Meditation | Der Kampf mit dem Kopf

Lesezeit: 14 minuten

Meditation | Der Kampf mit dem Kopf

Noch vor wenigen Monaten war das Schlimmste, was mir passieren konnte, dass ich meinem eigenen Kopf zuhören muss. Heute ist Meditation fester Bestandteil meines Alltags. Wie es dazu gekommen ist, wie sich Achtsamkeit und Meditation unterscheiden, beeinflussen und zusammenhängen und was der Buddhismus mit der ganzen Sache zu tun hat.


Seit ich regelmäßig meditiere, geht es mir besser. Besser im Bezug auf Borderline. Und auch auf vieles andere. Vor allem bin ich gelassener geworden. Das heißt nicht, dass ich nicht immer noch von jetzt auf gleich ausbrechen, explodieren und Wutanfälle bekommen kann. Aber weniger. Weniger oft. Weniger intensiv. Gelassenheit rauf – Grundanspannung runter. Es gelingt mir öfter, Menschen und Dinge so sein und passieren zu lassen, wie sie sind. Vor allem, wenn ich sowieso nichts dran ändern kann. Frei nach dem schönen Motto

Love it. Change it. Or Leave it.

Anfangs dachte ich, Meditation wäre nur für uns „Psychos“ eine Herausforderung. Aber je mehr ich mich mit dem Thema beschäftige und je mehr ich mit anderen Leuten darüber rede, desto mehr fällt mir auf, dass still dasitzen und sich mit dem Inneren des eigenen Kopfes zu beschäftigen auch für viele, für sehr viele „Normalos“ abschreckend ist. Wahrscheinlich haben wir einfach alle so ein paar Bilder, Sätze und Geschichten da oben schön tief weggepackt, die wir am liebsten für immer in ihrer Ecke liegen lassen würden. Aber meine Erfahrung: das klappt nicht. Allein schon das Wissen, dass da dieser Koffer mit dieser einen Erinnerung ist, die man nicht sehen möchte, kann fertig machen.

Aber auch wenn da oben kein Koffer liegt, keine Dämonen wohnen, kann 10 Minuten Ruhe für den Kopf eine ganz schöne Herausforderung sein. Bis vor wenigen Monaten war Meditation für mich etwas, was nicht wirklich in unsere Zeit passt. Nur was für Buddhisten und Hippies. Mittlerweile denke ich, dass 10 Minuten ruhig dazusitzen für unsere modernen Köpfen noch viel wichtiger ist, als je zuvor. Und schwieriger. Eine Pause von den ständig auf uns einprasselnden, bunten, lauten, „wichtigen“ und „dringenden“ Reizen. Dem Kopf eine Auszeit gönnen. Klingt unspektakulär und leicht. Ist aber ganz schön harte Arbeit. Und wenn ihr es schafft, den MonkeyMind etwas zu zähmen, dann werdet ihr sehen, was für Höchstleistungen unser Gehirn pausenlos abliefert – und schnell erkennen, dass es sich die 10 Minuten Ruhe mehr als verdient hat.

Es gibt so viel über Meditation zu sagen – erst habe ich keinen Anfang und dann fast kein Ende gefunden. Bei Rausgekommen ist eine Einführung à la Dommi, in der ich versuche, euch nicht zu überladen und euch trotzdem das Wichtigste und vor allem meine Erfahrungen näher zu bringen. Der Artikel ist darum recht lang geworden und ich helfe euch das erste Mal mit Sprungmarken. Ihr könnt also auswählen, was euch interessiert und dann direkt dorthin springen. Falls etwas nicht funktionieren sollte, sagt mir bitte Bescheid.

Was für Meditationen gibt es?

Achtsamkeit und Meditation – Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Meditation und Buddhismus

Anhaftung heißt Leiden

Einstieg in die Meditation

Bücher, Apps & Links

Mein Weg zur Meditation

Nachdem ich über die Klinik in Hamburg also zur Achtsamkeit gekommen war, hat mich der Weg weiter zur Meditation geführt. Denn nach einigen Wochen daheim mit unterschiedlichsten Achtsamkeitsübungen habe ich gemerkt, wie gut mir das stille Sitzen und das Konzentrieren auf den Atem gefällt. Und wie gut es mir tut.

Ich habe mir das mit der Meditation nicht groß vorher überlegt. Nicht geplant. Nicht groß vorgenommen. Und vielleicht war das gut so. Ich bin also quasi aus der Achtsamkeit rüber in die Meditation gerutscht. Anfangs habe ich mein Sitzen auch immer noch als Achtsamkeit bezeichnet. Aber als ich mehr über Meditation gelesen habe, bin ich bald selbstbewusster geworden und habe meine 10-Minuten Einheiten Meditation genannt. Für mich ein großer Schritt. Dommi meditiert. Wahnsinn. Wenn man mir das vor 5 oder gar 2 Jahren erzählt hätte, wäre vermutlich ein abfälliges Kommentar samt gezeigtem Vogel bei rausgekommen.

Mittlerweile werde ich nervös, wenn ich mal zwei Tage hintereinander nicht meditiere. Genau so, wie ich nervös werde, wenn ich mal zwei Tage hintereinander keinen Sport getrieben habe. Ich habe gelernt und begriffen, dass mir beides unheimlich gut tut. So wie der Körper sein Workout braucht, so braucht auch der Kopf seine regelmäßigen Trainingseinheiten. Healthy Body – Healthy Mind!

So oft es geht versuche ich morgens zu meditieren. Meistens 20 Minuten. Wie beim Sport gilt, dass ich den Tag über entspannter und gelassener bin, wenn ich meine Selbstfürsorge schon absolviert habe. Nach einer Meditation fühlt es sich für mich immer so an, als hätte mein Gehirn eine erfrischende, kalte Dusche bekommen. Ich bin wach, achtsam und – nun ja, frisch im Kopf.

Was für Meditationen gibt es?

Die „klassische“ Meditation, Grundlage aller Übungen und Variationen ist die Konzentration auf den Atem. Einfach sitzen. Atmen. Spüren. Zählen. Mehr nicht. Klingt einfach? Dann versuch mal, atmend bis 10 zu zählen. Und sonst nichts zu tun. Keine anderen Gedanken. Nur „Einatmen 1 – Ausatmen 2 – Einatmen 3 – Ausatmen 4 – Einatmen 5 – Ausatmen 6 – Einatmen 7 – Ausatmen 8 – Einatmen 9 – Ausatmen 10“.

Und, wie weit bist du gekommen? Ehrlich?

Bei mir hat es bestimmt 10 oder sogar 15 Sitzungen mit dieser Übung gedauert, bis ich das erste Mal bei 10 angekommen bin. Man macht sich gerne was vor, denn unser Gehirn kann über irgendwas nachdenken und im Hintergrund bis zehn zählen. Das ist aber nicht gemeint. Ich habe mal den Vergleich gelesen, dass diese Übung so ist, wie einem jungen, aufgedrehten Welpen beizubringen, dass er in seinem Körbchen bleiben soll. Er wird immer wieder rausspringen – so wie dein Kopf vom Zählen wegspringen wird. Du musst den Welpen (deinen Kopf) also nehmen, und wieder zurück zum Korb (Zählen) tragen. Und das sehr oft. Aber es lohnt sich.

Bei anderen Meditationen geht es darum, zu Visualisieren. Sich etwas vor dem geistigen Auge so genau wie möglich vorzustellen. Etwa einen Berg, um das eigene Selbstbewusstsein zu stärken. Oder einen sicheren Ort, den man in schwierigen Situationen aufsuchen kann. Oder die eigene Zukunft.

Auch sehr weit verbreitet sind die sogenannten Metta-Meditationen. Hierbei geht es darum, erst für sich und dann für andere wahrhaftes, ehrliches Mitgefühl zu erzeugen. Kein Mitleid. Sich und anderen etwas Gutes zu wünschen. Und zwar ohne Hintergedanken. Aus vollem Herzen. Meine Metta-Mediation lautet:

Möge ich gesund sein und frei von Leiden.
Möge ich erfüllt sein mit Ruhe, Gelassenheit und Frieden.
Möge ich frei sein von Hass, Gier und Verblendung.
Möge ich glücklich sein.

Wenn man es geschafft hat, diese Sätze ehrlich zu sich selber zu sagen, sie wirklich zu meinen und zu fühlen, dann geht man einen Schritt weiter und wendet die gleichen Wünsche auf einen geliebten Menschen an. Danach auf einen Menschen, der einen „herausfordert“. Und schließlich auf die ganze Welt – jeden Menschen, jedes Lebewesen. Ich kämpfe aber noch mit mir.

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Achtsamkeit und Meditation | Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Achtsamkeit und Meditation werden oft gleichgesetzt, vermischt, durcheinandergebracht, verwechselt und missverstanden. Im Grunde zielen beide in die gleiche Richtung: den Geist, der ständig im Gestern oder im Morgen unterwegs ist, zurück zum Körper im Jetzt zu bringen.

Ich finde, Meditation ist eine Art Erweiterung oder Add-On zur Achtsamkeit. Achtsam kann man in jedem Moment seines Lebens sein. Egal ob man isst, fährt, redet, arbeitet, faulenzt oder fernsieht. Mit der Meditation sieht das schon anders aus.

Für mich bedeutet Meditation aber auch, sich 10, 15 oder 20 Minuten still hinzusetzen. Die Augen zu schließen. Keinen Mucks und keine Move zu machen. Und zu atmen. Oder einer Klangschale zuzuhören. Oder Metta zu praktizieren.

Ja, in vielen Büchern, Kursen oder im Internet gibt es Anleitungen für Mini-Meditationen. Kurze Übungen, die man auch in der U-Bahn machen kann. In anderen Büchern heißen diese kurzen Einheiten dann Achtsamkeitsübung. Ihr seht, die Grenzen sind fließend. Wenn ich von Meditation schreibe, meine ich immer den Klassiker. Im Schneidersitz auf dem Boden hockend. Alles andere ist für mich Achtsamkeit.

Zum Meditieren muss man achtsam sein. Vielleicht ist Meditation sogar so etwas wie die Königsdisziplin der Achtsamkeit? Ich kann mich nicht hinter einem Sinn verstecken, hinter einem äußeren Reiz, den ich achtsam betrachte. Ich bin alleine mit meinem Kopf.

Von heute auf morgen mit Meditation anzufangen stelle ich mir allerdings schwieriger vor, als mit Achtsamkeit zu starten. Ganz einfach, weil Achtsamkeit flexibler ist. Alltagstauglicher. Und weniger Ausreden zulässt. Und vielleicht wird es dir dann wie mir gehen, dass dich die ganze Sache so packt und du dich eines Tages mit einem 20-minütigen Meditationstimer in deinem Wohnzimmer wiederfindest.

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Meditation und Buddhismus

Viele Leute denken, Meditation und Buddhismus bedingen einander. Nach dem Motto „Nur Buddhisten meditieren“ oder „Um zu meditieren muss ich Buddhist sein – oder werden.“ Das ist Unfug. Meditation hilft wissenschaftlich nachgewiesen, das Gehirn positiv zu verändern. Egal ob Buddhist, Manager, Hausfrau oder Borderliner.

Bereits nach wenigen Wochen regelmäßiger Meditation zeigen sich in den Köpfen der Probanden Veränderungen. Wer sich davon überzeugen möchte, findet bei 7Mind oder bei Headspace (englisch) schöne Zusammenfassungen der postivien Auswirkungen, die Meditation auf alle Bereiche des Lebens hat. Wer sich noch tiefer reinlesen möchte oder schwerer zu überzeugen ist, findet bei wikipedia eine lange Liste voller Studien, die sich mit Rund um Mediation drehen.

Ich selbst habe mich durch die Beschäftigung mit Meditation auch näher mit dem Buddhismus befasst. Und kann dieser Religion durchaus viel Positives abgewinnen. „Richtige“ Buddhistin zu werden, habe ich (momentan jedenfalls) aber noch nicht vor. Aber ich baue gerne Aspekte, Ideen und Vorstellungen der buddhistischen Lehre in mein Leben ein. Denn ich finde den Ansatz unheimlich interessant. Und auch sehr alltagstauglich.

Sei es die Gelassenheit – die auch durch Meditation kommt. Akzeptieren, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Nichts von Dauer ist. Wir mit Veränderungen bei uns selber anfangen müssen. Wir unser Glück nicht von irgendwelchen Gegenständen abhängig machen sollten.

Oder Karma. Auf gut deutsch würde man vielleicht sagen „Was du nicht willst das man dir tu das füg auch keinem anderen zu.“ Ich sage schon lange, wenn ich jemandem begegne, der nicht wirklich vorbildich handelt, manchmal sogar kriminell – ohne dass ich etwas dagegen tun könnte: Abwarten – eines Tages wird all das zurück kommen zu ihm. Und genau das ist Karma. Wenn wir positiv denken, handeln und gute Absichten verfolgen, dann ist das gut für uns. Genau so wie das Positive wird aber auch das Negative irgendwann zu uns zurück kommen.

Ich mag den Weg der Mitte, der im Buddhismus gerne gewählt wird. Schon Buddha selber hat erkannt, dass weder Völlerei und exzessiver Genuss, noch Askese und komplette Entsagung aller materieller Güter der richtige Weg ist. Sondern die Mitte. Dem Körper und dem Geist das geben, was sie brauchen. Aber nicht mehr.

Und wenn man einmal den Weg der Mitte entdeckt hat, dann fällt einem auf, wie richtig der oft ist. Der deutsche Regel- und Gesetzeswahn mag seine Nachteile haben. Übertrieben und spießig wirken. Der sehr lockere Umgang mit Genehmigungen und Vorschriften in anderen Ländern dieser Welt aber auch. Eine Kombination aus beidem wäre gut. Nur um mal ein Beispiel zu nennen. Extreme sind wohl selten gut. Weder beim Bauen. Noch beim Essen. Noch beim Sport. Noch beim Arbeiten. Eigentlich nie.

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Anhaftung heißt Leiden

Hier folgt nun keine buddhistische Lehrheinheit. Sondern ein kurzer Exkurs, warum mir die Beschäftigung mit Achtsamkeit, Meditation und Buddhismus beim täglichen Kampf mit meiner Borderline Persönlichkeitsstörung hilft.

Buddha verkündete, dass eigentlich alle Probleme, die der Mensch so hat, durch Leiden entstehen. Ein Teil dieses Leidens entsteht durch Anhaftung. Also dadurch, dass wir Dinge, Momente und Menschen gerne für immer festhalten wollen.

Aber das funktioniert leider nicht. Dinge gehen kaputt. Momente gehen vorbei. Menschen sterben. Je mehr wie akzeptieren können, dass alles ein großer Kreislauf ist, umso leichter fällt es, sich nicht an einzelnen Dingen festzuklammern.

Und wo kommt jetzt die Borderline ins Spiel? Beim Anhaften an Gefühle. An negative, wie an positive.

Im Bali-Artikel über unsere Zeit in Canggu habe ich beschrieben, wie schwer es mir beispielsweise an einem Abend gefallen ist, von einem schönen Strand nach Hause zu fahren. So viele Menschen waren dort. Die sahen alle so glücklich aus. Warum sollten wir also gehen? Nun, weil wir bereits mehrere Stunden an eben diesem Strand genossen und einen sehr langen Tag hinter uns hatten.

Ich hatte eine Vermutung, warum es mir so schwer fiel, mich zu lösen. Und zwar, weil es mir dort gut gegangen war. Ich war glücklich. Es war schön. Meer, leckeres Essen, tolles Licht, Arvid – alles war super. Und wer weiß, wie der nächste Moment sein würde? Welche Stimmung, welche Emotion, welche Laune mich hinter der nächsten Ecke anspringen würde.

Aber was soll ich jetzt tun? Ewig an diesem Strand sitzen? Wohl kaum. Das wäre auf jeden Fall nicht der Weg der Mitte. Oder der Achtsamkeit. Irgendwann wäre es dunkel geworden und es hätte nicht mehr viel zu sehen gegeben. Die Restaurants hätten zu gemacht, nett sitzen wäre also auch bald vorbei gewesen. Vielleicht wäre ich sogar irgendwann alleine am Strand gewesen – was ich wahrscheinlich auch irgendwie gruselig gefunden hätte. Es war also gut, dass wir gegangen sind.

Seit ich den Gedanken mit der Anhaftung, den Gefühlen und dem Leid das erste Mal hatte, versuche ich noch stärker zu akzeptieren, dass nichts – wirklich nichts auf dieser Welt für immer ist. Alles kommt und geht. So ist es. Es bringt nichts, sich an irgend etwas festklammern zu wollen. Weder an einem schönen Strand. Noch an dem Gefühl dazu. Oder dem T-Shirt, was man gerade trägt.

Genau so, wie wir das Schöne nicht festhalten können, wird aber auch das Schlechte nicht ewig bleiben. Das ist die zweite Erkenntnis, die ich aus der Anhaftung mitnehme. Und diese wiederum kann mir bei meinem zweiten Borderline-Problem helfen, welches ich im Canggu-Artikel beschrieben habe.

Was also wirklich hilft: Achtsamkeit. Den Moment genießen. Die Dinge wertzuschätzen, die wir besitzen. Die Momente mit unseren geliebten Menschen wirklich auszukosten.

Und weiter meditieren. Damit ich noch gelassener werde. Noch weniger anhafte. Und mein Glück noch mehr in mir selber finde.

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Einstieg in die Meditation

Du bist jetzt neugierig geworden? Sehr schön! Denn genau das wollte ich erreichen. Gönn dir und deinem Kopf ein bisschen Quality Time. Schalte das Dauerfeuer mal für ein paar Minuten ab. Es dauert nicht lange, bis du merkst „Irgendwas ist anders“. Versprochen!

Darum hier also ein paar Tipps und Anregungen, wie du die Meditation erfolgreich in dein Leben einbaust:

Handfeste Tipps:

  • Gedanken sind ok | Bei Meditation geht es nicht darum, nicht mehr zu denken. Deinen Kopf vollkommen zu entleeren. Es geht darum, sich seine Gedanken bewusst anzuschauen. Aus einer neutralen, beobachtenden Perspektive. Es geht darum, dem ständig umherspringenden MonkeyMind die Kontrolle wegzunehmen. Sich zurückzulehnen und zu schauen, was im Kopf so passiert. Ohne sich davon tragen zu lassen.
  • Feste Zeit, fester Ort | Versuche, besonders am Anfang, eine feste Zeit und auch einen festen Ort für die Meditation zu etablieren. Das hilft deinem Kopf und deinem Körper. Aha, 7:15 Kissen auf dem Wohnzimmerboden – jetzt wird meditiert. Mit der Zeit ist es mir immer leichter gefallen, auch zu anderen Zeiten und an anderen Orten zu meditieren. Aber für die ersten Wochen rate ich dir, feste Rituale um die Meditation herum zu legen.
  • Kleine Ziele | Nicht gleich 20 Minuten lang Atem zählen. Sondern vielleicht 5 Minuten still sitzen und 1 mal wirklich den Atem bis 10 zählen. Zu hohe Ziele zu Beginn deiner Meditationskarriere bergen nur Frustpotential. Wenn du merkst, dass die 5 Minuten gut gehen, dann erhöhe auf 10. Oder bleib erstmal drei Wochen lang bei 5 Minuten. Kein Stress, kein Druck. Einfach nur das, was sich richtig anfühlt.
  • Störungen vermeiden | Wenn du nicht alleine wohnst, kündige an, dass du jetzt die Zimmertür hinter dir schließen wirst und für kurze Zeit bitte nicht gestört werden möchtest. Telefon, Handy, Smartphone & Co ausschalten oder zumindest auf lautlos. Gerade am Anfang haben mich so Sachen wie der Rasenmäher vom Nachbarn trotzdem immer sehr geärgert. Ich nehme mir doch gerade Zeit für mich, muss der genau jetzt Lärm machen? Aber das wirst du nicht vermeiden können. Höre ein paar Momente genau hin, nimm das Geräusch wahr. Und dann kehr wieder zu deinem Atem zurück. Immer und immer wieder.
  • Wie soll ich meinen Atem zählen? | Es gibt verschiedene Herangehensweisen. Die gängigste ist „Ein 1 – Aus 2 – Ein 3 – Aus 4“ und so weiter. Schwerer ist „Ein 1 – Aus 1 – Ein 2 – Aus 2“ weil quasi doppelt so lang. Ob du nur die Zahlen denkst, sie dir vor deinem inneren Auge vorstellst oder auch „Ein“ oder „Einatmen“ hängt von dir ab.
  • Worauf soll ich mich konzentrieren? | Bei meinen ersten Versuchen habe ich mich nur auf die Nasenspitze konzentriert. Das hatte ich irgendwo gelesen. Und es ist mir nicht gelungen. Meine Nasenspitze ist scheinbar nicht aufregend genug. Ich habe dann ein wenig herumprobiert. Mal den Bauch erfühlt, wie er sich beim Atmen bewegt. Mal auf die Lunge konzentriert, wie sie sich füllt und leer. Auch heute wandere ich mich meiner Aufmerksamkeit zwischen verschiedenen Orten, an denen ich den Atem spüre. Mittlerweile kann ich auch der Nasenspitze etwas abgewinnen.
  • Jeder Tag ist anders | Und auch das ist ok. An manchen Tagen sind mir selbst 20 Minuten nicht genug. An anderen merke ich, dass ich heute kürzer machen muss – sei es wegen Unruhe, einem Termin oder einfach einer generellen Gemütsdelle. Meistens meditiere ich inzwischen ohne äußere Anleitung – manchmal merke ich aber, dass eine Stimme von außen mir heute helfen könnte, bei der Sache zu bleiben. Jede Meditation ist gut. Hör auf dich und denke nicht „ich sollte“.

Was ich dir außerdem noch mit auf den Weg geben möchte:

  • Hol dir Hilfe! | ich habe es sowohl hier als auch im Artikel zur Achtsamkeit schon mehrfach geschrieben: einfach so, von heute auf morgen mit diesen Dingen loszulegen, kann funktionieren. Besser gelingt es meiner Meinung nach jedoch durch ein wenig Starthilfe. Dazu müsst ihr ja nicht unbedingt für drei Monate in eine Psychiatrische Klinik verschwinden. Ob Kurs, Freunde, Buch oder App (s. Links) – such dir Unterstützung
  • Hab Geduld! | Marathon laufen ist toll! Von jetzt auf gleich, ohne Lauferfahrung einen zu schaffen – nicht sehr realistisch. Man muss eine Menge trainieren. Der Körper muss sich an die Bewegung gewöhnen. Er braucht Zeit um sich an die neuen Anforderungen anzupassen. Gleiches gilt für die Meditation. Dein Kopf wird nicht von heute auf morgen 20 Minuten Pause machen können ausschalten können. Dafür hat der Monkey Mind dein bisheriges Leben zu sehr den Ton angegeben. Sei nicht zu ungeduldig mit deinem Kopf.
  • Ohne Druck! | Bei der Meditation geht es nicht darum, besonders gut zu sein. Oder besonders intensiv zu meditieren. Oder gar nichts mehr zu denken. Je mehr Druck in diese Richtung dir machst, desto weniger wirst du loslassen können. Gedanken à la „Oh Mist, jetzt habe ich schon wieder an das Essen heute Abend gedacht und mich nicht auf meinen Atem konzentriert. Nicht mal meditieren kann ich“ gehören betrachtet, bemerkt und dann bei Seite gelegt. Registriere, dass du abgeschweift bist. Und gehe wieder zu deinem Atem zurück.

Bilder und Metaphern, die dir beim Meditieren helfen können

  • Der weite Himmel | Bei diesem Bild stellst du dir deinen Geist als endlos weiten, blauen Himmel vor. Das ist der Grundzustand. Und der Zustand, den wir durch Meditation wieder öfter erreichen wollen. Ab und zu zieht ein Gedanke, also eine Wolke vorbei. Manche sind klein und gleich wieder weiter geblasen. Andere sind dick und fett und verschwinden nicht so schnell wieder. Ziel ist es nun, die Wolkengedanken einfach zu betrachten, wie sie auf-, vorbei- und wieder weiterziehen. Ich bin ehrlich: ich konnte mit diesem Bild bisher noch nicht gut arbeiten. Meine Gedanken sind viel zu schnell, als dass ich sie mit Wolken vergleichen könnte. Die ziehen in meiner Vorstellung eher immer gemächlich. Aber ich wollte dieses Bild trotzdem mit hier aufnehmen, weil es der Klassiker in der Literatur ist, und ich deshalb vermute, dass es für viele Leute sehr gut funktioniert.
  • Gedanken ins Regal | Bei diesem Bild sollst du die auftauchenden Gedanken benennen und ins Regal legen. So dass dein Kopf Ruhe geben kann, weil er weiß, dass du nach der Meditation zum Regal gehen kannst und die all die „wichtigen“ Dinge nochmal anschaust. Denn manchmal tauchen bei der Meditation Gedanken auf, die gut sind, und die wir gerne aufschreiben möchten. Diesem Drang solltest du aber, wenn möglich, nicht nachgeben. Durch die Methode, dem Gedanken ein Symbol und ein Label zu verpassen, ihn also einmal kurz und bewusst zu visualisieren, fällt es dir leichter, nach der Meditation wieder daran anzuknüpfen.
  • Die Gedankenautobahn | Bei dieser Methode stellst du dir deine Gedanken wie vorbeifahrende Autos vor. Und du sitzt mittendrin, auf dem Mittelstreifen oder der Insel im Kreisverkehr, und schaust dir einfach nur an, was so vorbeifährt. Ohne ein Auto anhalten zu wollen. Oder einem anderen hinterherzutragen. Ich liebe dieses Bild. Weil es der Geschwindigkeit meiner Gedanken so sehr entspricht. Bei mir sieht die Szene folgendermaßen aus: ich sitze auf einem bequemen Ohrensessel auf dem Grünstreifen einer Autobahn. Links von mir drei Spuren in die eine Richtung. Rechts von mir drei Spuren in die andere Richtung. Für mich symbolisieren die Richtungen Zukunft und Vergangenheit. Fast jeder Gedanke lässt sich einer von beiden Richtungen zuorden. Es gibt schnelle Sportwagen, die mit 200 km/h an mir vorbei rasen und gleich wieder weg sind. Und es gibt große, schwere, voll beladene Laster, die ein bisschen länger zu sehen sind. Zusätzlich gibt es vor mir eine Brücke über die gesamte Autobahn. Dort fahren noch ein paar Autos drüber, von links nach rechts und umgekehrt. Das sind für mich Gedanken, die ich so noch nicht hatte. Die albern sind. Die ich nie wieder denken werde. Alles was ein bisschen aus der Reihe tanzt. Beim Meditieren stelle ich mir nun hin und wieder vor, wie ich auf meinem Sessel sitze und schaue, was heute so auf der Autobahn los ist. Viel Verkehr? Oder kaum? Stau? Haben es alle eilig? Ich möchte keines der Autos anhalten. Ich schaue einfach nur.


Vielleicht kann dir eines dieser Bilder helfen, etwas mehr Verständnis für deinen Kopf zu entwickeln.

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Bücher, Apps und Links zu Achtsamkeit & Meditation

Sowohl für Achtsamkeit als auch für Meditation gilt: hol dir Hilfe! Es ist enorm schwer, sich selber an diese großen Aufgaben zu machen. Mit der Zeit wirst du merken, wie du immer weniger Unterstützung brauchst. Unabhängier wirst. Freier. Aber gerade für den Start rate ich zu Büchern, Apps und Co.

Bücher

Achtsamkeitstraining von Jan Esswein
Das Buch, mit dem ich auch ins Thema eingestiegen bin. Eine tolle Einführung, guter Überblick, viele Übungen +CD

Gelassen wie ein Buddha: Meditationen und Achtsamkeitsübungen für 52 Wochen
Irgendwo hinstellen und jeden Woche neue Anregungen bekommen.

Gesund durch Meditation: Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR
DER Vater von Achtsamkeit & Co in der westlichen Welt – Jon Kabat-Zinn

Der kleine Alltagsbuddhist
Wie wir alle ein bisschen Buddhismus in unser Leben einbauen können.

Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst
Ja, Meditation verändert das Gehirn. Zum Guten!

Mit Buddha zu innerer Balance (mit Audio-CD): Wie Sie aus der Achterbahn der Gefühle aussteigen
Noch ein Buch mit CD. Mehr Gewicht auf Buddhismus, auch gute Übungen.

Mini-Meditationen
Kleines Buch, passt immer in die Handtasche. Wenn man zwischendrin mal eine Achtsamkeitsübung machen will. 

Apps

Headspace
Grandiose App, die einen langsam an die Meditation heranführt. Die ersten Sitzungen sind kostenlos. ENGLISCH

7Mind
Das Gleiche auf Deutsch. Auch sehr gut, setzt aber auf mehr Eigeninitiative als Headspace.

Achtsamkeits-App
Ein Klassiker im App-Store.

GU-App Achtsamkeit und Meditation
Habe ich selber noch nicht ausprobiert, steht aber auf der Wunschliste. Ich mag GU einfach.

NatureSounds
Verschiedene Töne wie Feuer, Regen, Wasser und so können selber kombiniert werden. Schöner Hintergrundsound für jegliche Achtsamkeits- oder Meditationsübung.

Links

achtsamleben.at
Seite rund um die Achtsamkeit. Woher sie kommt, was sie bewirkt und viele weiterführende Links und Tipps.

everyday-mindfulness.org (englisch)
Englischer Blog über Achtsamkeit, wie wir sie in unser Leben bringen können und was sie mit uns macht.

headspace.com (englisch)
Seite zur App. Viele Infos und toller Blog.


Für Achtsamkeit, Meditation und den Buddhismus gilt vielleicht noch viel mehr als für so manch anderes Thema auf meiner Seite, dass ich euch kein komplettes Bild vermitteln kann und will. Ich kann weder die Geschichte von Siddharta noch die buddhistische Lebensweise in ihrer Vollständigkeit hier widergeben.

Ich kann euch erzählen, wie es für mich ist, achtsam durch den Alltag zu gehen und täglich zu meditieren. Euch Anregungen und vielleicht sogar einen Schubs in die richtige Richtung geben. Euch weiterführende Literatur und Möglichkeiten der Information bereitstellen. Und ich kann euch gerne Fragen beantworten.

DBT und Achtsamkeit

Lesezeit: 4 minuten

DBT und Achtsamkeit

Dieser Artikel erschien zuerst auf achtsamleben.at. Mit der freundlichen Genehmigung von Herr Dr. Michael E. Harrer darf ich euch diesen Text hier auf meiner Seite präsentieren. Auf seiner Seite dreht sich – wie der Name schon sagt – alles um das Thema Achtsamkeit. Neben ausführlichen Erklärungen finden sich viele Anwendungsbeispiele und jede Menge weiterführende Links, Tipps und interessante Quellen. Schaut mal drauf! Hier ist der Link zum Originalartikel.


Dialektisch- behaviorale Therapie (DBT)

Die dialektisch-behaviorale Therapie wurde Anfang der 80er Jahre in den USA von Marsha Linehan zunächst als ein ambulantes Therapieverfahren zur Behandlung von chronisch suizidalen Patientinnen entwickelt. Es wurde bald klar, dass es sich dabei hauptsächlich um Frauen mit Borderline-Störungen handelte. Linehan sieht das zentrale Problem in einer Störung der Emotionsregulation: Eine emotionale Verletzbarkeit (schnelle, intensive und lang anhaltende Reaktionen) ist verbunden mit der Unfähigkeit, Emotionen modulieren zu können.

Nachdem sich ausschließlich kognitiv-behaviorale Verfahren als wenig wirksam erwiesen, entwickelte Linehan den komplexen Therapieansatz der DBT, der kognitiv-behavorale Interventionen (Fertigkeitentraining in der Gruppe, kognitive Umstrukturierung, Expositionstraining, Kontingenzmanagement, Verhaltensanalyse) mit Achtsamkeit verbindet und dabei auch humanistische und psychodynamische Ansätze integriert.

Die Grundidee ist jene der Dialektik: Es gibt kein Richtig oder Falsch, sondern verschiedene Positionen, die in Hinblick auf die Erreichung bestimmter Ziele beleuchtet werden. So pendelt der Therapeut beispielsweise zwischen den Polen von Akzeptanz und Veränderung mit dem Ziel eine entwicklungsfördernde Atmosphäre entstehen zu lassen. Andere Polaritäten sind Vernunft und Gefühl, oder Tun und Sein, die Synthese dieser Pole führt nach Linehan zum „wise mind“.

Auf Therapeutenseite besteht eine wesentliche Aufgabe darin, eine validierende Grundhaltung zu bewahren. Validierung lässt sich beschreiben als eine achtsame, nicht bewertende aber wertschätzende Wahrnehmung der Patientin. Jede achtsame Wahrnehmung eines Anderen ist gleichzeitig Wertschätzung.

Ein wesentlicher Baustein der DBT ist das sog. Skills-Training. Das Trainingsmanual umfasst vier Module, wobei Achtsamkeit in alle vier Module integriert ist:

  1. Innere Achtsamkeit
  2. Training der interpersonellen Wirksamkeit
  3. Training der Emotionsregulierung
  4. Stresstoleranz

Um den Sinn der Anwendung von Achtsamkeit bei Borderline-Patientinnen zu verstehen, kann man sich verdeutlichen, dass diese Menschen die meiste Zeit des Tages mit sorgenvollen, selbstabwertenden, kritischen, negativen und Katastrophen ausmalenden Gedanken beschäftigt sind. Sie verlieren sich in der negativen Bewertung von Situationen, Emotionen, Gedanken und/oder sich selbst, die Spannung steigt an, was zu dysfunktionalen Lösungsversuchen wie Selbstverletzungen führt.

Im Modul „Innere Achtsamkeit“ werden in Therapie-Gruppen folgende sog. „Was-Fertigkeiten“ vermittelt: Was tue ich?

  1. Wahrnehmen/beobachten mit den 5 Sinnen aber auch von Gedanken und Gefühlen, ohne zu flüchten und ohne sie festzuhalten.
  2. Beschreiben/Versprachlichung: Worte für das von Moment zu Moment Wahrgenommene finden, für das „was ist“, für die „Fakten“ (wobei nichts beschrieben werden kann, was nicht wahrgenommen wurde) als Schritt in Richtung Selbstkontrolle (z.B. Unterscheidung des Wahrgenommenen von Gedanken dazu), Kommunikation und Realitätskontrolle durch Vergleich mit der Wahrnehmung anderer Menschen.
  3. Teilnehmen: Voll bei einer Sache zu sein, und sich dabei nicht ablenken lassen. Dies kann zur Erfahrung von „flow“ verhelfen und verträgt sich nicht mit Gefühlen von Langeweile oder von ausgeschlossen sein. Beispiele: Jonglieren, Seiltanzen kann man nicht ohne sich darauf zu konzentrieren,

„Wie-Fertigkeiten“: Wie tue ich es?

  1. Nicht bewertend/beurteilend: Die „Wirklichkeit“ ist, wie sie ist, und das hat Ursachen. Daher ist das Wahrgenommene weder als schlecht, noch als gut zu bewerten. Die Dinge sind sachlich und neutral so zu beschreiben, wie sie wirklich sind und es gilt auch zu hören, wie sie von anderen beschrieben werden. Nicht bewerten bedeutet nicht, alles gut zu heißen oder keine Konsequenzen zu ziehen. Wahrnehmen ohne zu bewerten kann dazu verhelfen, aus begrifflichen Schemata und Automatismen auszusteigen und sich für neue Erfahrungen zu öffnen.
  2. Konzentriert: Fokussiert bleiben bzw. Ablenkungen wie z.B. Bewertungen frühzeitig bemerken. Das Bewerten selbst gilt es dann wiederum auch nicht zu bewerten. Das hilft, ganz in der Gegenwart zu bleiben, bzw. wieder zum Augenblick zurückzukommen.
  3. Wirkungsvoll: Tun, was möglich ist und was auch funktioniert. Sinn und Ziele einer Handlung im Auge behalten. „Die richtigen Dinge zum richtigen Zeitpunkt tun“.

Der einizige Fehler, den eine Patientin machen kann, ist der, aufzuhören zu üben.
Hilfreich ist auch zu bemerken, dass Achtsamkeitsübungen nur bis zu einem gewissen Spannungszustand möglich sind. Regulation in höheren Spannungszuständen wird im Modul „Stresstoleranz“ vermittelt. Dabei wird die Aufmerkamkeit mehr auf starke äußere Reize gelenkt., z.B. das Riechen von Salmiack.
Achtsamkeit ist eng verknüpft mit dem Prinzip einer „radikalen Akzeptanz“. So wird jede Achtsamkeitsübung zugleich auch zu einer einer Übung von Akzeptanz dessen, was ist. Auf eine gedankliche oder reale Ablehnung und einen Kampf gegen die Realität wird verzichtet. Es geht darum, sich der Erfahrung, genau so, wie sie in jedem Moment ist, zu öffnen. „Radikale Akzeptanz bedeutet, das volle Bild aller Kognitionen und Emotionen zu entwickeln, ohne diese in eine Handlung umzusetzen“ (Bohus & Wolf, 2009, S. 81) „Erst durch die Akzetanz dessen, was ist, wird der Weg frei für eine möglicherweise notwendige Veränderung“ (Bohus & Wolf, 2009, S. 83).
In der Gruppe gibt es eine Vielzahl von Übungen z.B. der „Fünf-Sinne-Achtsamkeit“

  • Sehen: Eine Person beschreibt ein Bild, das die anderen nicht sehen können und nach ihren Anweisungen malen sollen; durch ein Loch schwarzen Kartons schauen und nur den sichtbaren Ausschnitt beschreiben (zur Verdeutlichung und zum Üben des „Inneren Beobachters“);
  • hören: dem Klang einer Klangschale folgen; eine Glocke läuten jeweils beim Hören einer Bewertung; „Geräusch-Memory“ mit Filmdosen, die mit verschiedenen Dingen gefüllt sind (Sand, Reis, etc.);
  • riechen: an Kaffeebohnen riechen; in der Natur Gerüche wahrnehmen;
    schmecken: Brausetablette lutschen; Tee trinken;
  • fühlen: einen Stein ertasten; barfuß über Gras gehen.

Grundannahmen der DBT (nach Bohus & Wolf, 2007, S. 52)

  • Borderline-Patientinnen geben ihr Bestes.
  • Sie wollen sich verändern.
  • Es bedarf für sie einer größeren Anstrengung als für andere, sich zu verändern.
  • Sie tun gut daran zu lernen, ihre Schwierigkeiten selbst zu lösen, auch wenn diese oft duch andere verursacht wurden.
  • Sie erleben die Situation häufig als schmerzhaft und schwer erträglich.
  • Sie tun gut daran, in vielen Situationen ihres Lebens neue Verhaltensweisen zu lernen.
  • Sie können in der DBT erfolgreich sein.
  • Wahrheit ist immer subjektiv.

Weiterführende Literatur (s. achtsamleben.at)

Studien zur Wirksamkeit

  • 31 Borderline-Patientinnen, dreimonatige stationäre DBT, Follow-up über 21 Monate nach Therapieende: Der Therapieerfolg blieb auch nach Rückkehr in den Alltag stabil (Kleindienst et al 2008)
  • Pilotstudie an 6 Boderline-Patientinnen mit 5 sequentiellen fMRI-Scans im Laufe einer 12-wöchigen stationären Behandlung mit DBT: Die hämodynamische Reaktion auf negative Stimuli nahm im rechten vorderen, im temporalen und hinteren Gyrus Cinguli ab, ebenso in der linken Insel. 4 Personen zeigten verringerte Reaktionen in der linken Amygdala und in beiden Hippocampi (Schnell & Herpertz, 2007)
  • 100 Borderline-Patientinnen, Kontrollgruppendesign DBT (52 Wochen) vs. Therapie mit Experten (52 Wochen). Follow up über 2 Jahre: In der DBT-Gruppe Hälfte der Suizidversuche, weniger Klinikaufnahmen und Notfallambulanzbesuche, geringere drop-out-Rate (Linehan et al 2006)
  • 58 Borderline-Patientinnen, Kontrollgruppendesign DBT (52 Wochen) vs. „Treatment as usual“. 6 Monate nach Therapieende in der DBT-Gruppe weniger parasuizidales und impulsives Verhalten, weniger Alkohol-Missbrauch. Kein Unterschied im Drogen-Missbrauch (van den Bosch et al 2005)
  • 50 Borderline-Patientinnen, Kontrollgruppendesign, 31 Patientinnen nehmen an einem dreimonatigen stationären Programm teil. Vier Wochen nach Therapieende weniger Depression, Angst, besseres zwischenmenschliches „Funktionieren“, bessere soziale Anpassung, Abnahme psychopathologischer Symptome und weniger Selbstverletzung. (Bohus et al 2004)

Den Originaltext samt vollständige Literaturliste sowie allen Links findet ihr hier. Herzlichen Dank an Dr. Michael E. Harrer.

Alle Achtung, Achtsamkeit!

Lesezeit: 13 minuten

Alle Achtung, Achtsamkeit

Achtsamkeit hat mein Leben verändert. Das ist keine Übertreibung. Sondern Tatsache. Achtsamkeit ist für mich die Grundlage jeder Besserung. Ausgangspunkt für Veränderung. Und inzwischen fester Bestandteil meines Alltags. Wie es dazu gekommen ist, wie ich sie in mein Leben einbaue und was Achtsamkeit (nicht) mit Meditation zu tun hat.


Morgens um 7:15. Eine Klinik in Hamburg. Eine Tür öffnet sich. 15 Menschen kommen hinaus. Ins Foyer. Gehen im Kreis. Keiner sagt ein Wort. Nach einer Minute verschwinden sie alle wieder auf demselben Weg. Die Tür schließt sich. Das ist Achtsamkeit.

Und genau so wie ihr gerade vermutlich guckt und euch denkt „Was soll denn der Schwachsinn?“ ging es mir am Anfang auch. Ich konnte nichts damit anfangen, meinen Atem zu beobachten. Ich habe nicht verstanden, wie mir achtsames Sitzen auf einem hässlichen Klinikstuhl bei meinen Probelmen helfen soll. Und ich fand es doof, mit den anderen Patienten achtsam im Kreis zu gehen.

Niemals hätte ich geahnt, wie sehr die Achtsamkeit mein Leben verändern würde. Wie viel Positives sie in mein Leben bringen würde. Wie dankbar ich noch für jede einzelne Achtsamkeitsübung im Kliniksetting sein würde.

Wenn ihr also am Anfang Probleme damit habt, achtsam zu sein. Wenn ihr euch denkt „Das mach ich jetzt nicht. Das ist doch total doof! Ich komme mir einfach nur bescheuert vor.“ Dann sage ich: das ist normal. Lasst euch drauf ein, probiert mal aus und dann sprechen wir uns in ein paar Wochen wieder!

Aller Achtsamkeits-Anfang ist schwer

Das erste Mal wirklich mit dem Thema Achtsamkeit in Berührung gekommen bin ich also während meiner dreimonatigen stationären Therapie in Hamburg. Ich hatte schon mal von Achtsamkeit gehört. Auch schon was drüber gelesen. Aber wirklich gewusst, was mich erwarten würde, habe ich nicht.

Anfangs habe ich sehr mit der ganzen Sache gekämpft. Nicht nur fand ich manche Übungen albern oder sinnlos. Auch hatte ich gar keine Lust darauf. Vor allem nicht auf den Teil der Achtsamkeit, wo ich mich mit mir selbst beschäftigen musste. Für jemanden, der um jeden Preis verhindern möchte, seinen eigenen Gedanken und Gefühlen gegenüberzutreten, ist Achtsamkeit wohl das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Aber die Therapeuten hatten gute Tricks, Mittel, Wege und Übungen, um mich und meinen störrischen Kopf immer näher an den Kern der Sache heranzuführen.

Aber mal ganz kurz zur Begriffsklärung: Was ist denn nun Achtsamkeit? Achtsamkeit bedeutet, ganz im Hier und Jetzt zu sein. In Gedanken nicht bei gestern oder schon bei übermorgen, sondern wirlich im gegenwärtigen Moment. Innen wie außen. Mit dem Kopf und mit dem Körper. Und das ist genau so schwer, wie es sich anhört. Aber wie so vieles andere eine Sache, die man lernen kann.

Am Anfang ist mir jede Art der Achtsamkeit extrem schwer gefallen. Mein Kopf wollte einfach keine Ruhe geben. Konnte sich nicht 30 Sekunden lang auf eine Sache konzentrieren. Immer ploppten Gedanken in meinen Kopf. Ziemlich frustrierend. Mir kamen dann zwei Sachen zu Gute: so schnell gebe ich nicht auf! Und: in der Klinik gab es nicht nur jeden Morgen und jeden Abend eine Achtsamkeitsübung. Sondern mehrmals die Woche auch ganze Einheiten, die sich nur mit äußerer und innerer Achtsamkeit beschäftigen. Es gab also kein Entkommen. Und im Nachhinein muss ich sagen: das war verdammt gut so. Und ich bin trotz aller Anfangsfrustrationen saufroh, dass ich bei der Stange gehalten wurde. Und geblieben bin.

Dein Gehirn findet Multi-Tasking doof

Woher kommt es, dass ich und viele andere Leuten so schwer einen Zugang zur Achtsamkeit bekommen? Meine Vermutung: wir bekommen von allen Seiten gepredigt, wie toll Multi-Tasking doch ist. Beim Bügeln soll man am besten einen spanischen Sprachkurs hören und Yoga-Posen üben. Es ist „nicht normal“ sich nur mit einer Sache zu beschäftigen. Vor allem wenn diese Sache eine Kleinigkeit wie eine Erdbeere, eine Tasse Kaffee oder die Zahnbürste ist.

Aber nicht nur die Wissenschaft, sondern mit Sicherheit auch der ein oder andere von euch, hat inzwischen erkannt: unser Gehirn ist nicht dafür gemacht, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Es kann es schlichtweg nicht. Selbst der beste Multi-Tasker schaltet einfach nur ganz schnell zwischen den einzelnen Sachen hin und her. Klingt anstrengend? Frag mal dein Gehirn. Kein Wunder, dass wir am Ende schlecht gebügelte Wäsche im Schrank, Schmerzen im Knie von unsauberen Yoga-Posen und keine Erinnerung mehr an die eben gehörten Spanisch-Vokabeln haben.

Ja, unser Gehirn steht auf Sparmaßnahmen. Wann immer es geht möchte es den Autopiloten anstellen. Das ist oft auch gut so. Es ist gut, wenn ich nicht jeden Morgen eine halbe Stunde in der Küche stehe, weil ich überlegen muss, wie ich mein Müsli mag, wo die Zutaten sind und woher ich den Löffel hole.

Blöd ist nur, dass der Autopilot dann auch weiter läuft, während wir essen. Das geht ja auch von alleine, keine besonderen kognitiven Leistungen nötig. Also denkt man über den kommenden Tag nach anstatt sein Müsli zu genießen. Wir müssen unserem Gehirn also beibringen, dass wir den Autopiloten in Zukunft ein bisschen öfter abstellen wollen. Wir erwarten dafür nicht viel – nur die volle Konzentration auf den Moment.

Am Anfang wird dein Kopf denken und sagen „Ach komm, der Autopilot ist doch super! Ich spare Energie und du kannst dich schon mal auf dein Meeting vorbereiten.“ Mit ein wenig Übung und Ausdauer wird daraus bald „Leckeres Müsli! Die Erdbeeren sind so süß und frisch und kalt. Und die Kürbiskerne knacken so schön, wenn wir drauf beissen.“

Weniger mulit-taskender Autopilot. Mehr konzentriertes selber steuern. Das ist Achtsamkeit.

Hamburg meine Achtsamkeitsperle

Mittlerweile findet Achtsamkeit nicht nur im Rahmen der Dialektisch-Behavioralen-Therapie (DBT) – wie sie auch in Hamburg praktiziert wurde – weltweit Anwendung. Der „Klassiker“ des Achtsamkeitstrainings, die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (Mindfulness-Based Stress Reduction MBSR), ist inzwischen fester Bestandteil zahlreicher Therapieansätze. Von Sucht über Depression bis zu Migräne und Diabetes.

Wie ihr wisst möchte ich euch auf meiner Seite gerne meine Sicht der Dinge schildern. In lebhaften Worten, Tönen und Farben. Manchmal hilft es aber einfach, ein bisschen „trockene“ Information zu bekommen. Zum Thema DBT und Achtsamkeit habe ich auf www.achtsamleben.at einen wunderbaren Text gefunden. Den ich euch hier auf meiner Seite präsentieren darf. Darin erfahrt ihr, warum Achtsamkeit so zentral für den Erfolg der Therapie ist. Und noch vieles mehr.

Auch in Hamburg wurde die Achtsamkeit in innere und äußere Achtsamkeit aufgeteilt. Zu beiden Bereichen gab es regelmäßige Gruppen und Sitzungen. Darüber hinaus gab es zwei mal am Tag feste Achtsamkeitsübungen. Jede Woche gab es ein anderes Achtsamkeitsmotto, welches in den täglichen Übungen und auch in den Gruppen aufgegriffen wurde. Mal war es „Achtsames Gehen“ mal „Achtsames Sehen“ und so weiter. Zusätzlich wurde man dazu angehalten bzw. ermutigt, selber Achtsamkeitsübungen in den Tagesablauf zu integrieren.

Mir fielen die Aufgaben in der „Sinnesgruppe“, die sich mit der äußeren Achtsamkeit beschäftigte, gerade am Anfang sehr viel leichter, als mich mit meinen Gedanken und Gefühlen zu befassen. Überhaupt finde ich, dass sich dieser Teil besser dazu eignet, um einen Zugang zur Sache zu bekommen.

Äußere Achtsamkeit bedeutet, sich auf seine Sinne zu konzentrieren. Auf die Welt um einen herum. 10 Minuten still sitzen, Augen zu und einfach nur Hören. Oder sich drauf konzentrieren, wie sich Gehen eigentlich anfühlt. Oder Dinge mal achtsam zu betrachten, die man jeden Tag sieht oder in der Hand hält. Eben alles achtsam wahrnehmen, was uns umgibt.

In der zweiten Gruppe namens „Innere Achtsamkeit“ lag der Fokus dann bei den eigenen Gedanken und Gefühlen. Wahrzunehmen, was ist. Einzuordnen, welches Gefühl gerade vorliegt – für Borderliner eine extrem schwierige Aufgabe. Oft spürt man nur, dass da irgendwas ist, wahrscheinlich ein Gefühl – aber was genau da in einem brodelt, wirbelt oder einen nach unten saugt, kann man oft gar nicht so genau sagen.

Nicht vor den Gedanken und Gefühlen weglaufen, sondern bewusst hinschauen. Sehr ungewohnt. Vieles im Alltag läuft eben einfach automatisch ab. Oder man nimmt sich einfach nicht die Zeit, wirklich zu prüfen, was gerade in einem vorgeht. Oder man möchte sich schlichtweg nicht mit dem beschäftigen, was da oben so an Erinnerungen, Bildern und Sorgen auftaucht.

Heute frage ich mich oft so Dinge wie „Was brauche ich gerade?“ – „Soll ich das jetzt wirklich tun?“ – „Habe ich wirklich Lust darauf?“ und so weiter. Dadurch habe ich erkannt, wie oft ich Dinge getan habe, die ich eigentlich gar nicht tun wollte. Einfach nur, weil ich dachte, ich müsste das jetzt so machen. Und weil ich oft einfach nicht wusste, was ich eigentlich will.

Sobald ich aus der Klinik raus war hatte ich natürlich nicht mehr zwei Mal die Woche Achtsamkeits-Sitzungen. Jetzt lag es also an mir, das Gelernte in den Alltag zu retten und weiter zu entwickeln. Zu diesem Zweck habe ich einerseits ein paar Übungen aus der Therapie fortgeführt. Und andererseits mit einem kleinen Büchlein samt CD gearbeitet.

Und ich habe Arvid angesteckt. Worüber er glücklicherweise sehr erfreut ist. So kann man uns zum Beispiel bei so manchem Essen zusehen, wie wir uns gegenüber sitzen und schweigen. Mit geschlossenen Augen kauen. Die Nahrung auf unserer Gabel sehr genau betrachten. Dran riechen.

Heilung durch Achtsamkeit

Wenn man als beschriebenes Blatt anfängt, sich mit innerer Achtsamkeit zu beschäftigen, dann tauchen da auch ganz schön viele Sachen auf, die man sonst immer so schön beiseite geschoben hat. Gerade am Anfang sind das die Momente, in denen man sich sagt „Da hab ich keinen Bock drauf! Ich möchte das einfach weiter in den Kellern meiner Seele verstecken.“

Durch Achtsamkeit habe ich gelernt, mich mit allem zu beschäftigen, was mein Kopf so produziert. Das ist nicht immer schön. Ich habe mal gesagt „Früher bin ich einfach blind vor meinen Dämonen davon gelaufen – durch Achtsamkeit habe ich gelernt, mit ihnen zu tanzen.“ Und genau so ist es. Und es fühlt sich gut an, nicht ständig gegen den eigenen Kopf kämpfen zu müssen.

Ich habe mir die Kontrolle zurückgeholt. Durch die Fähigkeit, mich ganz ins Hier und Jetzt zu holen, kann ich Gedankenspiralen und Luftschlössern einen Riegel vorschieben. Was nicht bedeutet, dass es nicht auch Teil meiner Achtsamkeit ist, manchmal in die dunklen Ecken meines Kopfes zu leuchten, um zu sehen, was da eigentlich so passiert. Aber ich klebe nicht mehr an den Bildern und Gefühlen fest. Wenn ich mich ausreichend mit beschäftigt habe, kann ich sagen „So, und jetzt genieße ich es, hier zu sitzen und diesen Keks zu essen“ oder so.

Nachdem ich mich mit der Achtsamkeit auf äußerem Niveau irgendwann angefreundet hatte, habe ich mich das erste Mal hingesetzt, die Augen geschlossen, und mit voller Kraft an eine sehr unangenehme und schmerzhafte Geschichte aus meiner Vergangenheit gedacht. Nach ganz vielen Jahren des Wegschauens habe ich bewusst meinen Blick auf diese Sache gerichtet.

Für mich war das Folgende dann wirklich so etwas wie eine Erleuchtung: während dieser 15 Minuten habe ich begriffen, was genau ich da eigentlich nicht sehen, nicht fühlen und nicht denken wollte. In meiner nächsten Einzelsitzung mit meiner Psychologin habe ich es dann zur Sprache gebracht – und seitdem musste ich nie wieder vor diesem Gedanken weglaufen.

Solange die Borderline mich noch so richtig fest im Griff hatte verloren sich 99% meiner Gedanken entweder ganz tief in der Vergangenheit. Oder in der Zukunft bei Problemen die noch gar nicht da waren. Ich wurde von meinem Kopf weggetragen und hatte keine Kontrolle, wohin die Reise geht. Die meiste Zeit habe ich versucht, meinen Kopf auszuschalten. Zu übertönen. Immer Musik auf den Ohren. Ohne Fernseher einschlafen war unmöglich.

Durch all dieses ausblenden, vorausrennen, zurückschauen habe ich aber leider ganz schön viel Leben verpasst. Durch Achtsamkeit ist meine Vergangenheit jetzt nicht plötzlich perfekt. Oder es warten in der Zukunft keine Probleme mehr auf mich. Aber was Achtsamkeit schafft ist, dass ich mich trotz dieser beiden Dinge voll und ganz auf den jetzigen Moment konzentrieren kann.

Es geht nicht darum, nicht mehr über die Zukunft nachzudenken oder nicht mehr in glücklichen Erinnerungen zu schwelgen. Sondern darum, es kontrolliert zu tun. Dem Kopf nicht erlauben, die Richtung vorzugeben. Sondern die Fähigkeit zu haben, selber zu entscheiden, ob der Kopf nach vorne, hinten – oder gar nicht rennt.

Vielleicht habe ich mich gestern beim Essen mit den Kollegen lächerlich gemacht, weil ich mir Ketchup aufs T-Shirt gekleckert habe. Vielleicht habe ich morgen eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt, die höchstwahrscheinlich sehr unangenehm werden wird. Aber jetzt, in diesem Moment, sitze ich mit meinem liebsten Menschen zusammen. Die Sonne scheint. Das Essen schmeckt. Wir unterhalten uns angeregt. Was bringt es mir, diesen schönen Moment durch unnötiges Vor- oder Zurückrennen zu verpassen? Oder ihn sogar zu ruinieren?

Achtsamkeit bedeutet für mich also: im Hier und Jetzt zu sein. Ein Essen mit allen Sinnen wahrzunehmen. Eine Aussicht so konzentriert wahrzunehmen, dass ich kein Foto mehr brauche. Meinem Gegenüber die Ehre und den Respekt zu erweisen, mich voll und ganz auf ihn zu konzentrieren. Und nicht über den dringenden Einkauf oder den anstehenden Arzttermin nachzudenken.

Achtsamkeit und Meditation – Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Achtsamkeit und Meditation werden oft gleichgesetzt, vermischt, durcheinandergebracht, verwechselt und missverstanden.

Ich finde, Meditation ist eine Art Erweiterung oder Add-On zur Achtsamkeit. Achtsam kann man in jedem Moment seines Lebens sein. Egal ob man isst, fährt, redet, arbeitet, faulenzt oder fernsieht. Mit der Meditation sieht das schon anders aus.

Für mich bedeutet Meditation aber auch, sich 10, 15 oder 20 Minuten still hinzusetzen. Die Augen zu schließen. Keinen Mucks und keine Move zu machen. Und zu atmen. Oder einer Klangschale zuzuhören. Oder Metta zu praktizieren.

Ja, in vielen Büchern, Kursen oder im Internet gibt es Anleitungen für Mini-Meditationen. Kurze Übungen, die man auch in der U-Bahn machen kann. In anderen Büchern heißen diese kurzen Einheiten dann Achtsamkeitsübung. Ihr seht, die Grenzen sind fließend. Wenn ich von Meditation schreibe, meine ich immer den Klassiker. Im Schneidersitz auf dem Boden hockend. Alles andere ist für mich Achtsamkeit.

Zum Meditieren muss man achtsam sein. Vielleicht ist Meditation sogar so etwas wie die Königsdisziplin der Achtsamkeit? Ich kann mich nicht hinter einem Sinn verstecken, hinter einem äußeren Reiz, den ich achtsam betrachte. Ich bin alleine mit meinem Kopf.

Von heute auf morgen mit Meditation anzufangen stelle ich mir allerdings schwieriger vor, als mit Achtsamkeit zu starten. Ganz einfach, weil Achtsamkeit flexibler ist. Alltagstauglicher. Und weniger Ausreden zulässt. Und vielleicht wird es dir dann wie mir gehen, dass dich die ganze Sache so packt und du dich eines Tages mit einem 20-minütigen Meditationstimer in deinem Wohnzimmer wiederfindest.

Achtsamkeit im Alltag – so geht’s

Wenn man mit der Achtsamkeit anfangen möchte, ist das schwierigste, sich im normalen Tagesablauf daran zu erinnern. Es braucht eine Weile, bis der Kopf und der Körper das neue Konzept verstehen und annehmen können. Deshalb empfehle ich zum Einstieg folgende Dinge:

1. Hilfe von außen

Bücher, CDs und vor allem Apps können einen beim Einstieg helfen. Gerade die moderne Technik und die Tatsache, dass wir unsere klugen Telefone praktisch immer bei uns haben, könnt ihr hier zu eurem Vorteil nutzen. Es gibt zahlreiche Apps die anbieten, euch durch Töne oder kurze Nachrichten über den Tag verteilt immer mal wieder an Achtsamkeit zu erinnern. Wie oft, ob regelmäßig oder zufällig, mit Ton oder ohne – das kann man alles selber festlegen.

Bücher und CDs können einem dabei helfen, passende Übungen zu finden. Man braucht eine Weile, bis man rausgefunden hat, welche Übungen zu einem passen. Unter Anleitung ein bisschen rumprobieren kann da sehr hilfreich sein. Und eine Stimme von außen hilft gerade am Anfang, leichter bei der Sache zu bleiben. Außerdem helfen ein herumliegendes Buch oder eine gekaufte CD noch zusätzlich beim anfänglichen Erinnern. Wenn der Blick zufällig übers Cover streift.

Außerdem hilft es enorm, wenn man den Partner, die Familie, Freunde oder Kollegen mit der Idee anstecken. Sich gegenseitig anstacheln. Dran erinnern. Gemeinsam Freude dran entwickeln.

2. Alltagsroutine

Neben diesen Helferlein finde ich besonders gut, wenn man sich für den Start ins achtsame Leben Dinge im Alltag raussucht, die man sowieso jeden Tag macht.

Für mich der Klassiker: Zähne putzen. Das macht man zwei Mal am Tag – hoffentlich jedenfalls. Je nach Fleiß sind das circa vier bis sechs Minuten, die ich mit einer Tätigkeit verbringe, bei der ich normalerweise über die doofe Kollegin, den dringenden Einkauf oder den Müll nachdenke. Probiert mal aus, euch wirklich nur aufs Zähne putzen zu konzentrieren. Wie fühlt sich der Schaum im Mund an? Wie die Bürste auf den Zähnen? Wie bewegt sich der Arm? Wie schmeckt die Zahnpasta.

Wenn man erstmal merkt, wie sehr Achtsamkeit selbst eine solch langweilige und tausend Mal absolvierte Routine wieder interessant macht, dann will man bald mehr. Zu Beginn ist es aber einfach hilfreich, die beiden Dinge Routine und Achtsamkeit ganz fest zu verknüpfen. Um erstmal überhaupt anzufangen.

Ihr seht, mehr oder weniger profane Dinge, die man aber wie automatisch fast jeden Tag tut. Und genau darum geht es, den Autopiloten abzuschalten, und wirklich wahrzunehmen, was gerade ist. Welche Bewegungen macht mein Körper? Wie warm ist das Wasser? Rieche ich etwas besonderes?

Treppe steigen, das Geschirr spülen, den Briefkasten leeren, Haare kämmen, Schuhe zubinden, Tee kochen – alles Dinge, die wir selten bewusst machen.

3. Sinne auf!

Und da sind wir auch schon beim nächsten Punkt: den Sinnen. Wie oben beschrieben ist für den Einstieg am leichtesten, sich auf äußere Reize zu konzentrieren. Wenn man mal einen Anfang gefunden hat, dann wird euch bald auffallen, wie viele Möglickeiten so ein normaler Tag einem eigentlich zum Achtsam-Sein gibt.

Beim Warten auf den Bus oder die Bahn ein paar Schritte achtsam gehen.
Wie rollt mein Fuß ab? Wie fühlt sich der Boden an?

Beim Essen den Fernseher abschalten, das Handy weglegen.
Wie riecht mein Essen? Wie fühlt es sich auf der Zunge an? Was schmecke ich?

Beim Sitzen in der U-Bahn Leute beobachten statt das Handy anzustarren.
Was machen die Menschen um mich rum? Wie sind sie gekleidet? Wer fällt mir auf? Und warum?

Den Sinnen Futter geben. Die Umwelt auf sich einwirken lassen. Beschreiben, was man sieht, schmeckt, hört, fühlt und riecht. Worte finden. Ohne zu Bewerten – wenn möglich.

und so geht es dann weiter

Mit der Zeit werdet ihr feststellen, dass ihr immer öfter erfolgreich euren Autopiloten abstellt. Ihr merkt, was gerade passiert. In euch selber. Und um euch herum. Ihr merkt, wie oft ihr eigentlich ganz woanders seid. Und wie viel ihr dadurch verpasst.

Ihr werdet lernen, nicht mehr wegzulaufen und zu ignorieren – sondern bewusst hinzuschauen. Und wenn die Dinge, die euch aus der Gegenwart wegtragen, einen Namen und ein Gesicht haben, fällt es leichter, mit ihnen zu arbeiten. Probleme und Baustellen klarer zu sehen. Wenn nötig Maßnahmen zu ergreifen, Änderungen einzuleiten. Und dann wieder den Moment zu genießen.

Ganz wichtig: sei geduldig mit dir. Dein Kopf hat die letzten Jahre damit verbracht, wie ein hyperaktiver Affe zwischen tausend Gedanken hin und herzuspringen. Da schafft er es nicht in einer Woche, sich plötzlich nur noch auf einen Baum zu konzentrieren. Hab Geduld. Mit dir. Und deinem Kopf. Ärgere dich nicht, wenn du wieder abgeschweift bist. Zu bemerken, dass man gerade nicht mehr achtsam war, ist schon eine ordentliche Leistung.

Frag mal deinen Kollegen, wann er das letzte Mal bemerkt hat, dass er unachtsam war. Wenn überhaupt, dann fällt es Leuten immer nur auf, weil was passiert ist. Den Autounfall hat man verursacht, weil man nicht achtsam und in Gedanken beim Job war. Das Glas hat man fallen lassen, weil der Kopf gerade schon bei der Einkaufsliste war. Und so weiter. Also – lass dich nicht entmutigen. Es wird besser werden.

Bücher, Apps und Links zu Achtsamkeit & Meditation

Sowohl für Achtsamkeit als auch für Meditation gilt: hol dir Hilfe! Es ist enorm schwer, sich selber an diese großen Aufgaben zu machen. Mit der Zeit wirst du merken, wie du immer weniger Unterstützung brauchst. Unabhängier wirst. Freier. Aber gerade für den Start rate ich zu Büchern, Apps und Co.

Bücher:
Achtsamkeitstraining von Jan Esswein
Das Buch, mit dem ich auch ins Thema eingestiegen bin. Eine tolle Einführung, guter Überblick, viele Übungen +CD

Gelassen wie ein Buddha: Meditationen und Achtsamkeitsübungen für 52 Wochen
Irgendwo hinstellen und jeden Woche neue Anregungen bekommen.

Gesund durch Meditation: Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR
DER Vater von Achtsamkeit & Co in der westlichen Welt – Jon Kabat-Zinn

Der kleine Alltagsbuddhist
Wie wir alle ein bisschen Buddhismus in unser Leben einbauen können.

Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst
Ja, Meditation verändert das Gehirn. Zum Guten!

Mit Buddha zu innerer Balance (mit Audio-CD): Wie Sie aus der Achterbahn der Gefühle aussteigen
Noch ein Buch mit CD. Mehr Gewicht auf Buddhismus, auch gute Übungen.

Mini-Meditationen
Kleines Buch, passt immer in die Handtasche. Wenn man zwischendrin mal eine Achtsamkeitsübung machen will. 

Apps:

Headspace
Grandiose App, die einen langsam an die Meditation heranführt. Die ersten Sitzungen sind kostenlos. ENGLISCH

7Mind
Das Gleiche auf Deutsch. Auch sehr gut, setzt aber auf mehr Eigeninitiative als Headspace.

Achtsamkeits-App
Ein Klassiker im App-Store.

GU-App Achtsamkeit und Meditation
Habe ich selber noch nicht ausprobiert, steht aber auf der Wunschliste. Ich mag GU einfach.

NatureSounds
Verschiedene Töne wie Feuer, Regen, Wasser und so können selber kombiniert werden. Schöner Hintergrundsound für jegliche Achtsamkeits- oder Meditationsübung.

Links:

achtsamleben.at
Seite rund um die Achtsamkeit. Woher sie kommt, was sie bewirkt und viele weiterführende Links und Tipps.

everyday-mindfulness.org (englisch)
Englischer Blog über Achtsamkeit, wie wir sie in unser Leben bringen können und was sie mit uns macht.

headspace.com (englisch)
Seite zur App. Viele Infos und toller Blog.


Für Achtsamkeit, Meditation und den Buddhismus gilt vielleicht noch viel mehr als für so manch anderes Thema auf meiner Seite, dass ich euch kein komplettes Bild vermitteln kann und will. Ich kann weder die Geschichte von Siddharta noch die buddhistische Lebensweise in ihrer Vollständigkeit hier widergeben.

Ich kann euch erzählen, wie es für mich ist, achtsam durch den Alltag zu gehen und täglich zu meditieren. Euch Anregungen und vielleicht sogar einen Schubs in die richtige Richtung geben. Euch weiterführende Literatur und Möglichkeiten der Information bereitstellen. Und ich kann euch gerne Fragen beantworten.