Mental Health Nachwuchs – Teil 2

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Teil 2: Geburt und die ersten Wochen

Ein Post über das Mutter werden – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Keine Sorge, es gibt keine ausgeschmückten Details vom Vorgang an sich – eher so das drum herum und vor allem das danach. Mit Tigermädchens Geburt wurde schließlich auch eine Mama und ein Papa geboren. Wie ist das für uns? Was hat uns geholfen in den ersten Wochen, was war schön, was schwer.

Dieser Beitrag ist sozusagen der Mittelteil einer Mini-Serie über meine Reise ins Mamaleben. In Teil 1 geht es um die Vorgeschichte und die Schwangerschaft, in diesem Teil um die Geburt und die ersten Wochen und in Teil 3 schließlich um die ersten Monate und den Alltag mit unserem Tigermädchen

„Lasse???? Ich glaub, das ist kein Pipi…“

Oh, wie gut ich mich an diesen Moment erinnere. Gerade habe ich meine Morgenroutine beendet, Lasse kommt ins Wohnzimmer und wir wünschen uns einen guten Morgen, und während wir da so stehen und uns umarmen spüre ich da was. Ich verharre noch kurz in der Umarmung und watschle dann mit verkniffenen Schritten ins Bad.

Dort wird mir dann schnell klar, was los ist und ich höre mich sagen „Lasse??? Ich glaub, das ist kein Pipi…“ Aus der Küche kommt erstmal kurzes Schweigen. Dann ziemlich schnell Aktionismus. Erste Handlung: Hose anziehen. Was man halt so macht, wenn man nicht so recht weiß, was man machen soll.

Was ein emotionaler Wirbelsturm – Angst, Panik, Freude, Fassungslosigkeit, Verwirrung. Während ich versuche, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen von dem, was mein Körper da gerade macht – Sprachnachricht an die Hebamme. Die meldet sich zum Glück schnell zurück und bestätigt: „Ja, das klingt, als wäre Deine Fruchtblase geplatzt. Jetzt frühstückt ihr erstmal noch in Ruhe, ruft in der Klinik an und fahrt dann ganz in Ruhe los.“

Aye aye, so wird es gemacht. Nur die Ruhe bekommen wir nicht so ganz hin. Bisschen fühlen wir uns wie Kinder kurz vor der Bescherung. Wuselig. Aufgeregt. Nervös.

Die Kliniktasche stand schon länger bereit. Letzte Sachen zusammensuchen. Carsharing Auto organisieren. Und die Wohnung ein letzten Mal als Paar verlassen. Das nächste Mal, wenn wir durch diese Tür gehen, sind wir eine Familie!

Klinikglück im Pandemieunglück

Wir hatten uns für eine Klinik in München entschieden, die unsere Hebamme uns empfohlen hatte, von der wir viel gutes gehört hatten und die vor allem eine absolute Ausnahme zum damaligen Zeitpunkt in der Stadt war: als eine der wenigen Krankenhäuser durften hier die Partner bei der Geburt dabei sein. In vielen anderen Kliniken war dies auf Grund von Corona verboten. Das sah dann so aus, dass die Väter oder wer auch immer als Unterstützung bei der Geburt dabei sein sollte, wirklich erst kurz vor knapp gerufen wurden, wenn das Köpfchen sozusagen schon fast zu sehen war.

Ich kann sagen, was in den nächsten Stunden auf mich, auf uns gewartet hätte – ohne Lasse wäre ich verzweifelt, durchgedreht. Natürlich habe ich mal wieder viel gelesen über die Geburt, habe mich mit Kurs vorbereitet und hatte das Glück, dass das Thema für mich immer sehr positiv besetzt war, ich also ohne große Ängste auf die Geburt zugegangen bin. Natürlich Respekt und davon eine gehörige Portion – aber da kommt wieder mein Vertrauen in die Natur ins Spiel (und der Gedanke, dass es Gründe haben muss, dass sich Frauen für ein zweites Kind entscheiden…)

Als wir ankamen also erstmal Untersuchung, ja es ist die Fruchtblase, wir können also bleiben. Das war Freitag morgen um 11 Uhr, knapp zwei Stunden nachdem wir zuhause auf der Yogamatte standen.
Ohne ausufernd zu werden oder Euch mit Details zu erschlagen: insgesamt hat sich der ganze Prozess der Geburt 44 Stunden gezogen. Am Sonntag Morgen um 4:37 kam unser Tigermädchen zur Welt.
Auf dem Weg dahin haben wir alles an unglücklichen Wendungen mitgenommen, was man so mitnehmen kann.

Nicht ganz nach Geburtstplan

Wie so viele werdende Mütter hatte auch ich einen Geburtstplan geschrieben. Das ist ein Dokument auf dem man festhält, wie das alles idealerweise laufen soll. Wie will man gebären, wer soll dabei sein, möchte man medikamentöse Unterstützung etc. etc. Mein Fazit war, dass ich meinen Plan wohl am Gegenteiltag ausgefüllt haben muss, denn alles, was ich gerne gehabt hätte, bekam ich nicht. Und alles, was ich gerne vermeiden wollte, bekam ich. Außer einen Kaiserschnitt.

Die Kurzfassung ist, dass die Wehen nicht richtig einsetzen wollten, da die Fruchtblase aber schon geplatzt war das Baby nicht mehr ewig im Bauch bleiben kann wegen weil Infektionsgefahr. In regelmäßigen Abständen wurde also überprüft, wie weit mein Körper ist, wie es dem Kind geht. Ich bekam einen Zugang mit Antibiotika, irgendwann Medikamente, die die Wehen etwas antreiben sollten. Denn in all dieser Zeit hatte ich Wehen, keine Starken und mit Pausen dazwischen, aber doch so sehr dass an Schlaf nicht wirklich zu denken war.

Als sich weiter nichts tat kam der Wehentropf zum Einsatz – und dann wurde es richtig unangenehm. Inzwischen waren wir im Kreißsaal, es war Samstag geworden und wir hatten viele Hebammen und Ärzt:innen kennenlernen dürfen.

Geburt mit Fernseharzt

Um mich etwas zu entspannen und abzulenken lief auf meinem Handy „Hirschausens Quiz des Menschen“ via ARD Livestream. Nicht, weil ich den Fernseharzt gerne bei mir haben wollte, sondern weil ich Quizshows einfach liebe und sie mir gut tun. Am Ende lief die Show nicht nur im Livestream, einmal zurückgespult im Livestream sondern schließlich auch nochmal aus der Mediathek heraus. Wir haben sie also mindestens drei Mal durchlaufen lassen, ist immerhin eine knapp 3-stündige Sendung. Aber glaubt nicht, dass ich mich an nur eine Frage erinnere…

Anfangs wurde vom Personal noch gefragt, ob man dieses Gerede vielleicht ausstellen könne – worauf Lasse und Ich entschieden NEIN antworteten. Meine Geburt. Mein Kreißsaal. Meine Quizshow. Andere hören schließlich auch ihre Lieblingsmusik.

Zur Betreuung insgesamt muss ich aber wirklich sagen, dass alle ganz toll waren. Wir hatten das Glück, dass wir in dieser Nacht eine Hebamme ganz für uns alleine hatten. Aber auch die zuständige Ärztin war großteils wirklich toll und ich hatte stets ein sicheres Gefühl. So auch, als mir nahegelegt wurde, dass wir eine PDA legen sollten, um Stress vom Baby zu nehmen – dass ja nun auch schon seit vielen Stunden das Theater da im Bauch mitmachte.

PDA also. Wollte ich nicht. Aber wenn es so ist, dann ist es so. Das hatte ich mir zum Glück auch von Anfang an vorgenommen: Geburtsplan schön und gut, aber ich werde nicht dran festkleben wenn es anders kommt. Mein Glück.

Sie! Ist! Da!!!!

Dank Wehentropf waren die Wehen inzwischen richtig stark geworden, der Anästhesist war echt top und dank PDA war es deutlich erträglicher, ich habe aber immer noch sehr viel mitbekommen. Au.

Wir merkten aber auch, wie Hebamme und Ärztin doch immer nervöser wurden, einfach weil sich das Ganze inzwischen schon so lange gezogen hatte. Mittlerweile war Samstag Nacht. Am Ende beschloss die Hebamme wohl genau im richtigen Moment für meinen Körper, dass wir jetzt alle zusammen einmal alles geben, damit am Ende nicht auch noch ein Kaiserschnitt auf den Plan treten muss. Und um 4:37 war Tigermädchen auf der Welt.

Gezeichnet vom Stress, deutlich leichtgewichtiger als erwartet – aber gesund und stark und wunderbar und perfekt und in unseren Armen!

Es folgte, was auf eine Geburt eben so folgt – Untersuchungen bei mir und der Kleinen. Und vor allem: Emotionen. Als jemand mit Borderline in der Biografie bin ich starke Gefühle ja zum Glück gewohnt, aber das war doch nochmal was anderes…

Vom Kreißsaal ging es zurück in unser Zimmer und bald auf die Wöchnerinnenstation. Schwach und müde und glücklich und verliebt – 44 Stunden from beginning to happy end.

Kleines großes Glück!

Ein Mädchen also. Ein kleines, zartes, starkes Tigermädchen. Gerade mal 2290 Gramm – also sehr leicht und das sehr überraschend (wenige Stunden vor Geburt wurde sie noch auf etwas über 3 Kilo geschätzt) bei 47 cm.

Weiter waren wir froh um das tolle Team in der Klinik. Die sich nicht nur mit uns freuten, dass wir uns beim Geschlecht haben überraschen lassen, sondern auch ohne Namen in die Klinik gekommen waren – natürlich hatten wir Favoriten, aber wir wollten diesen kleinen Menschen erstmal kennenlernen, bevor wir uns entscheiden, mit welchem Namen wir ihn oder sie in die Welt schicken.

Unfassbar toll und ebenso keine Selbstverständlichkeit war die Tatsache, dass Lasse auch nach der Geburt mit in der Klinik bleiben konnte. Die Option hieß Familienzimmer und bedeutete, dass wir ein Zweierzimmer ganz für uns alleine hatten, diese ersten Stunden zusammen verbringen und genießen konnten, die Hebammen jederzeit da waren für unsere Fragen und dazu noch regelmäßig jemand vorbeikam und Essen brachte.

Nach zwei Tagen war es dann soweit und es ging nach Hause.

Die ersten Wochen

Irgendwie sieht draußen auf der Straße alles aus wie vorher – dabei ist die Welt doch eine ganz andere! Am Freitag als die alte Version von uns die Klinik betreten, am Mittwoch danach als neue Menschen wieder rausgekommen.

Da ist ein kleiner Mensch. Bei uns.

So klein und zart sie auch ist, unser Tigermädchen (das inzwischen ihren Namen bekommen hat, den wir aber aus Privatsphäregründen nicht teilen), so stark und zäh ist sie – das hat sie uns und den Hebammen schnell gezeigt.

Zuhause sind wir wie im Nebel. Sind dankbar für Freunde, die uns Essen bringen. Für unsere Hebamme, die uns so viel Sicherheit und Unterstützung gibt. Für die Oma die schnell in der Stadt passende Kleidung besorgt (denn für die Klassische Neugeborenengröße 56 ist unsere Tigerin deutlich zu klein, wir brauchen eher 44/50).

Zu den ganzen Emotionen muss mein Körper die Geburt natürlich auch verarbeiten. Das dauert seine Zeit und ich gebe ihm und mir die Zeit. Fange schon zwei Tage nach Geburt ganz vorsichtig mit Rückbildung und Mini-Morgenroutine an. Tue mich aber genau weil mein Körper das alles so gut macht, ich mich so schnell wieder „normal“ fühle, schwer damit, im Wochenbett wirklich zu ruhen.

Wickeln, stillen, schlafen – repeat!

Stillen, schlafen, verstehen. Staunen, streicheln, wickeln. Lernen, wachsen, heilen.

Erste Menschen kommen zu Besuch, Corona lässt uns weiter vorsichtig sein. Wir trauen uns ein erstes Mal raus mit unserem kleinen Wunder. Nur 10 Minuten um den Block, aber immerhin.

Schauen mehr TV als normalerweise weil der Kopf einfach zu nicht viel mehr in der Lage ist. Probieren aus, wechseln uns ab, lernen dazu, lesen nach, merken nach und nach, was für uns funktioniert. Und dass es nicht immer unbedingt die Dinge sind, die wir uns vor der Geburt so für uns überlegt hatten.

Denke ich heute an diese ersten Wochen zurück, ist da so viel – und auch so wenig. Hormone, Schlafmangel, permanente Überwältigung lassen diese Zeit in der Rückschau wie im Flug vergehen. Und doch waren diese Wochen so unfassbar intensiv, so voll gepackt mit Neuem und ersten Malen, mit Erinnerungen und Momenten.

So viele Fragezeichen und Sorgen und Ängste, die im Nachhinein nicht berechtigt waren – aber woher sollten wir es wissen? Auf Instagram hat mir vor kurzem eine Mutter geschrieben: „Ich würde gerne mit der Leichtigkeit einer zweifachen Mama wieder zum ersten Mal Mama werden.“ Das klingt so toll wie nicht machbar, daher ist wohl wichtig, sich selber diese Zeit nicht noch unnötig schwer zu machen mit überhöhten Ansprüchen an uns selbst. Und sich möglichst viel der Leichtigkeit von außen zu holen – von anderen Müttern (auch anderer Generationen), von Profis wie Hebammen und Kinderärzt:innen und allen anderen, die genau wissen, wie es sich anfühlt, diese Zeit und die aber schon ein paar Schritte weiter sind.

He Kopf, alles gut da oben?

Die Ängste aus der Schwangerschaft sind nicht plötzlich wie wundersam weg – sie haben sich verändert. Ist ja nicht so, als ob nu nix mehr passieren könnte. Und ich lerne, dass diese Ängste auch dazu gehören, Teil dieses neuen Lebensabschnitts sind.

Ich bin wachsam für Anzeichen von postnataler Depression und dankbar, dass ich umsonst Ausschau halten. Arbeite weiter an und mit allen Gedanken und Gefühlen, die da so kommen. Rede, teile, gebe Raum, verarbeite.

Auch jetzt vermisse ich den Austausch mit anderen Müttern. Wie ist das bei Euch? Wie macht Ihr das? Seid Ihr manchmal auch so wütend/frustriert/glücklich/überfordert/verliebt/müde/erschöpft/stolz? Was läuft gut bei Euch? Was hat Euch zum Weinen gebracht? Wie geht’s Euren Geburtstverletzungen?

Ich bin so froh, mit Lasse einen Tigerpapa an meiner Seite zu haben dem ich nicht erklären muss, dass das unser Kind ist. Der wickelt, badet, kuschelt, tröstet – ganz selbstverständlich.

Irgendwann versteht ein erster Teil des Kopfes, dass dieser kleine Mensch nun zu unserem Leben gehört. Es ist nicht mehr alles in jeder Sekunde neu und überwältigend. Sondern wir gewöhnen uns in kleinen Dosen an unsere neuen Rollen. Wir finden einen Rhythmus. Wir sind nun eine Tigerfamilie.

Von mir an Euch:

Wenn Ihr bald Eltern werdet, kann ich Euch nur wünschen Humor und Flexibilität ans Herz legen, Euch Ängste und Sorgen nehmen – Ihr werdet das toll machen. Nicht perfekt – aber toll! Ich dachte, ich sei gut auf das Danach vorbereitet, durch all mein Lesen und Planen. Und ja, an manchen Stellen hat es geholfen. Aber wie es dann wirklich ist, das kann Euch vorher niemand sagen. Für uns haben sich Prioritäten verschoben, wir haben Vorstellungen über den Haufen geworfen, ein neues Level an Emotionen entdeckt. Dafür wünsche ich Euch Vertrauen in Euch – und idealerweise ein paar Menschen, die mit unter die Arme greifen, und wenn es nur in Form einer festen Umarmung ist, wenn Ihr hundemüde, vollgespuckt, ungeduscht, verzweifelt und gleichzeitig überglücklich, stolz und gleichzeitig weinend in Eurer Wohnung steht, die dieser Tage so anders aussieht als Ihr es von Euch kennt.

Und wenn Ihr gerade Eltern geworden seid, dann lasst mich Euch einfach nur eine dicke Ladung Kraft schicken! Ihr macht das so, so unfassbar gut. Lasst Euch nicht verunsichern von all den Meinungen links und rechts und online und offline. Sucht Euch ein oder zwei Personen, deren Meinung ihr wirklich vertraut, der Rest hat nichts zu melden. Alles, was Ihr gerade denkt und fühlt und erlebt ist ok! Für jedes Problem findet sich eine Lösung, Ihr müsst nicht alles alleine schaffen und ja, es ist auch ok wenn die Schwiegermutter zum Bad putzen vorbeikommt.

Ihr rockt. Ihr seid Superhelden – Ihr seid Eltern!

weiter geht’s in Teil 3