London - (m)eine neue Liebe: und dabei nur ein kleiner Teil im Rausch der Ereignisse der letzten Wochen

Update von der Achterbahn

Lesezeit: 8 minuten

Update von der Achterbahn

Da hab ich mich ja jetzt selber fast ein bisschen erschrocken, dass der letzte Blogpost wirklich schon unendliche, weit entfernte und auch beschämende zwei Monate zurück liegt. Und dabei ist soviel passiert, über das ich schreiben könnte, sollte, müsste und will. Fangen wir mit einem kleinen Update an.


Was also ist in den letzten zwei Monaten so passiert? Seit meiner Zeit als Versuchskaninchen in Mannheim. Nun, um euch schon mal einen groben Überblick zu geben:

  • traveling | the | borderline  hatte den 1. Geburtstag
  • wir waren vier Wochen mit dem VW-Bus in England
  • ein Teil davon war das YEStival von Dave Cornthwaite
  • ich fliege im November zu einer Mental-Health Konferenz nach Dublin
  • ein Beitrag von mir wurde in einem Buch namens „A Day In My Head“ veröffentlicht
  • der Dr. Strange Kinofilm ist endlich draußen

Das mal so die wichtigsten Punkte auf einen Blick. Vor allem natürlich der letzte ;-)

Dazu gibt es jeweils gleich noch mehr. Am „wichtigsten“ für diesen Blog, für euch und eventuell sogar für mich ist aber natürlich noch die Frage, wie es mir und meiner Achterbahn in den letzten Wochen denn so ging.

Seit Bali geht es rund

Und da muss ich leider schreiben, dass es ganz schön rund ging. Es gab einiges gutes. Aber auch viel schlechtes. Ich komme gerade erst wieder frisch aus einem ziemlich tiefen, ekligen, dunklen, engen und fiesem Loch. Die gibt es also immer noch.

Meine Therapeutin hat vor kurzem die Bemerkung gemacht, dass es in den letzten Monaten bei mir eigentlich nie so richtig gut war. Seit wir von THE | trip zurück gekommen sind, genauer gesagt. Im Gegensatz zum Jahr davor. Gerade in den Monaten vor der Abreise nach Asien. war ich für meine Verhältnisse ziemlich stabil. Ja, hier und dort kleine Löcher oder Stolpersteine – aber das war es dann auch.

Seit unserer Rückkehr im März sieht die Sache aber irgendwie anders aus. Das ganze System ist instabiler. Ich kämpfe wieder härter an allen Fronten. Und kann noch nicht genau sagen, woran zur Hölle das liegt. Wenn ich so drüber nachdenke hab ich auf jeden Fall das Gefühl, dass neben der Borderline meine alte Freundin Depression viel und oft ihre Hände im Spiel hat. Genau so wie der Alkohol.

Altes Spiel mit neuem Nachspiel

Im Großen und Ganzen sieht das so aus: ein paar wenige Wochen geht alles gut. Dann kommen erste Wackler. Und dann geht es ziemlich schnell weit runter. Dann greift meine alte Taktik „Einmal richtig ins Loch und auf der anderen Seite ist dann alles wieder gut“. Und so ist es dann auch. Für ein paar wenige Wochen – und das ganze Spiel geht von vorne los.

Ein entscheidender Unterschied zu früher ist, dass das – in Ermangelung eines besseren Wortes – gute Gefühl nach einem Loch voller Dunkel, Depression, Selbstschädigung und dem ganzen Drumherum sich heute nicht mehr nur noch gut anfühlt. Sondern da ist jetzt ein fahler Beigeschmack. Ein Beigeschmack aus „Du weißt es doch eigentlich besser – warum passiert dir das immer wieder – Du willst doch gar nicht gesund werden“ und anderen solch netten Sätzen, die dann auf meinen Kopf einhämmern.

So scheiße es mir im Loch geht, das kenne ich und bisher konnte ich mich auf das gute Gefühl danach verlassen. Die Anspannung war erstmal wieder weg. Keine Gedankenkreise da. Ich hatte meine Ruhe. Und die wird seit neuestem gestört, diese Ruhe. Und das ist eben das Neue.

Der 1. Bloggeburtstag

Wirklich traurig, beschämt und auch enttäuscht von mir selbst war ich, als ich nicht mal zum 1. Geburtstag von meinem Blog einen Post veröffentlicht habe. Gründe dafür? Nun ja, ich war gerade mit der Fähre nach England übergesetzt und es gab so viel spannenderes zu sehen als meinen Rechner.

Aber natürlich hätte ich auch etwas vorproduzieren und planen können. Aber eine kurze Rückschau zeigt ja schon, dass ich in den letzten Monaten (in meinen Augen) viel zu wenig veröffentlich habe. Immer wieder kommen neue Themen, alte Artikel müssen warten – und so geht es jedem Artikel.

Vielleicht ist die worthafte Ruhe um mich auch ein Indiz für meinen wakeligen Gemütszustand. Vielleicht sogar mit ein Grund dafür? Eine meiner vorwurfsvollen Stimmen zieht mich auf jeden Fall gerne damit auf, dass ich schon wieder so lange nichts veröffentlicht habe.

Ich verspreche zu versuchen, mich zu bessern, das zu ändern und wieder öfter und regelmäßiger Artikel auf euch loszulassen. Vielleicht ist das aber eben auch so bei einem Blog über eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung: da ist eben alles Schwankungen unterlegen.

Vier Wochen England

Ich werde hier nicht in einen Absatz vier Wochen Roadtrip durch Südengland packen können – geschweige denn wollen. Da gibt es dann noch einen eigenen Post dazu. Oder auch mehrere, mal sehen.

In jedem Fall aber so viel: ich bin absolut verliebt! Es war noch viel schöner, als alle gesagt haben oder ich es mir erwarten konnte. Die Natur ist einmalig – mächtig, abwechslungsreich, wild, ruhig und aufregend. Die zum Teil sehr alten Städte und Gebäude haben mich mit ihrem steinernen Auftreten total in den Bann gezogen. Diese Kathedralen die man kaum noch gotisch sondern eigentlich super-mega-extra-gotisch nennen muss. Und oben drauf dann noch die Menschen: So. Unfassbar. Nett! Und so hilfsbereit.

Auch das Essen war gar nicht so schlimm, wie man hätte befürchten können oder es bis vor wenigen Jahren vielleicht noch war. Vor allem die Scones in Cornwall haben es mir angetan. Der typische Pint im englischen Pub hat dagegen mal absolut nicht unseren Geschmack getroffen (zu warm, zu schal) – die Pubs an sich dagegen sehr. Die Stimmung darin lässt sich wohl wenn überhaupt mit der in bayrischen Biergärten vergleichen – mit dem entscheidenen Unterschied dass eine niedrige Decke über einem hängt und ein Kaminfeuer neben einem prasselt.

London alleine verdient einen eigenen Blogpost. Wer schon mal da war, weiß dass es sich teilweise anfühlt wie durch eine Filmkulisse zu laufen. Und in der ganzen Stadt diese bunte, unaufgeregte Mischung aus Menschen und Gebäuden – alles lebt wild durcheinander gewürfelt und es funktioniert für alle. Und diese endlosen, schmalen Tunnel wenn man zwischen den Tube-Stationen umsteigen muss. Gruselig faszinierend. Ich könnte absätzelang so weitermachen …

YEStival

Direkt im Anschluss an London und sozusagen als Abschluss-Höhepunkt unserer Reise ging es dann zum YEStival, initiiert vom englischen Abenteurer a.k.a. Tausendsassa Dave Cornthwaite. Aus seiner „Say Yes More„-Initiative entstanden fand dieses Festival schon zum zweiten Mal statt. Dave hatten wir auf Bali getroffen, nachdem ich ihm und seinem Wirken bereits einige Zeit auf diversen Kanälen gefolgt war. Und seine Einladung bzw. sein Vorschlag, dass wir doch zum Festival kommen sollen war Auslöser und Grund der ganzen England-Reise.

Das YEStival lässt sich schwer beschreiben. Einmal fiel „A festival for positive change“ und das beschreibt die ganze Angelegenheit wohl ganz gut. Ein Festival für den positiven Wandel, also. Klingt auf deutsch gleich viel hölzerner.

Objektiv gesehen waren es rund 500 Menschen, die sich von Freitag bis Sonntag auf einem Uni-nahen Feld im Süden Englands getroffen haben, um in Zelten zu schlafen, am Lagerfeuer zu sitzen und sich inspirieren zu lassen. Während des Festivals gab es ungefähr 34 Redner, die aus allerlei Richtungen kamen.

Manche, so wie Dave selbst, lassen sich wohl am ehesten als Abenteurer bezeichnen. Die so Dinge machen wie einmal um die britische Küste schwimmen/paddeln/radeln. Oder von London nach Südafrika mit dem Fahrrad zu fahren. Oder von Rom nach London zu joggen. Und so weiter.

Aber nicht in allen Talks ging es um diese „großen Abenteuer“. Zufall oder nicht, in vielen Vorträgen ging es auch direkt oder indirekt um Mental Health, also psychische Gesundheit. Depressionen, bipolare Störung, Abhängigkeit, Selbstmord – viele ernste Themen kamen zur Sprache. Und als der erste mal angefangen hatte griffen viele das Thema in ihrem eigenen Talk auf.

Für mich toll zu sehen. Aber auch anstrengend. So viel Input, so viele neue Menschen, so viele Emotionen und Geschichten – da ist so ein kleiner, sensibler und empfindlicher Borderline-Kopf schnell überfordert. Trotzdem bin ich froh, dass wir da waren und sollte es nächstes Jahr wieder statt finden, werde ich wieder hinfahren.

Konferenz in Dublin

Noch während wir in England waren habe ich Nachricht bekommen, dass ich zu einer internationalen Konferenz nach Dublin fahren darf, bei der sich Menschen aus ganz Europa treffen und austauschen, die auf die eine oder andere Weise für psychische Gesundheit einsetzen bzw. sich mit psychischen Krankheiten beschäftigen.

Hintergrund: bei einer meiner vielen Informations-Flüge durchs Internet bin ich irgendwann auf der Seite von „Mental Health Europe“ (MHE) gelandet. Ich hatte davor durch diverse Aktionen schon immer mal wieder von MHE gehört, aber als ich mich dann mal wirklich mit auseinandergesetzt habe, womit die so ihre Zeit verbringen habe ich schnell gemerkt: Find ich super!

MHE setzt sich europaweit für die Belange von psychisch erkrankten Menschen ein, hilft bei Entstigmatisierung, berät die Politiker in Brüssel beim Thema und vernetzt Menschen, Organisationen und Verbände miteinander. Will ich mitmachen!

Also, E-Mails geschrieben, Antrag gestellt und nach wenigen Wochen Bescheid bekommen, dass ich dabei bin. Sehr cool! Auf meine Nachfrage, wie ich mich den mehr einbringen könne, wie ich MHE am meisten von Nutzen sein könnte, dass ich mich gerne vernetzen möchte und auch gerne bereit bin, aus meinem psychischen Nähkästchen zu plaudern kam erst viel positive Reaktion und dann die Einladung nach Dublin.

Zweimal jährlich veranstaltet MHE Konferenzen für alle Mitglieder in unterschiedlichen Orten Europas um den Austausch, die Zusammenarbeit und die Vernetzung zu unterstützen und leichter zu machen. Und da bin ich nun dieses Mal in Dublin dabei. Der ganze Spaß kostet für mich nichts, übernimmt alles MHE.

Und obendrauf fällt die Konferenz dieses Mal mit einem 50-jährigen Jubiläum von Mental Health Ireland zusammen. Was dann zu so Dingen führt wie einem Galadinner mit dem irischen Gesundheitsminister am Samstag Abend. Ich bin so gespannt.

Buchprojekt „A Day In My Head“

Wie ich da genau drauf gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls bin ich auf wunderbare Art und Weise in ein tolles Buchprojekt gestolpert, welches nach Monaten der Arbeit nun endlich veröffentlich wurde (eBook) bzw. bald wird (print).

Der Initiator heißt Aron Bennett und wie der Titel des Buches schon erahnen lässt geht es um „Ein Tag in meinem Kopf“. Aron hat sich einen beliebigen Tag gewählt, den 16. Mai, und hat Menschen, die unter einer psychischen Krankheit leiden dazu aufgerufen, von ihrem Tag zu erzählen. Von Schizophrenie über Angstörungen und natürlich Depression bis zu Borderline ist quasi das gesamte Spektrum vertreten.

Menschen von überall auf der Welt haben mitgemacht, was die breite Fächerung an Eindrücken und Geschichten noch breiter werden lässt. Und diese Beiträge sind nach sorgfältiger Auswahl und ein wenig Nachbearbeitung nun eben in Buchform erhältlich. Der Erlös wird für gute Zwecke genutzt und in den ersten Tagen hat das eBook auf amazon einen tollen Verkaufsstart hingelegt. Aron ist im Gespräch mit diversen Medien, die wohl auch bald noch über das Projekt berichten werden.

Tolle Sache, wie ich finde. Ich bin selber sehr gespannt, was darin so zu lesen sein wird. Über meinen eigenen Eintrag habe ich mir vorher keine Gedanken gemacht. Eher ungefiltert aufgeschrieben, was mir in den Kopf kam. Vielleicht unterstützt der ein oder andere von euch die Sache ja mit einem Kauf – Aron würde sich freuen. Und ich mich natürlich auch.

Benedict sei Dank

Auch wenn diese kurze Zeitreise in wenigen Absätzen wirklich nur einen Bruchteil abdecken kann – schon von außen gesehen waren die zwei Monate Beitragsstille gar nicht so still, sondern ziemlich ereignisreich. Dazu dann noch der turbulente Kopf und ein wackeliger Gemütszustand und schon haben wir den Borderline-Salat.

Da hilft dann nur noch Cumberbatch. Den hab ich ja schließlich oben in der kurzen Auflistung zu Beginn des Textes auch aufgeführt. Wenn auch getarnt als Dr. Strange. Nach wochen-, monatelangem Warten kam endlich dieser Film raus. Und für mich war er vermutlich wichtiger als für viele andere. Denn im Sommer, als ich mal eine wirklich dunkle Phase hatte und kräftig dabei war, mir um mich ernsthafte Sorgen zu machen habe ich mir gesagt „Naja, also bis zum Start von Dr. Strange musst du es jetzt auf jeden Fall noch schaffen“. Und das habe ich.

Und am. 1. Januar kommt die neue Sherlock-Staffel. Die darf ich auch nicht verpassen.

So hangle ich mich also gerade durch die Wochen. Passe meine Ansprüche der Tagesform an. Und versuche, mich auch mit den kleinen Dingen zufrieden zu geben, mich über sie zu freuen. Anstatt mich nur von der Größe der eigentlich wichtigen Dinge, meiner eigentlichen Ziele einschüchtern und lähmen zu lassen.

Das Ende vom Update-Lied also? Die Achterbahn hat mich viel durch die Gegend geschossen. Ein wenig Alltag. Viel England. Einiges Neues. So manch Altes. Viel runter. Aber auch immer wieder rauf. Und wenn ich mir das so anschaue, bin ich gar nicht mehr so verwundert bzw. erschrocken, dass es keinen neuen Post gab. Das Leben war einfach schneller als ich schreiben kann.