Mein "Auf-das-Leben"-Tattoo mit den Initialen von Chester Bennington

Hey Chester

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Hey Chester

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An dem Tag, an dem dieser Blogbeitrag erscheint, ist es genau 3 Jahre her, dass Chester Bennington, der Sänger der Band „Linkin‘ Park“ sich das Leben genommen hat. Dieser Beitrag ist ein Brief von mir, Dominique, an ihn.


„Hey Chester, unfassbar, dass es schon drei Jahre her ist, seit Du gegangen bist. Es tut immer noch genau so weh, wie damals. Nie werde ich den Moment vergessen, als ich auf meinem Handy die Meldung über Deinen Tod sah. Ich war beim Arbeiten im Café in München. Ich war überfordert, fassungslos, konnte es nicht glauben – und habe mir erstmal ein Bier aufgemacht. Damals hat Mr. A. mir noch geholfen, mit Dingen dieser Art umzugehen.

Und ich erinnere mich daran, wie so manche*r nicht verstehen konnte, wie schlimm Dein Tod für mich war und ist. „Das war doch nur ein Sänger, Du kanntest den doch gar nicht?!“ – die Kommentare gingen in diese Richtung. Und es stimmt natürlich, wir haben uns nie getroffen. Trotzdem warst und bist so viel mehr als „nur“ ein Sänger für mich. Du bist Teil meines Lebens, meines Überlebens.

Deine Musik

Denn ich weiß nicht, ob ich ohne Dich und die Musik Deiner Band, ohne Deine Texte heute noch hier sitzen würde. In den vielen Jahren, in denen in mir die Dunkelheit tobte, in denen meine Krankheiten wüteten und mein Leben nur aus Schmerz, Trauer, Wut und Kämpfen zu bestehen schien; in denen ich mich so alleine gefühlt habe, in denen ich alleine war weil es niemandem gab, dem ich erzählen konnte, wollte wie es mir geht – in diesen Jahren hast Du es geschafft, dass ich mich manchmal etwas weniger alleine gefühlt habe. Oft sogar verstanden.

Sometimes I remember the darkness of my past,
Bringing back these memories I wish I didn’t have.
Sometimes I think of letting go and never looking back,
And never moving forward so there’d never be a past. (…)

Just washing it aside,
All of the helplessness inside,
Pretending I don’t feel misplaced,
Is so much simpler than change.

It’s easier to run
Replacing this pain with something numb.
It’s so much easier to go
Than face all this pain here all alone.

Song: Easier To Run

Auch wegen Dir habe ich durchgehalten. Weil Du mit Deinen Worten, Deiner Stimme meinem Leid eine Form gegeben hast. Ich weiß nicht, wie oft ich gedacht habe „Chester – Woher weißt Du, was ich denke? Wie ich fühle?“

Was aber vielleicht noch wichtiger ist: Dass in Euren Songs, in Deinen Texten, in Deiner Stimme nicht immer nur alles dunkel war. Sondern dass da immer wieder auch Hoffnungsschimmer durchkamen. Helle Momente, Töne, Zeilen an denen ich mich festhalten konnte! Neben all dem Schmerz haben Du und Mike auch immer wieder von den guten Seiten des Lebens gesungen, vom gewonnenen Kämpfen – und in so mancher Nacht war das alles, was mich nicht komplett verzweifeln ließ.

Wie unfassbar toll, stark und weich, sanft und durchdringend, besonders und einmalig Deine Stimme war, muss ich Dir wohl nicht sagen. Ich hoffe sehr, das wusstest Du und dass viele Leute es Dir immer und immer wieder gesagt haben – unverwechselbar. Wie Du. Die Bandbreite deines Könnens, Deine Power auf der Bühne (die ich leider nie live erleben durfte, was immer noch extra weh tut), Dein Lachen, Deine Ausstrahlung… Und dazu das Wissen, dass es da noch einen anderen Chester gab, der sich – genau wie ich – hinter dieser Maske versteckte.

Dein Kampf

Es gibt unzählige Videos auf YouTube, die Dich singend, lachend, tanzend, spaßend, performend zeigen. Auch heute noch treibt es mir die Tränen in die Augen, wenn ich Dich so sehe, diesen Chester sehe.

Von Deiner anderen Seite, von der wohl einige Deiner Texte stammen, gibt es weniger Aufnahmen. Von Deinem eigenen Kampf mit Missbrauch, Sucht, Depressionen. Diese Seite erklärt wohl, warum ich mich so von Dir verstanden gefühlt habe. Weil Du es verstanden hast. Was es bedeutet, mit diesen Krankheiten das Leben zu teilen.

Ich weiß nicht, was schlußendlich dazu geführt hast, dass Deine Kraft nicht mehr gereicht hat. Dass weder Deine Kinder, Deine Frau, Deine Freunde, Deine Musik, Deine Fans Dich hier halten konnten. Es ist oft zu lesen, dass der Suizid einer Deiner besten Freunde wohl mit dazu beigetragen hast. Am Ende ist es aber auch egal. Denn zumindest ich mache Dir keine Vorwürfe, weil ich glaube, Dich an dieser Stelle zu verstehen. Weil ich einfach zu oft selber an dieser Klippe stand und weiß, dass es nichts damit zu tun hat, nicht mehr leben zu wollen. Sondern so nicht mehr leben zu wollen. Mit dieser Dunkelheit, dem ständigen Kampf um jeden glücklichen Moment. Es ist ermüdend.

In cards and flowers on your window,

Your friends all plead for you to stay,

Sometimes beginnings aren’t so simple,

Sometimes goodbye’s the only way.

Song: Shadow Of The Day

Dein Tod gehört nun auch zu Dir. Und doch versuche ich, mich weiterhin auf Dein Leben zu konzentrieren. Auf all das Gute, was Du in die Welt gebracht hast. Auf all die Hoffnung, die Du Menschen gegeben hast.

Deine Familie

Ich kann mir nicht vorstellen, wie es Deiner Band, Deiner Familie, Deinen Freunden gehen muss. Ich kann mich nur tief verneigen vor dem, was Mike, Brad, Dave, Jo und Rob, was Talinda und Deine Kids in den letzen Monaten durchmachen mussten, und auch davor, was sie daraus machen.

Und dann ist ja noch Deine andere Familie, zu der ich mich auch zählen darf: die LP-Familie. Die Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Das ist auch etwas, was Eure Band so besonders gemacht hat. Wie oft habt ihr betont, dass Eure Fans nicht einfach nur Fans sind, sondern wie eine einzige, große Familie – die LP-Family.

When my time comes
Forget the wrong that I’ve done
Help me leave behind some
Reasons to be missed
And don’t resent me
And when you’re feeling empty
Keep me in your memory
Leave out all the rest, leave out all the rest

Song: Leave Out All The Rest

Und diese Familie ist es auch, die mir dabei hilft, mit Deinem Tod klar zu kommen. Ich würde wagen zu behaupten, dass es keinen Tag gibt an dem nicht jemand etwas in Gedanken an Dich bei YouTube, Instagram oder twitter hochlädt – nicht nur an Deinem Geburts- oder Todestag. Das zeigt mir, dass ich in meiner Trauer nicht alleine bin. Die LP-Familie zeigt mit ihren unzähligen Posts, Videos, Texten, dass Du in Ihren Gedanken bist – genau wie in meinen.

Denn ja, heute sage ich selbstbewusst: Natürlich darf ich um Dich trauern, auch wenn ich Dich nicht „wirklich“ kannte. Trauer gehört niemandem. Trauer hat keine Regeln und kennt keine Grenzen. Das, was ich fühle ist Trauer. Um einen Menschen, der zu jung gegangen ist, der Teil meines Lebens war – und es bleiben wird.

Deine Stimme

Es hat lange gedauert, bis ich nach dem 20. Juli 2017 das erste Mal wieder Deine Stimme hören, aushalten konnte. Lange bin ich Dir aus dem Weg gegangen – jedenfalls in dieser Form. Am Anfang war es einfach zu viel, all die Gefühle die hochkamen, wenn auch nur der erste Ton eines LP-Liedes erklang. Wie oft habe ich den Radiosender gewechselt oder auf „weiter“ gedrückt…

Es war sofort alles wieder da – der Schmerz von damals, die vielen Nächte in denen zwischen mir und der Welt da draußen eine geschlossene Zimmertür, Schweigen und Kopfhörer waren aus denen Du so oft zu mir gesprochen hast. Zu diesen Erinnerungen kam da aber nun ein neuer Schmerz: Dich verloren zu haben. Einen Mitstreiter, einen Verbündeten – einen Freund.

Ich habe mich nach und nach rangetastet. Heute gibt es Tage, an denen ich Deine Stimme, Eure Lieder wieder genießen kann. Aber es gibt auch noch die, an denen ich auf „Weiter“ drücke, weil ich nicht die Kraft dafür habe.

Was mir auch geholfen hat war, dem Schmerz irgendwann nicht mehr aus dem Weg zu gehen. Sondern ihn zuzulassen. Mir all die Gefühle, die Tränen und auch die Wut über Deinen verlorenen Kampf zuzugestehen. Mich nicht länger davon jagen zu lassen, sondern ihn zu fühlen. Nicht nur einmal, sondern immer wieder. Denn ja, Zeit mag beim heilen von Wunden helfen, trotzdem können sie auch Jahre später noch weh tun.

Und das ist ok. Denn Zeit macht Deinen Suizid nicht weniger Schlimm, lässt die Lücke, die Du hinterlassen hast, nicht kleiner werden. Man gewöhnt sich nur an sie.

Mein Chester-Tattoo

Ohne Zweifel hat es geholfen, Deine Initialen auf meine Haut zu bringen. Deine Initialen, die Du mit einem weiteren Menschen teilst, der auch dazu beigetragen hat, mich am und im Leben zu halten. Die Buchstaben C und B sind umgeben von Dingen, die mir Kraft geben – so wie ihr. Und wenn es schwer wird, wenn die Dunkelheit sich anschleichen will, ich vielleicht auch müde werde vom Kämpfen, dann kann ich meine Hand darauf legen und spüre da ganz schön viel Kraft.

When you’ve suffered enough
And your spirit is breaking
You’re growing desperate from the fight

Remember, you’re loved
And you always will be
This melody will bring you right
Back home

Song: The Messenger

Ich weiß noch, dass Lasse die Idee vom Tattoo mit Deinen Initialen darin anfangs gar nicht gut fand. Ich glaube, er hatte Angst, dass sie in mir die Idee wecken könnten, es Dir gleich zu tun.

Für mich bedeutet dieses Tattoo aber etwas ganz anderes. Ich nenne es auch mein „Tattoo aufs Leben“. Es ist meine Art und Weise, Dir auch in Zukunft einen Platz in meinem Leben zu sichern. Mein Zeichen an mich und die Welt, dass Du Teil meines Lebens warst – und bist. Dass ich Dir verdammt viel zu verdanken habe.

Ganz nach dem Motto Wenn etwas vorbei ist, sei nicht traurig, dass es zu Ende ist, sondern sei froh, dass es gewesen ist versuche ich mich darauf zu konzentrieren, wie dankbar ich bin, Dich gehabt zu haben. Dich erlebt haben zu dürfen. Von Deiner Power, Deinem Talent, Deinem Wesen gezehrt haben zu dürfen.

Und ich merke auch, wenn ich heute Deine Lieder höre, wie sehr ich mich verändert habe. Dass ich mit meinem heutigen Wissen, aus meiner heutigen Position sogar manches anders interpretiere bei Deinen Worten, aus einem anderen Blickwinkel darauf schaue. Und so mancher Song erhält eine ganz neue Bedeutung. Manchmal bringen die Klänge noch die alten Emotionen hoch, viel häufiger ist es aber mittlerweile die Erinnerung an diese Emotionen. Ich weiß noch, wie ich damals fühlte, habe es nicht vergessen. Aber ich habe mich verändert, bin gewachsen, stärker geworden.

Ich bin noch hier – und bleibe hier

Und so ist das Tattoo auch mein Versprechen an Dich, dass ich weiter kämpfe. An Deiner Stelle, mit Dir an meiner Seite, auf meiner Haut. Du hast den Kampf gegen diese beschissenen Krankheiten verloren, es war einfach zu viel. Ich kämpfe weiter, für Dich, für uns, für all die Chester und Dominiques da draußen. Meine Stimme mag nicht so laut und stark und schön sein wie Deine, aber ich erhebe sie! Ganz im Sinne des inzwischen entstandenen und weiter wachsenden Hashtags #makechesterproud

All das ändert nichts daran, dass ich Dich verflucht nochmal vermisse, Chester! Nicht nur, wenn ohne jede Vorwarnung auf einmal Deine Stimme aus dem Radio erklingt. Nicht erst seit dem Tattoo vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht an Dich denke – wie es eben ist, wenn ein guter Freund, ein geliebter Mensch verstorben ist.

Ich kann mich Deinen Worten in einem Eurer letzten gemeinsamen Songs nur anschließen: Who cares if one more light goes out? – Well, I do!

Who cares if one more light goes out
In the sky of a million stars? It flickers, flickers
Who cares when someone’s time runs out
If a moment is all we are? Or quicker, quicker?
Who cares if one more light goes out?
Well, I do

Song: One More Light

Chester, wo auch immer Du jetzt bist, ich hoffe, es geht Dir dort besser. Ich hoffe, dass Du nicht mehr kämpfen musst, sondern alles leichter geworden ist.

Und auch wenn ich nicht an den Himmel glaube und mir nicht vorstellen kann, dass Du da oben auf einer Wolke sitzt und eine Harfe in der Hand hältst: Du bist nicht weg. Du bist weiter da. Du hast Spuren hinterlassen. Deine Energie wirkt weiter. In Deinen Kindern, in deinen Liedern, in unseren Erinnerungen! Du hast die Welt zu einem besseren Ort gemacht – nicht nur für mich. Und das kann auch Dein Tod nicht ändern.

Danke für Dich, Chester!

Deine Dominique


Chesters Tod zeigt, wie so viele andere, dass kein Geld, kein Ruhm, kein Erfolg vor Suizid schützen kann. Was helfen kann ist, dass wir darüber reden. Über Mental Health, über die Täler des Lebens, über Depressionen und Suizidgedanken. Damit andere diesen Schritt nicht gehen müssen. Damit andere den Kampf nicht alleine kämpfen – und ihn verlieren. Und auch für die Angehörigen, die sich noch zu häufig mit falschen Vorurteilen und Vorwürfen konfrontiert sehen.

Chesters Witwe und seine Bandkollegen engagieren sich heute auf vielfältige Weise für Mental Health, für Suizidprävention. Mehr Infos: