Psychische Krankheiten und Berufsunfähigkeitsversicherung

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Psychische Krankheiten und Berufsunfähigkeitsversicherung

Dieser Artikel erschien zuerst am 03. Juni 2018 auf www.versicherung-borchardt.de . Wir veröffentlichen ihn hier mit dem Einverständnis des Autors. Wir wollen damit keine Werbung machen, sondern sind bei der Recherche zu diesem wichtigen Thema auf diesen sehr guten, toll zusammengefassten und umfassenden Artikel gestoßen, den wir euch gerne zuteil haben lassen wollen.


Berufsunfähigkeitsversicherung Depressionen – keine Chance auf einen Abschluß?

„Berufsunfähigkeitsversicherung trotz psychischer Vorerkrankung?“ – das ist eine der häufigsten Fragen, die wir gestellt bekommen. Oft handelt es sich bei der Vorerkrankung um Depressionen oder Burnout. Unsere Antwort lautet dann nicht etwa: „Nein, keine Chance“, sondern: „Es kommt darauf an, ob …“.

Wie die Risikoprüfung bei Erkrankungen im Bereich der Psyche in der BU-Versicherung abläuft, wie die Versicherungen das Risiko Depression einschätzen, wie man am besten vorgeht und was zu beachten ist, das erläutern wir in diesem Artikel.

Inhalt

  • Aus psychischen Gründen berufsunfähig- ein häufiger Fall
  • Versicherbar trotz Depression? Auf die Details kommt es an.
  • Wie lange behandlungs- und beschwerdefrei?
  • BU mit Auschlussklausel Psyche oder Risikozuschlag?
  • Beispiele aus der Risikovorprüfung
  • Depressive Episode
  • Leichte Depression
  • Erschöpfung / Trauerverarbeitung
  • Prüfungsangst
  • Depression – versicherbar über eine BU-Sonderaktion?
  • Alternativen zur BU
  • Vorgehensweise Abschluss BU-Versicherung mit psychischer Vorerkrankung

Aus psychischen Gründen berufsunfähig – ein häufiger Fall

Versicherungsgesellschaften sind äußerst zurückhaltend und vorsichtig, wenn als Vorerkrankung eine Erkrankung im Bereich der Psyche angegeben wird.

Realistischerweise sind die Chancen auf einen Abschluss in vielen Fällen daher nicht gut. Woran liegt das? Es gibt eine einfache Erklärung: Statistisch gesehen werden psychische Erkrankungen immer häufiger. Selbst bei jungen Menschen.

Der „Tagesspiegel“ etwa meldete kürzlich: Jeder sechste Student ist psychisch krank.

Gleichzeitig steigt die Häufigkeit der Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen psychischer Beschwerden und auch die Häufigkeit einer Berufsunfähigkeit wegen Erkrankungen der Psyche. Laut dem Institut Morgen und Morgen waren 2016 in 31 % der Fälle „Nervenkrankheiten“ die Ursache der Berufsunfähigkeit. 2018 sind es 31,52 %. Zum Vergleich: Unfälle sind nur in knapp 9 % der Fälle (2016: 10 %) der Grund für die Berufsunfähigkeit.

Nervenerkrankungen sind seit vielen Jahren die häufigste Ursache für eine Berufsunfähigkeit.

Häufigste BU-Ursache mit eindeutigem Abstand: Psychische Krankheiten – Quelle: MORGEN & MORGEN Rating Berufsunfähigkeit 2018

Versicherbar trotz Depressionen? Auf die Details kommt es an.

Der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung mit Vorerkrankung (en) ist meistens nicht einfach und das gilt um so mehr, wenn es um psychische Vorerkrankungen geht. Aber eine Chance liegt darin, dass jeder Versicherer seine eigene Entscheidung darüber trifft, ob er einen Kunden versichern kann und falls ja zu welchen Bedingungen. Die Ergebnisse von Risikovoranfragen sind oft überraschend. Manchmal ist es so, dass der eine Versicherer überhaupt keinen Versicherungsschutz anbieten will bzw. kann, während sich ein anderer Versicherer offen für einen Abschluss zumindest mit einem Ausschluss und / oder Risikozuschlag zeigt.

Es kommt ganz auf den Einzelfall an und auf die medizinischen Details. Deshalb sind Risikovoranfragen bei mehreren Versicherern sehr hilfreich bei der Klärung der Frage der Versicherbarkeit.

Dass selbst bei psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel einer Depression nicht in allen Fällen überhaupt keine Hoffnung besteht zeigen die Grundsätzen zur Risikoprüfung der Versicherungsgesellschaft ALTE LEIPZIGER, aus denen wir hier einmal zitieren wollen:

„Bei psychischen Erkrankungen kommt es vorwiegend auf die Art der Erkrankung und deren Ausprägung an. Auch hier gibt es natürlich berufliche Einflüsse und weitere Faktoren. Grundsätzlich ist bei Antragstellung ein Therapie-Abschlussbericht notwendig.

In der Regel kann jedoch nach folgenden Kriterien entschieden werden:

Reaktive Erkrankungen (z. B.: nach Tod eines Angehörigen) können, sofern die Behandlung max. 6 Monate gedauert hat, wenige Sitzungen erfolgten und diese ohne weitere Medikamenteneinnahme abgeschlossen sind, im Regelfall normal versichert werden.

Die Versicherbarkeit einer leichten Depression (z. B. Belastungsstörungen) kann geprüft werden, sofern die Behandlung seit mindestens einem Jahr abgeschlossen ist. Sofern keine Medikamente genommen werden, ist die Absicherung der Berufsunfähigkeit mit Zuschlag möglich.

Alle anderen Formen von depressiven Erkrankungen setzen eine Behandlungs- und Medikamentenfreiheit von mind. 3 Jahren voraus. Wie diese versichert werden können, ist sowohl von der Art der früheren Erkrankung als auch von der Behandlung abhängig.

Wie lange behandlungs- und beschwerdefrei?

Gute Chancen hat man, wenn die Erkrankung schon einige Zeit zurückliegt, also wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung keinerlei Beschwerden mehr auftreten und die letzte Behandlung / der letzte Arztkontakt schon einige Zeit zurück liegt. Noch größer sind die Chancen natürlich wenn die Erkrankung so lange zurück liegt, dass sie gar nicht mehr angegeben werden muss, weil sie außerhalb des Abfragezeitraumes der Gesundheitsfragen des Versicherers liegt. Hier lohnt sich also auch ein Vergleich der Antragsfragen der verschiedenen Anbieter.

BU mit Ausschlussklausel Psyche oder Risikozuschlag?

Einige Gesellschaften bieten tatsächlich an, psychische Erkrankungen vom Versicherungsschutz auszuschließen. Der Anbieter einer Online-BU, die getsurance, bietet eine Variante ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung an, bei der psychische Erkrankungen schon von vornherein nicht mitversichert sind.

Andere Anbieter bieten – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – gelegentlich die Vereinbarung eines Auschlusses für psychische Erkrankungen an. Das aber sicher nicht, wenn die Beschwerden noch andauern, also z.B. wenn der Antragssteller sich noch in einer laufenden Psychotherapie befindet.

Wie das oben genannte Beispiel der ALTE LEIPZIGER zeigt, kann das Ergebnis der Risikoprüfung im Einzelfall auch ein Risikozuschlag sein, aber eben nur wenn es sich um eine leichte Depression gehandelt hat, die Behandlung seit mindestens einem Jahr abgeschlossen ist und keine Medikamente eingenommen werden.

Beispiele aus der Risikovorprüfung

Depressive Episode

Beispiel 1

eher Überlastung, kurzfristig und einmalig in 07/2014, mit pflanzlichem Lavendelextrakt behandelt, 4 Tage morgens und abends, 10 Tage AU, Therapie abgeschlossen, keine Folgen

Beruf: Erzieher

Votum des Versicherers: normale Annahme

Beispiel 2

mit reaktiver Depression bei Trauerreaktion aufgrund Erkrankung des Ehemannes ins 2012 (Krebs) und beim Tod 2013, 2012 6 Wochen, keine Psychopharmaka, 2013 Reha vom Kunden abgelehnt, Umzug nach Dresden mit ambulanter Betreuung vom christlichen Hospizdienst und Trauergruppe für junge Witwen, Therapie erfolgreich abgeschlossen

Beruf: Operations Specialist Projektcontroller

Votum des Versicherers: normale Annahme

Beispiel 3

Anfang 2010, Beschwerden: Niedergeschlagenheit, Antriebshe4mjung, Zweifel an sich selbst, Ursache: unbewußte Konflikte aktualisiert durch Trennungserlebnis, therapeutische Behandlung von 02/2010-12/2012, danach bis 10/2016 Ursachenforschung durch Arzt Arzt-Bescheinigung: Mai 2010 beginnende Psychoanalyse, erfolgreich abgeschlossen, bis heute keine medikamentöse Behandlung

Beruf: Personalentwickler

Votum des Versicherers: Ausschlussklausel

Leichte Depression

Beispiel 1

leicht, erstmals 07/2013 aufgetreten, Beschwerden: Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Ursache: Beziehungsprobleme mit der Partnerin, Beschwerden letztmals 12/2013 aufgetreten, in Behandlung gewesen von 09/13 – 12/14

Beruf: Tischler

Votum des Versicherers: Ausschlußklausel

Beispiel 2

wegen Stoffwechsel – Serotoninmangel, 8-10 Sitzungen

Beruf: Sozialpädagoge

Votum des Versicherers: Ausschlußklausel

Erschöpfung / Trauerverarbeitung

einmalig nach Tod des Vaters, wöchentlich 1 Sitzung, vollständig beschwerdefrei

Beruf: Student Lehramt

Votum des Versicherers: normale Annahme

Prüfungsangst

seit 09/2008 mehrmalig bis zuletzt 01/2015, Ereignis: Universitätsprüfung, seit 01/2015 vollständig beschwerdefrei

Beruf: Diplom-Geographin

Votum des Versicherers: Ausschlußklausel

Depression – versicherbar über eine BU-Sonderaktion?

Gelegentlich bieten einige Versicherer ihre BU-Versicherung zeitlich begrenzt und mit Einschränkungen z.B. bei der versicherbaren Rente mit vereinfachten Gesundheitsfragen an.

Hier einmal ein Beispiel für die einzige Gesundheitsfrage aus der BU-Aktion der HDI (Duales Modell).

Gesundheitsfrage der HDI BU-Sonderaktion u.a. für Mitglieder des VWI
HINWEIS: Diese Sonderaktion in dieser Form (mit der ganz vereinfachten Gesundheitsfrage) ist zwischenzeitlich vom Versicherer eingestellt worden

Wer aktuell wegen einer Depression in Behandlung ist dürfte diese Frage nicht verneinen können. Denn bei einer Depression dürfte sich immer auch eine Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit ergeben.

Allein aus dem reduzierten Abfragezeitraum ergeben sich aber Vorteile gegenüber den „normalen“ Gesundheitsfragen.

In Anträgen mit Gesundheitsfragen in normalem Umfang beträgt der Abfragezeitraum bezüglich der Psyche nämlich bei vielen Versicherern 5 Jahre, hier ein Beispiel aus dem Antrag der ALTE LEIPZIGER.

Die Alte Leipziger fragt bezüglich Erkrankungen der Psyche 5 Jahre zurück

Alternativen zur BU

Wenn Risikovoranfragen ergeben haben, dass in der BU-Versicherung tatsächlich keine Chance besteht und auch BU-Sonderaktionen nicht passen, kann man noch die Alternativen zur Berufsunfähigkeitsversicherung prüfen. Zu nennen sind hier die Erwerbsunfähigkeitsversicherung, die Schwere-Krankheiten-Vorsorge, die Grundfähigkeitenversicherung und die Multi-Renten. Bei den drei letztgenannten Versicherungsarten ist die Psyche meist nicht unmittelbar mitversichert, so dass psychische Vorerkrankungen bei der Risikoprüfung nicht die große Bedeutung wie bei Berufsunfähigkeitsversicherung haben.

Bei einigen dieser Alternativprodukte wird überhaupt nicht nach psychischen Erkrankungen gefragt. Beispiel: PLAN D der DORTMUNDER.

Berufsunfähigkeitsversicherung ohne Mitversicherung der Psyche

Schließlich gibt es noch eine weitere Möglichkeit, die allerdings gut überlegt werden sollte. Ein Anbieter bietet eine BU-Versicherung an, bei der von vornherein die Psyche nicht mitversichert ist. Dabei handelt es sich um den Anbieter getsurance. Bei getsurance können sich also auch Personen versichern mit psychischen Vorerkrankungen.

Vorgehensweise Abschluss BU-Versicherung mit psychischer Vorerkrankung

1. Zunächst genauestens die Gesundheitsgeschichte aufarbeiten

(Achtung: nicht nur für die psychische Erkrankung , sondern für alle Erkrankungen und Behandlungen nach denen der Versicherer im Antrag fragt.)

2. Zusatzfragebögen ausfüllen (hier ebenfalls auf Genauigkeit achten).

3. Laborberichte / Atteste / Befunde etc. sichten und ggf. mit in die Unterlagen für die Risikovoranfragen aufnehmen. Ggf. Arztberichte / Patientenakte in Kopie beim behandelnden Arzt /Therapeuten anfordern.

4. Erste Einschätzung zur Versicherbarkeit durch den Makler. Ggf. Besprechung welche weiteren Unterlagen, Angaben für die Voranfragen benötigt werden.

Risikovoranfragen einreichen lassen.

Ergebnisse auswerten (lassen). Besprechung der Ergebnisse und Entscheidung, ob weitere Voranfragen sinnvoll sind.

Wenn die Ergebnisse noch eine Auswahl zulassen: Leistungsinhalte prüfen lassen / vergleichen.

Leistungsumfang festlegen (Rentenhöhe, Laufzeit, Dynamik, garantierte Rentensteigerung, AU-Klausel ja / nein und so weiter …

5. Erst jetzt: Antrag bei dem Versicherer einreichen, der die besten Konditionen anbieten kann.


Über den Autor:

Eckhard Borchardt
Eckhard Borchardt ist Versicherungsmakler mit den Schwerpunkten BU, private Krankenversicherung (PKV) und Altersvorsorge in Hamburg. Er schreibt außerdem regelmäßig in seinem
Blog zu den Themen BU, PKV und Altersvorsorge.

Wir bedanken uns bei Herrn Borchardt für die Zur­ver­fü­gung­stel­lung des Artikels. BU ist ein wichtiges Thema, wir sind keine Fachleute, Herr Borchardt – ebenso wie viele andere Versicherungsmakler – aber schon. Für weiterführende Fragen und genauere Informationen wendet euch bitte an eben diese Fachleute.

Wie es sich anfühlt, ein Buch geschrieben zu haben

Lesezeit: 8 minuten

Wie es sich anfühlt, ein Buch geschrieben zu haben

Ich bin nun also Autorin. Buchautorin. Offiziell. Ich habe ein Buch geschrieben. Wie fühlt sich das an? Was macht das mit einem? Nun, natürlich ändert sich das Leben nicht von heute auf morgen, nur weil ein bisschen Papier mit dem eigenen Namen drauf in den Läden liegt. Trotzdem waren die letzten Tage und Wochen – nicht nur, aber besonders wegen des Buches – ganz schön intensiv.


Nein, ich habe mich noch nicht dran gewöhnt, mein Gesicht auf dem Cover eines Buches zu sehen. Oder Widmungen in Bücher zu schreiben. Oder aus meinem eigenen Buch vorzulesen.

Zu diesem Zeitpunkt ist das Buch gerade erschienen. Erste Menschen haben es gelesen, andere bekommen es dieser Tage zugesandt. Mich erreichen erste Fotos von Menschen, mit denen ich seit langem oder sehr langem keinen Kontakt mehr hatte und die mich nun plötzlich in Buchhandlungen liegen sehen und mir davon Fotos schicken. Noch habe ich wenig Reaktionen, Meinungen, Feedback erhalten. Was vor allem noch auf sich warten lässt sind erste Kritiker. Aber ich bin sicher, auch die werden kommen.

Ich gebe erste Interviews, bei denen es aber weniger um das Buch als um meine Mission generell geht – was auch total ok ist, denn dieses Buch ist ja quasi meine Mission komprimiert auf 240 Seiten. Ich möchte nun mal verändern, dass und wie wir über psychische Gesundheit reden. Ob das nun lesend oder redend oder als Autorin oder Mental Health Advoate passiert, ist im Grunde egal. Hauptsache, es wird geredet. Als erstes großes Highlight geht’s dann bald auf die Leipziger Buchmesse.

Ein Blick zurück

Bevor ich aber weiter im Jetzt bleibe, nochmal kurz ein paar Schritte zurück. Wie kam es eigentlich zu dem Buch? Und wie ist aus der ersten Idee ein fertiges Werk geworden?

Nun, die Idee ein Buch zu schreiben war schon älter. Nicht ganz so alt wie der Blog (*2015). Aber doch schon ein paar Jährchen in meinem Kopf. Letztes Jahr nun habe ich mich ganz vorsichtig mit dem Gedanken angefreundet, dass ich wohl irgendwie recht gut schreibe, dass mir das liegt. Ich gewöhne mich immer noch dran, das zu akzeptieren – dass ich in etwas gut bin – aber die vielen tollen Rückmeldungen über all die Monate haben diesen kleinen Gedanken in mir doch immer größer werden lassen.

2018 dann habe ich den Gedanken das erste Mal dann gepackt und mir genauer angeschaut. Den mit dem Schreiben. Und den mit dem Buch. Und habe aus dem groben Plan eine konkrete Idee werden lassen. Habe mich informiert, wie man einen Verlag findet, wie ein gutes Exposé aussieht und habe dann Mitte des Jahres eine Handvoll Verlage und Agenturen angeschrieben. Darauf hin kamen aber entweder Absagen oder gar keine Reaktionen. Aber das war noch nicht schlimm. Das waren nur die ersten Versuche.

Bevor ich dann in eine neue Runde starten konnte, hat sich das Leben, Schicksal, Karma eingeschaltet. Und zwar in Form eines Freundes von Lasse. Die beiden kennen sich noch aus Lasses Snooker-Zeiten. Und als eben dieser Freund dann nach und nach erfuhr, was ich und wir da so treiben und das wohl irgendwie gut fand, meinte er „Ich hab da einen guten Freund, der hat einen Verlag. Soll ich dem mal was schicken?“ Und zack, lag mein Exposé bei eben diesem Verlag. Sehr kurze Zeit später bekam ich schon einen Anruf, es fand ein Treffen statt, man lernte sich kennen, alle Seiten konnten sich eine Zusammenarbeit gut vorstellen. Und kurz darauf unterschrieb ich im September 2018 einen Autorenvertrag beim Scorpio-Verlag.

Von der Idee zum Buch

Einziger „Haken“ am Vertrag: ich hatte nur knapp drei Monate Zeit, um das Buch zu schreiben. So wirklich als Haken hab ich das aber nicht empfunden. Ich mag es, die Dinge kurz und knackig zu machen. Und da ich doch recht gut darin bin, mich und meine Arbeit einzuschätzen, hatte ich keine Zweifel daran, dass ich das schaffen würde. Unterstützt hat mich dabei der Vorschuss des Verlages, der mich für diese Zeit doch – finanziell – deutlich entspannte.

So hab ich mich also dran gemacht, zwischen dem „normalen“ Wahnsinn des Alltags zu schreiben. Wann immer und wo immer sich Gelegenheit bot. Das konnte zuhause auf dem Sofa, im Arbeitszimmer, im Zug nach Brüssel oder unterwegs auf dem Handy sein. Am längsten hat es wohl gedauert, bis die Grundstruktur stand. Die erste Zeit sammelte ich einfach nur Themen, Schlagworte, Bereiche, über die ich schreiben wollte. Mit als erstes stand der Prolog und der Teil, in dem ich mich bei Menschen bedanke.

Schreibblockaden oder ähnliches gab es nicht. Es gab so viel, was ich schreiben und in die Tasten bringen wollte, dass es einfach nur toll war, am Buch arbeiten zu können. Trotzdem kamen zwischendrin Zweifel. Am Buch, an meinen Fähigkeiten, an meiner Mission generell. Und Ängste: Was, wenn keiner das Buch lesen will? Was, wenn ich nur schlechte Reaktionen bekomme? Was, wenn dem Verlag mittendrin auffällt, dass ich überhaupt nicht das bringe, was sie von mir erwarten?

Zu einem gewissen Teil gehören solche Gedanken wohl zu solch einem Prozess dazu. Man schreibt schließlich nicht jeden Tag ein Buch. Und vor allem schreibe ich ja keinen Fantasy-Roman, sondern in gewisser Weise über mein Leben. Schicke private Dinge in die Welt hinaus. Aus Überzeugung, dass einfach mal jemand anfangen muss. Genau diese Gedanken haben mich dann auch immer wieder zurück gebracht.

Von dieser Achterbahn gelang aber mal wieder kaum was nach außen. Mit dem Verlag stand ich während dieser Zeit zwar ständig im Kontakt. Aber dabei ging es nicht um meinen Kopf und die kleinen Monster darin, sondern die Ebene war doch etwas professioneller. Ich hielt sie auf dem Laufenden, schickte erste Auszüge und wir berieten uns über die Struktur.

Ein Buch entsteht

Und dann, zwei Wochen vor dem vertraglich festgelegten Datum, war ich fertig. Mit der Rohversion. Und einer Punktlandung bei der Länge: der Umfang sollte etwa 240 Seiten sein. Das Dokument, das ich dem Verlag schickte, meldete: 240 Seiten. Ich glaube, das passierte ihnen nicht so oft. Dass ein Autor beim ersten Werk sowohl zeitlich als auch vom Umfang so brav ist. Da hab ich mich schon ein bisschen gefreut.

Was nun folgte war das Lektorat. Hier dürfte ich mich einer wundervollen Lektorin zusammenarbeiten, die sich im Thema auch auskannte und den Job schon ziemlich lange macht. Schon nach den ersten Seiten bekam ich von ihr die Rückmeldung: „Gut, was das Schreiben an sich angeht muss ich ja quasi gar nichts bei dir machen. Das kannst du einfach. Nur bei der Struktur kann ich dir vielleicht noch helfen.“ Eine schöne Rückmeldung.

Und in der Tat bekam ich dann in den nächsten Wochen mein Buch abschnittsweise von ihr zurück. Hier ging es weniger um Rechtschreibfehler – auch wenn sie alle, die sie gefunden hat, ausgebessert hat – sondern mehr um den Inhalt an sich. An ein paar Stellen wies sie mich darauf hin, dass der Leser noch mehr Infos bräuchte oder dass ich mich hier vielleicht etwas zu kompliziert ausgedrückt hatte. Aber die Bemerkungen hielten sich wirklich in Grenzen und waren allesamt mehr als brauchbar. Zur gleichen Zeit dürfte Lasse einmal lesen – als einziger. Und auch von ihm kam nochmal toller Input.

Als dieser Teil fertig war ging es an die Gestaltung. Das Cover musste schon im Dezember stehen, weil dann die Kataloge gedruckt wurden. Da gab es also nichts mehr dran zu machen. Nun ging es an das Innenleben. Und da bin ich froh, dass vom Verlag der Vorschlag kam, den Text mit ein paar kleinen Männchen aufzulockern. Und auch da hat ihre Grafikerin einen tollen Job gemacht und ihre kleinen Illustrationen lockern das Buch auf und bereichern es gleichzeitig.

Als das alles stand und der Text auch noch mal von einer Korrektorin durchgearbeitet war wurde der Text gesetzt, also das finale Layout an das Seitenformat angepasst. Dann sind alle Beteiligten nochmal über das Buch durch und über jede einzelne Seite drüber gegangen. Und dann: ging es im Februar in den Druck.

Herzlichen Glückwunsch – es ist ein Buch!

Diese Zeit war dann irgendwie die schlimmste seit Beginn des ganzen Prozesses: die Warterei. Ich wusste, das mein Buch nun irgendwo in Deutschland gerade gedruckt wurde. Dass große Maschinen damit beschäftigt waren, meine Worte auf Papier zu drucken. Ich wusste auch, dass dies etwa zwei Wochen dauern würde. Sobald diese Zeit vorbei war rechnete ich quasi täglich damit, ein Exemplar im Briefkasten zu haben.

Doch es kam nicht.

Und kam nicht.

Und die Tage vergingen.

Und ich wurde unruhiger.

Und nervöser.

Und dann: die Mail meiner Verlegerin! Sie sei gerade aus dem Urlaub gekommen. Auf ihrem Schreibtisch wartete mein Buch. Ob ich denn auch schon eines hätte? NEIN! Habe ich nicht. Her damit! Zum Glück lief sie quasi sofort zum Briefkasten, als sie erfuhr dass es im Gegensatz zu ihr, noch nicht vor mir hatte. Und einen Tag später war es dann da. Es war ein Samstag. Ich ging zum Briefkasten. Sah den Umschlag. Und wusste, dass es da drin ist. Fünf Stockwerke nach oben. 80 Stufen, auf denen die Emotionen und Gedanken gleichzeitig Walzer tanzten, Achterbahn fuhren und chaotisch durcheinander liefen.

Mit dem Öffnen wartete ich tatsächlich, bis ich oben in der Wohnung war. Lasse war auch da. Holte sein Handy raus und hielt drauf. Während ich den Umschlag öffnete. Und mein Buch rausholte. Hatten die Gefühle davor Walzer getanzt so wurde nun eine zuckende Technoparty draus. Aus der Achterbahn wurde ein Überschallflugzeug. Und ich war einfach nur überfordert. Für das Video hab ich mich gefreut. Aber in mir drin lief alles durcheinander, was nur durcheinander laufen konnte. Sobald Lasse fertig war hab ich daher auch das Buch zu Seite gelegt und es mit dem Umschlag verdeckt. Schrittweise Annäherung.

Aus Überforderung wird Freude

Glücklicherweise gab es nicht nur Lasse, sondern weitere Freunde und meine Familie, die sich erstmal für mich freuten. Bilder wurden verschickt, die Nachricht verbreitet, dass es endlich da ist. Und ich war weiterhin überfordert. Es brauchte eine schnelle Laufeinheit, ein paar Stunden Abstand und eine vorsichtige Annäherung, bis sich endlich auch in mir das Gefühlschaos legte und eine Emotion als Siegerin feststand: Freude. Der zweite Platz ging an den Stolz.

Hatte mein Kopf bei der ersten Begegnung mit dem Buch noch Kritik ausgespuckt, mich mit Selbstzweifeln und Vorwürfen beworfen und all die Arbeit in den Dreck gezogen so verkrümelten sich diese Gesellen langsam in den Hintergrund. Vertrieben von den Siegern. Und bald konnte ich das Buch auch richtig stolz halten, zeigen, präsentieren.

Die Achterbahnfahrt ist aber damit natürlich noch nicht vorbei. Wahrscheinlich geht sich gerade erst los. Und ich merke, dass ich auf mich aufpassen darf. Dass es keine Kleinigkeit ist, die ich da gerade erlebe. Dieses Buch enthält ganz schön viele Dinge, die entweder sehr persönlich und/oder mir wahnsinnig wichtig sind. Und damit mache ich mich natürlich verletzbar. Zeige mich der Öffentlichkeit unverstellt und irgendwie emotional nackt. Und das bei einem emotional-instabilen Menschen.

Deswegen ist es gerade umso wichtiger, dass ich mich um mich kümmere. Dafür sorge, dass sich nichts anstaut oder in meinem Hinterkopf einnistet. Dass ich mir Ruhe gönne, Auszeiten um irgendwie hinterherzukommen. Denn es gibt ja auch noch ein Leben neben dem Buch. Ein Leben, in dem gerade die Vorbereitungen für ein Mental Health Café laufen. Was toll ist und Spaß macht, aber gerade auch viel Arbeit bedeutet: Meetings, Gespräche, Projektskizzen, Pitches, Events, Vernetzen, Finanzierung, Förderung, Crowdfunding, Unterstützer, Formalitäten, Gründung, Versicherungen, Seminare, Kurse, Infrastruktur, Einrichtung – um euch nur mal ein paar Stichworte zu nennen. Und irgendwie zwischen all dem auch noch Geld verdienen, Freunde und Familie sehen, einen Marathon vorbereiten und schlafen. Da darf man schon mal etwas mehr auf sich aufpassen.

Auf ein Neues

Und dann die unschuldige Frage einer Freundin: ob und wie ich denn gefeiert hätte. Gefeiert? Und mir fällt auf, dass ich keinen der bisher absolvierten Schritte gebührend gefeiert habe. Kein schönes Essen, kein kleiner Luxus, kein alkoholfreier Sekt. Wahrscheinlich, weil ich das selber alles noch gar nicht wirklich verstanden habe. Weil es einfach immer so viel zu tun gibt. Nicht nur rund ums Buch, sondern auch und vor allem rund um TtB. Inne halten geht da irgendwie unter.

Bezogen auf das Buch ist es eine Mischung aus Genießen, Ungläubigkeit, Freude und Vorsicht, die mich da wohl gerade lenkt. Die mich all den Trubel, alle ersten Male, die ich gerade erlebe, einfach genießen lässt. Die nicht zu weit ins Morgen denkt, sondern mich schön brav und achtsam im Moment festhält. Die meine Ängste und Zweifel mit Stolz und Tatsachen in Schach hält.

Und wer weiß: vielleicht wird mein erstes Buch ja nicht mein letztes Buch gewesen sein? Vielleicht werde ich nachlegen dürfen? Noch mehr Gedanken und Worte zu Papier bringen dürfen? Soviel darf wohl verraten sein: erste Andeutungen kamen bereits von meiner Verlegerin.

Wenn die Frage also lautet: Wie fühlt es sich an, ein Buch geschrieben zu haben? Dann sage ich heute: fragt mich in einem halben Jahr nochmal. Dann ist mein Kopf vielleicht mit den Entwicklungen hinterhergekommen. Und ich bin bereit, zu feiern. Vielleicht dann sogar mehr als ein Buch.

Nur Mut! Borderline, JA Danke!

Lesezeit: 5 minuten

Nur Mut! Borderline, JA Danke!

Ein Gastbeitrag, der in Zusammenhang mit einem Abend beim Borderline-Trialog München entstanden ist. Eine Teilnehmerin war so überwältigt, fasziniert und auch berührt von all dem gesagten und gehörten, dass sie einige ihrer Eindrücke schriftlich festhalten wollte. Heraus gekommen ist ein warmer, offener, ermutigender Artikel – für Betroffene, für Angehörige, für Profis und für Leser darüber hinaus.

Ein Beitrag, der Mut macht, der Hoffnung gibt, der zeigt, dass es vielleicht nicht von heute auf morgen besser wird. Aber, dass es anders, besser werden kann.


– Ein Manifest der Hoffnung –

von Silke Weigang

Hinreichend bekannt sind beim Leben mit Borderline die schmerzhaften und schwierigen Seiten für alle Beteiligten.

Was aber, wenn diese Persönlichkeitsstruktur jede Menge Stärken und besondere Fähigkeiten mit sich bringt?!

Die schlechte Nachricht: Sie fallen wohl nicht von selbst über Nacht vom Himmel…

Die gute Nachricht: wer sich auf den Weg macht, wird reichlich belohnt!

Beteiligte sitzen zusammen und tauschen sich wohlwollend und wertschätzend aus: „Was verdanken sie Borderline?“ Betroffene, Angehörige, Professionelle…

Viele Wege zum „Danke“

Ich bin sehr berührt von der großen Lebendigkeit und sprudelnden Freude, die den Raum nach und nach erfüllen. Dankbarkeit macht sich breit. Da erzählen Menschen mit dieser Diagnose, wie sie sich auf den Weg gemacht haben. Auf ihren eigenen Weg. Durch Aufs und Abs, viele Tiefs und immer wieder Hochs. Wie sie durch diese Auseinandersetzung erkannt haben, worauf es im Leben wirklich ankommt. Lange schon vor manch Gleichaltrigen, die vielleicht immer noch dem Erfolg oder Konsum nachjagen.

Wie sie stolz sind auf ihre besondere Sensibilität und Fähigkeit zur Empathie für andere. Lange bevor das Gegenüber sich äußert (oder sich manchmal selbst erst bewusst wird), merken sie bereits, was Sache ist, was abgeht, wie’s dem anderen eigentlich geht. Manchmal fällt die Abgrenzung schwer und kann in die eigene Überforderung führen. In vielerlei Hinsicht bereichert diese wertvolle Fähigkeit zu hoher Sensibilität die Beziehungen. Und zwar dann, wenn der jeweilige lernt, sich auf selbst- und fremd-schätzende Weise immer wieder neu zu regulieren. Und auch ihr/sein[1]Umfeld achtsam (re)agiert. Viele berichten, wie dieses Lernen begeistert und ihre tiefe Freude und Zuversicht darüber leuchtet aus ihren Augen. „Die DBT[2]hat mir so wertvolle Werkzeuge an die Hand gegeben! Ich verstehe gar nicht, wie ich mein Leben bisher überhaupt ohne meistern konnte?!“

Die Sicht der Therapeuten

Auch Therapeuten berichten, wie sie persönlich durch DBT gewachsen sind. Manchmal ganz neuen, wertvollen Zugang zu ihren eigenen Gefühlen gefunden haben. Dass sie durch das Anwenden von DBT für sich selbst und durch die Arbeit mit denen, die sich mit DBT auf den Weg machen, wachsen. Ja, zu besseren Therapeuten an sich werden. Die Arbeit mit Menschen mit Borderline sei oft schonungslos, das müsse man aushalten können. Und dabei ist die Arbeit zugleich so klar und direkt, dass sie eine große Bereicherung darstelle. Es werde nicht langweilig, heißt es humorvoll. Weder in der Therapie, noch ganz grundsätzlich in Beziehung mit den Betroffenen.

Und auch ihnen selbst wird es nicht fad. Viele interessieren sich vielseitig, assoziieren immer wieder aufs Neue. Bilden Verknüpfungen innerhalb von Themen oder zwischen ihnen, sehr kreativ. Ob Poetry Slam, Malerei, Schreiben, Yoga, Percussion, (Bauch)Tanz oder Fotografie. Viele finden in diesen Hobbies Wege, ihre eigenen Talente zu verwirklichen und auch ihre Stimmungsschwankungen zu regulieren. Manchmal verhindern gerade diese Ausdrucksmöglichkeiten, dass es zu einer Explosion kommt.

So wie kleine Dinge und alltägliche Situationen heftige Gefühle wie Verzweiflung, Angst, Ohnmacht, Wut, Ekel, Neid, Eifersucht, Stolz, Scham und Co triggern können, so empfinden Menschen mit Borderline auch auf der anderen Seite des Gefühlsspektrums diese Heftigkeit der Emotionen. Kleine Dinge können unbändige Freude auslösen: eine Blume am Wegesrand, ein Glas Wasser, ein Sonnenstrahl. Somit können Glücksmomente auch an Ecken warten, an denen man nicht mit ihnen gerechnet hat. Auch in der Begegnung mit geliebten Menschen: Tiefe Momente des Glücks, der Liebe, der Begeisterung, der Dankbarkeit. Und die kann ansteckend sein. Für den, der Augen hat zu sehen, Ohren, zu hören und ein Herz, sich zu öffnen… 

Es gibt keinen geraden Weg …

Manche Menschen mit Borderline Persönlichkeitsstruktur, die sich auf den Weg machen, haben ein großes Herz für Tiere. Oder einen besonderen Draht zu „schwierigen“ Menschen: „Kinder mit Auffälligkeiten öffnen sich eher bei mir als bei Anderen“, erzählen Manche. „Durch meine Ausdauer und Sensibilisierung und Intervention erhalten wir jetzt endlich Supervision im Team!“(helfender Beruf)

Angehörige schildern, wie sie in der Auseinandersetzung mit der Borderline-Dynamik gewachsen sind: Mehr vom Wesen des Lebens verstehen, offener werden, sich mit sich selbst viel mehr auseinandersetzen. Dadurch sogar wieder mehr in ihre eigene Mitte finden. Dass man dank konstruktiver Konfliktfähigkeit wachsen, miteinander besondere Nähe und Vertrauen teilen kann. Wenn sich beide so unverstellt erleben, an und jenseits der eigenen Grenzen, kann das mit Vertrauen auch besondere Tiefe der Beziehung ermöglichen – bei aller Ambivalenz der Gefühle, die sich zwischendurch einstellen mag. Mir dämmert, es ist wichtig, dass wir alle beweglich bleiben. In BeWEGung bleiben…

Vielen habe nach dem anfänglichen Schock (der durchaus dauern kann) die Diagnose Borderline geholfen. Dabei, sich selbst und andere besser verstehen und akzeptieren zu können, sagen Betroffene wie Angehörige.

Nahe Beziehungen werden tiefergehend, wahre Freunde erkennbar, wenn sich alle Beteiligten auf den Weg machen. „Wer bei mir bleibt, den schätze ich besonders, bin loyal und ausdauernd. Gerade weil ich um die Schwierigkeit weiß, wenn sich andere abwenden“ Du musst es alleine tun! Und Du kannst es nur mit anderen schaffen!, heißt es sinngemäß. Und das gilt sicherlich für alle Beteiligten. Es geht eben darum, selbst loszugehen UND sich mit anderen zusammen auf den Weg zu machen. Sich einander zu zuMUTen UND miteinander neue Erfahrungen zu machen…

Mutig – oder normal?

Und dann die große Ausdauer, Leidens- und Überwindungsfähigkeit an sich. „Ich weiß, auch wenn es mir schlecht geht, ich schaffe das! Ich habe schon ganz anderes geschafft!“

Bewundernswert, die ausgeprägte Fähigkeit zur Reflexion ihrer selbst und der anderen. Von all denen, die sich auf den Weg gemacht haben. „Wir kehren in der Familie nicht mehr so viel untern Teppich, sondern sprechen uns aus und die Dinge an. Wir gehen mehr aufeinander zu und ein… auch wenn das manchmal nicht leicht ist, Zeit braucht oder auch die Unterstützung von Profis, die Familiengespräche begleiten, moderieren.“

So mutig, so verschmitzt, mit liebevoller Selbstironie, einer guten Portion unverwüstlichen Humors berichten manche aus ihrem Borderline-(WG-)Alltag…

Der große Mut sich zu outen, in der Arbeit, Familie, Freundeskreis. Und der Mut sich zu schützen, wo Stigmatisierung im (Arbeits-)Umfeld immer noch vorherrschend ist.

Erschütternd zu hören, dass immer noch viele Therapeuten die Arbeit mit Borderline-Klienten ablehnen. Aus Angst? Überforderung? Grundsätzlicher Ablehnung? Unwissenheit? Manch therapeutische Berichte null Ressourcen betonen.

Alle Beteiligten (Betroffene, Angehörige, Profis) heben hervor, was für wertvolle Menschen sie auf ihrem Weg kennengelernt haben, seitdem die Diagnose da ist. Es wird von „Miteinander“ und „großer Bereicherung“ gesprochen.

Alle anders gleich

Schließlich besteht Einigkeit: Charakterlich unterscheiden sich alle. Selbst, wenn die Diagnose die „gleiche“ ist und ähnliche, besondere Fähigkeiten hervor bringen mag. Schwarz-Weiß-Stereotypisierung greift nicht wirklich. Bekanntlich äußert sich Borderline in den unterschiedlichsten Ausprägungen und Stärken. Meist auch für eine Person selbst innerhalb ihres eigenen Lebensverlaufes.

Nichtsdestotrotz lassen sich bestimmte Fähigkeiten ausmachen, bei all denjenigen, die sich auf ihren Weg machen, mit Borderline ein glückliches Leben zu leben: Sensibel, einfühlsam, kreativ, häufig spontan, manchmal sprunghaft und zugleich doch so mancher ausdauernd, sehr mutig, Steh-auf-Qualität und Fähigkeit zur Resilienz (gesunde Widerstandskräfte stärkend). Über all die Momente und Krisen hinaus, in denen alles wackelt. Die Fähigkeit zu großer Freude an kleinen Dingen und die, den Dingen auf den Grund zu gehen. Menschen mit „Auffälligkeiten“ fühlen sich besonders angenommen.

Müsste das nicht ganz neue Forschungs-Fragen und –felder für die Neuro-Biologie eröffnen? Was passiert da mit den Synapsen-Verknüpfungen genau? Wie lässt sich dieses Wissen verantwortungsvoll für Gesundung und Heilung in der Therapie einsetzen?

Und ist nicht Marsha M. Linehan, die Begründerin der DBT, selbst der beste Beweis dafür, dass Heilung und Gesundung möglich sind!? 2011 berichtete die Professorin für Psychologie in einem Interview der New York Times von ihrer eigenen Geschichte als Borderline-Betroffene.[3]Und kann nicht dieses Miteinander-Unterwegs-Sein auch anderen helfen und sie bereichern?! So wie sich alleBeteiligten gegenseitig unterstützen, wenn sie sich im Trialog auf gleicher Augenhöhe füreinander öffnen! Was für ein Geschenk! Nur Mut! Und Danke, Borderline!

Silke Weigang, Beteiligte

Möge jeder Leser achtsam und wertschätzend mit diesen sehr persönlichen Erfahrungsberichten umgehen. Ich danke jedem, dass er mir selbst damit geholfen hat, das Leben an sich (mit und ohne Borderline) besser zu verstehen. Mögen diese Einblicke allen Mut machen, ihren Weg weiter mit Ausdauer zu beschreiten.


[1]Egal welche grammatikalische Form zum Einsatz kommt, immer sind Menschen in gleicher Wertigkeit gemeint (Frauen, Männer, Trans…)

[2]DBT = Dialektisch-Behaviorale Therapie (auch dialektische Verhaltenstherapie)

[3]Expert on Mental Illness Reveals Her Own Fight: https://www.nytimes.com/2011/06/23/health/23lives.htmlhttp://archive.nytimes.com/www.nytimes.com/2011/06/23/health/23lives.html