigt waren, meine Worte auf Papier zu drucken. Ich wusste auch, dass dies etwa zwei Wochen dauern würde. Sobald diese Zeit vorbei war rechnete ich quasi täglich damit, ein Exemplar im Briefkasten zu haben.

Doch es kam nicht.

Und kam nicht.

Und die Tage vergingen.

Und ich wurde unruhiger.

Und nervöser.

Und dann: die Mail meiner Verlegerin! Sie sei gerade aus dem Urlaub gekommen. Auf ihrem Schreibtisch wartete mein Buch. Ob ich denn auch schon eines hätte? NEIN! Habe ich nicht. Her damit! Zum Glück lief sie quasi sofort zum Briefkasten, als sie erfuhr dass es im Gegensatz zu ihr, noch nicht vor mir hatte. Und einen Tag später war es dann da. Es war ein Samstag. Ich ging zum Briefkasten. Sah den Umschlag. Und wusste, dass es da drin ist. Fünf Stockwerke nach oben. 80 Stufen, auf denen die Emotionen und Gedanken gleichzeitig Walzer tanzten, Achterbahn fuhren und chaotisch durcheinander liefen.

Mit dem Öffnen wartete ich tatsächlich, bis ich oben in der Wohnung war. Lasse war auch da. Holte sein Handy raus und hielt drauf. Während ich den Umschlag öffnete. Und mein Buch rausholte. Hatten die Gefühle davor Walzer getanzt so wurde nun eine zuckende Technoparty draus. Aus der Achterbahn wurde ein Überschallflugzeug. Und ich war einfach nur überfordert. Für das Video hab ich mich gefreut. Aber in mir drin lief alles durcheinander, was nur durcheinander laufen konnte. Sobald Lasse fertig war hab ich daher auch das Buch zu Seite gelegt und es mit dem Umschlag verdeckt. Schrittweise Annäherung.

Aus Überforderung wird Freude

Glücklicherweise gab es nicht nur Lasse, sondern weitere Freunde und meine Familie, die sich erstmal für mich freuten. Bilder wurden verschickt, die Nachricht verbreitet, dass es endlich da ist. Und ich war weiterhin überfordert. Es brauchte eine schnelle Laufeinheit, ein paar Stunden Abstand und eine vorsichtige Annäherung, bis sich endlich auch in mir das Gefühlschaos legte und eine Emotion als Siegerin feststand: Freude. Der zweite Platz ging an den Stolz.

Hatte mein Kopf bei der ersten Begegnung mit dem Buch noch Kritik ausgespuckt, mich mit Selbstzweifeln und Vorwürfen beworfen und all die Arbeit in den Dreck gezogen so verkrümelten sich diese Gesellen langsam in den Hintergrund. Vertrieben von den Siegern. Und bald konnte ich das Buch auch richtig stolz halten, zeigen, präsentieren.

Die Achterbahnfahrt ist aber damit natürlich noch nicht vorbei. Wahrscheinlich geht sich gerade erst los. Und ich merke, dass ich auf mich aufpassen darf. Dass es keine Kleinigkeit ist, die ich da gerade erlebe. Dieses Buch enthält ganz schön viele Dinge, die entweder sehr persönlich und/oder mir wahnsinnig wichtig sind. Und damit mache ich mich natürlich verletzbar. Zeige mich der Öffentlichkeit unverstellt und irgendwie emotional nackt. Und das bei einem emotional-instabilen Menschen.

Deswegen ist es gerade umso wichtiger, dass ich mich um mich kümmere. Dafür sorge, dass sich nichts anstaut oder in meinem Hinterkopf einnistet. Dass ich mir Ruhe gönne, Auszeiten um irgendwie hinterherzukommen. Denn es gibt ja auch noch ein Leben neben dem Buch. Ein Leben, in dem gerade die Vorbereitungen für ein Mental Health Café laufen. Was toll ist und Spaß macht, aber gerade auch viel Arbeit bedeutet: Meetings, Gespräche, Projektskizzen, Pitches, Events, Vernetzen, Finanzierung, Förderung, Crowdfunding, Unterstützer, Formalitäten, Gründung, Versicherungen, Seminare, Kurse, Infrastruktur, Einrichtung – um euch nur mal ein paar Stichworte zu nennen. Und irgendwie zwischen all dem auch noch Geld verdienen, Freunde und Familie sehen, einen Marathon vorbereiten und schlafen. Da darf man schon mal etwas mehr auf sich aufpassen.

Auf ein Neues

Und dann die unschuldige Frage einer Freundin: ob und wie ich denn gefeiert hätte. Gefeiert? Und mir fällt auf, dass ich keinen der bisher absolvierten Schritte gebührend gefeiert habe. Kein schönes Essen, kein kleiner Luxus, kein alkoholfreier Sekt. Wahrscheinlich, weil ich das selber alles noch gar nicht wirklich verstanden habe. Weil es einfach immer so viel zu tun gibt. Nicht nur rund ums Buch, sondern auch und vor allem rund um TtB. Inne halten geht da irgendwie unter.

Bezogen auf das Buch ist es eine Mischung aus Genießen, Ungläubigkeit, Freude und Vorsicht, die mich da wohl gerade lenkt. Die mich all den Trubel, alle ersten Male, die ich gerade erlebe, einfach genießen lässt. Die nicht zu weit ins Morgen denkt, sondern mich schön brav und achtsam im Moment festhält. Die meine Ängste und Zweifel mit Stolz und Tatsachen in Schach hält.

Und wer weiß: vielleicht wird mein erstes Buch ja nicht mein letztes Buch gewesen sein? Vielleicht werde ich nachlegen dürfen? Noch mehr Gedanken und Worte zu Papier bringen dürfen? Soviel darf wohl verraten sein: erste Andeutungen kamen bereits von meiner Verlegerin.

Wenn die Frage also lautet: Wie fühlt es sich an, ein Buch geschrieben zu haben? Dann sage ich heute: fragt mich in einem halben Jahr nochmal. Dann ist mein Kopf vielleicht mit den Entwicklungen hinterhergekommen. Und ich bin bereit, zu feiern. Vielleicht dann sogar mehr als ein Buch.

Nur Mut! Borderline, JA Danke!

Lesezeit: 5 minuten

Nur Mut! Borderline, JA Danke!

Ein Gastbeitrag, der in Zusammenhang mit einem Abend beim Borderline-Trialog München entstanden ist. Eine Teilnehmerin war so überwältigt, fasziniert und auch berührt von all dem gesagten und gehörten, dass sie einige ihrer Eindrücke schriftlich festhalten wollte. Heraus gekommen ist ein warmer, offener, ermutigender Artikel – für Betroffene, für Angehörige, für Profis und für Leser darüber hinaus.

Ein Beitrag, der Mut macht, der Hoffnung gibt, der zeigt, dass es vielleicht nicht von heute auf morgen besser wird. Aber, dass es anders, besser werden kann.


– Ein Manifest der Hoffnung –

von Silke Weigang

Hinreichend bekannt sind beim Leben mit Borderline die schmerzhaften und schwierigen Seiten für alle Beteiligten.

Was aber, wenn diese Persönlichkeitsstruktur jede Menge Stärken und besondere Fähigkeiten mit sich bringt?!

Die schlechte Nachricht: Sie fallen wohl nicht von selbst über Nacht vom Himmel…

Die gute Nachricht: wer sich auf den Weg macht, wird reichlich belohnt!

Beteiligte sitzen zusammen und tauschen sich wohlwollend und wertschätzend aus: „Was verdanken sie Borderline?“ Betroffene, Angehörige, Professionelle…

Viele Wege zum „Danke“

Ich bin sehr berührt von der großen Lebendigkeit und sprudelnden Freude, die den Raum nach und nach erfüllen. Dankbarkeit macht sich breit. Da erzählen Menschen mit dieser Diagnose, wie sie sich auf den Weg gemacht haben. Auf ihren eigenen Weg. Durch Aufs und Abs, viele Tiefs und immer wieder Hochs. Wie sie durch diese Auseinandersetzung erkannt haben, worauf es im Leben wirklich ankommt. Lange schon vor manch Gleichaltrigen, die vielleicht immer noch dem Erfolg oder Konsum nachjagen.

Wie sie stolz sind auf ihre besondere Sensibilität und Fähigkeit zur Empathie für andere. Lange bevor das Gegenüber sich äußert (oder sich manchmal selbst erst bewusst wird), merken sie bereits, was Sache ist, was abgeht, wie’s dem anderen eigentlich geht. Manchmal fällt die Abgrenzung schwer und kann in die eigene Überforderung führen. In vielerlei Hinsicht bereichert diese wertvolle Fähigkeit zu hoher Sensibilität die Beziehungen. Und zwar dann, wenn der jeweilige lernt, sich auf selbst- und fremd-schätzende Weise immer wieder neu zu regulieren. Und auch ihr/sein[1]Umfeld achtsam (re)agiert. Viele berichten, wie dieses Lernen begeistert und ihre tiefe Freude und Zuversicht darüber leuchtet aus ihren Augen. „Die DBT[2]hat mir so wertvolle Werkzeuge an die Hand gegeben! Ich verstehe gar nicht, wie ich mein Leben bisher überhaupt ohne meistern konnte?!“

Die Sicht der Therapeuten

Auch Therapeuten berichten, wie sie persönlich durch DBT gewachsen sind. Manchmal ganz neuen, wertvollen Zugang zu ihren eigenen Gefühlen gefunden haben. Dass sie durch das Anwenden von DBT für sich selbst und durch die Arbeit mit denen, die sich mit DBT auf den Weg machen, wachsen. Ja, zu besseren Therapeuten an sich werden. Die Arbeit mit Menschen mit Borderline sei oft schonungslos, das müsse man aushalten können. Und dabei ist die Arbeit zugleich so klar und direkt, dass sie eine große Bereicherung darstelle. Es werde nicht langweilig, heißt es humorvoll. Weder in der Therapie, noch ganz grundsätzlich in Beziehung mit den Betroffenen.

Und auch ihnen selbst wird es nicht fad. Viele interessieren sich vielseitig, assoziieren immer wieder aufs Neue. Bilden Verknüpfungen innerhalb von Themen oder zwischen ihnen, sehr kreativ. Ob Poetry Slam, Malerei, Schreiben, Yoga, Percussion, (Bauch)Tanz oder Fotografie. Viele finden in diesen Hobbies Wege, ihre eigenen Talente zu verwirklichen und auch ihre Stimmungsschwankungen zu regulieren. Manchmal verhindern gerade diese Ausdrucksmöglichkeiten, dass es zu einer Explosion kommt.

So wie kleine Dinge und alltägliche Situationen heftige Gefühle wie Verzweiflung, Angst, Ohnmacht, Wut, Ekel, Neid, Eifersucht, Stolz, Scham und Co triggern können, so empfinden Menschen mit Borderline auch auf der anderen Seite des Gefühlsspektrums diese Heftigkeit der Emotionen. Kleine Dinge können unbändige Freude auslösen: eine Blume am Wegesrand, ein Glas Wasser, ein Sonnenstrahl. Somit können Glücksmomente auch an Ecken warten, an denen man nicht mit ihnen gerechnet hat. Auch in der Begegnung mit geliebten Menschen: Tiefe Momente des Glücks, der Liebe, der Begeisterung, der Dankbarkeit. Und die kann ansteckend sein. Für den, der Augen hat zu sehen, Ohren, zu hören und ein Herz, sich zu öffnen… 

Es gibt keinen geraden Weg …

Manche Menschen mit Borderline Persönlichkeitsstruktur, die sich auf den Weg machen, haben ein großes Herz für Tiere. Oder einen besonderen Draht zu „schwierigen“ Menschen: „Kinder mit Auffälligkeiten öffnen sich eher bei mir als bei Anderen“, erzählen Manche. „Durch meine Ausdauer und Sensibilisierung und Intervention erhalten wir jetzt endlich Supervision im Team!“(helfender Beruf)

Angehörige schildern, wie sie in der Auseinandersetzung mit der Borderline-Dynamik gewachsen sind: Mehr vom Wesen des Lebens verstehen, offener werden, sich mit sich selbst viel mehr auseinandersetzen. Dadurch sogar wieder mehr in ihre eigene Mitte finden. Dass man dank konstruktiver Konfliktfähigkeit wachsen, miteinander besondere Nähe und Vertrauen teilen kann. Wenn sich beide so unverstellt erleben, an und jenseits der eigenen Grenzen, kann das mit Vertrauen auch besondere Tiefe der Beziehung ermöglichen – bei aller Ambivalenz der Gefühle, die sich zwischendurch einstellen mag. Mir dämmert, es ist wichtig, dass wir alle beweglich bleiben. In BeWEGung bleiben…

Vielen habe nach dem anfänglichen Schock (der durchaus dauern kann) die Diagnose Borderline geholfen. Dabei, sich selbst und andere besser verstehen und akzeptieren zu können, sagen Betroffene wie Angehörige.

Nahe Beziehungen werden tiefergehend, wahre Freunde erkennbar, wenn sich alle Beteiligten auf den Weg machen. „Wer bei mir bleibt, den schätze ich besonders, bin loyal und ausdauernd. Gerade weil ich um die Schwierigkeit weiß, wenn sich andere abwenden“ Du musst es alleine tun! Und Du kannst es nur mit anderen schaffen!, heißt es sinngemäß. Und das gilt sicherlich für alle Beteiligten. Es geht eben darum, selbst loszugehen UND sich mit anderen zusammen auf den Weg zu machen. Sich einander zu zuMUTen UND miteinander neue Erfahrungen zu machen…

Mutig – oder normal?

Und dann die große Ausdauer, Leidens- und Überwindungsfähigkeit an sich. „Ich weiß, auch wenn es mir schlecht geht, ich schaffe das! Ich habe schon ganz anderes geschafft!“

Bewundernswert, die ausgeprägte Fähigkeit zur Reflexion ihrer selbst und der anderen. Von all denen, die sich auf den Weg gemacht haben. „Wir kehren in der Familie nicht mehr so viel untern Teppich, sondern sprechen uns aus und die Dinge an. Wir gehen mehr aufeinander zu und ein… auch wenn das manchmal nicht leicht ist, Zeit braucht oder auch die Unterstützung von Profis, die Familiengespräche begleiten, moderieren.“

So mutig, so verschmitzt, mit liebevoller Selbstironie, einer guten Portion unverwüstlichen Humors berichten manche aus ihrem Borderline-(WG-)Alltag…

Der große Mut sich zu outen, in der Arbeit, Familie, Freundeskreis. Und der Mut sich zu schützen, wo Stigmatisierung im (Arbeits-)Umfeld immer noch vorherrschend ist.

Erschütternd zu hören, dass immer noch viele Therapeuten die Arbeit mit Borderline-Klienten ablehnen. Aus Angst? Überforderung? Grundsätzlicher Ablehnung? Unwissenheit? Manch therapeutische Berichte null Ressourcen betonen.

Alle Beteiligten (Betroffene, Angehörige, Profis) heben hervor, was für wertvolle Menschen sie auf ihrem Weg kennengelernt haben, seitdem die Diagnose da ist. Es wird von „Miteinander“ und „großer Bereicherung“ gesprochen.

Alle anders gleich

Schließlich besteht Einigkeit: Charakterlich unterscheiden sich alle. Selbst, wenn die Diagnose die „gleiche“ ist und ähnliche, besondere Fähigkeiten hervor bringen mag. Schwarz-Weiß-Stereotypisierung greift nicht wirklich. Bekanntlich äußert sich Borderline in den unterschiedlichsten Ausprägungen und Stärken. Meist auch für eine Person selbst innerhalb ihres eigenen Lebensverlaufes.

Nichtsdestotrotz lassen sich bestimmte Fähigkeiten ausmachen, bei all denjenigen, die sich auf ihren Weg machen, mit Borderline ein glückliches Leben zu leben: Sensibel, einfühlsam, kreativ, häufig spontan, manchmal sprunghaft und zugleich doch so mancher ausdauernd, sehr mutig, Steh-auf-Qualität und Fähigkeit zur Resilienz (gesunde Widerstandskräfte stärkend). Über all die Momente und Krisen hinaus, in denen alles wackelt. Die Fähigkeit zu großer Freude an kleinen Dingen und die, den Dingen auf den Grund zu gehen. Menschen mit „Auffälligkeiten“ fühlen sich besonders angenommen.

Müsste das nicht ganz neue Forschungs-Fragen und –felder für die Neuro-Biologie eröffnen? Was passiert da mit den Synapsen-Verknüpfungen genau? Wie lässt sich dieses Wissen verantwortungsvoll für Gesundung und Heilung in der Therapie einsetzen?

Und ist nicht Marsha M. Linehan, die Begründerin der DBT, selbst der beste Beweis dafür, dass Heilung und Gesundung möglich sind!? 2011 berichtete die Professorin für Psychologie in einem Interview der New York Times von ihrer eigenen Geschichte als Borderline-Betroffene.[3]Und kann nicht dieses Miteinander-Unterwegs-Sein auch anderen helfen und sie bereichern?! So wie sich alleBeteiligten gegenseitig unterstützen, wenn sie sich im Trialog auf gleicher Augenhöhe füreinander öffnen! Was für ein Geschenk! Nur Mut! Und Danke, Borderline!

Silke Weigang, Beteiligte

Möge jeder Leser achtsam und wertschätzend mit diesen sehr persönlichen Erfahrungsberichten umgehen. Ich danke jedem, dass er mir selbst damit geholfen hat, das Leben an sich (mit und ohne Borderline) besser zu verstehen. Mögen diese Einblicke allen Mut machen, ihren Weg weiter mit Ausdauer zu beschreiten.


[1]Egal welche grammatikalische Form zum Einsatz kommt, immer sind Menschen in gleicher Wertigkeit gemeint (Frauen, Männer, Trans…)

[2]DBT = Dialektisch-Behaviorale Therapie (auch dialektische Verhaltenstherapie)

[3]Expert on Mental Illness Reveals Her Own Fight: https://www.nytimes.com/2011/06/23/health/23lives.htmlhttp://archive.nytimes.com/www.nytimes.com/2011/06/23/health/23lives.html

Das Buch der Stunde #2

Lesezeit: 6 minuten

Das Buch der Stunde #2

Morgen ist leider auch noch ein Tag von Tobi Katze


In dieser Kategorie stelle ich in loser Reihenfolge Bücher vor. Bücher, die es sich zu lesen lohnt; die mit den Themen auf diesem Blog zu tun haben; die mir geholfen haben, die bei mir etwas ausgelöst oder verändert haben.

Ich bin keine professionelle Buchkritikerin. Wie eine »gute/richtige« Rezension auszusehen hat, weiß ich nicht. Und darum geht es mir auch nicht. 

Mir geht es darum, ganz im Sinne des schönen Postkartenspruchs »Glück ist das einzige, was größer wird, wenn man es teilt« mit euch zu teilen, wenn ein Buch, ein Text, ein Autor es geschafft hat, mein Herz, mein Hirn oder im Idealfall sogar beides zu bereichern. 


Heute geht’s um »Morgen ist leider auch noch ein Tag – Irgendwie hatte ich von meiner Depression mehr erwartet« von Tobi Katze.

Eine Katze mit Depressionen

Immer wieder bin ich auf diesen Namen gestoßen: Tobi Katze. In diversen Zusammenhängen rund um psychische Gesundheit tauchte er immer wieder auf. Irgendwann bin ich neugierig geworden und habe mir mal angeschaut, wer dahinter steckt. Und siehe da, es ist ein Poetry Slammer, der ein Buch über Depressionen geschrieben hat. Schau mal einer an, das muss die Dommi natürlich lesen. Und hat sie dann nun endlich auch.

© TobiKatze, Foto: Sandra Limberg - sollena photography
© TobiKatze, Foto: Sandra Limberg – sollena photography

Aber erstmal noch kurz zum Autor: der Herr Katze ist nur ein paar Jahre älter als ich, geboren 1981. Man darf ihn wohl als Autor bezeichnen, denn er schreibt Kurzgeschichten, Essays, Gedichte und Drehbücher. Aber damit noch nicht genug: seit mehr als zehn Jahren tritt der gute auf Poetry-Slams und Lesebühnen auf. 2007 hat er den LesArt-Preis der jungen Literatur gewonnen und 2014 den Bielefelder Kabarettpreis für sein erstes Bühnenprogramm «rocknrollmitbuchstaben».

Wie ich bei meiner kleinen Recherche herausgefunden habe, ist sein Buch sogar ein Bestseller zum Bestseller geworden. Na das sind doch mal gute Nachrichten. Denn darin schreibt er nicht nur über die lustigen Seiten des Lebens, sondern vor allem auch über seine Erfahrungen mit Depressionen. Und das auf selbstironische, unterhaltsame und ehrliche Art und Weise.

Darum geht’s im Buch

Katze lässt die Leser quasi miterleben, wie die Depression sich in seinem Leben breit macht. Wie sie ihn abwechselnd auf die Couch und das Bett drückt, ihn in seiner Wohnung festnagelt und ihm den Alltag schwer macht. So wie auch mir damals ist dem Autor aber lange nicht klar, was genau dieses Etwas ist, was in daran hindert, ein normales, sein gewohntes Leben zu führen.

Wir versacken mit Katze, versuchen, Freunden und Bekannten aus dem Weg zu gehen, begleiten ihn zur Therapie, erleben hautnah den Kampf mit, vor den ihn die Krankheit jeden Tag aufs Neue stellt und auch wie sehr er mit der Einnahme von Medikamenten gegen seine Krankheit hadert.

Aber: der Humor kommt nie zu kurz. Katze schafft es, auch den dunkelsten Seiten der Depression etwas humorvolles abzugewinnen, ohne dem Thema die Ernsthaftigkeit zu nehmen. An vielen Stellen darf man es wohl als Galgenhumor beschreiben, was er da so an den Tag legt.

Bei den wöchentlichen Therapiesitzungen erleben wir mit, wie dieser Zustand einen Namen bekommt. Und hier und auch im Gespräch mit Freunden erleben wir mit, wie Katze sich seiner neuen Krankheit nähert. Welche Phasen er dabe mitmacht. Wie er damit umgeht.

Eine Situation, für die ich den Autor besonders feiern möchte, ist das Gespräch bei seiner Familie, als er sein „Coming-Out“ hat. Eltern und Schwestern reagieren alle mit einem unterschiedlichen Klischee, eines fast schlimmer als das andere. Aber Katze wehrt sich, setzt seinen Eltern entgegen, dass er weder faul noch schwach noch unfähig, sondern krank ist. Setzt nach, als sein Vater ihm Phrasen wie automatisch hinwirft. Versichert aber auch seiner Schwester, dass er das schon hinbekommen wird. Eine tolle Szene.

Die Depression und die Gummibärchen

Man erlebt im Buch bei Katze Phasen mit, die wohl viele Betroffene so oder so ähnlich kennen. Erst das Unwissen, dann die Abwehr, dann das Verstehen, das dran Arbeiten und irgendwann – hoffentlich – das Akzeptieren.

Beim Autor sitzt die Depression ihm irgendwann wie ein imaginärer Freund aus Kindheitstagen gegenüber. Und wie bei einer WG, in der nicht alles rund läuft, aus der aber keiner ausziehen will, geht es um das zukünftige Zusammenleben. Dass es so nicht weitergehen kann und wie es denn stattdessen weitergehen könnte. Dass dieses ständige gegeneinander ankämpfen doch irgendwie ganz schön anstrengend ist und es irgendwie nervt, wenn die Depression Tobi nie die Teller abspülen lassen will.

Katze schmeißt die Depression nicht hochkant raus, denn ihm ist klar, dass das so nicht funktionieren wird. Er ignoriert sie aber auch nicht, sondern schaut ihr ins Gesicht. Und findet seine ganz eigenen Mittel und Wege, mit ihr klarzukommen. Und wenn es auch nur heißt, der Depression die Gummibärchen zu kaufen, die sie so gar nicht mag.

Für wen ist dieses Buch?

Nun, aufgrund seiner lockeren und unterhaltsamen Art zu schreiben ist das Buch quasi für jeden geeignet. Besonders aber Betroffene werden hoffentlich Spaß daran haben, Tobi auf seinem Weg ein Stück zu begleiten. Denn am Ende macht es auch ganz schön Hoffnung, kann Mut geben.

Für Angehörige ist das Buch vor allem dann geeignet, wenn sie eher Angst oder Respekt vor dem Thema haben und davor, was es mit ihnen machen könnte. Das Buch bietet die Chance, sich mit Depressionen auseinanderzusetzen – und den Humor an seiner Seite zu wissen. Der einem auf schwierigeren Seiten zur Seite steht und einen weiterzieht.

Besonders die Beschreibung der Lähmung, der Schwere, der Isolation die Depressionen mit sich bringen können, ist Katze gut gelungen. Wie sehr diese Krankheit die Gedanken verdrehen und verdunkeln kann, so dass „gesunde“ Menschen es nur schwer nachvollziehen können. Mit diesem Buch gelingt das vielleicht ein wenig besser.


Ausschnitt

An dieser Stelle noch ein kleiner Ausschnitt aus dem Buch. Beim Lesen dieser Worte habe ich laut „Danke!“ gesagt, weil Katze mir so aus dem Herzen spricht. Und schmunzeln musste ich natürlich auch. Wie des öfteren, bei der Lektüre des Buches.

Hier befinden wir uns schon recht weit hinten im Buch, Tobi hat sich sozusagen an seine Depression gewöhnt, geht recht offen damit um ist offensichtlich nicht ganz zufrieden mit den Reaktionen, der er bekommt:

„Warum nicht?“, unterbreche ich sie. „Soll ich mich jetzt irgendwie schämen oder so was?“

„Ja nee, eigentlich nicht.“

„Nicht nur eigentlich nicht, sondern überhaupt nicht. Was machen die Leute immer für eine riesen Welle, wenn’s darum geht, dass man ein bisschen verrückt ist? Also, das man vielleicht nicht ganz so funktioniert, wie andere das tun? Ist das echt so beängstigend? Oder ist das Engstirnigkeit? Ich versteh’s nicht, wirklich. Ich versteh’s einfach nicht. Ich hab eine psychische Erkrankung. Kein ‚psychisches Problem‘, und ich bin auch nicht ‚zart besaitet‘ und keine ‚Mimose‘. Ich hab einfach eine Krankheit da, wo man eine Krankheit eben nicht sieht, sondern nur merkt. Und ich habe keinen Bock mehr auf irgendwelche Arschgeigen, die ungefragt auf mich zukommen und mir entweder verklickern wollen, dass eine Depression eigentlich keine Krankheit ist, sondern nur ein Ausdruck meiner eigenen Unfähigkeit oder Unlust, oder mir sagen, ich solle doch bitte woanders krank sein und nicht durch meine offensichtliche emotionale Einschränkung für Unwohlsein in der Bevölkerung sorgen oder gar den Betrieb aufhalten. Genauso wenig Bock habe ich auf Internetkommentare wie: ‚Ich will ja nichts sagen, aber früher hätte man so was wie dich ertränkt und gut.‘ Hab ich keinen Bock mehr drauf. Ich bin nicht mal sauer, ich bin einfach nur genervt. Mich macht das traurig. Sich ständig erklären zu müssen und behandelt zu werden, als würde man sich durchmogeln wollen – zum Kotzen ist das. Ich will auf die ganz sachliche Ansage ‚Ich habe eine Depression‘ einfach kein: ‚Ah, ich versteh schon, ich bin auch manchmal traurig. *Zwinker, zwinker*‘ hören. Und auch kein: ‚Wenn ich wegen einer Depression später oder gar nicht aufstehen muss – ich glaub, dann will ich auch Depressionen haben.‘ Das ist doch, als würdest du zu Wolfgang Schäuble sagen: ‚Na, wenn Sie sich mal nicht mit Absicht haben niederschießen lassen, damit Sie in der Oper nur die Hälfte zahlen, Sie Schlingel.‘ Ja, richtig, das wäre extrem daneben. Aber bei mir darf man das oder wie? Pfeif auf die hohe Suizidrate, weil die Depression alles auffrisst, was man irgendwie noch Leben nennen kann. Denn da sagt keiner: ‚Wow, wenn ich deshalb morgen nicht zur Arbeit muss – bring ich mich auch um.‘ Warum seid ihr Arschlöcher da nicht konsequent, hm? Versteh ich nicht, den Umgang, sorry. Ergibt einfach keinen Sinn für mich.“


Ich nehme einen langen, tiefen Schluck Alkoholfreies.


„Wollte ich mal gesagt haben“, schiebe ich hinterher.


„Ja, okay“, nuschelt Meret etwas kleinlaut. „Das ist verständlich. So hab ich – das noch nie gesehen.“


„Und das ist auch voll okay, das noch nie so gesehen zu haben. Aber man kann sich ja einfach mal ändern.“

Tobi Katze – Morgen ist leider auch noch ein Tag, S. 216-217

Coverfoto Tobi Katze – Morgen ist leider auch noch ein Tag | by Rowohlt

»Morgen ist leider auch noch ein Tag – Irgendwie hatte ich von meiner Depression mehr erwartet«

von Tobi Katze

Verlag:  rororo

Erscheinungstermin:  25.09.2015

256 Seiten

ISBN:  978-3-499-62927-3

Originalausgabe

EUR 18,90 € [DE], EUR 19,50 € [A]

Meine Meinung wurde weder vom Verlag angefragt, gekauft oder beeinflusst – ihr lest einfach was ich über dieses Buch denke und wie ich fühle. 

Ein Ründli durch die Schweiz

Lesezeit: 7 minuten

Ein Ründli durch die Schweiz

An dieser Stelle nach längerer Zeit mal wieder ein Artikel, der eher die TRAVELING-Seite dieses Blogs im Mittelpunkt hat. Aber natürlich geht es trotzdem (auch) um Borderline. Es geht in die Schweiz, wo der beste Lasse der Welt und ich im Herbst 2018 einen Roadtrip gemacht haben. Wie das meinem Kopf gefallen hat, warum dieser Urlaub mich stolz gemacht hat – und warum ich gerne Schweizerin werden möchte, wenn ich groß bin.


Ich bin verliebt! Ja, natürlich auch in meinen Schatz. Aber auch ein wenig oder besser gesagt ein wenig mehr in die Schweiz. Es war nicht mein erster Besuch in diesem kleinen, spannenden Land. Aber bisher haben sich meine Aufenthalte auf Graubünden beschränkt und standen dank meiner lieben Freundin Laura sowieso schon unter den besten aller Vorzeichen. Dieses Mal ging es auch über Graubünden hinaus. Hinein ins Herz der Schweiz und hinauf auf ihre unzähligen Gipfel.

Willkommen an Bord, Mr. Gordon

Wer mich kennt, der weiß dass jedes Gefährt, mit dem ich es länger zu tun habe, ziemlich bald einen Namen verpasst bekommt. Ob zwei oder vier Räder, Rad oder Auto. Und in diesem Fall war unser Begleiter nun nochmal ein wenig extra besonders. Wir hatten nämlich das große Vergnügen, in einem Wohnmobil der Firma sunlight unterwegs sein zu dürfen. Und wenn ich sage Wohnmobil, dann meine ich eines von diesen richtig großen. Mehr tiny house als Auto. Und alles an Bord, was das Herz begehrt: Schlafplätze für vier, Stauraum en masse, Dusche, Klo, Licht für jede Lage und Stimmung, eine Küche mit einem größeren Kühlschrank als der zuhause. 

Am Ende hatten wir ziemlich genau 1000 km auf der Uhr. Sind auf Berge, über spannende Passstraßen und durch wunderschöne Täler gefahren. Man könnte sagen, Mr. Gordon war der ideal Begleiter für uns. Was für eine Wohltat, nach einer langen Wanderung bei hohen Temperaturen mal eben schnell auf dem Parkplatz duschen zu können. Was ein Geschenk, dort bleiben zu können wo die Aussichten am schönsten sind und man umgeben von Bergen einschläft und mit einem traumhaften Panoramablick aufwacht. Was ein Luxus, in kalten Nächten und bei Regen zum Pipi machen nicht nach draußen gehen zu müssen. Was für ein Wahnsinn, dass wir so viel Platz hatten, dass wir es uns beide immer bequem machen und dabei noch aus verschiedenen Positionen auswählen konnten. Wie wunderbar so ein rollendes Zuhause doch ist!

Leider hat Mr. Gordon uns nach diesen sieben Tagen wieder verlassen, wir uns von ihm verabschieden müssen. Aber das so ein Teil irgendwann mal richtig zu uns gehört, ist klar. Jetzt aber genug der Autoschwärmerei – tut mir Leid, ich finde Wohnmobile einfach mega – und weiter zum nächsten Schwarm: der Schweiz. 

Schweizer Überraschung

„So viel Wasser!“ haben wir mir immer und immer wieder bei unserem kleinen Roadtrip durch dieses kleine Land gesagt. Da denkt man, man hat eine Vorstellung vom eigenen Nachbarstaat und merkt dann ganz schnell, dass man quasi nichts über die Schweiz wusste. Wie bunt sie ist, wie abwechslungsreich, wie viele Seen es dort gibt, wie schön so manches Dorf, so manche Stadt ist, wie sehr die Kantone sich unterscheiden – landschaftlich, kulturell, sprachlich. 

Und dann ja noch die Schweizer an sich! Ich konnte ja nicht ahnen, dass meine Neuseeland-Freundin Laura mit ihrer umwerfenden Nettigkeit keine Ausnahme, sondern mehr die Regel ist. Wie herzlich wir begrüßt wurden, wie sehr wir angestrahlt wurden, mit welcher Freude man uns begegnet ist, wie offen wir empfangen wurden! Das habe ich bei meinen vielen Bergabenteuern bisher selten so erlebt. Und hat mich irgendwann zur Aussage bewegt „Wenn ich groß bin, möchte ich Schweizerin werden“. Ob das klappt – das mit dem groß werden wohl nicht mehr, das andere schauen wir mal – sei dahin gestellt. Dass ich mich seit dem Urlaub aber immer wieder an diese unfassbar netten Begegnungen zurück und mich damit selbst dran erinnere, die kleine Schweizerin in mir drin öfter mal raus zu lassen, das steht fest. 

Ansonsten war es wohl ein klassischer Dommi-Urlaub – und Lasse hat Gott sei Dank einfach mitgemacht. Wir waren wandern und bergsteigen, haben gelesen und relaxed, standen an Seeufern und Waldrändern, hatten Traumpanoramen und Monster-Ausblicke, waren laufen (Lasses erster Trailrun!) und essen, haben entdeckt und gestaunt, sind durch Städte gebummelt und haben es uns einfach mal so richtig gut gehen lassen. Die Handys wurden praktisch nur zum Fotografieren rausgeholt, der – warum auch immer – mitgenommene Rechner kein einziges Mal aufgeklappt. 

Alte Liebe, neue Dommi

Alles wie immer also? Ganz normales Dommi-Programm? Nun irgendwie ja – aber irgendwie auch nicht. Eher Dommi 2.0-Programm. Denn es war wohl der erste Urlaub dieser Art, ohne vieles, was früher immer mitgereist ist: Alkohol, Dunkelheit, Müsste-Denken, ignorieren von Bedürfnissen, Schuldgefühlen, Minderwertigkeitsgedanken, Ablenkung. Ich habe geschafft das, was ich inzwischen im Alltag recht gut schaffe, auch mit in den Urlaub zu nehmen. 

Meine Struktur – ja, auch im Urlaub stand jeden Tag Morgenroutine an – war mit dabei. Genau so wie Selbstfürsorge, Ruhe und mein Antidepressiva. Gucken und spüren, was ich brauche, wonach mir ist. Das dann kommunizieren und glücklicherweise einen Mann an meiner Seite haben, der viele Bedürfnisse teilt, so einiges sehr ähnlich erlebt und empfindet, der Rücksicht nimmt. Dadurch haben wir es geschafft, dass wir trotz der Kürze des Urlaubs deutlich erholter zurück in den Alltag gestartet sind. Weil wir uns keinen Druck gemacht haben, weil wir auf uns gehört haben, weil wir auf unsere Körper und Köpfe geachtet haben. 

Früher wurde all das von mir übertönt. Ich hatte so zu sein, wie ich selber von mir erwartete auf Grund der Überzeugung, dass andere mich genau so erwarteten. Hatte offen, extrovertiert, entspannt, lustig und eine dauerhafte Partylöwin zu sein. Auch wenn wohl eigentlich eher Kuschelkatze vorm Kamin angesagt gewesen wäre. Das wurde aber plattgebügelt von meinem mich dauerhaft niedermachenden Kopf, dem ich bloß nicht zuhören wollte. Und war nur allzu dankbar wenn Mr. A. mir half, die Situation irgendwie in den Griff zu bekommen.

Ich weiß nicht, welche Version von mir dabei eine gute Zeit hatte. Am ehesten wohl meine drei kranken Begleiter, die Borderline, die Abhängigkeit und die Depression. Denn denen ging es ja gut, die hatten ihren Spaß. Heute finden die meine Urlaube, mein Reisen und wohl mein Leben generell nicht mehr annähernd so lustig. Dauernd müssen die in ihrem Zimmer bleiben. Bekommen ab und zu etwas liebevolle Zuwendung, womit sie gar nicht umgehen können und Mr. A. hat seit über einem Jahr niemand mehr zu Gesicht bekommen. 

Eine neue Art des Reisens

Damit will ich nicht sagen, dass meine bisherigen Reisen schlecht oder falsch waren. Ob Neuseeland oder Asien, Kroatien oder Schweden – auch hier waren viele tolle Momente dabei, habe ich atemberaubend schöne Landschaften gesehen, wunderbare Begegnungen gehabt und die Zeit und die Menschen um mich herum genossen. Nur der Beigeschmack war ein anderer. Leider oft eher bitter. Denn im Hintergrund hat immer etwas gelauert, etwas auf mich gewartet um mich zu sich in die Dunkelheit zu ziehen. Und so viel der Alkohol mir erst möglich gemacht hat, so sehr hat er sich auch eingemischt, fortgespült und zerstört.

Heute, nach Jahren der Fortschritte und Rückschläge, des Fehlermachens und draus lernens merke ich, wie auch das Reisen sich für mich verändert. Dass ich meine Reiselust, mein Fernweh inzwischen ebenso genießen kann wie das Laufen oder die Ruhe. 

Ich bin immer gerne gereist, war neugierig, wollte am liebsten die ganze Welt sehen. Aber während meiner „dunklen“ Jahre war da auch eine gute Portion Ablenkung, Weglaufen dabei. Zuhause dreht man sich ja doch immer in den selben Kreisen. Von dort wegzugehen bedeutet wenigstens, dass sich die Kreise mal ein wenig in der Farbe und der Form ändern. Neue Reize, mit denen sich das Gehirn dann doch bitte lieber beschäftigen soll als mit den immer gleichen Gedanken. 

Aber bei jeder Reise habe ich wieder gemerkt, dass das alles mitkommt. Das die Kreise vielleicht anders aussehen, sie aber am Ende immer wieder in die gleiche Dunkelheit führen. Seit ich diesem Teil von mir den Kampf angesagt, gelernt habe, ihm ins Gesicht zu schauen, hat er sich immer weiter in die Ecke verkrümelt, im Alltag kaum noch eine Rolle gespielt.

Anders sah das immer noch auf Reisen aus. Alte Unsicherheiten, Muster, Ängste kamen ganz schnell wieder. Haben die Chance und dass ich ohne meine gewohnte Umgebung, meine vertrauten Werkzeuge abgelenkt und verwundbar war, genutzt und mich gepackt. Was bedeutete, dass ich an den schönsten Orten der Welt sein und es trotzdem nicht genießen konnte. Weil ich nie richtig war, weil ich immer etwas falsch machte. Weil ich nie gut genug war, nicht den Erwartungen entsprach, die dieser Teil von mir hatte. 

Willkommen daheim

Im Urlaub konnten meine dunklen Begleiter also oft Fahrt aufnehmen, Anlauf holen. Was dazu führte dass, zurück im Alltag, sie mich überwältigt haben und direkt in eine Krise warfen. Unzufriedenheit mit allem – wieder zurück zu sein, wieder in den alten Kreisen, die Tage unterwegs nicht „idealst“ genutzt zu haben. Selbstvorwürfe, die zum Schweigen gebracht werden wollten. Woraufhin ich mich auf dem Weg ins Loch machte, um da irgendwie rauszukommen. 

Nun reise ich also anders, und so ist auch das nach-Hause-Kommen anders. Da ich viel mehr bei mir, viel mehr im Moment (ja, Achtsamkeit), wirklich anwesend bin, meine Sinne nicht durch eine flüssige Wand aus Alkohol verzerrt werden, können sich die Tage, Anblicke, Erlebnisse, Momente viel besser einprägen. Es zählt einfach nur der Ort, an dem ich gerade bin. Und so habe ich danach nicht mehr das Gefühl, etwas verpasst, sondern einfach schöne Erinnerungen gewonnen zu haben – die Mr. A. mir nicht wieder wegnehmen kann. 

Und wenn da nach einer Reise Gedanken und Gefühle von Wehmut, von Trennungsschmerz kommen, dann ist das auch ok. Denn eigentlich zeigt es nur, dass es eine tolle Zeit, ein toller Ort war den ich verlasse. Und dann bekommt auch diese Gedanken und Gefühle von mir Raum und Platz und Aufmerksamkeit. Werden gesehen, geteilt – woraufhin es ihnen gleich viel besser geht und sie aufhören zu brüllen und zu schreien. 

Und natürlich hilft es mir auch, dass es mittlerweile quasi immer etwas rund um meine Mission, rund um TtB gibt, auf dass ich mich freuen kann. Termine, Veranstaltungen, Treffen, Pläne, Ideen. Zu so etwas zurückkehren zu dürfen hat kaum noch etwas gemein mit dem, was früher alltäglich für mich war. 

Danke, Schweiz

So nehme ich aus diesem Urlaub also nicht nur mit, dass die Schweiz ein großartiges, wunderschönes Land ist in dem noch viele, viele Berge und Touren darauf warten, von mir entdeckt zu werden. Dass ich die Schweizer Freundlichkeit kennenlernen dürfte habe. Darin bestätigt worden bin, dass mein Traum nicht ein eigenes Haus, sondern ein eigenes Wohnmobil ist. Dass ich mal wieder gesehen habe, dass ich auch am Steuer eines 7-Meter langen Gefährtes eine gute Autofahrerin bin. Oder dass ich ein Händchen zu haben scheine für tolle Stellplätze, schöne Flecken Erde, wunderbare Touren und genau die richtige Hütte.

Sondern ich nehme auch mit, dass Reisen für mich auch nach unserer bisher vielleicht etwas komplizierten und teilweise vermurksten Beziehung wohl noch lange eine der besten Dinge bleiben wird, die man mit seiner Lebenszeit anstellen kann.

Danke, 2018 – Auf ein Neues, 2019!

Lesezeit: 8 minuten

Danke, 2018 – Auf ein Neues, 2019!

Was ein Jahr! Also, das gilt wohl für beide. Bei 2018 weiß ich, dass es turbulent, aufregend, schön und interessant war. Und im Moment sieht es so aus, als würde sich daran 2019 nicht viel ändern. Was los war, was kommt und wie der Jahreswechsel für TtB war


Danke, 2018!

Ich kann nicht anders, als mich in aller Ausführlichkeit bei dem Jahr 2018 zu bedanken. Bei wem genau ich damit Danke sage ist mir selber nicht so ganz klar. Also, mir selber kann ich auf jeden Fall Danke sagen, meinem Kopf, meiner Recovery, meiner Disziplin, meinem Durchhaltevermögen, meiner Motivation, meinem Körper, meiner Yogamatte, meinem Rechner. Und natürlich bedanke ich mich bei den Menschen um mich herum, die dieses Jahr so wunderbar gemacht haben. Meinen Freunden, meiner Familie, meinen Partnern, Unterstützern, Lesern, Zuhörern und Followern.

Aber da ist noch was größeres, bei dem ich mich bedanken sagen möchte. Karma? Schicksal? Leben? Irgendetwas hat dafür gesorgt, dass sich 2018 ganz schön viel ganz schön gut entwickelt hat. Das hat mittlerweile dazu geführt, dass ich mich mehr und mehr in das Vertrauen setzen kann, das alles genau so kommen wird, wie es kommen soll. Dass mich das Leben schon zur rechten Zeit an den rechten Ort bringt. Mir die richtigen Leute schickt und mich die richtigen Entscheidungen fällen lässt. Aber dieses Vertrauen funktioniert ja irgendwie nicht ohne mich. Also doch einfach „Danke, Dommi“? Da muss ich nochmal drüber nachdenken.

2018 und ich

Solange das in mir arbeitet möchte ich gerne einen kleinen Blick zurück werfen. Was war los in diesen zwölf Monaten, die sich 2018 nennen?

Und hier darf, kann und muss ganz vorne stehen, dass 2018 das Jahr war, in dem ich aus voller Überzeugung, eigener Kraft, festem Willen und sogar ein bisschen Spaß daran KEINEN SCHLUCK GETRUNKEN HABE. Einige von euch haben den „One-Year-Sober“-Post wahrscheinlich gesehen, den ich Anfang diesen Jahres gepostet habe. Das Gefühl, diesen Post machen zu können, weil ich es geschafft habe, war fast so schön wie all die tollen, unterstützenden, mitfeiernden Kommentare.

2018 war aber auch das Jahr, in dem Lasse und ich zusammengezogen sind. Und auch hier hat sich gezeigt: das Warten hat sich gelohnt. Denn auch wenn wir im Prozess oft geflucht und am Münchner Mietmarkt geradezu verzweifelt sind sitzen wir heute in der wohl schönsten Wohnung, die wir uns momentan vorstellen – und leisten – können. Und sind jeden Tag dankbar dafür.

Ich habe den Marathon in Paris gefinisht, auch wenn es absolut nicht mein Tag war. Bin komplett in die Selbstständigkeit gewechselt, habe den doppelten Sicherheitsboden des Gastro-Jobs hinter mir gelassen. Im Frühjahr habe ich mein Fernstudium zur Social Media-Referentin abgeschlossen, war Trauzeugin und dürfte den München Marathon aus einer ganz neuen, tollen Perspektive erleben. Habe zwei Menschen zu neuen Lauf-Höchstleistungen verholfen und das Medikament gefunden, was mir am besten gegen die Depressionen hilft.

Meine Mission hat mich quer durch Europa geführt – ich war in Ljubljana (Slowenien), Athen (Griechenland), Vilnius (Litauen), Berlin, Split (Kroatien), Utrecht (Niederlande) und Brüssel (Belgien) – privat kommen noch Paris, London, Südtirol und einige Berge dazu (ihr seht, das Reisen, der *travel* Teil dieser Seite kommt weiterhin nicht zu kurz).

Meine Mission und ich standen auf Bühnen und Podien, vor Schulklassen und Polizisten. Waren im Fernsehen und im Podcast, in Zeitungen und Artikeln. Und ein ganz besonderer und wohl auch ein ganz besonders wichtiger war der Moment, als ich meinen Buchvertrag unterzeichnete. Und so ist 2018 auch zu dem Jahr geworden, in dem ich mein erstes (?) Buch geschrieben habe – Ende Dezember stand die Rohfassung.

2018 und Traveling | the | Borderline

Aber mir fast noch wichtiger ist die Tatsache, wie Traveling | the | Borderline gewachsen ist. Wie sehr Lasse inzwischen Teil dieses Projekts, meiner Mission geworden ist. Und als wir dann im Mai 2018 auf Marcel getroffen sind, kann man das wohl auch nur als Schicksal oder Glücksfall bezeichnen. Es ist also auch das Jahr, in dem TtB von der One-Woman-Show zur Drei-Partner-Unternehmung geworden ist. In dem wir gemeinsam ein ganz schön großes Projekt umgesetzt haben: die #TUM4MIND, bei der wir mehrere Tausend Menschen erreicht haben.

Wir drei haben uns als TtB in den letzten Wochen und Monaten immer mehr gefunden. Haben immer mehr gemerkt, was uns wichtig ist, wo die Reise hingehen soll. Haben gelernt, was uns Spaß macht, wo unsere Stärken liegen. Und vor allem auch, wo der Bedarf ist und was gut funktioniert. TtB ist keine Beratungsstelle, wir sind keine Therapeuten, bieten keine Einzelfallunterstützung oder können Therapieplätze vermitteln. Was wir machen ist ganz klar Aufklärungsarbeit. Wir sind quasi eine PR-Agentur für psychische Gesundheit. Uns geht es darum, dass mehr und besser und anders und früher über Mental Health geredet wird. Und wir wollen zeigen, dass es auch Spaß machen kann sich mit seinem eigenen Kopf zu beschäftigen.

Deswegen gibt es inzwischen auch einen Shop – den der ein oder andere von euch vielleicht schon gesehen hat. Wir wollen unsere Botschaften raus in die Welt bringen. Wollen erreichen, dass es „normal“ ist, über Therapie, Depression und die eigenen Bewältigungsstrategien mit Stress zu reden. Die Einnahmen aus dem Shop gehen zu 100% wieder zurück in TtB und helfen uns dabei, weiter zu machen. Also, schaut gerne mal rein – es gibt Organic Tops, Shirts, Longsleeves, Hoodies aber auch Taschen und Tassen. Und natürlich freuen wir uns auf euer Feedback, Reaktionen, Vorschläge, Wünsche und Kritik zum Shop.

Dass sich TtB verändert hat sieht man auch am neuen Look der Seite, den wir uns zum Jahreswechsel gegönnt haben. Nach über drei Jahren und so viel Veränderung hat sich das alte Design einfach nicht mehr ganz stimmig angefühlt. Es wird noch ein bisschen dauern, bis alles umgestellt ist und wir haben noch so einiges vor mit der Seite, ihr dürft also gespannt bleiben.

Let’s do this, 2019!

Und mit #TUM4MIND starten wir auch ins neue Jahr. Aber nicht nur damit. Wir haben viele Ideen und Pläne, im Moment geht es darum, all diese zu reduzieren und einen Fokus zu setzen. Was klar ist, ist das weiterhin eher junge Menschen unsere Hauptzielgruppe darstellen – ohne aber irgendeine Altersgruppe komplett auszuschließen. Wir sind aber eben der Überzeugung, dass „je früher desto besser“.

Das wiederum gilt auch für den Fokus, den wir auf Prävention lege. Auf Früherkennung, auf Information und Aufklärung. Damit so manch Krankheit gar nicht erst ausbricht, manch Verlauf positiv beeinflusst werden kann und manch Leben gerettet werden kann.

Neben einer Neuauflage von #TUM4MIND – die vielleicht zu #MUC4MIND wird, da wir gerne auch an andere Universitäten gehen möchten – steht weiterhin im Vordergrund, Räume zu schaffen, bei denen über Mental Health geredet werden kann, aber nicht muss. Ob an Unis, vor Baumärkten, an Schulen, auf dem Marienplatz oder an Orten, die wir heute noch gar nicht auf dem Schirm haben.

Damit ihr mal so wisst, wovon wir nachts träumen: ein eigenes Mental Health Mobil, mit dem wir durch die Lande fahren und unsere Botschaften raushauen können, ist so ein Lottogewinn-Traum. Ebenso wie ein eigenes Café nach dem Vorbild von Sip of Hope in Chicago. Wenn wir uns was wünschen dürften wären das flächendeckende Maßnahmen an allen Schulen und Unis, eine bessere Versorgungssituation, weniger Stigma, Manuale für Arbeitgeber, Schulungen für Journalisten, regelmäßige (Lauf-)Events, Flashmobs, Poetry Slams – alles, was die psychische Gesundheit raus aus der Tabuecke und rein in die Mitte der Gesellschaft holt.

Das steht an

Nun, wenn auch vieles noch offen ist so gibt es doch schon ein paar Termine und Aktionen, die bereits jetzt feststehen. Da wäre zum Beispiel:

Januar bis März: „Ich fühl mit mir – Achtsamkeit für alle“. Ein Kurs zum Thema Mindfulness Self Compassion, den ich gemeinsam mit der Psychotherapeutin Eva-Maria Kerp im Café Bla gebe.

Im März erscheint dann auch mein Buch – beim Scorpio-Verlag. Ja, es ist aufregend und spannend und macht mich ein bisschen kribbelig und nervös. Man kann es auch schon vorbestellen. Der Titel lautet „Warum normal sein gar nicht so normal ist – und warum reden hilft“. Hier zum Beispiel bei amazon, auch wenn man das ja eigentlich nicht unterstützen soll … 

Eher für mich persönlich wichtig wartet dann im April mein dritter Marathon auf mich, diesmal in Zürich. Vielleicht knacke ich ja dieses Mal die magische 4:00:00-Marke

Anfang Mai seid ihr dann wieder gefragt: wir laufen wieder beim Wings For Life World Run mit. Das ist ein Lauf, bei dem 1. alle Einnahmen komplett an die Rückenmarksforschung gehen. Und bei dem 2. jeder so weit läuft, wie er kann und will – bis ihn dann das Catcher Car einfängt. Das fährt eine halbe Stunde nach dem Start los, wird immer schneller und sobald es einen überholt hat ist man quasi raus. Der Lauf findet an vielen Orten auf der Welt parallel statt. Man läuft also quasi mit Menschen rund um den Erdball gemeinsam. Ein richtig großer Spaß, den wir letztes Jahr schon mitgemacht haben. Wenn ihr Lust habt, dieses Mal als Teil von TtB zu laufen, dann könnt ihr hier unserem Team beitreten.

Ebenfalls im Mai, nämlich am 21. und am 28. Mai werde ich dann das erste Mal für die vhs tätig wo ich unter dem Titel „Was ist schon normal?“ zwei Vorträge halten werde.

Anfang Juni findet dann hoffentlich die erste #TUM4MIND des Jahres statt, das wird sich wohl in den nächsten Tagen herausstellen.

Dann wird es erstmal ein wenig ruhiger, bevor dann im September, genauer gesagt am 10. September, dem Welttag der Suizidprävention, dann weiter geht. Wir wissen noch nicht genau, was wir an diesem Tag machen werden, aber DASS wir was machen werden, steht fest.

Ebenso wie am 10. Oktober, dem Welttag der seelischen Gesundheit, wo wir wieder mit ZehnZehn kooperieren werden.

Im Oktober findet dann auch die Müncher Woche der seelischen Gesundheit (8. bis 18. Oktober) statt, ich werde in Köln bei der Eckhard-Busch-Stiftung erwartet und hoffentlich befinden wir uns dann schon in den Vorbereitungen für #TUM4MIND Nummer 3 oder auch #MUC4MIND Nummer 1.

Wenn es nach uns geht darf der Kalender natürlich noch viel voller werden. Und irgendwas sagt mir, dass er das auch werden wird. Aber so habt ihr schon Mal ein bisschen einen Eindruck, wohin die Reise geht.

Wir brauchen euch!

Absolut klar ist: ganz alleine schaffen wir das alles nicht. Wir brauchen euch und viele Menschen da draußen, die noch nie von uns gehört haben. Ob ihr uns einfach nur in Gedanken unterstützt, uns weiter empfehlt, zu einer Veranstaltung kommt, ein T-Shirt kauft, für uns spendet – geht noch nicht, aber bald –, ob ihr uns Investoren oder interessante Menschen vorstellt.

Wir sind gerade dabei, immer mehr Partner und Unterstützter um uns herum zu versammeln. Natürlich auch, aber nicht nur wegen der Finanzierung. Uns ist auch wichtig, die einzelnen Seiten, Organisationen und Stakeholder besser zu vernetzen. Selbst in einer kleinen Stadt wie München wissen viele gar nicht, was es eigentlich alles an tollen Sachen gibt. Und es geht uns darum, von euch, unseren „Kunden“ zu erfahren, was ihr braucht, ihr euch wünscht, euch fehlt, wir machen können und sollen.

Mit dem Selbsthilfe Zentrum München (SHZ) und dem Münchner Bündnis gegen Depression haben wir schon zwei tolle Partner im Boot. Darüber hinaus sind wir in Gesprächen mit der Social Entrepeneurship Academy  und der Beisheim Stiftung. Auch über München hinaus haben wir mit dem Aktionsbündnis Seelische Gesundheit, den Freunden fürs Leben e.V. und natürlich Mental Health Europe bereits wertvolle Kontakte gewonnen. Auch die Krankenkassen, der Bezirk und die Stadt München sind natürlich potentiell interessant für uns, bzw. wir für sie, da sie am Ende auch von psychisch gesünderen Menschen profitieren.

„Sicher ist nur, dass nichts sicher ist“

Das war in etwa das, was ich gesagt habe, wenn Leute mich nach meinen Plänen für das nächste Jahr gefragt haben. Ich kann einfach nicht sagen, was 2019 bringen wird, habe aber ein verdammt gutes Gefühl. Ich freue mich, schon bis in den Herbst hinein tolle Termine im Kalender stehen zu haben, freue mich auf die Motivation bei und hinter TtB und darauf, mit den beiden Jungs noch viel mehr Vorhaben umzusetzen.

Vor kurzem wurde ich gefragt, wo auf einer Skala von 1 bis 10 ich mich bei der Frage sehe, wie glücklich ich momentan bin. Und die Antwort, die mich selbst überrascht hat, war: bei 9. Bei einer riesigen, tollen, glatten und satten 9. Ich war selbst erstaunt und weiß auch, was mir noch zur 10 fehlt und auch, dass ich da was dran ändern kann (für die Neugierigen: ich würde mir gern weniger Gedanken über das Thema Geld machen müssen).

Diese Erkenntnis hat mich selber ganz schön umgehauen. Und mir mal wieder gezeigt, dass ich wohl irgendwie auf einem guten Weg bin. Schon seit einiger Zeit sagen Menschen zu mir, wie toll sie es finden, dass ich aus „meiner größten Schwäche nun meine größte Stärke mache“. Lange hab ich das einfach nur so hingenommen, langsam dämmert mir aber, dass da was dran ist. Und dass das nicht selbstverständlich ist. Und dass ich auch dafür ganz schön dankbar bin.

Vor allem ist mir wichtig, dass ich mich nicht als „Borderlinerin“ oder „Betroffene“ identifiziere, sondern dass das Teile von mehr, von mir sind. Dass ich heute aus vollem Herzen sagen kann, ich bin vollberufliche Mental Health Advocate, was die beiden Begriffe mit einschließt, mich aber nicht darauf reduziert. Denn ich bin einiges mehr als nur das: ich bin RecoveryRockStar, Autorin, Freundin, Tochter, Schwester, Läuferin, Bergziege, PizzaQueen, Yogini, Bloggerin, Achtsamkeits- und MeditationsFan, Rampensau, Rednerin, Bachelorine, Reisende, Social Media Referentin, Leserin – und eben auch Borderlinerin, Depressionistin, Abhängige und Expertin. Und noch einiges mehr, was ich jetzt hier vergessen, ihr aber gerne im Kopf ergänzen dürft.

Und für einiges davon darf ich „Danke, Dommi“ sagen – für anderes „Danke, Leben“, „Danke, Schicksal“, „Danke, Zeit“, „Danke, Menschen“. Am Ende zählt wohl vor allem, dass ich all das heute wahnsinnig zu schätzen weiß, es jeden Tag aufs neue genieße, weil ich weiß, das alles ganz schnell wieder ganz anders aussehen kann. Aber nicht heute, nicht hier – und vielleicht auch dieses ganze Jahr 2019 nicht.

#TUM4MIND – ein Resümee

Lesezeit: 6 minuten

#TUM4MIND – ein Resümee

Die Aktionstage Mental Health liegen hinter uns. Vom 5. bis 9. November fanden unter dem Namen #TUM4MIND Aktionen rund um das Thema psychische Gesundheit an der TUM statt. Wie es dazu kam, wie es war und wie es weitergeht.


Wie entstand die Idee zu #TUM4MIND?

Ausgangspunkt der Projektwoche war eine von der TUM: Junge Akademie veranstaltete Podiumsdiskussion im Mai 2018. Das Thema: Stress und Depression im Studium. Die rege Teilnahme sowie die entstandene Diskussion über psychische Gesundheit hat aufgezeigt, wie wichtig das Thema auch – oder gerade – an der Technischen Universität München (TUM) ist.

Auftritt: Marcel Bischofberger und Dominique de Marné. Im Mai war der Eine vorne auf dem Podium, die Andere hinten im Publikum. Bei einem Feedback-Telefonat zur Veranstaltung haben die beiden festgestellt, wie sehr Ihnen das Thema am Herzen liegt. Und vor allem, etwas am Umgang mit psychischer Gesundheit zu verändern. Es dauerte nicht lange und die Idee zu einer Aktionswoche war geboren.

Die beiden – inzwischen – ehemalige Studierende trugen Ihre Idee an Peter Finger von der TUM: Junge Akademie heran. Ohne Zögern sicherte dieser seine Unterstützung zu – und ließ seinen Worten in den nächsten Monaten Taten folgen. Die Fakultät für Medizin konnte als Partner sowie ihr Dekan Prof. Dr. Peter Henningsen als Schirmherr gewonnen werden. Ein Zeitraum war bald festgelegt, Ideen gab es genug und bald stieß Lasse Münstermann als Externer sowie Béatrice Zahn von der TU mit zum Organisationsteam.

Was ist das Ziel von #TUM4MIND?

Das Ziel der Initiatoren ist es, eine Awareness für das Thema Mental Health zu schaffen. Mit all seinen Facetten. Die Besucher für Stress, Depressionen, Angst- und Suchterkrankungen sowie psychische Probleme im Generellen zu sensibilisieren. Es geht darum, aufzuklären, zu informieren, Mut zu machen, Hoffnung zu geben und Gespräche anzuregen. Dabei richtet sich die Aktionswoche neben Studierenden und Mitarbeitern der TUM an alle Münchner Bürger*Innen.

Wo kann ich mich als Student hinwenden? Welche Angebote gibt es an der Universität? Und darüber hinaus? Wie fühlt es sich an, psychisch krank zu sein? Wie kann ich einem Angehörigen helfen? Was kann ich tun, um psychisch gesund zu bleiben?

Gleichzeitig war den Veranstaltern wichtig, das Thema nicht schwer und trocken rüberzubringen. Sondern den Besuchern einen leichten Zugang zu ermöglichen. Die verschiedenen Angebote waren sehr niederschwellig und vielfältig.

Wie sah das Programm von #TUM4MIND aus?

 Eröffnung

Am 5. November starteten die Aktionstage mit der Eröffnung zur Ausstellung Mental Health mal anders los. Prof. Dr. med. Pascal Berberat von der Fakultät für Medizin sprach ein paar einleitende und auch persönliche Worte, ebenso wie Peter Finger sowie die beiden Initiatoren und Lasse Münstermann von Traveling | the | Borderline.

 Ausstellung

Anschließend ging es gemeinsam zu einem Rundgang durch die Ausstellung. Bei dieser wurden 14 Instagram-Accounts vorgestellt, die sich mit dem Thema Mental Health beschäftigen. Eine Mischung aus nationalen und internationalen, Einzel- sowie Organisationsaccounts geben einen Einblick, wie kreativ und mutig online teilweise mit dem Thema umgegangen wird. Die Ausstellung fand im Erdgeschoss der TUM in der Arcisstraße statt. Gedruckt auf selbst-haftende Folien, die wiederum auf den Schaukästen verschiedener Fakultäten und TUM-Abteilungen angebracht waren.

 Fragestunde

Am selben Tag abends fand im Lost Weekend Café in der Schellingstraße eine offene Begegnungs- und Fragestunde unter dem Titel Frag was statt. Betroffene mit Depression und Borderline stellen sich den Fragen des Publikums und teilten ihre Erfahrungen.

 Begegnungscafé

Tags darauf fand die Veranstaltung mit der wohl größten „Teilnehmerzahl“ der Woche statt: das Coffee2Talk. In der Immatrikulationshalle der TUM, mit der lebendigste Ort auf dem Gelände, wurde für vier Stunden eine mobile Kaffeebar aufgebaut. An dieser konnten sich die Besucher – gratis – Kaffee holen. Das war aber sozusagen nur das Lockmittel: denn rund um das Café herum lagen jede Menge Informationsmaterial verschiedener Münchner sozialpsychiatrischer Träger und Einrichtungen. Darüber hinaus waren zahlreiche Profis zugegen. Diese hatten ein offenes Ohr für die Anliegen der Studierenden, haben einfach zugehört und Fragen beantwortet – bei einer leckeren Tasse Kaffe (oder Tee. Oder Schokolade.).

 Filme

Dienstag und Donnerstag Abend fanden in Kooperation mit dem tu film unter dem Titel Movies4Mind zwei Vorführungen mit thematisch passenden Filmen statt (Dienstag: Artur & Claire; Donnerstag: Vielleicht lieber morgen), die das Thema nochmal von einer anderen Sichtweise beleuchten und zugänglich machten. Außerdem wurde der eigens für die Aktionstage produzierte Imagefilm von #TUM4MIND gezeigt. Auch hier standen die Organisatoren für Fragen und Austausch bereit und Info-Material lag aus.

 Sprechstunde

Unter dem Stichwort Offen Sprechen konnten in Zusammenarbeit mit dem Studierenden Service Zentrum (SSZ), der Münchner Angstselbsthilfe (MASH) sowie der Ambulanz der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Rechts der Isar am Dienstag und Mittwoch offene Sprechstunden für Studierende angeboten werden.

 Podiumsdiskussion

Am Mittwoch den 7.11. schließlich fand abends eine Podiumsdisukssion mit dem Titel Reden ist Gold statt. Teilnehmer waren neben den beiden Initiatoren Bischofberger und de Marné Lisa von der Aktionsgemeinschaft der Angehörigen psychisch Kranker, ihrer Freunde und Förderer München e. V. (ApK), Dr. med. Casper Roenneberg (MHBA), Oberarzt am Klinikum Rechts der Isar und Klara Schuster von der mobilen Beratung des Studentenwerks München. Moderiert wurde der Abend vom Journalisten Thilo Komma-Pöllath.

 Workshops

Zu Ende ging die Woche mit den Workshops4Mind bei denen sich die Teilnehmer zwischen vier Themen entscheiden konnten. Lern- und Prüfungscoaching, Yoga, NLP und Umgang mit nicht sichtbaren Krankheiten standen zur Auswahl. Dies war das einzige Format, für welches man sich im Vorhinein anmelden musste. Alle anderen Veranstaltungen waren kostenlos, anonym und für alle Müncher*Innen frei zugänglich.

Wie war #TUM4MIND?

Die Kurzfassung: es war großartig. Ein voller Erfolg.

Ein wenig ausführlicher: nicht nur die Teilnehmerzahlen, Feedbacks und Reaktionen der Studierenden, Unterstützer und Helfer waren durchweg positiv. Es wurde sich bedankt, dass endlich mal jemand das Thema anpackt; Wünsche und Anregungen wurden geäußert, was #TUM4MIND noch besser machen würde; auch ob es die Aktionstage nächstes Jahr wieder geben würde, wurden wir diverse Male gefragt; und auch über die Stadtgrenzen Münchens hinaus gab es Zuschriften, Rückmeldungen und Anfragen, ob man bei ähnlichen Projekten in anderen Städten beratend zur Seite stehen könnte.

Alles zusammengefasst haben wir mit den Aktionstagen mehrere tausend Menschen erreicht: alleine die Facebook-Seite, die erst zwei Wochen vor Beginn online ging, verzeichnete über 15.000 Aufrufe. Bei den Abendveranstaltungen waren jeweils knapp 100 Besucher anwesend. Das Café am Dienstag haben insgesamt fast 1000 Menschen besucht. Für eine Premierenveranstaltung sind das beeindruckende Zahlen. Und hinzu kommen die nicht-sichtbaren Erfolge. Dass jemand das Thema wahrgenommen, vielleicht selber aktiv geworden ist durch die Aktionstage. Gerade bei einem solch sensiblen Bereich dürfen wir auf langfristige Veränderungen hoffen.

Wie geht es mit #TUM4MIND weiter?

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt steht noch nicht endgültig fest, wie es mit den Aktionstagen weitergehen soll. Die Initiatoren sind sich sicher, dass dies nicht ihre letzte Veranstaltung gewesen sein wird, sondern dass es sich eher nach dem Anfang von etwas größerem anfühlt. In den nächsten Tagen und Wochen wird nun weiter ausgewertet und reflektiert.

Eine großer Punkt ist das Thema Finanzierung. In diesem Jahr über die TUM: Junge Akademie organisiert und finanziert, gefördert durch die Stadt München, fand alle Arbeit ehrenamtlich und somit unentgeltlich statt. Bei insgesamt knapp 250 Arbeitsstunden kann dies keine dauerhafte Lösung sein, und so wird ein weiterführender Schritt die Suche nach Kooperationspartnern und Unterstützern sein.

„Wir hoffen und wünschen uns, dass wir mit dieser Veranstaltung gezeigt haben, wie viel Wirkung auch mit begrenzten Mitteln möglich ist. Dass der Plan, durch eine kreative Herangehensweise ein so schweres aber auch wichtiges Thema attraktiv und interessant zu machen. Dass Reden hilft. Und Zuhören auch.“ so Marcel Bischofberger.

Schlusswort

Zum Schluss noch ein paar persönliche Worte von mir, Dominique. Ich schreibe dies in der Woche nach den Aktionstagen. Und auch, wenn inzwischen schon ein Wochenende zwischen uns und #TUM4MIND liegt, arbeitet es in mir, Marcel und Lasse weiter. Alle Vorbereitungen, Mühen, Überlegungen und Planer- sowie Plackerei zu solch einem Ergebnis führen zu dürfen, macht bei aller Anstrengung natürlich auch ein wenig stolz – und glücklich.

Wir haben gemerkt, dass wir auf offene Ohren stoßen, ein wichtiges Thema zur richtigen Zeit anpacken und in die Öffentlichkeit bringen. Dass unsere Herangehensweise, unser Konzept – nicht nur bei den Studierenden – ankommt. Nahezu jedes Gespräch im Verlauf von #TUM4MIND hat uns darin bestärkt, diesen Weg weiterzugehen, dran zu bleiben. Wie genau das aussehen wird, wissen wir noch nicht. Ideen gibt es viele, und die werden in den nächsten Wochen und Monaten noch genauer betrachtet. Fest steht aber schon: Traveling | the | Borderline (T t B) wird eine wichtige Rolle bei den zukünftigen Aktivitäten übernehmen.

Ich mache die Arbeit als Mental Health Advocate inzwischen seit über drei Jahren, und in gewisser Weise war #TUM4MIND nicht nur für mich, sondern auch für TtB ein Etappensieg. Nach den Schulprojekten einerseits der nächste, logische Schritt unserer Arbeit, andererseits auch der Anfang einer neuen Phase. T t B wächst, nach innen und nach außen. Hätte man mir vor fünf Jahren erzählt, wo mein Entschluss, etwas am Umgang mit psychischen Problemen in unserer Gesellschaft zu ändern, mich so hinführen würde, hätte ich wohl laut gelacht. Man darf also gespannt sein auf die nächsten drei, fünf, zehn Jahre.

Danke

Die Initiatoren Marcel Bischofberger und Dominique de Marné bedanken sich vor allem bei Peter Finger und Maria Hannecker von der TUM: Junge Akademie für die großartige und ausdauernde Unterstützung. Ebenso gilt unser Dank unserem Mitorganisator Lasse Münstermann, Dr. med. Béatrice Zahn und Jana von Trott für ihre tatkräftige Hilfe. Für die Schirmherrschaft bedanken wir uns bei der Fakultät für Medizin und insbesondere bei Prof. Dr. med. Peter Henningsen, Prof. Dr. med. Pascal Berberat sowie Dr. med. Caspar Roenneberg. Bei Arvid Uhlig bedanken wir uns für die Fotos, bei Luise Eichhorn für die gelungenen Grafikarbeiten.

Der Stadt München danken wir für die finanzielle Förderung, dem Münchner Bündnis gegen Depression für ihre Hilfestellung bei den Vorbereitungen und während der Aktionswoche. Auch danken möchten wir dem tu film und contains coffee für die Zusammenarbeit, der Münchner Angststelbsthilfe (MASH), den Kliniken des Bezirks Oberbayern (kbo), der Arche Suizidprävention, den Angehörigenverbänden LApK und ApK, Vera Hahn vom Aktionsbündnis ZehnZehn, der nightline, dem Studentenwerk und dem Studierenden Service Zentrum (SSZ) sowie Bettina Hafner, Kirsten Bannert, Aaron Zielke, Paula Matcau, Lisa, Klara Schuster und Thilo Komma-Pöllath für Ihr Engagement. Danke auch an alle Besucher, Teilnehmer und Zuhörer.


Du findest, #TUM4MIND klingt gut? Möchtest gerne selber mitmachen, dich engagieren? Du möchtest T | t | B mit uns weiter aufbauen, größer werden lassen? Egal ob Student, Schüler, Rentner oder irgendwo dazwischen; egal ob Betroffener, Neuling, Angehöriger, Therapeut oder Anwalt – es gibt viel zu tun, wir können alle Hände und Köpfe brauchen. Melde dich unter info@mentalhealthcrowd.de . Wir freuen uns auf dich!

„Es geht bergauf, es geht bergab“

Lesezeit: 6 minuten

„Es geht bergauf, es geht bergab“

Ein Gespräch mit dem Bergsportler Alexander Huber. Wir reden über die Angst als Begleiter, über Stigmatisierung psychischer Krankheiten und auch darüber, was ihm geholfen hat und hätte.


Seine Heimat ist das Berchtesgadener Land, sein Arbeitsplatz die Berge und Felswände dieser Welt –heute sitzen wir mit Alexander Huber im Clubhaus Schwalbennest in München und reden über Angst.

Wir, das sind Vera Hahn vom Clubhaus und ich. Vera und ich kennen uns von ZehnZehn – dem Münchner Aktionsbündnis für seelische Gesundheit. Bereits im sechsten Jahr organisiert ZehnZehn auch 2018 am World Mental Health Day wieder eine große Kundgebung samt anschließendem Solidaritätsmarschin und durch die Innenstadt. Dieser Welttag der seelischen Gesundheit wurde von der WHO auf den 10. Oktober gelegt. Daher auch der Name, ZehnZehn. Vera ist die Koordinatorin dieses Bündnisses aus mehr als einem Dutzend Trägern, Einrichtungen und Unterstützern. Ich bin seit diesem Jahr dabei, um die Seite der Betroffenen mit in die Vorbereitungen und die Veranstaltung zu bringen.

Auf Alexander Huber sind wir gekommen, weil er professioneller Bergsteiger und Extremkletterer sowie einer der wenigen Prominenten in Deutschland ist, der offen damit umgeht, eine schwere Angststörung durchlebt zu haben. Vor wenigen Jahren begann er offen über seine Erfahrungen mit einer Angststörungen zu sprechen. Seitdem hat er dem Thema nicht nur ein Buch mit dem Titel «Die Angst, dein bester Freund» gewidmet. Außerdem engagiert er sich für Angst-Selbsthilfe e.V.sowie den Krisendienst Psychiatrie, dessen flächendeckende Einführung in Bayern mittlerweile beschlossen wurde. Und heute hat er sich für uns Zeit genommen.

 Dem Stigma entgegentreten

Bergsportler Alexander Huber | Foto: Robert Brembeck

Bergsportler Alexander Huber | Foto: Robert Brembeck

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass einen psychische Probleme nicht davon abhalten müssen seine Ziele zu erreichen, in der Gesellschaft zu funktionieren, «erfolgreich» zu sein. Wie das bei und für jemandem aussieht, der seinen Lebensunterhalt mit einem Extremsport verdient, ist aber natürlich auch für mich spannend.

Wenn es bei mir «die Leute» schon überrascht, dass ich Depressionen habe – obwohl ich doch «gar nicht so aussehe» – dann muss das für jemanden wie ihn, der in einem Sport unterwegs ist, für den man mentale Stärke braucht, ja erst recht so sein. Und er bestätigt, dass die Leute eher mit einem «Was? Du?» reagieren, wenn sie von seiner Erkrankung erfahren. Aber genau das nutzt er: «Als derjenige, den man dafür kennt, dass er im Berg mental besonders stark ist – und der dann im normalen Leben ein Problem kriegt. Aber genau deswegen kann ich dem Stigma so kraftvoll entgegentreten. Ich kann sagen, dass ich es bereits erlebt habe, psychisch schwer erkrankt zu sein und diese Erkrankung aber heute überwunden habe. Oder noch präziser gesagt: dass ich diese Erkrankung soweit durchlebt und überwunden habe, dass sie mein Leben nicht mehr beeinträchtigt

Alexander kämpft seit 1997 gegen und mit der Angst. Ist, wie er sagt, «sehenden Auges in die Erkrankung gelaufen» und hat sich erst Hilfe geholt, als es «schon lichterloh gebrannt hat». Das Klettern und Bergsteigen sieht er persönlich nicht als Ursache oder Auslöser seiner Erkrankung. Viel mehr den Druck, der mit der Entscheidung, Profi zu werden, einher ging. Plötzlich war es nicht mehr nur Hobby, sondern etwas, dass ihm und seiner Familie den Lebensunterhalt bringen musste. Eine ganz neue Welt.

Bei Projekten, Vorträgen und Gesprächen ziehe ich immer wieder den Vergleich zu körperlichen Krankheiten. Eine Parallele die auch Alexander zieht, um zu verdeutlichen, dass wir nicht alles mit uns selber ausmachen müssen: «Und auch hier wieder die Parallele zwischen psychischen und körperlichen Erkrankungen: es gibt Menschen, die haben vorbelastete Körper in die einfach Grundproblematiken eingebaut sind. Aber wenn man sich rechtzeitig drum kümmert, dann lässt sich meistens ein lebenswertes Leben damit erreichen. Und auch im psychischen Bereich gibt es genetisch bedingte Grunderkrankungen, an denen du rein prinzipiell erstmal nichts ändern kannst. Wenn du dich aber aktiv mit dieser Erkrankung auseinandersetzt, kannst du trotzdem ein lebenswertes, schönes und gutes Leben führen. Wenn du dagegen vor der ganzen Sache immer davon läufst, weil du es nicht erkennst oder weil du es nicht erkennen willst, dann lebst du ständig mit dem Problem

Auseinandersetzen – je früher desto besser

Ebenso wichtig, wie den Leuten bewusst zu machen, dass eine psychische Krise jeden treffen kann, ist Alexander daher auch die

Botschaft, dass es besser werden kann. Und zwar je früher desto besser. «Aber so ist eben auch mein Credo: Angststörungen, Depressionen, psychische Erkrankung im Allgemeinen – es kann jeden erwischen! Aber es gilt wie bei anderen Krankheiten auch: es ist behandelbar, es geht bergauf, es geht bergab. Das ist eben auch das normale Leben. Das Wichtige ist nur, dass man sich damit auseinandersetzt. Und wenn die Gesellschaft einem hier hilft, indem die Krankheit eben nicht stigmatisiert ist, dann ist die Bereitschaft bei den Leuten, sich damit auseinanderzusetzen, am größten.»

Dass Angst in unserer Gesellschaft so einen schlechten Ruf hat, stört Alexander. «Wenn Manager bei wichtigen Entscheidungen von Respektsprechen, dann steckt da nichts anderes als Angst dahinter». Genau so wichtig, wie seine Ängste ab und zu zu überwinden ist es, auf die Angst zu hören. Eine von seinen Paradedisziplinen ist das Free Solo-Klettern, bei dem man ohne Sicherung und Hilfsmittel Felswände hinaufklettert und bei dem es unter einem schon mal hunderte Meter senkrecht in die Tiefe gehen kann. In solchen Momenten «wenn ich ohne Sicherung in der Wand drin hänge, dann sorgt die Angst dafür, dass ich permanent konzentriert bleibe. Und wenn die Angst mich nervös machen würde, dann weiß ich «Ich überfordere mich«. Ich habe nicht das nötige Selbstvertrauen oder das nötige Können, um diese Situation zu meistern. Dann teilt mir die Angst mit «Geh zurück. Dreh um.»

Die Angst heute

Heute nimmt das Thema Angst vor allem durch sein Engagement weiterhin viel Platz in Alexander Leben ein. Aber auch für sich weiß er: sie ist immer noch da. «Ich werde es auch nie vergessen. Ich bin damit generell anfälliger. Weil es immer im Hinterkopf ist. Wenn es in die Richtung geht, ist natürlich gleich eine gewisse Angst da, dass sie wieder so fulminant auftreten kann. Allerdings schützt mich das Ganze auch, weil ich weiß, wie es geht und welche Wege mir zur Verfügung stehen, um da wieder rauszukommen. Generell gilt: umso früher ich mich damit auseinandersetze, umso besser und weniger gefährlich für meine Psyche.»

Mittlerweile kennt er sich, weiß genau wann ein Problem für ihn relevant ist und lässt es dann nicht lange unbearbeitet. Auch generell kann er Dinge inzwischen entspannter sehen und versucht, nicht mehr länger «everybody’s darling» zu sein.

Bevor er seine Erfahrungen in Buchform veröffentlichte, hat er sich wohl überlegt, ob er dafür schon stark genug ist. Denn «man geht nicht mit etwas hausieren, bei dem man sehr potentiell wieder zurück fällt. Ich denke, dass das für mich eine der Grundvoraussetzungen war. Ich fühle mich schon sehr stark gewappnet. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, dass es mir nicht nochmal passiert. So wie sich keiner sicher kann.»

Hinschauen, damit auseinandersetzen statt davon laufen, ignorieren, zudecken – so wie es Alexander lange gemacht hat. So wie ich es lange gemacht habe. Trotz Warnungen des eigenen Körpers einfach weitergemacht. Es jahrelang alleine versuchen, bevor man endlich einsieht und erkennt, dass es so nicht weitergehen kann. In seinem Buch schreibt er dazu: »Mit einem Mal habe ich Angst vor der Angst bekommen. Das war der Zeitpunkt, an dem ich professionelle Hilfe gesucht habe, die mich langsam wieder auf die Spur gebracht hat…«.

Es braucht mehr Menschen, die reden

Alexander Huber im Gespräch | Foto: Robert Brembeck

Alexander Huber im Gespräch | Foto: Robert Brembeck

Auf die Frage, was ihm dabei geholfen hätte früher Hilfe zu holen, antwortet er: «Naja, wenn man eben einfach ein gutes Buch darüber liest oder gute Artikel, die einem diese Symptomatiken nahe bringen. Dass eine Person, der man gerne zuhört, sagt «Das kann auch dir passieren. Mir ist es so gegangen, so war es bei mir, das hab ich gespürt». Vielleicht klingeln dann bei dem ein oder anderen tatsächlich die Alarmglocken.

Aber auch, dass in der Konklusion dann gesagt wird: macht euch rechtzeitig auf den Weg. Schaut, dass ihr jemanden findet, der euch wirklich helfen kann. Ob man den dann Coach nennt oder Mentaltrainer. Und die Leute können dir wirklich helfen». Manchmal braucht man eben den Blick von außen, weil man selber und auch die eigenen Freunde nicht mehr objektiv urteilen können. Da kann es genau das Richtige sein, wenn einem ein Profi dabei hilft, «die Spinnerei mal auseinander zu klauben».

Dass er als Profisportler eine gewisse Breitenwirkung hat, weiß Alexander natürlich. Und auch die regelmäßigen Zuschriften, in denen sich Leser für sein Engagement, seine Offenheit, seine Arbeit bedanken, zeigen ihm, dass es der richtige Schritt war, auch diese Seite von ihm öffentlich zu machen.

Danke

Auch wir sagen «Danke, Alexander». Für die angenehme Gesprächsatmosphäre, den Austausch, die Offenheit, die Zeit und die Einblicke, die du uns in dieser knappen Stunde gewährt hast. Und auch ich ganz persönlich sage «Danke». Zu wissen, dass ich auf meiner Mission zu verändern, dass und wie wir über psychische Probleme reden, solche Mitstreiter habe, tut ganz schön gut. Vieles von dem, was Alexander gesagt hat, kam mir nur allzu bekannt vor. Mich hat beeindruckt zu merken, wie sehr ihm das Thema psychische Krankheiten am Herzen liegt. Und bin mir sicher: gäbe es mehr Leute wie ihn, dann hätte das Stigma bald keine Chance mehr.

Dokumentiert wurde das Treffen mit professionellem Auge: der Fotograf Robert Brembeck hatte schon viele große Persönlichkeiten vor der Linse und sich Zeit genommen, um die Begegnung – pro bono, wohl gesagt – festzuhalten. An dieser Stelle auch dafür nochmal ein großes Danke.

Mehr über Alexander auf www.huberbuam.de.

 Lang lebe das Funktionieren

Lesezeit: 8 minuten

Lang lebe das Funktionieren

Ein Artikel, über die Vor- und Nachteile davon, einfach zu funktionieren. Warum ich heute dankbar bin, so lange so gut funktioniert zu haben. Aber auch darüber, dass ich froh bin, heute weniger (gut) zu funktionieren.


Was ich mit „Funktionieren“ meine? Nun, nicht zufällig ist auf dem Bild zu diesem Beitrag ein Roboter zu sehen. Denn Roboter funktionieren auch. Sie fragen nicht groß, sondern machen. Stellen weder sich selbst, noch ihren Auftrag, noch ihre Umgebung in Frage. Wenn der Befehl lautet: renne 38 Mal im Kreis, dann macht ein Roboter das. Warum 38 Mal im Kreis rennen? Egal. So lautet der Auftrag.

Auch wir Menschen können das. Paradebeispiel sind hier wohl Soldaten, blinder Gehorsam und so. Aber auch im Alltag, im Büro, in der Familie funktionieren wir oft einfach, ohne weiter nachzufragen. Denn im Nachfragen verbirgt sich eine gewisse Gefahr. Wir könnten dabei merken, dass wir vielleicht gar nicht wissen, warum wir dies oder jenes machen (sollten), oder man merkt, dass man das eigentlich gar nicht machen will. Man könnte bemerken, dass man sich sein Leben so niemals vorgestellt hat, aber weil eines zum anderen kam, man das Gefühl hatte, sich nur noch in eine Richtung bewegen zu können, nun dort gelandet ist, wo man nie hinwollte.

So kann eine Frage ein ganzes System instabil werden lassen. Paradebeispiel hierfür: der Familienvater in der Midlife-Crisis, der plötzlich das Gefühl hat, im „falschen Leben “ zu sein und auf der Suche, nach einer Antwort die ganze Familie mit ins Wanken nimmt. Weil er eben nicht einfach immer weiter gemacht hat.

Funktionieren und Ich

Ich habe lange einfach immer weitergemacht. Mache einfach weiter. Und mein hohes Verantwortungsgefühl, meine mir heilige Funktionalität sind dabei eine große Stütze. Das dem so ist hat seine Wurzeln in meinen ganz dunklen Jahren. In denen höchste Priorität war, dass niemand mitbekommt, wie schlecht es mir geht. Nach außen hin musste alles so weiterlaufen, dass niemand verdacht schöpft, auch wenn drinnen die letzte Hoffnung im Sterben lag.

Schule, Arbeit, Studium, Termine – wenn es einen Grund in der äußeren Welt gab, musste die innere Welt mitspielen. Weiter machen einfach nur, damit keine Fragen gestellt werden. Maske auf, Autopilot an, Leben los. Und auch heute noch hilft mir mir die Tatsache, dass es mir oft leichter fällt, für andere zu funktionieren als für mich selbst.

Meine größten Gegner sind leere Tage, ohne Termine, ohne Verpflichtungen, an denen ich nur mir selbst überlassen bin. Wenn der Autopilot im Standby ist legen die Monster in mir los. Inzwischen weiß ich das, kann vorbeugen und gucken, dass solche Löcher nicht vorkommen. Aber hin und wieder sind sie da, packen mich und erst wenn die nächste Frühschicht, der nächste Pflichttermin ansteht, lassen sie mich wieder gehen. Aber das tun sie dann auch.

In meinen ganzen 15 kranken Jahren kann ich mich nur an zwei Vorfälle erinnern, wo der Autopilot sich nicht rechtzeitig eingeschaltet hat, die Monster das Pflichtgefühl besiegt haben: eine Klausur während der Uni, bei der ich definitiv zu betrunken war und eine Schicht im Café, die ich nicht antreten konnte weil ich noch tief im Loch lag. Aber sonst: Danke an das Trio aus Funktionalität, Pflicht und Anspruch!

Funktionieren vs. Leben

Man hört mich heute immer mal wieder sagen, dass ich durch meine Krankheiten Borderline, Sucht und Depression 10 Jahre meines Lebens verloren habe. Das meiste, was zwischen meinem 16. und 26. Lebensjahr passiert ist, kann und möchte ich nicht „leben“ nennen. Das wäre irgendwie unfair gegenüber dem richtigen Leben.

Ja, es hat sehr lange alles sehr wunderbar funktioniert, ich habe wunderbar funktioniert. Mich vom einen auf den anderen Tag gerettet, mich irgendwie durchgebracht, denn die Aufgabe lautete ja: nicht auffallen, die Rolle(n) spielen, egal um welchen Preis. Es gab diverse Aufträge gleichzeitig, die ich erfüllen wollte und musste. Neben den schon inkludierten Familie und Schule habe ich mir aber auch noch mehr Aufträge gesucht, um den Fragen möglichst wenig Platz zu lassen.

Auftrag Nr. 1 war glückliche Tochter und funktionierendes Familienmitglied sein. Gleich danach kam eine gute Schülerin bzw. später Studentin sein und gute Noten schreiben bzw. bestehen. Dazu haben sich dann aber schnell Aufträge rund um die Schule (Theatergruppe, Chor, SMV, Sanitätsstab, …) und meine Band gefunden. In all diesen Bereichen hat das Funktionieren ja auch noch eine gewisse Berechtigung. Nach und nach hat es sich aber auch in alle andern Bereiche des Lebens geschlichen.

Auf den Berg rauf gehen war noch ok, da gab es einen Auftrag. Oben auf dem Gipfel aber einfach zu rasten, innezuhalten, den Moment und die Aussicht zu genießen, war praktisch nicht möglich. Das hatte keine Funktion. Und somit hatte ich keine mehr. Also schnell wieder runter, nächster Auftrag, nächste Rolle, nächstes Ziel.

Danke, Funktionieren

Nicht innehalten, immer weiter machen, keine Ruhe einkehren lassen. Dieses Vorgehen hat mich über lange Zeit einfach vor mir selber geschützt, vor meinen dunklen Anteilen. Solange ich einen Auftrag, ein Ziel hatte, hatte ich auch eine Berechtigung zu existieren. Zurück in meinem Zimmer, ohne all das, kam mein Nicht-Leben mit voller Wucht auf mich eingestürzt.

Man kann auf diese Seite von mir schimpfen. Ihr vorwerfen, dass sie mich lange davon abgehalten hat, mir Hilfe zu suchen. „So lange ich alles hinbekomme ist doch alles gut.“ Aber ich versuche, mich auf das positive daran zu konzentrieren und zu sehen, was mein hoher Anspruch an meine eigene Leistung mir ermöglicht hat. Nämlich ein gutes Abitur, ein abgeschlossenes Studium, keine Vorstrafen, Schulden oder ähnliches. Auf dem Papier sieht mein Leben gut aus.

Hätte ich früher nachgegeben, mich ins „Warum“ gesetzt – ich weiß nicht, ob oder wo ich dann heute stehen würde. Dadurch, dass die komplette Kapitulation nie eine Option für mich war (denn dann hätte ja jemand was mitbekommen) gab es immer diese unsichtbare Kraft, die mich dazu gebracht bzw. gezwungen hat, weiter zu machen, nicht stillzustehen.

In diesem Sinne sage ich heute: ja, es war bestimmt nicht gut so lange ein Leben im Stand-By-Modus zu führen. Aber was wäre die Alternative gewesen? Genau, also lieber vom Autopiloten durch die Gefahrenstellen leiten lassen als nicht auf der anderen Seite anzukommen.

Funktionieren für „Normale“

In vielen Gesprächen mit anderen Betroffenen habe ich inzwischen erfahren, dass nicht nur ich eine so innige Beziehung zum reinen Funktionieren habe, sondern dass das nichts ungewöhnliches ist. Vielleicht ist das einfach ein Weg des Kopfes und des Körpers uns durchzubringen, durch schwere Zeiten.

Was ich aber auch gelernt habe ist, dass diese Problem – wie so viele andere Probleme und Phänomene – nicht exklusiv Menschen mit psychischen Probleme vorbehalten ist. Besonders beim Trialog merke ich immer wieder, dass auch die „normalen“ an dieser Front kämpfen. Einmal fiel der Satz  „Ich habe keine Zeit darüber nachzudenken, wie es mir geht.“ Denn das wäre gefährlich. Das könnte alles zum Einstürzen bringen. Warum noch weitere 38 Mal im Kreis rennen? Macht doch gar keinen Sinn. Aber, wenn ich nicht mehr im Kreis renne – was soll ich dann machen? Wie geht es dann weiter? Also wird doch weiter im Kreis gerannt.

Funktionieren heißt für mich, sich mehr nach dem Außen als nach dem Innen zu richten. Es ist wohl eine Art von uns Menschen, mit unangenehmen Dingen klarzukommen. Ob es sich dabei um negative Emotionen, enttäuschte Bedürfnisse oder dunkle Gedanken handelt. Gar nicht erst ins Innen schauen, sondern den Blick einfach draußen lassen.

Dass das auf Dauer keine Lösung sein kann, dass ahnen wir. Dann macht sich das Leben im Funktionieren bemerkbar, durch ein dumpfes Bauchgefühl, einen Hintergrundgedanken, den man nicht zu fassen bekommt. „Ist das wirklich schon alles?“ „Bin ich hier richtig?“ „Geht das jetzt immer so weiter?“

Bedürfnisse für ALLE!!!

Nicht weiter das Außen zu benutzen, um sich durchs Leben leiten zu lassen, kann unter Umständen bedeuten, dass es für eine gewisse Zeit so richtig unangenehm wird. Weil man erst herausfinden muss, was einen von innen heraus eigentlich lenkt und antreibt, welche Bedürfnisse man hat, was einen glücklich macht und wonach man sich sehnt.

Heute sehe ich, dass Bedürfnisse etwas ganz entscheidendes für unser Leben, unser Glück sind. Lange wusste ich nicht mal, dass ich Bedürfnisse habe – außer vielleicht Essen und Schlafen und so. Aber dass ich zum Beispiel ein verdammt großes Bedürfnis nach Ruhe habe, habe ich nicht nur über lange Jahre nicht gewusst, sondern geradezu dagegen gearbeitet. Mit meinem ständigen WeiterWeiterWeiter, der Dauerbeschallung durch Fernsehen und Kopfhörer.

Mein armer Kopf, der sowieso dank der hochsensiblen Filter den ganzen Tag von Reizen überflutet wird, bekommt nicht den Hauch einer Chance, weder diese ganzen Eindrücke noch das, was sie mit mir machen, zu verarbeiten. Die Speicher werden immer voller, irgendwann ist kein Platz mehr, das Notsystem schaltet sich ein und ich schalte mich mit Hilfe von Alkohol und Selbstverletzung komplett aus. Mit dem Ergebnis, das mein Kopf die Ruhe bekommt, die ich ihm so dringend hätte geben müssen, es aber nicht getan habe. Das nur ein Beispiel, wie es aussehen kann, wenn wir unsere Bedürfnisse nicht kennen.

Nach und nach habe ich in den letzten Jahren und auch dank Therapie entdeckt, dass ich Bedürfnisse habe. Der nächste Schritt war dann, herauszufinden, welche das eigentlich sind. Danach kommt, diese Bedürfnisse auch durchzusetzten, mich um sie zu kümmern. Und es dann noch zu schaffen, kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich auf meine Bedürfnisse höre, auch wenn dies bedeutet, anderer Menschen Erwartungen oder Wünsche zu enttäuschen, das ist dann wirklich schon etwas für Fortgeschrittene.

Funktionieren ist doof

Wenn man hier nun so liest, wie und was ich über das Funktionieren schreibe, dann könnte man fast zum Entschluss kommen „Aber was ist denn nun so schlecht daran?“ Nun, wie oben schon kurz geschrieben: wer funktioniert der lebt nicht. Bildlich gesprochen

Zu Funktionieren heißt auch, gewisse Gedanken und Gefühle auszublenden, auszusperren. Aber zu leben heißt, auch mit diesen unangenehmen Seiten unseres Daseins konfrontiert zu sein und: sie zu überwinden. Daraus zu lernen, mit ihnen klar zu kommen, und gestärkt aus der Begegnung heraus zu gehen.

Die liebe Funktionalität. Sie hat mich gerettet. Ich verdanke ihr viel. Aber trotzdem: eine Ideallösung ist sie nicht. War sie nicht. Wird sie nie sein. Nur zu funktionieren, hauptsächlich für andere, muss auf Dauer schief gehen. Wir können nicht ständig gegen uns arbeiten. Weil wir „müssen“. Wir sind keine Roboter. Es geht uns nicht immer gut.

Viele Probleme – nicht nur psychische – entstehen, weil wir zu lange, zu gut, zu perfekt funktionieren wollen. Weil wir denken, es muss immer alles gut sein, dass es uns nicht schlecht gehen darf. Weil wir alles dafür geben, unser Außen – unsere Kinder, Eltern und Partner, unsere Kollegen und Vorgesetzten, unsere Freunde und Freundinnen – glücklich zu machen, zufrieden zu stellen. Und uns dabei leider viel zu oft viel zu weit hinten an stellen.

Funktionieren heute

Ja, auch heute gibt es Momente, Situationen, Tage in denen ich funktioniere. Ich denen ich nicht nach dem Sinn frage, sondern einfach mache. Weil ich weiß, dass die richtig falsche Frage zum richtig falschen Zeitpunkt mich in Höchstgeschwindigkeit aus der Bahn werfen kann.

Meine Morgenroutine ist zum Beispiel teilweise blindes Funktionieren. Aufstehen, Sport, Yoga, Meditation. Ja, das mache ich auch, weil ich inzwischen weiß, dass ich das gerne mache und diese Dinge Bedürfnisse von mir befriedigen. Bedürfnisse nach Bewegung, nach Ruhe, nach Ausgeglichenheit. Aber obwohl dem so ist, gibt es Tage, an denen ich keine Lust auf sie habe. An denen ich nicht sofort und hoch motiviert aus dem Bett und in die Sportklamotten springe. Dann darf der Autopilot ans Steuer, denn der kennt den Weg auf die Matte oder die Laufrunde.

So lange die Routine am Laufen ist, der Roboter auf seiner festen Bahn fährt, ist dann auch alles sicher. Aber in der Sekunde, in der mein Frühstück beendet und damit das feste Programm beendet ist, merke ich, dass ich nun wieder selber steuern muss. Kein Autopilot mehr, der mich sicher an allen Gefahren vorbei manövriert. Sondern ich und meine Bedürfnisse sitzen am Steuer. Was wunderbar ist, weil ich so viel mehr zu dem Menschen werden kann, der ich wohl eigentlich bin. Aber da beginnt auch die Gefahr.

Je größer die Depression, die dunklen Wolken desto wichtiger ist das Funktionieren. Wie auf einem Segelboot: so lange das Wetter schön ist, Wind und Wellen mitspielen läuft das Trimmen der Segel und das Steuern quasi nebenher. Es bleibt Zeit, sich zu erholen und zu entspannen, die Aussicht zu genießen und schönen Dingen nachzugehen. Wenn der Himmel aber dunkler, die Wolken dicker, der Wind stürmischer und die Wellen höher und wilder werden, dann wird einfach nur alles daran gesetzt, heil durch den Sturm zu kommen. Die Segel richtig zu stellen, alles auf und unter Deck sicher zu verstauen, nicht über Bord zu gehen. Keine Zeit für Schönigkeiten. Nur das Nötigste.

Und wie weiter?

Man erkennt es schon, wie an so vielen Stellen in meinen Artikeln und auch im Leben außerhalb dieses Blogs: die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Die berühmte „goldene Mitte“. Weder nur zu funktionieren noch nie zu funktionieren sind die Lösung. Beides hat seine Berechtigung, genau, wie alles dazwischen.

Was ich mir wünsche oder für euch da draußen hoffe ist, dass das Funktionieren nicht zu große Teile eures Alltags bestimmt. Dass der Autopilot wirklich nur dann ans Steuer darf, wenn es Sinn macht. Dass es euch oft gelingt, euch und die Dinge zu fragen – warum mache ich das gerade? Was ist das Ziel dahinter? Welchem meiner Bedürfnisse gehe ich damit nach? Und dass ihr nicht erschreckt, wenn ihr merkt, dass ihr teilweise ganz schön gegen euch selber lebt. Sondern dass ihr dann den Mut findet, es nach und nach öfter zu schaffen, euch nach dem Innen zu richten. Dem, was euch gut tut.

Für ich war das ein langer Weg, aber jeder einzelne Schritt hat sich gelohnt. Ich weiß heute, dass Funktionieren nicht alles ist. Aber das Funktionieren auch manchmal genau das sein kann, was wir gerade brauchen. Und mit diesen Worten verabschiede ich mich und schaue, ob auf meinem Marathon-Trainingsplan für heute vielleicht *38 Mal im Kreis rennen* steht.

Medikamente auf der Borderline

Lesezeit: 8 minuten

Medikamente auf der Borderline

Nach Jahren ohne Medikamente habe ich mich letztes Jahr dazu entschieden, ihnen mal eine Chance zu geben. Was für Erfahrungen ich gemacht habe, wie sie die Borderline beeinflussen und meine Empfehlung an euch.


Das wichtigste zu Beginn: Nein, es gibt keine Medikamente für/gegen die Borderline Persönlichkeitsstörung. Aber es gibt Mittel aus dem psychiatrischen Umfeld, die in der Behandlung von Borderline eingesetzt werden. Allen voran: Antidepressiva, mit denen auch ich inzwischen meine Erfahrungen gemacht habe.

Darüber hinaus gibt es zum Beispiel noch stimmungsstabilisierende Medikamente, die hauptsächlich bei der bipolaren Störung eingesetzt werden aber unter Umständen auch bei Borderline hilfreich sein können. Beruhigungsmittel gegen die Anspannung und Gedankenrasen sind eine weitere Option, genau wie Mittel, die beim Ein-/Durchschlafen helfen. Aber das nur mal als ersten Überblick.

Mein Weg zur Entscheidung

… war ein sehr, sehr lange. Nimmt man 2002 als Geburtsjahr meiner „dunklen Seite“, so dürfte sie immerhin 15 Jahre alt werden, bevor ich das erste Mal chemische Unterstützung in Anspruch genommen habe. Natürlich wusste ich, dass es Psychopharmaka gibt, dass einige Betroffene regelmäßig Medikamente schlucken und die Erfahrungen damit vielfältigst sind. Aber irgendwie kam das für mich nie in Frage.

Mein Hauptgrund, warum ich so lange damit gewartet habe: ich hatte nie Angst, vor den Wirkungen, sondern immer nur vor den Nebenwirkungen (dazu später noch mehr). So habe ich lange gesagt (und gedacht), dass ich keine Antidepressiva brauche, weil ich laufe, und das ja bekanntermaßen besser helfen kann als so manches Medikament.

Zum Verhältnis der beiden habe ich sogar einen eigenen Artikel geschrieben.

Bei meinem 12-wöchigen Aufenthalt in der Schön Klinik in Hamburg wurde das Thema natürlich auch immer wieder angesprochen. Soweit ich mich erinnere, war ich mit meiner „No-pills“-Strategie dort oben ziemlich alleine. Fast alle Mitpatienten gingen (mehrmals) täglich zur Medikamentenausgabe. Damit auch ich an diesem Ritual teilhaben durfte bekam ich die erste Zeit noch Vitamintabletten, die auf meinen Wunsch hin dann jedoch auch alsbald „abgesetzt“ wurden.

Immer mal wieder habe ich es mit homöopathischen Mitteln versucht, zum Beispiel Johanniskraut, das ja für seine stimmungsaufhellende Wirkung bekannt ist. Wirklich gemerkt habe ich davon aber nichts.

Was ich aber gemerkt habe, war meine suizidale Krise im Frühjahr 2017. Dank (professioneller) Unterstützung bin ich aus der Krise selbst relativ unbeschadet wieder herausgekommen. Was jedoch geblieben ist, war die Erkenntnis: vielleicht ist mein Konstrukt aus Routine, ambulanter Therapie, Selbstfürsorge, Sport, Achtsamkeit und Schlaf einfach noch nicht genug. Noch nicht stabil genug.

Sicherlich nicht ganz unbedeutend war auch der Einfluss eines sehr langjährigen Freundes, der sich meinen (erfolglosen) Kampf schon seit Jahren von der Seitenlinie mitansehen musste. Und der mir immer wieder vorgeschlagen bzw. nahegelegt hatte, dass ich es doch mal mit medikamentöser Unterstützung versuchen solle. Nach der Krise samt Einweisung war es dann soweit, ich habe mich irgendwie verpflichtet oder schuldig ihm gegenüber gefühlt, es wenigstens mal zu versuchen. Und das habe ich dann.

Mein Weg zum Medikament

… war zwar etwas kürzer, aber auch kein direkter. In gewisser Weise bin ich auch noch drauf, weil ich noch nicht die finale Lösung gefunden habe. Aber von vorn:

Wie es bei uns in Deutschland eben so ist: nur weil man sich entscheidet, psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen, heißt das nicht, dass man sie sofort hat. Lange Wartezeiten auch hier. Wenige Wochen nach meiner Krisennacht hatte ich dann aber den ersten Termin bei einem Psychiater, den ich einfach im Internet mit Google und Rumsurfen gefunden hatte.

Die Termine dort waren ganz anders, als ich es von meiner Therapeutin gewohnt war: viel kürzer, ein volleres Wartezimmer. Da musste ich mich erst ein wenig dran gewöhnen. Er hat mir nach einer sehr kurzen Anamnese mein erstes Medikament aufgeschrieben, wie ich heute weiß ein Einsteigerantidepressivum.

Generelle Anmerkung: fragt mich nicht, nach Medikamentennamen. Die kann ich mir leider absolut nicht merken. 

Nach zwei weiteren Besuchen bei dem guten Herrn, war klar, dass ich nicht weiter zu ihm gehen würde – es hat einfach nicht gepasst. Das Medikament habe ich aber erstmal weiter genommen und mit erneut auf die Suche nach einem Psychiater gemacht. So saß ich wenige Wochen später in einem neuen Wartezimmer und schließlich vor einer neuen Ärztin. Wieder über die klassische Google-ich-surfe-mal-durchs-Netz-Methode gefunden.

Diesmal saß ich hier aber richtig. Ich habe mich sofort wohlgefühlt, konnte offen sprechen und fühlte mich ab der ersten Sekunde kompetent beraten. Sie ist es auch, mit der ich bis heute auf der Suche nach dem für mich passenden Medikament bin, denn das ist gar nicht so einfach.

Das passende Medikament finden

Zu Beginn haben wir beschlossen, dass ich das Medikament des ersten Arztes weiter nehmen solle, aber die Dosierung erhöhe. Bis dato hatte ich nämlich noch nicht viel Wirkung gemerkt, einfach absetzten wollte ich aber auch nicht, weil ich gehört hatte, dass das bei Psychopharmaka nicht so gut sein kann. So ging es also mit höhere Dosis weiter und langsam habe ich auch Wirkungen festgestellt. Leider aber auch Nebenwirkungen in der Form fehlender Energie, sodass wir Anfang des neuen Jahres Medikament 1 ausgeschlichen haben und Medikament 2 dran war.

Dieses Spiel hat sich bis heute drei Mal wiederholt, so dass ich mittlerweile bei Medikament 4 bin. Oder sogar schon bei Medikament 5? Langsam verliere ich den Überblick. Die Umstellungen sind jedes Mal anstrengend, für den Kopf und den Körper. Da es sich bei mir aber um eine chronische Depression handelt und ich das Medikament wohl mindestens für einige Jahre nehmen werde, will ich aber sicher sein, dass es passt. Will keine Kompromisse eingehen sondern so lange ausprobieren, bis ich ein gutes Gefühl habe.

Neben dem Antidepressive hat mir Ärztin Nr. 2 auch ein Medikament verschrieben, dass ich nicht dauerhaft einnehme, sondern nur, wenn ich Bedarf habe. Es hat eine beruhigende Wirkung und ich nehme es zum Beispiel, wenn ich merke, dass die Anspannung steigt, die Gedanken zu sehr Kreisen und womöglich sogar in dunkle Richtungen abdriften. Es wirkt sehr schnell, in etwa 30 Minuten.

In gewisser Weise ist die Wirkung für mich vergleichbar mit dem Konsum von Alkohol: wenn es früher schwer/anstrengend wurde und/oder die Anspannung stieg, habe ich getrunken, um mich wieder zu beruhigen. Das übernimmt nun das Medikament. Und beide haben auch eine präventive Wirkung: wenn ich weiß, dass eine Situation anstrengend wird, kann ich auch im Vorhinein schon eine Tablette nehmen. Wirklich schönes Mittel, auch wenn ich es dank meiner veränderten, stabileren Lebenssituation heute nicht mehr so oft brauche – es ist gut zu wissen, dass ich es habe.

Wie wirkt es?

Jetzt geht es wieder um das Antidepressivum: wenn ich schreibe, dass ich den Überblick verliere, dann heißt das nicht, dass ich den Glauben an die Wirkung verliere. Denn: die ist da. Aus meiner Sicht war ich noch nie so stabil, wie in den Wochen und Monaten mit medikamentöser Unterstützung.

Die Depression hat sich für mich häufig als eine Kraft geäußert, die hinter mir steht und mich runter ins Loch, ins Dunkle ziehen will. Die meine Aufmerksamkeit auf alles Schlechte gelenkt hat, die sehen wollte, dass ich weinend am Boden liege. Und ständig, jeden Tag aufs neue, musste ich mich gegen diese Kraft stemmen – mit all meiner Kraft. Diese Kraft hat mir dann wiederum für die Bewältigung meines Alltags und meiner Borderline gefehlt.

Das Medikament macht nun, dass diese unsichtbare Kraft nicht mehr da ist. Dass das Dunkle im hinteren Teil meines Kopfes Ruhe gibt. Was nicht heißt, dass ich ständig gute Laune habe und am Lachen bin, sondern einfach, dass ich nicht mehr so viel Energie an die Depression verliere.

Und auch wenn Antidepressiva nicht direkt auf die Borderline einwirken, so machen sie mich doch insgesamt stabiler. Gedanken, Gefühle, Selbstwahrnehmung – alles nicht mehr ganz so labil wie ohne. Ich muss nicht mehr so viel Zeit und Anstrengung darauf verwenden, mit meinem eigenen Kopf zu diskutieren.

Nebenwirkungen?

Und natürlich ist mir klar, dass das keine Gummidrops sind, die ich da schlucke. Sondern dass es Stoffe sind, die tief in mein System eingreifen, ohne dass ich genau weiß, was passiert. Auch dieser Gedanke hat mich lange davon abgehalten, es zu versuchen.

Vor allem die Angst vor einer Gewichtszunahme stand für mich lange Zeit im Mittelpunkt. Wenn man Horrorgeschichten rund um die Einnahme von Psychopharmaka hört, dann haben sie sehr oft damit zu tun. Und es gibt sicher auch Menschen, die durch sie zugenommen haben. Ob da nun direkt das Medikament dran Schuld ist oder es andere Gründe gibt, kann ich nicht sagen.

Ich kann nur sagen, dass sich bei mir Gewichtsmäßig durch die Medikamente (bisher) rein gar nichts getan hat. Kein verändertes Essverhalten, keine Wassereinlagerungen, meine Haut ist auch weiter so schlecht, wie sie es schon davor war. Diese große Angst hat sich bei mir also als absolut überflüssig herausgestellt.

Mit anderen Nebenwirkungen hatte und habe ich jedoch das Vergnügen: das erste Medikament hat mir fast alle meine Energie geraubt, so dass ich – ein Mensch, der morgens eigentlich leicht aufsteht und auch sonst recht aktiv ist – nicht mehr aufstehen konnte, am liebsten den ganzen Tag geschlafen hätte und chronisch schlapp war. Fast ein bisschen, wie in der Mitte einer Depression, aber ohne die Gedanken dazu. Denn die waren weniger präsent. Immerhin.

Bei den Mitteln danach war dieser Energieverlust zum Glück kein Thema mehr. Stattdessen habe ich zum Beispiel bei einem gemerkt, dass meine Emotionen nicht mehr ganz so extrem waren. An beiden Enden des Spektrums. Die Tiefe der Traurigkeit, aber auch die Höhe der Euphorie waren weniger stark. Letzteres ist schade, aber damit hätte ich mich aber arrangieren können.

Läuft nicht

Womit ich mich aber nicht arrangieren kann und was der Hauptgrund dafür ist, dass ich schon so oft gewechselt habe: wenn mein Herz-Kreislauf-System zu stark beeinflusst wird. Wenn mein Ruhepuls 20 Schläge höher als gewohnt ist und dies heftige Konsequenzen für mein Lauftraining hat.

Schon in der Vorbereitung zum Marathon in Paris habe ich gemerkt, dass ich nicht so trainieren konnte, wie ich es von mir gewohnt war. Und wusste, dass dies an den Medikamenten liegt. Schön war das nicht, aber ich hatte die Hoffnung, dass mein Körper sich vielleicht mit der Zeit anpasst und dran gewöhnt.

In Paris wurde es keine schöne Zeit, was nicht weiter schlimm gewesen wäre, denn der Lauf an sich war trotzdem toll. Aber auch darüber hinaus ging meine Leistung immer weiter in den Keller. Das ging soweit, dass ich bei mancher Laufrunde heulen hätte können vor Frust. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich das erste Mal in Laufschuhen unterwegs und nicht schon eine langjährige Läuferin.

Ich bin gerne bereit, Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen. Wenn sie aber einen so starken, negativen Einfluss auf die Sache haben, die mir schon so lange hilft, die mir so gut tut, mir so viel gibt, mir so wichtig ist – dann kann ich das nicht akzeptieren. Deswegen suche ich weiter und bin guter Dinge, dass ich – auch dank der tollen Unterstützung meiner Psychiaterin – das richtige Mittel finden werden.

Scham? – Why?

Immer wieder stoße ich in anderen Mental Health Accounts in den sozialen Medien, in Artikeln und Beiträgen auf das Thema Scham wenn es um Medikamente geht.

Meine Einstellung hierzu ist ganz klar: Psychopharmaka einzunehmen ist kein Grund, sich schämen zu müssen. Schämt sich jemand mit Bluthochdruck, dass er medikamentöse Unterstützung braucht? Schämt sich ein Autobesitzer dafür, dass er immer wieder zum Tanken fahren muss, damit sein Auto weiter fährt?

Es gibt wohl auch Menschen, die meinen, dass man doch irgendwann mal wieder aufhören solle, diese Medikamente zu nehmen: „Es sei ja jetzt schließlich schon lange genug gewesen“. Ich wette, diese Menschen sagen auch keinem Diabetiker, er solle doch jetzt endlich mal aufhören mit dem Insulin, es müsse doch jetzt mal gut sein.

Ich vermute, dass die Medikamente hier nicht das eigentliche Problem sind, sondern wie so oft der generelle Umgang mit psychischen Krankheiten. Die Stigmatisierung und das Unwissen drum rum.

Wie ihr es von mir gewohnt seid, gehe ich auch mit diesem Teil meiner Krankheit offen um. Die Reaktionen gehen – wie bei der Krankheit an sich – oft ins Ungläubige („Was, du und Depressionen?“) aber vielleicht ist das ja genau das, was die Leute brauchen: ein in ihrer Wahrnehmung starker Mensch, der ganz selbstverständlich darüber redet, wie sehr im Medikamente im Alltag helfen?

Mein Fazit

Bisher kann ich wirklich nur sagen, dass es eine gute und richtige Entscheidung war, es mit Antidepressiva zu versuchen. Und ich würde mir wünschen, dass ich nicht so lange gewartet hätte. Die Phasen, in denen ich Medikamente umstelle, bestätigen mich besonders darin:

Da man nicht einfach von heute auf Morgen Medikament wechseln sollte, ist eine Umstellung immer ein mindestens mehrtägiger Prozess. Das alte wird „ausgeschlichen“ (ich nehme also nach und nach weniger ein, senke die Dosis). Wenn dies erfolgt ist fängt man an, das neue Medikament „einzuschleichen“. Oder auch einfach je nach Dosierung und Darreichungsform, es zu nehmen.

So kommt es, dass ich in der Mitte dieses Prozesses quasi wirkstoffrei bin. Und diese Tage sind nicht schön. Denn dann ist alles wieder beim alten. Dann ist es wieder so, wie es lange Jahre war. Der Kopf tobt, die Gedanken drehen sich im Kreis, werden schwarz, die dunkle Kraft will mich runterziehen. Und ich merke, wie viel Energie es mir raubt, mich gegen all das zu stemmen. Bis das neue Medikament diese Aufgabe wieder für mich übernimmt und ich merke, wie es ruhiger und leichter wird. Ich wieder mehr Energie für all die anderen Dinge in meinem Leben habe.

Das klingt alles sehr heftig, und ist es ja auch zum Teil. Aber was ich auch betonen möchte: ich habe nicht das Gefühl, aufgrund des Medikaments ein anderer Mensch zu sein. Ich bin immer noch Dommi, mit all meinen Stärken und Schwächen, Träumen und Erinnerungen, Vorlieben und Abneigungen. Das Antidepressivum verändert nicht mich, sondern nur meine Depression.

Dass deswegen alles leicht und schön und fluffig ist, heißt es natürlich auch nicht. Die Borderline fährt ja im Vordergrund immer noch weiter. Wäre ja auch noch schöner, wenn die sich von ein paar Medikamenten stoppen ließe =)


Wer sich wundert, dass ich nicht einfach von meiner Therapeutin, bei der ich schon seit Jahren in Behandlung bin und von der ich öfter Mal rede, ein Rezept für Antidepressiva bekommen habe: als Psychologin darf sie das nicht, eine Psychiaterin aber schon.

Verwirrt? Da bist du nicht alleine. Darum hier der Link zu einem guten Artikel, der die Unterschiede zwischen den Berufsbildern erklärt:

Kennst du den Unterschied zwischen Psychologe, Psychiater und Psychotherapeut?