Viertel nach Abreise
Nicht unglaublich und deswegen erst recht wahr: ein Viertel unserer Reise ist nun um. Schon. Oder eigentlich: erst. Es kommt uns deutlich länger vor.
Lektionen On-The-Go
Reisen macht ja bekanntlich klüger. Und ein bisschen was haben wir schon gelernt auf unserer Reise. Dass Singapur nicht repräsentativ für Asien ist, habe ich schon ganz am Anfang ausführlich ausgeführt. Hier haben wir eher erschrocken festgestellt, wie weit die Globalisierung schon voran geschritten ist. Und uns gleich als nächstes gefragt, wie es wohl in 20 Jahren sein wird.
Aber auch darüber hinaus haben wir schon so einiges lehrreiches am Wegrand unserer Reise aufgesammelt. Zum Beispiel: Ja, je nachdem wo wir hingehen, sind wir weißen Langnasen etwas besonderes. Das zeigen uns viele neugiereigen Augenpaaren und Begegnungen wie mit den beiden Töchtern von Riez’s Freund. Und der Besuch eines Seetempels vor ein paar Tagen: aus dem Nichts spricht mich eine Gruppe von circa 10 bekopftuchten Mädchen an. Vielleicht so 12 Jahre alt im Durchschnitt. Ob sie Bitte, Bitte, Bitte ein Foto mit mir haben können. So süß. Und natürlich gerne. Fünf verschiedne Smartphones werden gezückt. Allgemein nervöse und freudige Aufgedrehtheit bei den Mädels. Und ich mitten drin. Und jetzt auf vielen Facebook-Profilen, wahrscheinlich.
Auch habe ich mir vorgenommen, mich nie wieder über Touristen zu amüsieren, die in Deutschland bei etwas nicht weiterwissen, was für mich selbstverständlich ist. Nicht dass dies bisher einer meiner Haupt- und Lieblings-Zeitvertreibe war. Aber ab und zu erwischt man sich doch schon mal dabei, wie die ratlose Gruppe Asiaten vor dem Fahrkartenschaltern einem ein Lächeln auf die Lippen treibt. Ich bin mir sicher, viele dieser Menschen konnten sich während der letzten vier Wochen schon an mir Rächen.
Wie oft haben wir doof geguckt, doofe Fragen gestellt und uns doof angestellt. Oder uns über Sachen amüsiert, die hier selbstverständlich sind. Ob Ticketschalter, Währung, Supermarktkasse, Speisekarte, Bahnsteige, Verkehrsschilder, Pflanzen, Busse, Tiere, Sprache, Religion, Toiletten oder Angewohnheiten der Einheimischen – wir laufen wieder mit Kinderaugen durch die Welt. Entdecken alltägliches neu, werden überrascht und fragen uns auch manchmal, wie es zu dem ein oder anderen Unterschied gekommen ist. Es ist schön, auf Reisen zu sein.
Lektionen in Demut
Wenn ein Geldautomat da ist – nutze ihn! Wer weiß, wann dich der nächste mit seiner Anwesenheit überrascht und mit seiner Funktionsfähigkeit verwöhnt. Hier gilt wirklich noch: nur bares ist wahres. Also immer VORHER in den Geldbeutel gucken. Und nicht erst, wenn man am Ticketschalter ohne Visa-Symbol steht und der Taxifahrer schon lange umgekehrt ist.
Du bist Tourist, du zahlst. Wir können leider nicht verstecken, dass wir von ganz weit her kommen. Von ganz weit her wo alle ganz doll reich sind. In den Augen der Einheimischen zumindest. Das bedeutet, dass man bei Verhandlungen prinzipiell schon mal schlechte Karten hat. Mit ein wenig Erfahrung, Frechheit und Sprachkenntnissen kann man die Sache wieder ein bisschen ausgleichen. Aber die Preise der Locals werden für uns wohl unerreichbar bleiben.
Was ehrlich gesagt aber auch ok ist. Bei dem Preisniveau hier. Wir haben mal recherchiert, wie hoch der Durchschnittslohn in Indonesien so ist. 2011 lag er bei 250 US Dollar im Monat. Und das ist der Durchschnitt. Händler, Servicekräfte und Taxifahrer leben da noch mal in einer ganz anderen Welt. Da ist uns das Lachen ganz schnell in der Kehle stecken geblieben. Und dann gibt man auch gerne mal zu viel. Ob auf dem Markt, im Taxi oder im Restaurant.
Die Kombination aus den beiden vorherigen Phänomenen führt auch zu einem „Problem“. So nenne ich das jetzt Mal. Viele Indonesier haben (noch) kein wirkliches Verhältnis zu Geldautomaten. Hier geht man zur Bank, um Geld abzuheben. Dass man eine Karte in eine Maschine steckt und aus dieser dann Geld kommt, hat beinahe noch etwas Magisches. Das führt aber leider auch dazu, dass kein Verständnis dafür da ist, dass das Geld nicht einfach so da raus kommt. Sondern man es vorher drauf gearbeitet haben muss. Für die Einheimischen hier ist die Kette „Langnase – Karte – ATM – endlose Geldreserven.“ Und ihnen begreiflich zu machen, dass dem nicht so ist, ist gar nicht so leicht. Wohl auch ein Grund für das Scheitern vieler Beziehungen zwischen Europäern und Indonesiern.
Reiseführer zu. Internet aus. Augen und Ohren auf. Und in sich hinein horchen. Das haben wir definitiv gelernt. Mit erträglich schmerzhaften Konsequenzen in Form von einem mehr oder weniger unfreiwilligen Aufenthalt in Kuala Lumpur. Aber deswegen ein Rat von Herzen:
Wenn ihr die Möglichkeit und die Ressourcen habt, und auch noch der Typ dafür seid – dann lasst die Planung von zu Hause. Wir wissen selber, wie schön es ist, endlos durch Hotel- und airbnb-Inserate zu blättern. Mit google-Maps in entlegene Buchten zu reisen. Und wie viel Spaß es macht, sich mit Hilfe von Tastatur und Maus schon ein bisschen näher Richtung Reise zu tippen und klicken. Aber du weißt erst, wenn du hier bist, worauf du Lust hast. Erst wenn du mitsamt Kopf und Körper angekommen bist, kannst du wirklich wissen, wonach dir der Sinn steht.
Uns ist klar, dass das ein Luxus-Reiseproblem ist. Wenn man nur zwei Wochen hat, dann möchte man keine endlosen Stunden vor Ort mit dem Checken von potentiellen Zielen und Unterkünften verschwenden. Diese Lektion ist also eher für alle Leute, die ähnlich viel Zeit wie wir haben. Die es sich leisten können, mal einen Tag mit Recherche zu verbringen. Und die sich offen halten möchten, wohin die Reise als nächstes geht.
Die Sache mit dem Visa-Run
Wenn du einen Visa-Run planst, dann sei dir sicher, dass du auch wirklich das Land verlässt. Für uns eine der lustigsten Geschichten bisher. Und vielleicht der unumstößliche Beweis, dass unsere Gehirne langsam den Entspannungs-Modus erreichen.
Aber von vorne: Indonesien gibt einem bei der Einreise ein Visa-On-Arrival (VOA) welches für 30 Tage gültig ist. Dieses kann einmalig für weitere 30 Tage verlängert werden. Insgesamt also 60 Tage Aufenthalt. Dann muss man entweder richtig oganisatorischen und finanziellen Aufwand betreiben, um ein dauerhafteres Visum zu bekommen. Oder man verlässt mal kurz das Land. Und reist gleich darauf wieder erneut ein. Neues VOA. Neue Verlängerung möglich. Das ist dann ein Visa-Run. Das kann man aber natürlich nicht endlos machen. Irgendwann werden die Beamten am Immigration-Schalter unfreundlich.
Wir fühlen uns hier auf Bali sehr wohl. So wohl, dass wir in der Ecke gerne länger bleiben möchten. Auf jeden Fall noch ein paar Wochen. Der Plan steht auch schon. Teilweise sind Unterkünfte schon gebucht. Und nun kommt der Haken: wir waren mal wieder etwas übereifrig und haben über unseren ersten 60-Tage Zeitraum hinaus gebucht. Hmmm, doof das. Was also tun? Bleibt wohl nur ein Visa-Run. Jedenfalls wenn wir nicht all unsere Pläne komplett über den Haufen werfen wollen. Bei der Flugsuche sehen wir, dass wir unter 100 Euro pro Person nicht wegkommen. Und das sind dann Flüge nach Singapur. Freude. Unsere Lieblingsstadt. Vielleicht kann man die ganze Sache ja mit einem Zwischentrip verbinden? Leider sind die Flüge zu allen Zielen, die uns auch nur am Rande interessieren, gleich mal doppelt- bis dreifach so teuer.
Aber dann entdecken wir Sulawesi. Auch so eine Insel. Aber viel weniger touristisch. Noch so richtig ursprünglich – sagt man. Stand sowieso mehr oder weniger noch auf unserer Liste. Toll! Die Flüge dahin sind genau so günstig, wie die nach Singapur! Wird gemacht. Wir buchen Flüge und buchen Unterkünfte um, erstellen einen neuen Masterplan und sind prall gefüllt mit Stolz und Vorfreude. Haben wir doch super gemeistert. Im Reiseführer lesen wir schon mal ein bisschen rum und freuen uns über die niedrigen Preise. In Rupiah. Spätestens hier hätte es bei uns eigentlich klingeln sollen.
Hat es aber nicht. Das musste dann unsere spanische Vermieterin hier in der Villa ein paar Stunden später für uns erledigen. Und dann hat es laut geklingelt. „Sulawesi? But that’s in Indonesia?!“ „……“ Waren wir wirklich so doof? Ja, waren wir. Wir Helden haben tatsächlich vor lauter Flugpreisen und Ziele-Jonglieren irgendwann nicht mehr gerafft, dass Sulawesi genau so Indonesien ist, wie der Boden, auf dem wir gerade stehen. Und wir Pappnasen freuen uns auch noch über die günstigen Preise.
Zum Glück ist unser Gehirn mittlerweile so sehr im Urlaubsmodus, dass uns das Ganze nur kurzfristig minimal geärgert hat. Hauptsächlich haben wir gelacht. Und wie. Unfassbar. Und dann haben wir einen Flug nach Singapur gebucht.
Oft gehört, aber jetzt erst gelernt
Dann gibt es da ja noch so Dinge, die man eigentlich weiß. Zum Beispiel: der Mittagshitze ausweichen. Aber irgendwie haben wir es trotzdem ein paar mal öfter als uns lieb ist geschafft, quasi genau dann loszuziehen, wenn die Sonne gerade ihren Zenit erreicht. Ob es am Jetlag, an der miesen Planung oder Naivität lag – das lasse ich einfach mal so stehen. Fakt ist: Vormittag ist Toll. Nachmittag ist Toll. Abend ist total toll. Mittag: nicht so toll.
Ja, es wird einfach alles auf zwei Rädern transportiert. Auf Bali hauptsächlich auf Rollern. Also, motorisierten. Nicht die zum Anschieben. Egal ob vierköpfige Familie, Hunde, Esstische, Bambusrohre mit vier Metern Länge, 30 Kokosnüsse oder der Kühlschrank. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Und jedesmal gucken wir verdutzt.
Aber nicht nur die Beladung der Roller, sondern auch deren Fahrer lassen uns oft genug große Augen machen. Es wird wohl noch ein wenig dauern, bis ich mich an das Bild zwölfjähriger Mädchen oder noch jüngerer Jungs auf den Rollern gewöhnt habe – wohl gemerkt: alleine. Nicht als Beifahrer. Ganz normal hier. Vor allem auf dem Land. Anders kommen die Kids nicht zur Schule.
Sprache öffnet einem Tür und Tor. Der Plan mit dem Indonesisch lernen ging zuhause leider nicht so ganz auf. Dafür merken wir hier mit jedem neuen Wort, das wir lernen, was für einen Unterschied solch kleine Gesten machen können. So eine Freude, die bei ganz vielen Indonesiern auftaucht, wenn man auch nur versucht, ihre Sprache zu benutzen. Anscheinend macht der Otto-Normal-Urlauber (vor allem auf Bali) sich nicht einmal die Mühe, auch nur ein Wort Bahasa zu lernen.
Bahasa ist indonesisch für Sprache allgemein, vor allem aber für das „offizielle“ Indonesisch. Daneben gibt es noch zahllose Dialekte. Wobei Dialekt ein wenig missverständlich ist. Hier auf der Insel mussten wir feststellen, dass der „Dialekt“ der Balinesen viel mehr eine ganz eigene Sprache ist. Und sehr wenig bis nichts mit dem Indonesisch zu tun hat, das wir uns mühevoll Wort für Wort anzueignen versuchen.
Beispiel: Terima Kasih ist Bahasa für Dankeschön. Suksuma ist das balinesische Äquivalent dazu. Sehr ähnlich, oder? Und so ist es mit praktisch allem.
Jeder Einheimische hat uns aber bisher dazu geraten, lieber erstmal Bahasa zu lernen. Das versteht eben jeder. Zumindest jeder, der zur Schule gegangen ist. Aber über das ein oder andere Bali-Wort freuen sich die Leute hier schon sehr. Es zeigt halt einfach, dass man sich interessiert und Mühe gibt. Wir haben schon Sätze von uns gegeben, die alle um uns herum zum Lachen gebracht haben. Aber wir wurden verstanden. Und jeder hier hat einen großen Spaß dran, uns dabei zu helfen, zu lernen, wie es richtig geht. Sehr schöne Momente und Erlebnisse hat uns das schon beschert.
Und die letzte Lektion: Lächeln. Kommunikationsmittel Nummer 1. Wenn nix mehr geht, einfach Lächeln. Das öffnet einem erst recht Tür und Tor – und Herzen. Wohingegen ein verkniffener, deutscher Durchschnittsgesichtsausdruck eher für das Gegenteil sorgt. Kann eben wirklich mehr sagen als tausend Worte, so ein Lächeln.
Ist es bisher so, wie ihr euch das vorgestellt habt?
Es ist genau so, wie wir es uns nicht vorgestellt haben!
Und das ist auch gut so. Mehr als ein paar Ideen, Bilder und Annahmen hatten wir sowieso nicht. Es gibt also – Gott sei Dank – keine Ideale, denen wir hinterher jagen müssen. Und die sich dann niemals erfüllen lassen. Wir können uns wirklich auf das einlassen, was uns jeden Tag erwartet. Und das ist bisher größtenteils einfach nur toll. Jetzt gerade, jeden Abend einen neuen, fantastischen Sonnenuntergang am Meer erleben zu können. Nach nur fünf Minuten Fußweg. Zum Beispiel.
Manchen Dinge sind schon so, wie man sie wohl unbewusst erwartet hat. Zum Beispiel so einiges, was mit Sauberkeit und Essen zu tun hat. Aber das gehört für uns dazu. Ist eben anders hier. Also gewöhnen wir uns um. Das mag bei der einen Sache leichter sein als bei der anderen. Aber nichts, was uns umbringt. Um ehrlich zu sein geniessen wir eher, dass uns das mal zum Nachdenken bringt, warum wir manche Dinge in Deutschland denn eigentlich so machen, wie wir sie machen.
Heimweh? Gab es bisher – bei mir jedenfalls – noch nicht. Wenn dann vermisse ich so einige Menschen. Manchmal doller, manchmal weniger doll. Aber weder das Wetter, noch unsere Wohnung, noch irgendetwas anderes daheim habe ich bisher wirklich herbeigesehnt.
Geld? Langsam haben wir uns an unser (doch recht begrenztes) Budget gewöhnt. Gerade Singapur hat da ein paar kleinere und größere Löcher hinterlassen. Aber hier kommt auch eine Sache ins Spiel, die wir beide uns dann doch anders vorgestellt hatten: das Reisen an sich. Zu Hause haben wir zum Beispiel gesagt „Zwischen Singapur und KL haben wir eine Woche. Da reisen wir dann einfach die Küste hoch.“ Jaja, von wegen. Das klingt wirklich einfacher, als es ist. Es geht bestimmt, einfach so. Aber dafür sind wir wohl nicht ganz die Typen. Wir wissen nach einer 10-stündigen Busfahrt wohl einfach zu gerne, was uns erwartet. Sind nicht so spontan und anspruchslos, wie es manchmal vielleicht hilfreich wäre.
Und wir sind wohl einfach eher von der Slow-Travel-Fraktion. Sogar ziemlich eindeutig. Lieber länger an einem Ort bleiben. Richtig ankommen, richtig entdecken. Als alle zwei Tage Rucksack zu packen und weiterzuziehen. Und da geht es auch zurück zum Thema Geld: das Leben hier ist wirklich nicht teuer. Gerade Lebensmittel und Essen gehen sind genau so günstig, wie alle immer erzählen. Was die Reisekasse strapaziert sind viel mehr die Ortswechsel. Flüge, Busse, Taxen, SIM-Karten kaufen und so fort. Das strengt also nicht nur unsere Köpfe, sondern auch unsere Konten an.
Drei Länder. Hunderte Kilometer zurückgelegt. Großstädte, abgelegene Dörfer und atemberaubende Natur gesehen. Dinge gegessen, von denen wir nicht wussten, was sie sind. Und ebenso getrunken. Dabei mal Glück, mal Pech gehabt. Freundschaften geschlossen, tolle Begegnungen gehabt und dabei immer wieder gedacht: Wow! Wir haben noch so viel Zeit vor uns, bevor es wieder zurück nach Deutschland geht. Wir sind gespannt, was noch auf uns zukommt!
all photos by Arvids|iPhone =)