Borderline goes München – und ich gehe mit

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Borderline ist eine Lebensaufgabe! | weise Worte vom Oberarzt.

Borderline goes München – und ich gehe mit

München und Borderline – bisher: Keine Selbsthilfegruppen, schlechte Versorgung, zu wenig Therapiemöglichkeiten und praktisch kein Austausch. Und nun gleich zwei Veranstaltungen in einer Woche. Daumen hoch dafür. Auch wenn die Abende nicht nur gut für mich waren.


Hamburg ist das Paradies. Jedenfalls wenn man psychisch krank ist. So mein Eindruck. Während meinen drei Monaten in der Klinik dort hatte ich das Gefühl, egal welche Diagnose du hast, du kannst zwischen zig Selbsthilfegruppen, Anlaufstellen und Angeboten wählen.

Ganz anders: München. Als ich mir hier vor Ort eine Selbsthilfegruppe suchen wollte, bekam ich genau 0 Sucherergebnisse. Jedefalls für Betroffene. Eine Gruppe für Angehörige gibt es. Auch bei der Suche nach einer Skills-Gruppe wurde offensichtlich, dass es in meiner schönen Heimatstadt eine klare Unterversorgung gibt. Um so mehr habe ich mich nun gefreut, als ich erst einen einzelnen Vortrag zum Thema Borderline Personality Disorder, und dann auch noch eine ganze Veranstaltungsreihe gefunden habe, die sich dem Thema widmet.

Vortrag für Angehörige

Vom 8. bis 16. Oktober fand gerade die Münchner Woche für Seelische Gesundheit statt. Richtig viele Veranstaltungen rund um das Thema psychische Krankheiten und den Umgang damit. Eine super Sache! Dieses Jahr war der Schwerpunkt „Seelisch gesund (auf)wachsen“. Und die nächste dieser Wochen findet 2017 statt – alle zwei Jahre passiert das ganze.

Aber zum Thema: am Freitag den 16. fand im Rahmen dieser Woche auch ein Vortrag zu Borderline statt. Der Titel: Borderline – Was tun als Angehöriger. Das konnte und wollte ich mir nicht entgehen lassen. Arvid und meine Mutter waren auch dabei – als eigentliche Zielgruppe nur sinnvoll. Ich muss sagen, für mich war nicht viel neues dabei – aber ich bin ja auch mittlerweile Experte beim Thema. Insgesamt hätte der Vortrag gerne länger sein dürfen. Denn durch sehr unterschiedliche Wissenstände bei den Teilnehmern musste der Dozent Herr Schneeweiß ganz von vorne anfangen. Und wenige Worte reichen nun mal leider nicht, um das komplexe Thema Borderline zu erläutern.

Als es dann schließlich auch für mich interessant wurde, blieb kaum noch Zeit. Wie soll man denn nun als Angehöriger mit den Betroffenen umgehen? Wie kann man sich selber schützen? Handfeste Tipps für den Alltag – diese Dinge wurden leider nur noch sehr kurz angesprochen.

Ich gehöre nicht dazu!

Und trotzdem muss ich sagen, dass der Abend mir auf jeden Fall etwas gebracht hat. Zum einen war es wirklich gut zu sehen, dass sich in München etwas bewegt. Denn dass es auch hier, mitten in der schönen bayrischen Landeshauptstadt viele Betroffene gibt, daran habe ich nie gezweifelt. Und mit Betroffene meine ich in diesem Fall auch indirekt Betroffene. Also Angehörige, Bekannte, Familien, Partner und Freunde von Menschen mit Borderline Persönlichkeitsstörung.

Sehr wiedergefunden habe ich mich in seinen Ausführungen darüber, dass viele Borderliner beschreiben, sich noch nie in ihrem Leben irgendwo richtig dazugehörig gefühlt zu haben. Als er das gesagt hat fühlte es sich an, als würde er über mein Leben sprechen. Schon immer, seit meiner frühestens Kindheit waren da immer so Gedanken wie „Die sind alle anders als ich. Irgendwie passe ich hier nicht hin.“

Nie hatte ich das Gefühl, ich bin wirklich Teil der Gruppe. Egal ob Familie, Schule, Uni, Arbeit oder auch bei meiner Band. Immer gab und gibt es eine Art Mauer zwischen mir und dem Rest. Die sich von keiner Macht der Welt durchbrechen lässt. Seit dem Vortrag ist mir erst richtig bewusst geworden, wie sehr sich dieses Gefühl durch mein gesamtes Leben zieht. Es fällt mir wahnsinnig schwer bzw. ist eigentlich unmöglich, mich irgendwo wirklich zugehörig, willkommen und aufgenommen zu fühlen. Und mal wieder tat es gut zu hören und zu lernen, dass ich damit nicht alleine bin.

Auch freute mich zu hören, wie sehr Herr Schneeweiß betonte, dass man eben auch Borderliner ist, aber nicht nur. Dazu hat er einen Vergleich von Borderline und Diabetes gemacht, den ich ziemlich gut fand. Wenn man Diabetes habe, dann verstecke man das erstens nicht sondern gehe eigentlich ohne Bedenken offen damit um. Und man selber und das Umfeld ist sich darüber im Klaren, dass man mit dieser Krankheit bei gewissen Dingen einfach aufpassen muss. Im Alltag gibt es Situationen, in denen man darauf Rücksicht nehmen und das Verhalten anpassen sollte – sonst geht es schief. Und genau so ist es mit Borderline. Es geht eigentlich alles, nur in manchen Dingen lohnt sich eine extra Portion Rück-, Um- und Vorsicht.

Borderline Trialog, die Erste

Auch wenn der Vortrag nicht perfekt war, einen riesigen Nutzen hatte er in jeden Fall: denn durch den Dozenten habe ich erfahren, dass München seit dem Frühjahr diesen Jahres einen eigenen Borderline-Trialog hat. Trialog bedeutet, dass Betroffene, Angehörige und Profis sich zum Austausch treffen. Und Profis bedeutet in diesem Zusammenhang Menschen, die durch ihren Beruf mit dem Thema Borderline konfrontiert sind. In welcher Weise auch immer – Mediziner, Therapeuten, Sozialarbeiter. Das Konzept war mir bereits aus Hamburg bekannt, wo ich bei drei dieser Veranstaltungen anwesend war und Freundin der Idee geworden bin.

Für mich war es am Dienstag dieser Woche also Premiere, für die Veranstalter bereits der fünfte Termin. Und es war gut besucht. Wir waren etwa 50 Teilnehmer. Nun, für eine Millionenstadt wie München vielleicht noch ausbaufähig, aber ok. Der Abend stand unter dem Motto Wie offen kann ich mit Borderline umgehen? Der Umgang mit den Konsequenzen der Offenheit. Der eigentliche Austausch fand in drei Kleingruppen statt.

Ich möchte und werde nun nicht im Detail verraten, worüber gesprochen wurde. Konklusion für mich war in jedem Fall: es liegt noch ein riesiger Berg an Arbeit vor mir. Und in die Bezwingung dieses Berges stecke ich gerne jede Menge Zeit und Energie. Denn einiges, was ich beim Trialog gehört habe, hat mich schockiert, traurig und auch wütend gemacht. Und sorgt damit für neuen Antrieb.

Neuer Antrieb durch alte Geschichten

Solange Betroffene nach einer Selbstverletzung in der Notaufnahme mit Worten wie „Ach, sie haben Borderline? Na, dann brauchen sie ja keine Betäubung. Sie haben ja kein Problem mit Schmerzen.“ und schlimmeren Kommentaren versorgt werden;

So lange selbst Psychologiestudentinnen sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können, bei potentiellen Arbeitgebern mit ihrer Diagnose offen umzugehen;

So lange das Bild von Borderline in der Öffentlichkeit so negativ gefärbt, so vorurteilsbehaftet und in vielen Fällen auch schlicht falsch ist:

So lange Betroffene Angst haben müssen vor den Reaktionen ihrer Umwelt, vor Ausgrenzung, Zurückweisung und Verachtung;

So lange ein Großteil der Betroffenen jeden Tag aufs Neue ein Versteckspiel durchmacht und mit allen Kräften eine Fassade aufrechterhält, die einen großen Teil ihrer Persönlichkeit einfach außen vor lässt;

So lange das Leben für uns Betroffene in vielen Fällen durch die Umwelt noch schwerer gemacht wird, als es sowieso schon ist – möchte ich weitermachen.

Mit der Aufklärung. Mit dem Sprechen über die Borderline Persönlichkeitsstörung. Mit dem Vorbild-Sein für andere Betroffene. Mit der Unterstützung aller Parteien.

Lange genug habe ich auch genau diese Dinge gemacht. Als ich noch nicht offen mit meiner Diagnose umgegangen bin – bzw. einfach noch nicht wusste, dass ich sie habe. Meine Therapeutin hat diverse Male gesagt „Sie stecken so viel Kraft in die Arbeit, heil zu wirken, ein falsches Bild abzugeben, Dinge zu verstecken – wenn dieses unglaublich anstrengende Leben eines Tages vorbei ist – sie werden so viel Energie, so viele Ressourcen frei haben. Für andere Dinge. Was werden sie dann nur damit machen?“ – Nun, die Kraft und die Energie ist nun da, und ich stecke sie dort hin, wo ich weiß, dass sie gut aufgehoben ist: das anstrengende Leben von anderen Betroffenen leichter zu machen.

Ist jetzt ein kleines Manifest geworden hier – dann wollte es das wohl werden.

Erinnerungen kämpfen sich durch

Zum guten Schluss muss und will ich euch nicht verheimlichen, dass mir der Abend beim Trialog sehr nah gegangen ist. Und mich in eine etwas gefährliche Stimmung gebracht hat. Es wurde viel über selbstverletzendes Verhalten gesprochen. Ich habe Betroffene erlebt, die auf ihrem Weg der Genesung noch ganz am Anfang stehen bzw. noch nicht so weit fortgeschritten sind wie ich. Und das hat mich mal wieder daran erinnert, durch welche Höllen ich schon gegangen bin.

Dass es mir gerade so geht soll aber nicht heißen, dass ich den Trialog als negativ empfunden habe. Ich schaffe es einfach sehr oft, die ganze Borderline-Thematik rein dem Kopf zu überlassen. Die Emotionen werden ausgesperrt und die Rationalität genießt die sturmfreie Bude. Und nach solchen Erlebnissen wie beim Trialog öffnet sich die Tür dann. Die Emotionen schleichen sich durch und erinnern mich an die unschöneren Zeiten. Den Schmerz, die Trauer, die Verzweiflung – alles kommt hoch. Früher habe ich mit Hilfe von eher schädlichen Verhaltensweisen diese Gesellen wieder rausgekämpft. Genau das will, sollte und möchte ich aber nicht mehr. Die neuen Rausschmeißer-Taktiken gibt es zwar, aber sie funktionieren eben noch nicht so gut. Daran arbeite ich noch.

Gerade kämpfe ich ein wenig zwischen Stark sein für die anderen und ich ergebe mich vor den Bildern, Emotionen und Erinnerungen, die in mir hochkommen. Drückt mir die Daumen, dass ich da heil rauskomme. Habe auf jeden Fall heute das erste Mal seit langem wieder so richtig schön geskillt. Zu dem Thema gibt es auch bald mehr.

BPD Symptome erklärt | N°3

Lesezeit: 5 minuten

Ich schaffe das – ich rock das Ding jetzt! Vergiss es, das packst du nie. Geh lieber wieder in deine Ecke.

BPD Symptome erklärt | N°3

In der Reihe BPD Symptome erklärt möchte ich euch nach und nach anhand der „offiziellen Kriterien“ des DSM die Symptome der Borderline Persönlichkeitsstörung vorstellen. Wie bei allen Beiträgen auf meiner Seite gilt: hier geht es um meine Welt, um meine Erfahrungen, um meine Ansichten. Nun also zu Kriterium N°3:

Identitätsstörung in Form eines ausgeprägten und andauernden instabilen Selbstbilds oder einer instabilen Selbstwahrnehmung

Wieder mal die Wechsel. Von „Ich finde mich großartig (oder zumindest gut)“ zu „Ich bin der letzte Dreck“. Innerhalb von Tagen, Stunden oder auch Minuten. Das kann einem manchmal ganz schöne Striche durch die Rechnungen machen.


Du kennst das bestimmt: du hast gute Tage. Da guckst du in den Spiegel und denkst dir „Ach, so scheiße seh ich eigentlich gar nicht aus.“ Der Tag läuft, du bekommst viel auf die Reihe. Und dann gibt es Tage, da stehst du auf, und bist von dir selber genervt. Die Haare sitzen nicht. Und überhaupt. Irgendwie alles doof. Du weißt nicht so richtig, wohin mit dir.

Jetzt verstärke das mal zehn. Wie mit allen deinen Gedanken, Gefühlen und deinem ganzen Erleben kannst du das eigentlich so handhaben: wenn du erahnen möchtest, wie diese Situation für jemanden mit Borderline wäre, verstärke alles mal zehn. Oder besser, mal fünfzig. Dann kannst du dir vielleicht ungefähr vorstellen, wie anstrengend das Ganze ist.

Egal ob es um die Liebe, Freundschaften, meinen Körper, meine Zukunft, mein Können, mein Wissen, meine Talente oder meine Hobbies geht. Meine Meinung darüber wechselt häufig. Mehrmals in der Stunde, am Tag, in der Woche, im Monat. Mir fehlt die Sicherheit über mich selbst. Wer ist diese Person, mit der ich jeden Tag 24 Stunden verbringe?

Suche: Selbstsicherheit!

Dieses Symptom hält sich hauptsächlich im Hintergrund auf. Der Kampf mit meinem Bild über mich spielt sich vor allem in mir drinnen ab. Es ist für andere nicht so deutlich sicht- und fühlbar, wie zum Beispiel meine Wutausbrüche.  Da kommt wenn dann nur auf subtilem Wege was nach außen. Meine Selbstzweifel, meinen Selbsthass, meine schlechte Meinung über mich selber kann ich sehr gut verbergen. Da stimmt Arvid mir zu.

Ein Beispiel: ich will mich für ein Praktikum bewerben. Ich muss. Ich sollte. Ich setze mich ins Internet und suche mir Firmen aus, auf die ich richtig Lust habe. Ich fange an, meinen Lebenslauf auf den neuesten Stand bringen. Setze Schreiben auf. Läuft. Dann muss ich weg vom Rechner. Aus irgendeinem Grund.

Und dann geht nix mehr. Für Wochen. Warum soll ich mich bewerben? Die nehmen mich eh nicht. Ich habe so einen komischen Lebenslauf. So eckig. Und kantig. Und kurvig. Das will doch keiner. Da gibt es so viele andere da draußen. Die passen viel besser. Ich lass die ganze Sache lieber. Tausend Gründe fallen mir ein, warum ich nichts tauge. Nicht für diesen Job. Und auch für keinen anderen.

Für Wochen. Und dann, eines Tages: Geil, heute schreibe ich Bewerbungen. Und die nehmen mich eh. Ich kann mir ja quasi aussuchen, wo ich hin will. Mit meinem geilen Lebenslauf passe ich da super hin. So eckig. Und kantig. Und kurvig. Genau was die suchen. Und innerhalb von Stunden ist alles im Kasten und auf dem Weg zu den Empfängern.

An manchen Tagen (das sind leider die wenigeren) denke ich, Arvid hat so ein Glück mit mir. Ich bin intelligent, witzig, sportlich und habe keine Hackfresse. Und an anderen Tagen: ich bin so anstrengend, es gibt so viele Mädels, die sind hübscher als ich, erfolgreicher, kreativer, unterhaltsamer. Was will der eigentlich mit mir? Eh klar, dass er mich quasi morgen verlassen wird.

Finde: öfter mal was neues!

Was macht mich aus? Wofür stehe ich? Was sind meine guten Seiten? Was sind meine Vorlieben? Alles Fragen, die „normalen Menschen“ dabei helfen, zu erkennen, was für eine Art Mensch sie sind. Wenn du diese Anker aber nicht hast, sondern wie ein hilfloses Beiboot zwischen allen möglichen Meinungen und Sichtweisen hin- und hergerissen wirst, verlierst du auf Dauer die Sicherheit über dich selbst. Ich mag Sport? Ach ja, mag ich Sport wirklich? Oder habe ich diese Sichtweise nur irgendwo übernommen und lasse sie nicht mehr los? Bin ich wirklich „Sportlerin“? Um nicht mehr weiter umhergeschleudert zu werden bleibt man dann irgendwann einfach bei irgendetwas kleben. Damit man sagen kann: das und das bin ich. Das mag ich. Blöd nur, wenn man dann nach einer Weile feststellt, dass es eigentlich gar nicht stimmt.

Ich habe mich in den letzten Monaten zu einigen großen Themen in meinem Leben neu positioniert. Ich habe mir ein paar Dinge genau angesehen und festgestellt, sie sind mir nicht so wichtig, wie ich es immer dargestellt habe. Und wohl auch selber geglaubt habe. Was hier so lapidar klingt war ein echt gutes Gefühl. Und das ganze passiert auch andersrum.

Vor einigen Jahren, Monaten oder Wochen habe ich über Dinge wie Bergsteigen, Yoga oder Meditation geschimpft, mich lustig gemacht oder sie sinnfrei gefunden. Heute kann ich mir ein Leben ohne diese Dinge nicht mehr vorstellen. Ich sehe aber das positive daran: Erstens glaube ich daran, dass Menschen sich ändern können – denn ich bin das beste Beispiel. Zweitens: ich bleibe immer offen für neues, denn wer weiß wie ich morgen über die Dinge denke? Und drittens: es wird nie langweilig mit mir – nicht für mich und nicht für andere. Immer neue Impulse, immer neue Ideen, immer neue Pläne.

Einmal zum Ausgang, bitte!

Aber ich will nicht schön reden, dass es auch verflucht anstrengend sein kann. Und richtig blöd wird es immer dann, wenn diese Launen Sachen beeinflussen, von denen ich auf keinen Fall will, dass sie beeinflusst werden. Zum Beispiel diese Seite hier. Im Vorfeld des Launches gab es oft genug Momente, in denen ich an der ganzen Sache gezweifelt habe. Das will eh keiner lesen. Wer interessiert sich schon dafür. Es gibt viel schlimmere Dinge auf der Welt. Und so weiter.

In den anderen, den Up-Phasen sah es dann wieder ganz anders aus. Ich will, dass diese Krankheit bekannter wird. Ich will Vorurteile abbauen. Ich will helfen, zu entstigmatisieren. Ich will, dass Betroffene nicht mehr so eine Angst vor den Reaktionen haben müssen. Und da kommt dann wieder die Pflicht ins Spiel, die mir auch bei der Depression hilft. In gewissem Sinne sehe ich es als meine Aufgabe, dass ich als funktionale Borderlinerin für alle anderen mitkämpfe, die diese Schlacht nicht selber schlagen können.

Eine Sache, die bei mir also hilft: das Gedankenkarussel von mir selber wegzubewegen. Andere in den Mittelpunkt zu stellen. Denn wenn es nicht mehr direkt um mich geht, läuft das ganze gleich schon wieder viel besser. „Die Anderen“ ändern sich auch nicht so schnell. Da kann ich mich festlegen und Verantwortung übernehmen. Das hilft. Auch wenn ich mir die Verantwortung nur selber auferlege. Mir zu sagen, dass ich die Ressourcen dazu habe, das Leben von anderen Menschen vielleicht etwas leichter zu machen. Dieses Denken hilft bei der Suche nach dem Weg aus dem Motivationsloch.

(Ihr seht, ich habe mittlerweile schon viel Übung darin bekommen, mich selber auszutricksen. Wenn man wenigstens in Ansätzen verstanden hat, wie mein Kopf so funktioniert, kann man damit auch arbeiten.) 

Kurz und gut

Bei diesem Symptom hilft einem als Betroffener vor allem eine riesige Portion Akzeptanz. Du kannst nicht ändern, dass die Meinungsachterbahn losfährt. Aber du kannst versuchen, die Fahrt nicht mit angstverzerrtem Gesicht über dich ergehen zu lassen. Such dir Fixpunkte. Sachen, die dich schon lange begleiten. Bei mir ist das Reisen einer dieser Fixpunkte: Egal wie es mir geht, was ich denke, welche Laune gerade den Ton angibt: Reisen geht immer! Dran denken, davon träumen, was planen. Und glaub mir, wenn deine ganze Welt anfängt zu verschwimmen, weil du dir bei gar nichts mehr sicher bist, dann ist so ein Fixpunkt Gold wert. Und reicht zum Navigieren und Vorwärtskommen.

Beim Schreiben dieses Artikels ist mir die Idee gekommen, am nächsten guten Tag mal ein paar von den netteren Gedanken aufzuschreiben. Für schlechte Zeiten. Um mich an den Scheißtagen dran zu erinnern, dass ich kein komplett hoffnungsloser Fall bist. Denn wenn ich mal unten bin, im Sumpf der Selbstverachtung, dann können so ein paar geschriebene Worte vielleicht helfen, da schneller wieder rauszukommen. Also, nächster guter Tag, komm bitte bald!

Als Angehöriger kannst du vor allem zwei Dinge tun: dich nicht wundern und den Betroffenen nicht mit seinen Meinungsänderungen ärgern oder aufziehen. Wie oben geschrieben, fand ich Yoga lange doof. Und hab bestimmt auch drüber gelästert. Irgendwann war die Neugierde aber groß und ich hab mal ein bisschen ausprobiert. Und es hat mir getaugt. Sehr. So dass ich inzwischen zwei- bis dreimal die Woche Yoga mache. Die erste Zeit hat Arvid JEDES Mal, wenn ich vom Thema angefangen habe, gesagt: „Also, vor nem Jahr fandest du das noch total scheiße.“ Je. Des.Mal. NA UND? Jetzt finde ich es eben gut.

Genug der Worte von mir. Hier noch ein paar Worte von wem anders:

The less of routine, the more of life.

Amos Bronson Alcott

Was ein Glück!

Lesezeit: 4 minuten

Was ein Glück!

Ich muss das jetzt mal loswerden: es ist einfach geil, dass eine Reise wie THE | trip für uns möglich ist! Heute ist mir mal wieder bewusst geworden, was für ein Luxus das Ganze eigentlich ist. Wobei, Luxus ist irgendwie der falsche Begriff. Denn beim Zustandekommen dieser Reise spielen verschiedenste Komponenten eine Rolle.


Danke, Deutschland!

Wir leben hier in Deutschland ohne Existenzängste. Wir können es uns leisten, darüber nachzudenken, mal für vier Monate weg zu sein. Wie viele Menschen auf dieser Welt können nicht einmal einen Gedanken daran verschwenden, von ihrem Wohn- und/oder Heimatort wegzugehen? Wir haben keine Äcker zu bestellen, müssen keine Banden für unsere Sicherheit bezahlen. Aber auch im Verhältnis zu vielen Deutschen geht es uns gut. Und das wissen wir. Auch sehr zu schätzen.

Mit dem deutschen Pass hat man momentan die Möglichkeit, in 145 Länder zu reisen. Ohne Visa. Ohne Formalitäten. Ohne Probleme. Was für ein Luxus ist das eigentlich? Danke dafür, liebes Schicksal. So oft ich auch auf dieses Land und seine Menschen fluche. Unten auf der Liste stehen Länder, mit deren Pass man nur in 28 Länder reisen kann. Was für eine Freiheit bekommen wir durch dieses Stück Papier.

Aber da sind wir auch schon beim nächsten Punkt:

Wir wollen uns das Reisen leisten. Wir wollen es uns gönnen. Wir wollen uns diesen Luxus erlauben. Wenn man mit den Menschen spricht, dann hört man so oft „Au ja, so ein paar Monate weg, das würde ich auch gerne mal machen.“ – „Einen VW-Bus? Ja, so was hätte ich auch gern!“ Ja verdammt, warum macht ihr es dann nicht? Warum kauft ihr euch dann nicht einfach einen Bus? Warum fliegt ihr nicht los? Oder fahrt? Mit eurem Bus?

Klar, das Geld.

Da schwimmen wir aber auch nicht drin. Wir haben uns entschieden, das wir die Welt sehen wollen. Und dafür bringen wir gerne Opfer. Wenn man das denn „Opfer“ nennen kann. Wir kaufen uns eben nicht die 44ste Hose, damit der Schrank noch voller wird. Wir mögen Technik, aber solange unser Fernseher funktioniert, kommt kein neuer ins Haus. Wir lieben es, gut Essen zu gehen oder mal ins Kino. Aber alle diese Dinge kann man einschränken. Sich im wahrsten Sinne des Wortes sparen.

Wir rechnen mittlerweile oft und gerne in „Asien-Essen“. Ins Kino? Ne, für das Geld können wir in Asien bequem drei Tage reisen. Wir haben uns entschieden, unseren Alltag zu verlassen. Was neues zu sehen. Das steht oben auf unserer Prioritätenliste. Und es muss nicht bedeuten, dass man bei Brot und Wasser in einer kalten Wohnung auf einer ekligen Matrazte schläft. Man kann kürzertreten, ohne zu kurz zu kommen.

Konsum mal anders

Mittlerweile muss ich fast lachen, wenn ich in München durch die Kaufingerstraße laufe. So viele Gesichter, die mir erzählen „Wenn ich da drüben jetzt bei H&M dieses graue T-Shirt kaufe, dann bin ich glücklich. Dann ist mein Leben besser.“ Ich bin so froh, dass ich aus diesem Karussel ausgestiegen bin.

Wer mich kennt, wird jetzt lachen und sagen: du gibst doch immer noch genug Geld für Outdoor-Zeug aus. Stimmt. Ich habe ja auch nicht gesagt, dass ich aufgehört habe, zu konsumieren. Aber ich kaufe bewusster. Keine Blindkäufe mehr. Bevor ich kaufe, denke ich lange nach. Wenn es nach ein paar Tagen oder auch Wochen immer noch eine gute Idee zu sein scheint, das Ding zu kaufen, tue ich es.

Was willst du?

Kauf ruhig weiter. Aber dann beschwer dich nicht. In den seltensten Fällen hat dich jemand dazu gezwungen, so zu leben, wie du es gerade tust. Wenn du Bundesbürger bist, dann musst du eigentlich keine Angst haben. Dein Land fängt dich auf.

Hör doch mal rein in dich. Wenn du keine Verpflichtungen hättest und die keine Sorgen um das liebe Geld machen müsstest – womit würdest du deine Tage füllen?

Für mich ist diese Reise erst der Anfang. Ich will gar nicht erst wieder einsteigen in dieses Karussel. Ich will nicht für eine Wohnung arbeiten, in der ich nie sein kann, weil die Miete so hoch ist, dass ich die ganze Zeit arbeiten muss. Ich will keinen Job haben, von dem ich mich von Feierabend zu Feierabend und von Wochenende zu Wochenende hungere. Ich will nicht 20 Tage im Jahr in den Urlaub fahren. So wie es die Deutschen durchschnittlich tun. Und damit Weltmeister sind. Ich will mein Glück nicht von Gegenständen abhängig machen.

Abkürzender Umweg zum Glück

Ich habe keine Lust auf „Das macht man aber so.“ Dann soll man das eben machen. Mein Leben hat mich schon durch zuviel durchgeschickt. Ich habe begriffen, dass ich mir meine Ziele, Wünsche und Träume nicht von außen diktieren lassen möchte. Kein sollte. Kein hätte. Kein würde. Ich will machen. Und so leben, dass ich Lust drauf habe.

So mancher ehemaliger Vorstandsvorsitzende, Konzernchef oder Manager verbreitet genau dieselbe Botschaft. Lebt nach ähnlichen Maßstäben. Grund für diese Kehrtwenden war oft eine Art Tiefpunkt, ob Burnout oder ein anderer Schicksalsschlag. Gut, das Thema habe ich nun mal schon abgehakt. Ich kann die nächsten zwanzig Jahre blindes Schuften überspringen und gleich losleben.

Und wenn du jetzt besserwisserisch schmunzelst und sagst: „Na, du hast gut reden. Lass uns in fünf Jahren nochmal sprechen.“ dann gehörst du leider zu der Sorte von Mensch, vor der man von erfolgreichen Digitalen Nomaden, Langzeitreisenden und anderen Aussteigern immer gewarnt wird. Denn es gibt mehr Menschen als man denkt auf dieser Welt, die einfach ihr Ding machen. Und dabei verdammt glücklich sind.

Ich sage nicht, dass mein Weg der richtige für jeden ist. Und ich werde einen Teufel tun, meine Meinungen irgendwem aufzudrücken. Mach dein Ding, ich mach meins. Hauptsache, dir geht es gut dabei.

BPD Symptome erklärt | N°2

Lesezeit: 5 minuten

Verschwinde du Arsch, ich will dich nie wieder sehen! Du bist so toll, ich will dich heiraten!!!

BPD Symptome erklärt | N°2

In der Reihe BPD Symptome erklärt möchte ich euch nach und nach anhand der „offiziellen Kriterien“ des DSM die Symptome der Borderline Persönlichkeitsstörung vorstellen. Wie bei allen Beiträgen auf meiner Seite gilt: hier geht es um meine Welt, um meine Erfahrungen, um meine Ansichten. Wenn ihr Ergänzungen habt, könnt ihr diese gerne per Mail oder in den Kommentaren mit mir und allen Lesern teilen. Nun also los mit Kriterium N°2:

Instabile, aber intensive zwischenmenschliche Beziehungen mit häufigem Wechsel zwischen extremer Idealisierung und Abwertung des Partners.

Wohl eines der anstrengendsten Symptome für das Umfeld von Betroffenen. In schnellen und schnellsten Wechseln wirst du vom Helden zum Hassobjekt. Aus einem warmen „Ich liebe dich“ wird ein hasserfülltes „Verschwinde“. Auf Türenknallen folgt Kuschelbedarf. Da mitzukommen und es auszuhalten, ist mehr als eine Herausforderung. 


Warum ich mit N°2 anfange? Ganz einfach: Kriterium N°1 der offiziellen 9 ist das einzige Symptom, bei dem ich kein Kreuzchen machen kann. Schade aber auch. (Ironie) Daher steigen wir gleich mit einem Thema ein, was meiner Meinung nach für Angehörige, Freunde und vor allem die Partner von Borderlinern mit die größte Anstrengung und Herausforderung darstellt.

In meinem Fall bekommt besonders mein Freund Arvid die volle Breitseite dieses Symptoms ab. Er ist wohl der einzige Mensch, bei dem mein strenges Über-Ich die Zügel locker lassen kann. Keine andere Person kann ich so anschreien, beschimpfen und – leider auch – verletzen. Dabei ist er auch der Mensch, der die größte Portion Liebe von mir bekommt.

Im Alltag sieht das dann so aus: wir schreien uns an, gerne aus einem nichtigen Grund. Ich werfe mit verbalen Messern um mich, die ich bei klarem Verstand niemals in den Mund nehmen würde. Dies kann für einige Zeit andauern, bis einer von uns die Schnauze voll hat und den Raum verlässt. Fünf Minuten später klopfe ich an seine Tür, schnurre sanft wie ein Kätzchen und möchte kuscheln.

Aus einer Mücke werden drei Elefanten

Oder anders. Den ganzen Tag freue ich mich auf einen Anruf von ihm. Überlege, was ich ihm alles erzählen möchte und kann es gar nicht mehr erwarten, dass endlich das Telefon klingelt. Wenn dies dann allerdings nicht zu genau der Zeit passiert, zu der ich es erwarte und es mir in den Kram passt, fällt meine Laune vom Vorfreude-Gipfel in die Abneigungs-Hölle. Wenn es so weit ist, können wir uns das Telefonat dann auch sparen.

Inzwischen weiß ich das und kann manchmal einfach die Notbremse reinhauen und Arvid sagen, dass ich jetzt sofort auflegen werde. Dann rege ich mich zehn Minuten lang erst noch mehr auf und dann langsam ab. Wenn es passt können wir dann einen zweiten Versuch starten.

Es gibt aber auch noch die anderen Wechsel. Die tiefgreifenderen, die schon einmal über mehrere Tage anhalten können. Das kann dann schön sein, mit Hochzeits-, Zukunfts- und Familienplänen. Mit verliebten SMS, einem anhaltenden Drang ihn hören zu wollen und non-stop Sehnsucht. Oder ich stelle das große Ganze in Frage, denke über eine Trennung nach oder wie viel Sinn das ganze überhaupt macht. Wenn Arvid so oft der Grund für meinen Ärger und meine Wut ist, macht das ganze dann überhaupt Sinn?

Nach einem solchen Telefonat wie oben beschrieben hatte ich vor kurzem zufällig einen Termin bei meiner Therapeutin. Auch ihr gegenüber habe ich die Beziehung in Frage gestellt. Die immerhin nun seit bald 7 Jahren besteht. Aber zum Glück lässt sie sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Sie hat mich dazu gebracht, zu erkennen, dass hinter meiner Wut eigentlich was ganz anderes steckt. Andere Gefühle. Schmerzhafte Gefühle. Und mit denen kann ich einfach überhaupt nicht gut umgehen. Mit Wut aber schon. Mein oft auftretender Ärger und die Wutausbrüche sind meistens nur Folgeerscheinungen. Darunter liegt oft Hilflosigkeit, Trauer oder Schmerz. Da ich mit diesen Kompagnons aber eben nicht besonders gut kann, haue ich einfach eine ordentliche Portion Wut darüber. Die kenne ich, damit kann ich umgehen.

Wie gehe ich als Partner also damit um?

Wie ich im Grundkurs Borderline schon angerissen habe: Mit am wichtigsten finde ich, dass du als Partner dich nicht von jeder Stimmung mitreißen lässt. Denn das macht die ganze Sache für euch beide nur noch schlimmer.

Heißt das jetzt, du darfst nicht zurückschreien wenn dein Bordie dich aus vollem Hals und voller Hass anschreit? Nun, meine persönliche Bitte ist: versuche erst kurz darüber nachzudenken, ob das wirklich gerade einen Wert hat. Und wenn der Ausgangspunkt der ganzen Sache nur eine Nichtigkeit war, dann versuche darüber zu stehen und den Sturm für einige Minuten abzuwettern.

Du kannst in solchen Momenten praktisch nichts richtig machen. Aber eigentlich alles falsch. Mein Tipp: versuche, dich auf dich selber zu konzentrieren. Lass dich nicht auch noch von der Krankheit lenken. Versuche, bei dir zu bleiben und den Ausbruch nicht an dich ranzulassen. Es ist nicht deine Schuld. Auch wenn du der Auslöser warst. Schuld bist du nur, wenn du mit deinem Handeln genau diese Konsequenz erreichen wolltest. Aber in den meisten Fällen wird das wohl nicht der Fall sein.

Am einfachsten ist es für mich, wenn Arvid mein Wutausbruch kalt lässt und ich wenige Minuten später mit meiner neuen Stimmung zu ihm kommen kann und er mir keine Vorwürfe macht. Nach einem Wut- und Schreianfall bin ich im Nachhinein oft so beschämt und böse auf mich selber, dass muss mir dann niemand mehr vorhalten. Mir tut Leid, dass es passiert ist und ich fühle mich schlecht.

Und was kannst du als Betroffener tun?

Nun, ich habe gemerkt dass ich weniger zu solchen Ausbrüchen neige, wenn ich „in meiner Mitte bin“. Sprich, meine Meditations-, Sport-, Schlaf- und Co-Routine gut hinbekomme. Dann kann ich vieles gelassener sehen.

Mittlerweile habe ich schon so einiges verstanden. Wenn ich merke, dass die Wut kommt oder wenn sie schon da ist, schaffe ich es inzwischen manchmal, mich zu fragen, ob und was dahintersteckt. Da kann verschiedenes bei rauskommen, aber schon allein das Gefühl, der Wut nicht hilflos ausgeliefert zu sein, gibt mir eine Freiheit zurück, von der ich gar nicht wusste, dass sie mir abhanden gekommen war.

Wenn ich erkennen kann, welches Gefühl hinter meinem kochenenden Blut steht, kann ich versuchen, die Dinge zu verändern. Zum Beispiel kann ich Arvid sagen, wenn mich etwas verletzt hat. Das ist meist produktiver als ihn einfach nur anzuschreien.

Und auch bei den länger anhaltenden Phasen habe ich wohl zumindest auf einer rationalen Ebene begriffen, dass sie nicht von Dauer sind. Ich lasse mich nicht mehr aus vollem Herzen mitreißen. Ich muss akzeptieren, dass es diese Wechsel gibt und mich darauf verlassen, dass ich tief drinnen weiß, dass ich einen wundervollen Mann an meiner Seite habe.

Kurz und gut

Meine These zum Symptom: mit der Abwertung meines Partners, versuche ich mich, vor meinen eigenen Gefühlen zu schützen. Lieber den schwarzen Peter weitergeben als zu erkennen, dass ich ein Wesen bin, das von anderen verletzt werden kann.

Was die Idealisierung betrifft so glaube ich, dass sie bei mir dazu dienen soll, das schlechte Gewissen von den Wutausbrüchen wett zu machen. Und wenn man den Partner auf einen Sockel hebt, ist die Schwelle niedriger, ihm Fehler vorzuwerfen. Und das passt leider oft sehr gut in das Wut-Konzept meines Gehirns.

Der abwertende Part dieses Symptoms ist für beide Parteien ziemlich sicher der anstrengendere und auch der, der sich im Alltag stärker bemerkbar macht. Denn idealisiert, geliebt und vermisst zu werden kann auch scheiße sein, wenn es zu viel wird. Aber gehasst, angeschrieben und niedergemacht zu werden, ist wohl weitaus beschissener.


So viel für den Moment zum offiziellen Symptom N°2. Meine Freundschaften werden durch dieses Symptom zum Glück weniger beeinträchtigt. In diesen Beziehungen ist mein Über-Ich einfach strenger und hält mich davon ab, jedes Gefühl ungefiltert so rauszulassen, wie es gerade auftaucht.

Und noch eine Bemerkung zu dieser Reihe: die Symptome von Borderline klar voneinander abzugrenzen, ist sehr schwer. Wie ihr in diesem Beitrag gesehen habt, ging es viel um das Thema Wut, eigentlich ein eigenes Kriterium, zu dem ich bald mehr schreiben werde. Die Symptome treten nicht isoliert voneinander auf, sondern beeinflussen, vermischen und bedingen sich. Nur so, zu euerer Info und zum hoffentlich leichteren Verständnis.

Borderline-ALARM !!!

Lesezeit: 4 minuten

Achtung! Achtung! Ein Borderliner nähert sich! Gehen sie in Deckung und halten sie den größtmöglichen Sicherheitsabstand.

Borderline-Alarm!!!

Im Online-Meer schwimmen viele Artikel über Borderline herum. Viele davon sind viel zu negativ – meiner Meinung nach. Aber es gibt Ausnahmen.


Sagt dir Google-Alerts etwas? Wenn nicht: man kann die Mutter aller Suchmaschinen beauftragen, das Internet nach bestimmten Stichwörtern zu durchforsten. Wenn nun irgendwo in der großen weiten Welt des Netzes ein neuer Inhalt mit dem Suchbegriff publiziert wird, bekommt man eine nette E-Mail.

Vor einigen Wochen habe ich den ganzen Spaß mal für Borderline eingestellt. Viel ist es nicht, was seither in meinem Posteingang eingetrudelt ist. Und von diesem nicht vielen ging es noch einmal in der Hälfte der Benachrichtigungen um etwas völlig anderes, was nichts mit der Borderline Persönlichkeitsstörung zu tun hat.

Alleine diese Tatsache wundert mich mal wieder. Bei so vielen Betroffenen – warum wird so wenig darüber berichtet? Und das Interesse ist da: das Keyword-Tool von Google konnte mir zeigen, dass es jeden Monat 368.000 (!) Suchanfragen für den Begriff gibt.

Schlimmer als die Realität

Nun gut, zurück zum Borderline-Alarm. Wenn sich die Meldungen tatsächlich um BPD drehten, dann waren sie in fast 100% der Fälle negativ, deprimierend, schockierend oder entmutigend. Oder alles zusammen.

Ganz besonders schlimm fand ich einen Text auf heilpraxis.net. Als ich gelesen habe, wir darin über Borderline berichtet wird, wusste ich nicht ob ich vor Wut randalieren oder vor Ungläubigkeit erstarren sollte. Es ging ausschließlich darum, wie schlimm und schrecklich Borderline sein kann. Einer der ersten Absätze lautet

Chaos in der Lebensgestaltung, Regressionen bis zu Kleinkindverhalten, unvermittelte Aggressivität, rasender Zorn und ohnmächtige Wut, Dissoziationen und verzerrte Wahrnehmung begleiten sie. Der Zusammenbruch von Außen und Innen, Nähe und Distanz. Hoffnungslosigkeit und Depression, intensive, aber schnell wechselnde Beziehungen, Selbsthass und Isolation, vernichtende Schuldgefühle, zwanghafte Selbstzerstörung und wochenlange Trauer ist für sie Normalität. Suchtverhalten, ob Alkohol, Drogen oder Spiel, gehören ebenso zur Selbstverletzung der Borderliner.

Erste Reaktion: dieser Text hat so wenig mit meinem Alltag, meinen Erfahrungen zu tun – der Autor hat einfach keine Ahnung. Dann die Zweifel: ich weiß, dass ich das Glück habe, ein eher mittelschwerer Fall von Borderline zu sein. Wenn man das so sagen kann. Hier kommt wieder mein Vergleich mit Krebs. Ist eine Form schlimmer als die andere? Ist einer schlimmer dran als der andere? Und um den Vergleich weiter zu benutzen: Ja, es gibt echt beschissene Formen von Krebs, die so aggressiv sind, dass sie innerhalb von kürzester Zeit unter höllischen Qualen zum Tod führen. Ich weiß, dass es vergleichbare Fälle auch bei Borderline gibt.

Was ich richtig schlimm finde an solchen Texten, ist die Pauschalisierung – Borderline ist so! Alle Borderliner fühlen so! Für solch vereinfachende Aussagen ist die Bandbreite von Borderline einfach viel zu groß. So ein Text blendet aus, dass kein Fall wie der andere ist. Er verschweigt die unendliche Varianz, welche die Diagnose BPD hervorbringt.

Viele Texte handeln von Extremfällen

Ich habe mir nur mit einer Rasierklinge den Arm aufgeschnitten. Andere Betroffene essen die Klingen. Oder hindern ihre Wunden am Zuheilen, indem sie Dinge hineinstecken oder sie mit Zitronensaft behandeln. Diese Tatsache darf allerdings nicht dazu führen, dass die vermeintlich „leichteren“ Fälle verharmlost werden. Es kommt eben auf den Bezugsrahmen an. Darauf, mit wem man sich vergleicht. Egal ob beim Gewicht, der Größe – oder eben Borderline. Und je nachdem kann das Ergebnis sehr unterschiedlich aussehen.Im Gegensatz zu den oben genannten bin ich ziemlich gesund. Im Vergleich mit der „Normalbevölkerung“ bin ich ernsthaft krank.

Wenn das Thema Borderline es dann also mal in Medien schafft, dann fast ausschließlich anhand eines eher extremen Beispiels. Da gibt es dann Patientinnen, die sich Zitronensäure und Gegenstände in ihre Wunden stecken, um diese möglichst lange offen zu halten. Und ähnliche Horrorgeschichten.

Ich habe mittlerweile einige andere Betroffene kennen gelernt. Solche krassen Aktionen hat davon niemand gebracht. Wir alle machten oder machen Sachen, die für den gesunden Menschenverstand eindeutig krank sind, aber das ist eine andere Sache.

Was ich damit sagen will: der Typ Borderliner, der in den Medien gerne aufgegriffen wird, ist nicht der Normalfall. Aber genau dieser Typ scheint durch seine Präsenz das Bild in der Öffentlichkeit zu prägen.

Ganz ehrlich: ich glaube, bei jemandem mit einem richtig harten Fall von Borderline hätte auch ich so meine Probleme im Umgang. Aber der Großteil der Betroffenen ist eben auch Borderliner. Und nicht nur.

>Die Medien bestimmen das Bild

Wenn aber alles was ich über BPD weiß oder lese nur in den schlimmsten Tönen geschrieben wird, wundert es mich nicht mehr, dass es so viele Berührungsängste und Vorurteile gibt.

Ein anderes Beispiel aus der Huffington Post vom 6. September Überschrift „Er war erst 28 – jetzt ist er tot!“ Darin steht über Menschen mit der Borderline Persönlichkeitsstörung:

Die Erkrankten werden zu Geiseln ihrer aus den Fugen geratenen Hirnchemie.

Vielleicht gilt in den Redaktionen einfach immer das alte Medienmotto „If it bleeds, it leads.“ Die krassen Fälle mit schockierenden Geschichten, mit Drama, Blut und Tragödien verkaufen sich eben besser. Ein sachlicher Artikel über Borderline in seiner mittelschweren Form bietet nicht so viel Verkaufs- oder Einschaltpotential. Quasi zu langweilig, die Realität.

Kaum jemandem dürfte weniger daran liegen, Borderline zu verharmlosen, als mir. Doch sicher wird der ein oder andere mir nach der Lektüre dieses Artikels genau das vorwerfen wollen. Nein, Borderline ist schlimm, scheisse und schmerzhaft. Und es gibt krasse Fälle, die auch mich schlucken lassen. Mein Ziel ist, das Bild von BPD gerade zu rücken. Es in eine richtigere Richtung lenken. In eine Richtung, die meinen Erfahrungen und meiner Realität entspricht.

Ein positives Beispiel zum guten Schluss

Und zum Glück kämpfe ich nicht alleine. Denn natürlich finden sich im Netz auch gute Artikel über Borderline.

Eine absolute Empfehlung in dieser Hinsicht ist ein Text auf vice.com vom 8. September diesen Jahres. Darin möchte sich der Autor selber ein Bild von der Krankheit machen, indem er mit einer Ärztin, einem Angehörigen und einer Betroffenen spricht. Hier ist der Link, und wenn du noch drei Minuten Zeit hast, dann klick da drauf und lese. Ich bin sowieso fertig für den Moment.

Das Normalsein psychischer Krankheiten

Lesezeit: 5 minuten

Du hast Borderline? Aber du bist doch so normal? Also, bis auf dass du komisch bist.

Das Normalsein psychischer Krankheiten

Drei Fragen, ein Beitrag | Warum finden Fremde meine Blogidee so spannend? Warum bin ich froh, Dommi 2.0 entdeckt zu haben? Und wer von uns beiden ist hier eigentlich normal?


Mehr als einmal habe ich diese oder ähnliche Worte gehört. Gerade in den letzten Wochen, wenn ich über meine Pläne und Vorbereitungen rund um traveling | the | borderline gesprochen habe.

Das Bild, dass die Leute von mir haben, scheint nicht zu dem Bild zu passen, dass sie von Borderline haben. Wenn sie denn überhaupt eines haben.

Danke für euer Interesse!

Den Sommer über habe ich in Vorbereitung auf meine Selbstständigkeit einige Kurse an der Akademie der Bayerischen Presse belegt. Wenn ich dort erzählt habe, was für eine Art Seite ich plane und worum es darauf gehen soll, waren die anderen Teilnehmer immer sehr überrascht. Und interessiert. Sehr sogar.

Menschen, die weder mich kennen noch einen Bezug zum Thema Borderline haben, schenkten mir aufrichtiges Interesse. Mir wurde Mut attestiert, Respekt ausgesprochen und das Versprechen abgenommen mich zu melden, sobald die Seite online geht.

Woher diese Art der Unterstützung kommt? Höflichkeit? Spielt bestimmt auch eine Rolle. Aber eher eine untergeordnete. Ich glaube, da steckt mehr dahinter. Und zwar, dass die Leute neugierig sind, wie mein Auftreten und eine psychische Krankheit zusammen passen.

Ich bin keine in mich gekehrte, schwarz gekleidete und depriminiert aussehende Person. Eher das Gegenteil, würde ich sagen. Ich lache viel, bin offen, freundlich und kommunikativ. Jedenfalls in Gegenwart der meisten Menschen. Und wenn ich nicht gerade eine Zwölf-Stunden Schicht mit nerven raubenden Gästen habe. Meine Vermutung ist, dass dies nicht mit dem zusammen passt, was die Menschen erwarten, wenn sie Borderline hören. Und genau das weckt Neugierde. Dieser Gegensatz zwischen mir und dem Bild einer persönlichkeitsgestörten Person.

Wann hat man denn schon einmal die Möglichkeit, in den Kopf einer Gestörten zu schauen? Ich öffne mit meinem Blog mein Leben für alle. Ich möchte anderen einen Eindruck davon geben, wie es ist, mit einem Knacks im Kopf durch die Welt zu gehen. Und zeigen, dass wir uns in vielen Dingen gar nicht so sehr unterscheiden. Nur ist so manches bei mir einfach ein wenig stärker vorhanden, als bei dir.

Der Großteil von meinem Leid spielt sich nun mal in meinem Kopf ab. Was nicht heißt, dass es weniger schlimm ist als eine nicht mehr funktionierende Gliedmaße zu haben. Leb mal einen Tag mit meinem Gehirn zusammen. Ich wette nach ein paar Stunden tust du fast alles dafür, es gegen einen dreifachen Oberschenkelhalsbruch zu tauschen.

Mach dir dein eigenes Bild von dir

Lange Zeit habe ich so getan, als wäre ich ein heiles Mädchen. Als wäre alles gut. Besonders vor meiner Familie. Und in der Schule. Und in der Arbeit. Und im Studium. Ich wollte keine Fragen, keine Sorgen und keine Schubladen. Im Nachhinein erkenne ich so langsam, wie viel Kraft mich das jeden Tag aufs Neue gekostet hat.

Ganz ehrlich: am entspanntesten war mein Leben bisher während meiner stationären Therapie in Hamburg. Und zwar mit Abstand. Da waren eben alle „komisch“. Egal wie ich mich gerade gefühlt habe, ich konnte alles raus lassen. Ob es Trauer, Wut oder die reine Lebensfreude war. Und wenn es fünf Minuten später das Gegenteil war, hat sich keiner gewundert. Das war eine gute und für mich sehr wichtige Erfahrung. Ich werde nicht als Person im Ganzen abgelehnt, wenn ich mal nach meiner Nase tanze.

Und das Tollste ist, dass ich es geschafft habe, sozusagen die Light-Version dieser Erfahrung mit in meinen Alltag rüberzuziehen. Nicht die volle Bandbreite, dafür ist mein Über-Ich zu fleißig und tonangebend. Aber ich versuche nicht mehr etwas zu sein, was ich gar nicht bin. Wenn ich einen schlechten Tag habe, dann versuche ich nicht auf Teufel komm raus die Spaßkanone vom Dienst zu sein.

Seit ich offen mit meiner Krankheit umgehe – und das ist wahrlich noch nicht lange der Fall – ist mein Leben so viel leichter geworden. Ich zeige den Menschen nicht mehr die Dommi, von der ich denke, dass sie sie sehen wollen. Oder jedenfalls nur noch selten. Ich trage nicht mehr ein Bild von mir selber vor mir her, dass ich mir über Jahre aus Puzzleteilen irgendwie zusammengeflickt habe. Heute bin ich wohl eine echtere Dommi. Ich habe so manches Bild, diverse Annahmen und Urteile, die ich von und über mich selber hatte, einmal über den Haufen geworfen und mal nachgeschaut, was sich darunter die letzten Jahre so versteckt hat. Und da habe ich ein paar interessante Dinge gefunden.

Sich hinter sich selber verstecken

Selbstverständlich ist das Ganze aber überhaupt nicht. Viele andere Borderliner, die ich bisher getroffen habe, halten ihre Krankheit in irgendeiner Form geheim. Niemand auf der Arbeit soll etwas mitbekommen. Bloß keine seltsamen Blicke von der Seite, Getuschel auf dem Flur oder Gerüchte per E-Mail. Lieber heile Welt spielen. Ist einfacher.

Aber eben auch unfassbar Kräfte zehrend. Der Kampf gegen das eigene Ich. Ständig auf der Hut sein. Auch bei 35 Grad mit langen Ärmeln rumlaufen. Ausreden suchen müssen. Bloß nicht auffallen. Immer die richtige Antwort auf die falsche Frage haben. Jederzeit bereit, dem anderen zu zeigen, was er sehen möchte. Sich nur nach außen und an den anderen orientieren. Ihr Bild soll stimmen. Wie sehr man selber darunter leidet, merkt man erst, wenn man einmal erfahren hat, dass es auch anders gehen kann.

Ich hoffe, mit meiner Arbeit einen Teil dazu beitragen zu können, dass mehr Betroffenen offener mit ihrer Bordeline Persönlichkeitsstörung umgehen können. Dass mehr es schaffen, zu ihrer Krankheit stehen zu können. Und sich nicht mehr dafür schämen. Ein Krebspatient schämt sich schließlich auch nicht für seine Krankheit.

Jeder ist sich selbst der normalste

Toll dass unsere Gesellschaft so hart daran arbeitet, Tabus aus der Welt zu schaffen. Mittlerweile kann man über viele Dinge reden, die vor wenigen Jahren noch nicht einmal hinter verschlossenen Türen besprochen wurden. Aber psychische Krankheiten gehören definitv nicht dazu. Schade. Denn es gibt so viele Betroffene. So. Viele. Ich will gerade nicht Google befragen, aber gefühlt sage ich, dass die Hälfte aller Deutschen mindestens einmal in ihrem Leben mit psychischen Krankheiten zu tun haben. Direkt oder indirekt. Entweder es trifft dich, oder jemanden aus deinem Umfeld. Und diese Zahl steigere ich auf mutige 2/3 aller Menschen, wenn man die unentdeckten, versteckten und nicht diagnostizieten Fälle mit dazu zählt.

Das Leben der Betroffenen wird oft dadurch erst richtig schwer, dass sie sich über die Reaktionen anderer Gedanken machen müssen. Wenn man aus der Norm fällt, fällt man auf. Und auffallen ist nicht gern gesehen. Da kommt was, da passiert was, das man nicht kennt. Da steckt ganz simpel enorm viel Unsicherheit dahinter. Ein gebrochenes Bein kann man sehen. Wie es ist, einbeinig unter der Dusche balancieren zu müssen, damit der Gips nicht nass wird, kann man sich vorstellen. Aber wie sich eine Persönlichkeitsstörung anfühlt? Das ist einfach schwer zu greifen. Es fällt ja auch bei gesunden Menschen manchmal schwer nachzuvollziehen, warum sie so handeln und denken, wie sie es tun. Dann beschäftigt man sich lieber gar nicht erst mit den richtig harten Nüssen. Ablehnung ist da definitiv die einfachere Möglichkeit.

Bei der Recherche zu meiner Bachelor-Arbeit habe ich so einiges zum Thema Stigmatisierung psychischer Krankheiten gelesen und gelernt. Vieles ist schwer zu untersuchen, aber klar ist: die beste Waffe gegen Stigmatisierung ist Wissensvermittlung. Je mehr eine Person über Borderline, Depressionen und Co weiß, desto gesünder ist der Umgang mit Betroffenen.

Ja, ich habe Borderline. Ja, mein Leben ist jeden Tag eine Achterbahnfahrt. Oft bin ich meinem eigenen Innenleben hilflos ausgeliefert. Ich habe beschissene Tage. Aber auch richtig gute. Und viel irgendwo dazwischen. So wie du auch. Und ja, man kann mit mir Spaß haben. Ins Kino gehen, mit mir zusammenarbeiten, frühstücken oder auf den Berg gehen. Ohne dass ich Amok laufe, rumschreie oder was kaputt mache. Ich bin so normal wie jeder andere, nur sind meine Macken vielleicht ein bisschen ausgeprägter.

Also, fragt mich. Über mein Kranksein, über mein Normlsein. Fragt euch gegenseitig. Fragt euch selber. Denn zum Glück ist Normalsein ja auch nur so ein Begriff – wie Schönheit. Liegt im Auge des Betrachters.

Mein Weg zur Borderline-Diagnose

Lesezeit: 3 minuten

Wie – ich bin nicht einfach komisch? Das hat einen Namen? Es gibt also quasi einen Grund für meine komischen Gedanken und Gefühle? Wirklich? Wie geil!

Mein Weg zur Borderline-Diagnose

Genau so hat es sich angefühlt! Geil! Also – gut! Erleichternd. Wirklich. Nach dem ersten Schock jedenfalls.

Mir ging es sehr lange sehr schlecht. Über mehrere Jahre war ein großer Teil meiner Zeit und Energie darauf verwendet, mir selber zu schaden.

Es ging zwar nicht steil, aber dafür stetig und konstant nur in eine Richtung: Bergab. Wann genau der Punkt kam, an dem mir klar wurde, dass ich etwas ändern muss, kann ich nicht mehr sagen. Ob er sich über lange Zeit angeschlichen hat oder plötzlich einfach da war. Jedenfalls kam er. Und das war gut so.

Ich schaff das alleine

Meine ersten Versuche fanden alle statt, ohne fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Denn das hätte das Risiko größer gemacht, dass jemand etwas mitbekommt. Und da dies ja für mich der GAU war, beschloss ich, es erstmal auf meine Weise zu versuchen.

Nach kleineren und größeren Anlaufschwierigkeiten, Rückschlägen und Richtungsänderungen hatte ich mich nach vielen Monaten tatsächlich so weit, dass ich dachte, alles hinter mit gelassen zu haben. Jedenfalls alles schlechte – das Ritzen, den ungesunden Umgang mit Alkohol und auch die depressiven Phasen.

…oder auch nicht

So kann man sich täuschen.

Nachdem es knapp ein halbes Jahr gut lief, so richtig gut und rund, erwischte mich das nächste Loch dafür umso härter, war tiefer als je zu vor. Alle die Arbeit, Kraft und Energie die ich in mich selber gesteckt hatte, um auf ein wie ich dachte gesundes Niveau zu kommen, wurden innerhalb von wenigen Tagen, eigentlich Stunden über den Haufen geworden. 

Ich fiel ohne Übergang direkt in alte Muster. Das volle Programm. Vielleicht könnt ihr euch vorstellen, dass diese Erfahrung meine Hoffnung auf Besserung, mein Selbstbewusstsein und meine Vorsätze zunichte machte,

Mein Glück war wohl, dass ich während meiner „guten Zeit“ dem Frieden schon nicht so ganz über den Weg getraut hatte. Irgendwie habe ich gemerkt, dass es da Sachen gibt, die ich alleine nicht auf die Reihe bekomme. Und hatte beschlossen, mich in professionelle therapeutische Hände zu begeben.

Wer suchet der suchet

Wie das so ist mit den Therapeuten – den oder die einen zu finden, bei dem alles passt, man sich wohl fühlt und der oder die dann auch noch in absehbarer Zeit einen Platz frei hat, gleicht einer XXXXXL-Version der Reise nach Jerusalem. Nach ein paar Fehlanläufen ist es mir gelungen, jemanden zu finden, bei dem fast alle Punkte zutrafen. Nur das mit den regelmäßigen Terminen würde erst im Herbst etwas werden. Zu dem Zeitpunkt war es Frühsommer. Nun gut, das schaffe ich jetzt auch noch.

Zwischendrin so gute Phasen gehabt, dass wieder Zweifel an der ganzen Unternehmung aufkamen. Brauche ich das wirklich? Passt doch eigentlich grad alles. Und da war er wieder einmal, der liebe Pustekuchen – wie sich bald herausstellen würde.

Dann der lang ersehnte Urlaub: zwei Wochen Kroatien. Erste Woche um den Segelschein zu machen, zweite Woche um mit unserem VW-Bus noch ein bisschen durchs Land zu fahren. Oh mein Gott, es war so schön! Das Segeln, die Truppe, die Stimmung, das Wetter – ich war so glücklich. Und dann die Zeit zu zweit – tolle Orte, viel Zeit füreinander. Selbst wenn ich das hier schreibe wird der Glücksball in meinem Bauch größer. Wenn da nicht der bittere Nachgeschmack gewesen wäre.

Der kurze Weg ins Loch

Offensichtlich war das alles zu viel. Des Guten. Des Glücks. Der geilen Zeit. Sehr kurz nach unserer Rückkehr war ich am Ende. Nichts ging mehr. Es hat mich wahrscheinlich gerettet, dass genau jetzt meine regelmäßigen Termine bei meiner Therapeutin losgingen.

Es dauerte nicht lange bis das Wort Borderline das erste Mal ausgesprochen wurde. Erst: Schock. Fassungslosigkeit. Das kann doch nicht wahr sein!!! Dann: Ich will mehr darüber wissen. Also, Buch gekauft. Und schließlich: Erleichterung. Ein unfassbares Gefühl. Anderen Menschen da draußen geht es genau so wie mir! Meine komischen Gedanken, Gefühle, Angewohnheiten und Erlebnisse – ich bin nicht alleine. Mein Komisch-Sein hat einen Namen. Anderen da draußen geht es genau so wie mir! Unfassbar! Unglaublich!

Genau so hat es sich für mich angefühlt.

Diese gesammelten Erlebnisse haben zu der Entscheidung geführt, eine stationäre Therapie zu machen. Ich habe gemerkt: damit sich wirklich etwas ändert, damit ich mich ändere, muss sich alles ändern. Ich kann nicht weiter in meinem Umfeld, meinem Alltag und meiner Routine bleiben, wenn ich nicht wieder einer Pseudo-Genesung aufsitzen möchte.

Überraschungsgast Depression

Lesezeit: 4 minuten

Hallo Depression! Dich hab ich ja lange nicht gesehen. Ist ja wirklich nett, dass du mal wieder vorbeischaust. Aber eigentlich hab ich gerade gar keine Zeit.

Überraschungsgast Depression

Wow! Nächste Woche ist es soweit. traveling | the | borderline geht endlich online. Ich habe heute überraschend frei. Eigentlich bräuchte ich jede Minute um an den letzten (und vorletzten und eigentlich noch in Rohform vorhandenen) Dingen auf der Seite zu arbeiten. Aber heute ist nicht so mein Tag. Die Motivation ist weg. Dafür ist die Depression da. Gestern stand sie überraschend vor der Tür. Damit hatte ich nicht gerechnet. Vor allem, da sie in den letzten Wochen und Monaten das Interesse an mir verloren zu haben schien.

Aus der Energie und Vorfreude, die mich die lezten Tage, Woche und Monaten angetrieben hat, ist eine große Schwere geworden. Jede Bewegung, jede kleine und kleinste Handlung, verlangt mir Kraft ab, die sonst für einen Halbmarathon reichen würde. Den ich letztes Wochenende erst gelaufen bin. Und der gleiche Körper hängt jetzt auf der Couch und will genau dort auch für immer bleiben.

Update eine Woche später:

Das kam überraschend. Zu mehr als den Worten oben hat es am Anreisetag der Depression nicht mehr gereicht. Dafür möchte ich jetzt noch ein paar Sätze schreiben.

Erstmal, für alle, die es noch nicht wissen: Ja, Borderline und ich haben noch eine dritte Mitbewohnerin. Sie heißt Depression. Sie ist ein eher anstrengender Hausgast. Mal lässt sie sich wochenlang nicht blicken, und dann nistet sie sich wieder hartnäckig auf der Couch ein.

Dass es sich bei mir offiziell um eine Depression handelt, weiß ich erst seit meiner Zeit in Hamburg. Klar, gerade in der Pubertät hatte ich Phasen, in denen es mir richtig schlecht geht. Das volle Programm, Selbstmordgedanken, Hoffnungslosigkeit und Motivationskrater. Aber diese Phasen sind auch immer wieder vorbeigegangen. Also konnte es sich in meinen Augen nicht um eine „richtige“ Depression handeln. Dafür ging es mir ja viel zu gut. Was ein Irrtum.

Depression? Ich doch nicht!

Vielleicht habe ich die Depression auch einfach nicht offiziell einziehen lassen. Mein oberstes Gebot für viele Jahre war nun mal „Niemand soll merken, dass es mir schlecht geht. Dass ich kaputt bin.“ Vor allem habe ich das gemacht, um meine Mutter zu beschützen. Sie hatte schon genug mit der Krankheit meines Vaters zu kämpfen. Da wollte ich ihr nicht noch mehr Sorgen machen. Also alles dafür getan, damit das Bild der fröhlichen, aktiven und klingelnden Dommi das einzige bleibt, was die Leute kennen und sehen.

Irgendwie bin ich heute dankbar dafür, dass ich diese Art von Über-Ich hatte und habe. Es hat dazu geführt, dass ich nie Sachen gemacht habe, die mir wirklich Ärger oder ernsthafte negative Konsequenzen beschert hätten. Klar, Dummheiten habe ich gemacht. Aber damit alles am Laufen blieb musste ich das Ruder immer in der Hand behalten. Wie gesagt, Leitmotiv „Niemand darf mitbekommen, wie sehr ich jeden Tag kämpfe.“

Hat funktioniert. Die depressiven Phasen waren und sind da. Aber es gab immer wieder einen Grund, der meinen Hintern in die Luft gebracht hat. Tagelang nicht zur Schule/Arbeit/Uni gehen? No way – fällt auf, gibt Fragen. Nichts essen, nicht duschen, nur trinken? Geht, aber nicht zu lange. Sonst: Fragen.

Lieber Schein als Sein

Und wenn Fragen von anderen oder Sorgen um die eigene Person das Eine sind, was man vermeiden möchte, dann mobilisert man Kräfte. Ich wollte alles, was in diese Richtung ging, so sehr vermeiden, dass ich alles, wirklich alles danach ausgerichtet habe. Das Hauptziel war, einen so gesunden und glücklichen Eindruck zu machen, dass niemand auch nur auf die Idee kommen könnte, das mit mir etwas nicht stimmt.

So habe ich es also viel Jahre geschafft, mehr oder weniger heil durchs Leben zu gehen. Schwieriger wurde es dann, als mit Abitur und dem Auszug von daheim das Korsett lockerer wurde, in dem ich mich bewegen musste. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass genau diese Struktur mir auch wirklich geholfen hat. Und dass Tage oder Phasen, an denen ich keine Verpflichtungen, Aufgaben oder Termine habe, für mich gefährlich sein können.

Zurück zum Heute

Für den Moment bleibt es bei diesem kurzen Ausflug in die Geschichte von mir und meiner Depression. Was aber war dieses Mal der Auslöser? Beim nächsten Termin bei meiner Therapeutin sind wir darauf gekommen, dass es mittlerweile Dinge in meinem Leben gibt, die mich im Lot halten. Die dafür Sorgen, dass ich bei mir bin und nicht aus der Bahn geworfen werde.

Das sind vor allem 5 Dinge:

  Meditation, Yoga und Achtsamkeit

  Sport bzw. Bewegung generell

  gesunde Ernährung, dazu gehört auch kein oder wenig Alkohol

  genug Schlaf

  Zeit für mich

Wie ich inzwischen weiß, kommen alle diese Aspekte auch in verschiedenen Modulen der DBT vor, aber dazu später mehr.

Der Zug ist entgleist

Normalerweise schaffe ich es, all das in meinen Alltag einzubauen. Manche schütteln den Kopf über die Sturheit und Disziplin mit der ich zum Beispiel Sport treibe. Aber ich habe in den letzten Monaten nun mal gelernt, dass er wichtig für mich ist. Nicht umsonst wird regelmäßige Bewegung immer wieder als das wirksamere Antidepressivum betitelt.

Nun kam es also, dass ich durch verschiedene Umstände ein bisschen von meinem Kurs abgekommen bin. Mein Zug ist quasi vom Gleis gerutscht. An zu vielen Tagen hintereinander haben ein oder mehrere Bereiche gelitten. Und das war nicht gut. Dazu kam noch, dass ich ein paar Tage weg war. In den Bergen – was ich Liebe. Dann musste ich von den Bergen weg – was ich hasse. 

Alles in allem also leider ein ungute Kombination für mich. Aber: durch die Arbeit und damit wieder einem äußeren Rhythmus kam der Zug langsam wieder aufs Gleis. Ich habe meine Routine wieder aufgenommen und sitze wieder im Führerhäuschen.

Schön war es nicht. Aber ich versuche, weiter draus zu lernen. Ganz vermeiden werde ich solche depressiven Phasen wohl nicht. Aber ich kann daran arbeiten, dass sie weniger werden. Und ich besser drauf vorbereitet bin. Indem ich auf mich aufpasse.

Von der Idee zur Seite

Lesezeit: 3 minuten

Was fliegt denn da durchs Netz? Ist es eine Info-Seite über Borderline? Nö. Ist es ein Reiseblog? – Nein. Ist es ein interessanter Alltagsblog? – Nope. | Es ist alles zusammen! =)

Von der Idee zur Seite

Bald geht traveling | the | borderline endlich online, Grund genug mal ein paar Gedanken dazu aufzuschreiben, wie es eigentlich so weit kam.


Damals und heute

Die Idee, einen eigenen Blog zu machen, drehte schon lange ihre Runden in meinem Kopf. Und das sehr fleißig und ausdauernd.

Hab wohl damals Blut geleckt, als ich bei meinem einjährigen Aufenthalt in Neuseeland mein Tagebuch für alle Daheimgebliebenen online zugänglich gemacht habe. Damals war der Antrieb, nicht jedem Menschen zu Hause einzeln schreiben und berichten zu müssen / wollen, was gerade so passiert. Eher eine praktische Angelegenheit also.

Diesmal ist die Idee ein bisschen anders gewesen: Ich will Schreiben. Und ich will Reisen. Was macht man also heutzutage? Man startet einen Blog. Da draußen gibt es schon ein paar. Für andere vielleicht ein Grund, es doch zu lassen. Für mich eher ein Grund, es erst recht zu machen. Oder zwei Gründe: So schwer kann es also nicht sein. Und es gibt einfach mehr Blogs, die ich nicht lesenswert oder interessant finde, als solche, die mich zum Lesen und dran bleiben motivieren. Vielleicht geht es anderen ja genau so?

Nische gefunden!

Ein Reiseblog war also irgendwie Ausgangspunkt der ganzen Geschichte. Über die letzten Monate kam dann aber eben nun mal noch ein weiteres Thema dazu, das ziemlich viel Platz in meinem Leben beansprucht. Borderline.

Borderline-Blogs gibt es. Die sind aber ganz schön oft ganz schön negativ. So zum Leben generell. Und auch beim Thema BPD. Reise-Blogs gibt es auch, quasi wie Sand im Internetmeer. Aber die sind oft so normal. Im Kopf und auf der Reise.

Ganz alleine bin ich dann aber nicht auf die fertige Idee gekommen. Lange war das ganze Konzept in meinem Kopf nicht rund. Ich habe die beiden Themen einfach nicht zusammen bekommen. Die Lösung waren dann einerseits und lustigerweise die Idee zu THE | trip, als auch ein Seminar, welches ich bei der Akademie der Bayerischen Presse (abp) absolviert habe: der Abflugtermin stand fest. Ich würde definitiv für vier Monate auf Reisen sein. Egal, was für einen Blog ich also machen würde, er würde zwangsläufig AUCH zu einem Reiseblog werden!

Hab ich da vielleicht eine Nische gefunden? Die Nische ist ein Rat, über den man beim Nachdenken über einen neuen Blog immer gestoßen wird. Von Seminarleitern, erfolgreichen Bloggern und Buchautoren. Such dir eine Nische in der großen weiten Welt des Internets, die noch nicht besetzt ist. Dann hast du eine Chance in der Online-Evolution überleben zu dürfen.

Also einen Seite über Borderline, die nicht traurig und voller Tränen ist, sondern voller Leben? Die Mut macht, aufklärt und unterhält? Darauf ein Blog über meinen Alltag, der sich viel um das Thema Reisen dreht, also irgendwie ein Reiseblog ist. Aber der eben auch tiefer geht? Find ich gut! Das wird probiert!

Und genau deswegen sitzt du nun vor dieser Seite. Das ist die Geschichte hinter traveling | the | borderline. Der Name sagt und liest sich heute so leicht. Aber auch das war eine schwere Geburt. Dafür bin ich heute immer noch jedes Mal glücklich, wenn ich ihn denke, lese, schreibe oder sage.

Zukunftsmusik?

Was während und nach den vier Monaten passiert – ich weiß es einfach nicht! Und das ist gut so. Ich kann mir alles vorstellen. Oder vieles. Nur nicht, dass ich irgendetwas von dem, was ich gerade ans Laufen bringe, bereuen werde.

Während der Entstehung dieser Seite habe ich vor allem eines gelernt: irgendwann muss man einfach machen. Ein schönes Zitat dazu: „Ein Gramm Praxis ist besser als eine Tonne Theorie.“ Irgendwann reicht es einfach nicht mehr, nur zu planen und zu träumen. Wenn ich darauf gewartet hätte, dass diese Seite vom ersten Tag an perfekt ist und ich an alles gedacht habe – dann siehe den Text auf der Startseite. Deswegen wird dieser Beitrag jetzt auch so wie er ist, veröffentlicht!

Ich bin gespannt, wie sich diese Seite entwickeln wird. Mein Durchhaltevermögen, euer Interesse, meine Erlebnisse, eure Fragen – das alles sind Variablen im Spiel mit der Zeit und der Zukunft.