Und die Achterbahn fliegt mit…
Die Abreise hat meiner Borderline-Achterbahn einen ordentlichen Schwung versetzt. Wie ich versuche, das Tempo wieder zu drosseln; warum ich möchte, dass du deinen Besser-Weg findest und wieso ich noch nicht im Dachterrassen-Pool schwimme? Viele Fragen – ein Artikel voller Antworten.
Wie sagt man doch so schön: egal wo du hingehst, deine Probleme kommen mit. Vor denen kannst du nicht weglaufen. Und manchmal sagt dieses mächtige „man“ sogar die Wahrheit. Aber es ist ja auch nicht so, als hätte ich damit gerechnet, dass mit der Abreise alles heile Welt ist. Das wäre ein bisschen zu sehr Einhörner und Lalaland gewesen.
Nein, nein – die treue Borderline bleibt bei mir. Egal wo ich gehe und stehe. Oder hinreise. Aber die Achterbahn ändert ein wenig ihr Tempo und ihre Streckenführung, wenn ich unterwegs bin. Unbekannt und spannend bleibt die Fahrt in jedem Fall.
Servus Urlaub, Adios Routine – Welcome Chaos!
Gerade nun diese ersten Tage, die wir von zu Hause weg und in Asien unterwegs sind, treiben die Geschwindigkeit sehr in die Höhe. So viel Neues, so viele Eindrücke, so viele Reize, so viel von Allem. Das prasselt alles gerade auf mich ein, ohne dass ich mich an meinen gewohnten Ankern fest halten kann. Meine Selbstfürsorge-Routine aus Sport, Meditation, gesundem Essen & Co lässt sich nicht von heute auf morgen einmal über den halben Erdball bewegen.
Erstmal muss der Körper hier ankommen. Den Jetlag ausschlafen. Mit den ungewohnten Dingen klar kommen, die ich ihm hier vorsetze. Das alleine braucht schon seine Zeit und Energie. Und dann erst der Kopf. Der kann gar nicht so schnell schalten, wie meine Anspannung gerade vorausrennt. Überhaupt erstmal verstehen, was hier passiert. Dass wir gerade in ein tolles Abenteuer gestartet sind. Für vier Monate. Schon bei einem „normalen“ Urlaub von zwei oder drei Wochen braucht es ein paar Tage, um den Organismus auf Erholungs-Temperatur zu bekommen. Nun sind weder mein Kopf, noch unser „Urlaub“ hier normal. Das macht den Prozess dezent langwieriger und Kräfte zehrender.
Ich weiß, so bald ich mich auf die neue Umgebung und den Zustand des Auf-Reisen-Seins eingestellt habe, wird die Achterbahn wieder etwas harmloser. Vielleicht wieder bekannter. Bis dahin schießt es mich aber wohl noch ein paar Mal ordentlich hin und her, zwischen Ungeduld, Unverständnis und Ärger. Zwischen Trauer, Entsetzen und Mitleid. Zwischen Freude, Neugier und Spaß. Zwischen Liebe und Dankbarkeit für Arvid. Der gerade so viel erträgt. Er ist hier viel mehr noch als zu Hause das einzige Ventil, an dem ich Dampf ablasse.
Ziel ist jetzt also erstmal, die Grundanspannung wieder niedriger zu bekommen. Daran arbeite ich, indem ich nun, da zumindest der Körper schon in Asien angekommen ist, öfter Zeitfenster für mich nehme. Und vor allem dadurch, dass ich und wir uns fragen, was wir gerade wirklich wollen. Und nicht zu sehr nach den verdächtigen man könnte – man sollte – man müsste handeln. Es ist ok, auch mal bis Mittags zu schlafen, wenn der Körper das braucht. Es ist ok, kein Interesse für gewisse Dinge zu haben. Auch wenn alle anderen dem Reiseführer nach dorthin rennen. Es ist ok, eine Sache blöd zu finden, von der die Mehrheit angetan zu sein scheint. Nach ein paar Tagen haben wir angefangen, uns weniger Druck zu machen. Für wen auch? Oder für was? Gute Entscheidung!
Besser, Bessererer, am Bessesten
Wenn der Start von THE|trip mich nun so aus der Bahn geschleudert hat, warum lege ich dann aber so viel Wert darauf, zu betonen, dass Reisen mir gut tut? Dass es mir nie besser geht? Besser ist eben ein sehr individuelle Sache. Besser hat für mich viele Komponenten. Angefangen dabei, dass ich etwas tue, was ich liebe. Reisen.
Besser heißt für mich, nach meiner eigenen Nase zu leben. Besser heißt für mich, meinen eigenen Weg zu gehen. Nicht in Lauerhaltung leben. Besser heißt für mich, mir selber das zu geben, was ich brauche. Auf mich zu hören.
Besser heißt für mich, an mir zu arbeiten. Meine Ansichten und Meinungen zu prüfen. Mir selber Entwicklungsmöglichkeiten zu verschaffen.
Besser heißt für mich, nicht zu viel Zeit mit Dingen verbringen zu müssen, die mich nicht vorwärts bringen. Die nirgendwo hin führen.
Vor kurzem bin ich über ein Zitat gestolpert, das mir sehr gut gefallen hat. Leider weiß ich es nicht mehr so ganz genau, aber es stand in etwa darin, dass viele Menschen auf diesem Planeten froh wären, Dinge tun zu müssen, über die wir uns beschweren. Hat mich zum Nachdenken gebracht. Wir selber sind halt der beste Punkt, an dem wir ansetzen können, wenn wir etwas verändern wollen. Deswegen heißt Besser für mich auch, zu versuchen, das Beste aus jedem Tag rauszuholen.
In meiner Küche steht in großen Buchstaben Change It – Leave It – Or Love It. Passt ganz gut dazu. Weniger beschweren, lieber aktiv verändern. Oder akzeptieren. Dann kann einiges ganz schnell ein Stückchen besser werden.
Und: Mein Besser muss nicht jedermanns Besser sein. Besser kann für dich ganz anders aussehen. Besser hat wahrscheinlich so viele Gesichter, wie es Menschen auf der Welt gibt.
Mein Besser fühlt sich gerade auf jeden Fall ziemlich gut an. Ich sitze in Kuala Lumpur, auf dem Dach unserer Unterkunft, Sicht auf die nächtliche Skyline, die Petronas Towers, der große Outdoor-Pool direkt neben mir wartet nur darauf, dass ich diesen Post für euch endlich fertig stelle. Ich wünsche mir, dass viele Leute anfangen, sich häufiger zu fragen, warum und für wen sie machen, was sie gerade machen. Welche Motive dahinter stecken. Und sich auf die Suche nach ihrem eigenen Besser machen.
Wo geht’s lang? Weiter!
Bei dieser Suche nach dem Besser taucht natürlich auch traveling | the | borderline mit auf. In den letzten Tagen habe ich viel Kopfarbeit geleistet und mich gefragt, wohin das Ganze führen soll. Was mein Besser in dieser Hinsicht wäre. Ganz unabhängig von Realismus oder Pessimismus. Und ich merke, dass mein Engagement für die Borderline Persönlichkeitsstörung auf jeden Fall einen großen Beitrag zu meinem persönlichen Besser leisten kann. Vor allem, wenn ich damit das Leben von anderen Betroffenen auch mit besser machen kann.
Das Reisebloggen, in das ich gerade ein wenig hineinschnuppere, ist wirklich toll. Ich es liebe, euch an unserem Abenteuer teil haben zu lassen. Aber mir wird auch mehr und mehr klar, dass mich diese Tätigkeit nicht durch ein ganzes Leben tragen kann. Jedenfalls nicht solo. Vielleicht auch, als Unterstützung oder Ausgleich. Aber irgendwann würde ich mir zwangsläufig Fragen stellen: Wofür das alles? Was ist der Sinn dahinter? Ist das Besser?
Da freue ich mich lieber, dass ich meinen Borderline-Joker habe. Denn der treibt mich an. Mit jedem Tag merke ich, wie sehr ich möchte, dass die Welt ein bisschen freundlicher auf psychische Erkrankungen schaut. Viele Gedanken, wie ich die Sache ein Stück weiter bringen kann, jagen durch meinen Kopf und genießen die Achterbahnfahrt. Wer könnte mir helfen? Wie finde ich andere Betroffene, die mit ich auf meine Seite ziehen kann? Wie erreiche ich mehr Menschen? Wo finde ich Unterstützung?
Aber zu weit voraus will ich noch gar nicht denken. Denn wer mich kennt der weiß, dass ich glaube alles kommt, wie es kommen soll. Und so genieße ich für den Moment den Ausblick. Diese Reise. Die Zeit mit Arvid. Das Neue. Und springe jetzt endlich in den Pool. Erst das Schreiben, dann das Schwimmen! Selbstfürsorge Ahoi!
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