Sonne, Schnee & Resilienz

Hallo Resilienz!

Lesezeit: 8 minuten

Hallo Resilienz!

Ein Beitrag, auf den ich mich sehr freue. In dem ich mit Euch teile, wie ich ein Etwas namens Resilienz in meinem Leben entdeckte. Und in dem es eine lange überfälliges Update gibt, was 2020 eigentlich so mit mir, mit uns, gemacht hat.


Zum ersten Punkt, warum ich mich auf diesen Beitrag freue: Weil ich mir endlich mal wieder Zeit nehme. Zeit zum Schreiben, Zeit, meine Gedanken zu sortieren und mich Euch zu teilen. Wie oft, wie lange habe ich mir jetzt schon vorgenommen, auf meine diversen ToDo-Listen geschrieben „Blogpost“. Und immer kam etwas dazwischen, war etwas dringender, brannte etwas noch mehr.

Und das, obwohl ich doch weiß, wir gut es mir tut, schreibend mein Leben, meine Gedanken, die Welt zu sortieren. Dabei gab es in den letzten Monaten wahrlich genug zu Sortieren. Und auch obwohl diesem Blog eigentlich so viel mehr Zeit und Aufmerksamkeit gehören sollte. Wo doch hier, auf diesen Seiten, vor mittlerweile mehr als fünf Jahren, alles angefangen hat. Meine Recovery, meine Reise. Die Reise, die heute zu einem Sozialunternehmen, zu einer ganzen Crowd herangewachsen ist.

Und genau darum, dass ich mir und Euch jetzt endlich wieder diese Zeit gebe, sie mir nehme – darüber und darauf freue ich mich.

Danke, 2020!

Nein, das meine ich nicht ironisch. Und ja, 2020 war schwer. War hart, war anstrengend, war herausfordernd, war anders als erwartet. Aber es gab sie auch, die guten Dinge.

Anfangen werde ich trotzdem mit dem nicht so schönen. Mit dem Überlebenskampf, den wir als Unternehmen seit März 2020 führen. Weil wir nach unserer Gründung der Mental Health Crowd GmbH und der Eröffnung des BERG & MENTAL 2019 wohl mit allem gerechnet haben, aber nicht damit, dass uns schon kurze Zeit später eine weltweite Pandemie fest in ihren Griff nehmen würde.

Beruflich befinde ich mich also seit Monaten im Krisenmodus. Jeden Monat müssen wir wieder bangen, ob wir es schaffen. Immer wieder lassen wir uns neue Dinge einfallen, um dann doch an den nächsten Auflagen zu scheitern. Arbeiten noch mehr, noch härter als davor – um am Ende immer noch mit Angst und Sorgen dazu stehen.

Und das, obwohl wir gleichzeitig merken, wie wichtig unser Thema, unsere Arbeit jetzt gerade sind. Wo wir an allen Ecken und Enden sehen, wie Leute mit der Situation kämpfen – nicht nur körperlich. Wie auch bei ihnen Ängste und Sorgen präsent sind. Wie in Fernsehstudios und Zeitungsartikeln auf einmal mentale Gesundheit mit in den Fokus rückt. Wo wir Nachrichten und Anfragen bekommen mit der Bitte um Ratschläge, Dankbarkeit für unsere weiter laufenden Angebote.

Aber wir können nur mit zusammen gebundenen Beinen laufen. Denn an erster Stelle steht gerade ein Thema, das uns doch eigentlich so furchtbar unwichtig ist: Geld.

The bigger picture…

Und das ist aber dann auch immer wieder der Punkt, an dem ich merke, wie gut es uns eigentlich geht. Wenn Geld unsere größte Sorge ist, dann muss ansonsten ganz schön viel stimmen in unserem Leben.

Und ja, ich bin verflucht dankbar in einem stabilen Land, mit einer stabilen und docher eher als fähig zu bezeichnenden Regierung zu leben. Einem Land, in dem das Gesundheitssystem gut aufgestellt ist, in dem einen der Sozialstaat verhältnismäßig weich fallen lässt. In dem ich ein Dach über dem Kopf habe, gesund bin, nicht frieren muss, es Leitungswasser gibt, ich Kleidung zum Anziehen habe, es keinen Krieg gibt, ich nicht auf der Flucht bin, … .

Ja, die Situation ist schwierig, belastet mich sehr – wenn ich eine Wahl hätte, dann sähe sie bestimmt nicht so aus. So lange mein Worst-Case-Szenario (und das haben wir in den letzten Monaten diverse Male durchgespielt), dank Familie und Freunden, dank Sozialstaat und Frieden, quasi nichts am vorangegangen Absatz verändert, so lange darf ich mich weiterhin glücklich schätzen.

Und ja, auch 2020 hatte schöne Momente, kleine Lichtblicke und Highlights: mit dem VW-Bus eines Freundes in den Bergen übernachten zu dürfen; Sonnenuntergänge, die unsere Wohnung in atemberaubend schönes Licht tauchen; seltene und wertvolle Umarmungen (manche mit umgedrehter Jacke und Kapuze über dem Gesicht); unerwartete Briefe und Postkarten mit warmen Worten; das erste Mal in kurzer Hose Fahrrad fahren; morgens durch den fast leeren Englischen Garten laufen; eine Rote-Panda-Handpuppe geschenkt bekommen; schöne Gespräche mit lieben Menschen; leckeres Essen und alkoholfreier Sekt; spannende Bücher und gute Filme, …

… und die andere Seite der Gefühle

Das alles heißt nicht, dass sie nicht auch da sind: die Momente, in denen ich vor Wut und Ungerechtigkeit toben und schreiben möchte. In denen die Sorgen und Ängste so groß werden, dass ich fast unter Ihnen begraben werde. In denen ich verzweifelt mit anschauen muss, wie Staatsgelder in Richtungen fließen, die ich nicht verstehe während Unternehmen wie unseres, die das Land nachhaltig verändern und verbessern wollen, im Regen stehen bleiben; wie Menschen auf der Straße keinen Abstand halten und durch Ihr Verhalten nicht nur Menschenleben in Gefahr sondern auch Existenzen wie meine weiterhin bedrohen.

Und all das darf sein, ist gut. Nur weil ich in einer privilegierten Lage bin, darf ich trotzdem all diese Gedanken und Gefühle haben (mehr dazu auch im Post Mental Health & Corona).

Immer wieder wird uns dieser Tage gesagt, wie toll es ist, dass wir weiter machen, weiter kämpfen, nicht aufgeben. Diese Option ist in unseren Köpfen irgendwie trotz aller Tiefs nie aufgekommen. Selbst im Fall, dass wir das BERG & MENTAL nicht halten können (was leider immer wahrscheinlicher wird, daher auch unser 3. Crowdfunding „Mental Health ist systemrelevant“), selbst dann wäre das ja nicht das Ende unseres Sozialunternehmens, unserer Arbeit – meiner Mission, die inzwischen auch die Mission anderer Menschen geworden ist.

Was macht die Crowd?

Im ersten Lockdown – wir wussten ja alle damals noch nicht, was auf uns zukommen würde – war der Schock groß. Die Energie aber auch noch, weil wir – wie vermutlich viele von Euch – dachten „Das ist nur von kurzer Dauer!“ So haben wir nicht nur unser Programm auf Online umgestellt, den Shop auf der Website ausgebaut – und natürlich auch das restliche Jahr vorbereitet geplant.

Aus vielen dieser Pläne wurde nichts – die reingesteckte Arbeit war umsonst. Die wenigen Wochen, die das BERG & MENTAL seit seiner Eröffnung wirklich geöffnet war (mal abgesehen von den ersten drei Monaten, die einfach nur überwältigend waren), waren so ganz anders, als wir es uns vorgestellt hatten. Und das tut wohl auch am meisten weh: diesen Ort so leblos zu sehen. Dezember 2019, Januar und Februar 2020 konnte er zeigen, was er alles kann. Was ein Ort verändern kann. Um danach wieder monatelang einfach nur ein Raum zu sein. Das schmerzt, nicht nur ob des vielen Herzbluts, das so viele Menschen dort hineingesteckt haben.

Wie wir uns bisher über Wasser gehalten haben? Nun, die Zeit seit unserer Gründung war definitiv zu kurz, um irgendwelche Rücklagen bilden zu können. Die erste Runde Soforthilfe haben wir noch bekommen, danach sind wir bisher durch die Raster aller staatlichen Hilfsprogramme gefallen. Mal gibt es uns zu kurz, mal ist unser Konzept das Problem (obwohl es ja eigentlich die Lösung ist). So haben uns weitere Privatkredite, unser Lockdown-Nummer-1-Crowdfunding, zahlreiche Minuten-Supporte, Einkäufe im Online Shop, Raum-Vermietungen und auch die vielen Online-Vorträge und Workshops über Wasser gehalten.

Und im Zuge eines dieser Workshops war es dann auch, dass mir bewusst geworden ist: dass ich bisher so „gut“ durch die Krise gekommen bin, liegt an meiner Resilienz (und gleiches gilt für unser Unternehmen).

Überraschung: Eine Ladung Resilienz

Die Workshops reichten von Unternehmen bis zu Bundesfreiwilligendienstlern, von Studenten bis zu politischen Organisationen, von Lesung zu Online-Panel-Diskussion mit Teilnehmern aus ganz Europa. Und ja, diese Arbeit macht enorm Spaß, wäre in echt und offline, von Angesicht zu Angesicht noch schöner gewesen. Vor allem hat sie uns aber – mit – über Wasser gehalten.

An den Anfragen haben wir gemerkt, was Corona auch mit den Köpfen der Leute macht. Die Bandbreite reichte von „Mental Health FAQ“ zu Erfahrungsberichten hin zu „Wie bleibe ich mental gesund?“ und noch vieles anderes. Und auch wenn ich mich auf jeden Workshop ausführlich vorbereite, Präsentationen erstelle, mir Abläufe überlege – selten sind die Themen für mich neu sondern ich darf bereits vorhandenes Wissen weitergeben.

Auch über Resilienz weiß ich eigentlich Bescheid. Das ist eben unsere psychische Widerstandskraft, es gibt verschiedene Faktoren, die zu ihr beitragen… nichts neues für mich. Und doch: als ich mich für einen Workshop etwas näher mit dem Thema beschäftige war es, als würde mir ein Licht aufgehen. Ich ging die einzelnen Faktoren (auch Säulen genannt) durch – und fand mich in jeder von ihnen wieder. Und nicht nur mich, sondern auch unser Sozialunternehmen.

Von außen mag das vielleicht seltsam aussehen „Na klar bist Du resilient, Dominique, ist doch offensichtlich!“ Aber mir ist wirklich erst im Dezember 2020 klar geworden, dass ich es bin, dass ich es bleiben möchte und dass sich jeder Schritt auf dem Weg hierhin gelohnt hat.

Hallo 2021!

Und mit so einer Erkenntnis ins neue Jahr zu starten, ist natürlich eine ganz schön schöne Sache. Ich kann keine Rechnungen mit Ihr zahlen oder die Pandemie beenden, aber ich kann darauf vertrauen, dass diese Fähigkeiten mir auch in den kommenden Monaten helfen werden.

Wie gerne würde ich, würden wir als Mental Health Crowd, würden wohl viele von Euch einfach mal planen können, Sicherheit haben, wie es weitergeht. Ist aber leider noch nicht in Sicht, ein Ende des Ausnahmezustandes.

Ich weiß, dass ich noch länger mit einem Akku leben muss, der mir keine 100% Leistung erlaubt. Denn auch ohne Corona wäre 2020 für uns eine Challenge gewesen. Und auch 2019 war für uns ein eher anstrengendes Jahr (1. Crowdfunding, Eröffnung BERG & MENTAL samt Umbau, …). Was bedeutet, ich gehe nun ins dritte Jahr unter sehr anspruchsvollen, kraft raubenden Bedingungen. Ohne Urlaub, ohne Auszeit.

Mit der Gründung des Unternehmens, und auch schon davor mit der Entscheidung für die Selbstständigkeit, habe ich mich für viel Arbeit entschieden. Das ist auch ok. Ich konnte nur nicht ahnen, dass eine solch enorme Krise zusätzlich über Monate hinweg meine Akkus leer saugen würde.

An Urlaub oder einen Auszeit ist auch weiterhin nicht zu denken. Mal ein oder zwei (oder an Weihnachten auch mal drei) freie Tage, mal ein Ausflug in die Berge – das muss derzeit reichen. Und das tut es auch, solange ich keine 100% von mir verlange. Denn das wäre nach den hinter mir liegenden Monaten nicht nur unrealistisch, sondern ungerecht.

Und so werden mir auch 2021 die Dinge helfen, die mir bisher geholfen haben: Meine Struktur, meine Routinen. Auf meinen Körper zu achten, genug zu schlafen, mich zu bewegen und (meistens) gesund zu ernähren. Auf meinen Kopf zu achten, in dem ich Gedanken und Gefühle nicht wegschiebe, sondern teile. In dem ich meditiere, achtsam bin und mir Pausen gönne.

Was kommt?

Und eine Sache, die mir geholfen hat und die mir wohl weiterhin helfen wird, ist unser neues Baby, der MENTAL HEALTH GUIDE.

Es ist ein Corona-Lockdown-Baby, das geben wir offen zu. Entstanden in der Zeit, als klar war, dass die offline-Welt lange nicht wieder so sein würde, wie wir es mal gewohnt waren (mit einem geöffneten BERG & MENTAL, mit Umarmungen, Workshops und Vorträgen, bei denen mehr als fünf Menschen in einem Raum sitzen dürfen). Und in der auch klar wurde – zumindest uns – dass dieser Virus uns nicht nur körperlich, sondern auch mental zusetzen würde.

So habe ich im Frühjahr 2020 endlich angefangen, Lasses schon länger bestehenden Traum eines Online-Kurses mit zu träumen. Das ging aber erst, sobald ein Konzept stand, hinter dem ich voll und ganz stehen kann. Ich wollte nicht den x-ten „Finde Dich selbst“ oder „Stressmanagement“-Kurs ins Internet werfen. Sondern etwas erschaffen, dass es so noch nicht gab, von dem ich aber überzeugt bin, dass es mein Leben verändern hätte können – und hoffentlich vielen Menschen helfen wird.

In vielen Monaten Arbeit entsteht seither unser MENTAL HEALTH GUIDE – Der Grundkurs für mentale Fitness. In 12 Modulen geht es um all die Dinge, die beeinflussen, wie es uns mental geht. Im Grunde ist es Wissen, dass ich gerne in der Schule gelernt hätte: Wie gehe ich mit Gefühlen um? Wie beeinflussen sich körperliche und mentale Gesundheit? Wie verhalte ich mich in Konflikten? Kann ich meine mentale Fitness trainieren – und wenn ja, wie? Was passiert, wenn ich mich nicht um sie kümmere?

Dieser Tage gehen die ersten Module online. Im Verlauf des Frühjahrs die verbleibenden. Damit bin ich gut beschäftigt. Und auch das gibt mir Halt. Und Hoffnung. Der Guide ist eine Möglichkeit, nach vorne zu schauen und zu arbeiten – und nicht nur zu sehen, was gerade alles im Moment nicht geht.

Resilienz, die 2021te?

Bei aller Unsicherheit gibt es hier also eine Sache, an der ich mich zumindest für einige Wochen noch festhalten kann. Was danach passiert, was 2021 noch so bringen wird – wer weiß das schon?

Wenn 2020 uns gezeigt hat, wie wichtig Achtsamkeit ist, die Fähigkeit, einfach im Hier & Jetzt zu sein und sich nicht in unsicheren Zukunftsszenarien zu verheddern, dann gibt es das hoffentlich an 2021 weiter.

Und ich weiß, 2020, Du musstest Dir viele Beschimpfungen anhören. Musstest viel über Dich ergehen lassen. Dabei kannst Du nichts dafür (wenn, dann können wir Menschen uns an die eigenen Nase fassen, denn wenn wir aus Dir nichts lernen wird das bestimmt nicht die letzte Pandemie Ihrer Art gewesen sein).

Ich möchte mich aber auch bei Dir bedanken. Für die vielen kleinen und großen Highlights. Dafür, dass Du mir meine Resilienz gezeigt hast. Für den Support, den wir aus unserer Crowd, unserem Umfeld, von Freunden und Familien bekommen. Danke für den Reset-Knopf, den viele Menschen auch dazu genutzt haben, Dinge zu überdenken oder Schritte zu gehen, die sie ohne Dich vielleicht nicht gegangen wären. Danke, dass Du Verhältnisse und Missstände ans Licht gerückt hast. Dass Du uns dabei helfen wolltest zu zeigen, was wirlklich wichtig ist. Ich weiß nicht, ob alle da draußen es nun verstanden haben, hoffe aber sehr, dass ein wenig was davon hängen bleibt. Danke, 2020!

Und Hallo, 2021! Ich bin sehr gespannt, mit was Du uns überraschen wirst. Ich freue mich auf die kleinen und großen Highlights, die Du für uns bereit halten wirst und wünsche Dir von Herzen, dass den Menschen der Abschied von die schwerer fallen wird als von Deinem Vorgänger. Dass Du zum Abschied mit Lob und Liebe überschüttet werden wirst – auch wenn Du vielleicht nicht ganz so viele Lektionen im Gepäck gehabt hast. Ich und meine Resilienz, wir freuen uns auf Dich!