BPD Symptome erklärt | N°6

Lesezeit: 9 minuten

Eine Fahrt durch die komplette Gefühlswelt, bitte. Ich hab aber nur fünf Minuten.

BPD Symptome erklärt | N°6

In der Reihe BPD Symptome erklärt möchte ich euch nach und nach anhand der „offiziellen Kriterien“ des DSM die Symptome der Borderline Persönlichkeitsstörung vorstellen. Wie bei allen Beiträgen auf meiner Seite gilt: hier geht es um meine Welt, um meine Erfahrungen, um meine Ansichten. Heute also geht es zu Kriterium N°6:

Instabile Gefühlswelt (affektive Instabilität) mit einem extremen Gefühlserleben und plötzlichen, oftmals heftigen Stimmungsschwankungen, die bereits durch kleinste Ereignisse ausgelöst werden können.

Die Emotionen fahren Achterbahn. Von Lebensfreude Pur geht es rasant weiter zu Wutausbruch Deluxe. Für mich persönlich das Borderline-Symptom, das den Alltag am anstrengendsten macht. Und auch für die Umwelt nicht nur Spaß bedeutet.


Ich finde keinen Anfang. Wie soll ich euch beschreiben, wie sich das Leben für mich anfühlt? Denn das ist meiner Meinung nach das, was ihr in diesem Artikel lesen könnt: Wie sich mein Alltag anfühlt. Dieser Teil von Borderline ist sehr raumgreifend und kräftezehrend. Und fester Bestandteil meinem Lebens. Stimmungsschwankungen und Anspannung – das sind wohl meine zwei größten Gegner. Nein, nennen wir sie nicht Gegner – sondern Herausforderungen.

Gefühle übernehmen die Kontrolle

Dieses Symptom ist das Herz meiner Borderline Persönlichkeitsstörung. Könnte man sagen. Wenn ihr mich fragt „Wie fühlt sich Borderline an?“, dann werde ich wohl sehr viel über dieses Symptom reden. Denn es nervt. Und es ist anstrengend. Und es begleitet mich jeden Tag.

Es passiert von einer Sekunde auf die andere: ich bin entspannt und guter Dinge. Dann: eine Kleinigkeit, eine Gedanke, ein Bild, ein Wort – und ich werde zur wütenden Furie und fauche mein Gegenüber an. Oder anders: ich bin ausgelassen und fröhlich – und in der nächsten Sekunde zu Tode betrübt, könnte heulen und möchte mich verkriechen.

Wie es dann weiter geht, ist ganz verschieden. Entweder, ich kehre zur Ausgangslaune zurück und nach zwei Minuten ist alles vorbei. Oder der kurze Ausreißer übernimmt die Kontrolle und es bleibt so. Das Ganze passiert nicht nur in die negativ Richtung. Genau so kann es anders rum passieren. Dass ich wegen irgendetwas traurig oder bedrückt bin und durch eine Kleinigkeit scheint plötzlich wieder die Sonne in meinem Gehirn.

Auch wenn der April heute nicht mehr das ist, was er mal war, so kann man sich das Innere meines Kopfes vielleicht trotzdem ein wenig ähnlich vorstellen: der April macht was er will. Genau so meine Emotionen. Auf Regen folgt Sonnenschein folgt Gewitter folgt Sonne folgt Sturm folgt Schnee folgt Sonne folgt Nebel. Und wie die Meteorologen bin auch ich völlig ahnungslos, was passieren wird.

Wie oft das denn passiert? Darauf gibt es keine wirkliche Antwort. Ganz selten gibt es einen kompletten Tag ohne. Wenn ich mal so drüber nachdenke, dann komme ich durchschnittlich auf einen heftigen Wechsel pro Stunde, die ich wach bin. Durchschnittlich. Das kann also bedeuten, dass es drei Stunden ohne und dann eine Stunde mit drei Loopings gibt.

Wie sieht das für die Umwelt aus?

Wie bei den meisten Dingen, die mit Borderline zu tun haben, bekommt Arvid die größte Portion von der ganzen Geschichte ab. Und meistens ist es irgendeine Art von Wut. Wenn er mal wieder nicht schnell genug schaltet, denkt, tippt, entscheidet, fährt oder spricht – kann ich aus der Haut fahren. Das heißt nicht, dass Arvid besonders langsam wäre. Sondern mein Kopf fährt einfach meistens auf der Überholspur im Schnellzug. Mein Körper hat sich daran gewöhnt und hält einfach mit. Und ein langsamerer Kopf stellt in diesem Vergleich eine Schranke dar, die nicht schnell genug hoch geht. Oder ein Signal, welches nicht schnell genug umschaltet. Und wegen dem der Zug dann bremsen muss. Was er gar nicht gerne tut. Überhaupt nicht gerne.

Dass ein „normaler“ Kopf und Körper mit diesem Tempo nicht mithalten können, ist niemandes Schuld. Sondern einfach Tatsache. Mein System versucht das Problem zu lösen, indem es Dampf ablässt. Mich einmal rumtoben lässt. Und meine Wut jedes Hindernis aus dem Weg rammt. So dass der Zug wieder Fahrt aufnehmen kann. Wie ich inzwischen gelernt habe, ist diese Wut oft nur Folgegefühl. Und da sie so eine zentrale Rolle in der ganzen Borderline-Thematik einnimmt, ist sie sogar ein eigenes Symptom. Dazu gibt es also einen eigenen Artikel.

Besonders zu spüren bekommt Arvid also die Fälle, in denen die Wut oder einer ihrer nahen Verwandten das Ruder übernimmt. Und meistens auf Grund von Ungeduld. Darüber hinaus kann und will ich aber auch nicht verstecken, wenn Freude, Glückseligkeit und Euphorie oben auf der Leiter Platz genommen haben. Auch das kann anstrengend sein. Vor allem, wenn es aus dem Nichts kommt. Dann springe, hüpfe, gluckse und singe ich gerne mal, was das Zeug hält. Und möchte meistens auch eine schöne Portion Aufmerksamkeit dafür.

Gut, wenn Arvid gerade Lust und Zeit dafür hat. Schlecht, wenn er gerade beschäftigt ist oder keine Lust drauf hat. Die Lust kann ich manchmal besiegen, denn ich kann dann so ansteckend happy sein, dass er nicht lange widerstehen kann. Wenn er aber zum Beispiel am Rechner sitzt und arbeitet und für meine Spirenzchen keine Zeit hat, dann sieht die Sache schon wieder anders aus. Dann kann aus der Fröhlichkeit ganz schnell wieder Wut werden. Ihr seht, ein Teufelskreis.

Wenn mich Trauer oder Niedergeschlagenheit zu Boden ziehen, dann sieht man das schon weniger. Oder weniger deutlich. Wer mich genau beobachtet und ein gutes Gespür dafür hat, dem wird vielleicht auffallen, dass ich ruhiger oder verschlossener werde. Hier tauchen dann auch gerne fiese Gedanken auf, die sonst nur aus ihrem Versteck kommen, wenn die Depression gerade zu Besuch ist.

Das Verhältnis zur Anspannung

Wenn mein extremes Gefühlserleben das Herz meiner Borderline Personality Disorder ist, dann ist die Anspannung der Blutdruck. Beides hängt zusammen. Und beeinflusst sich gegenseitig.

Wie beim Körper gilt: den Blutdruck kann ich beeinflussen. Ihn durch gesundes Verhalten senken. Durch Selbstfürsorge. In meinem Falle also genug Sport und Bewegung, gesundes Essen und nicht zu viel Alkohol, Meditation und Achtsamkeit. Und indem ich mir genug Zeit für mich selbst und für all diese Dinge nehme. So schaffe ich es, dass die Anspannung generell niedriger ist.

Außer über den Blutdruck habe ich auf das Herz dagegen kaum Einfluss. Ich kann ihm nicht sagen „Klopf langsamer!“ oder „Schlag weniger fest!„. Das macht dieses Teil der Krankheit auch so ermüdend. Es gibt einfach kaum etwas, was ich dagegen tun kann. Seit ich meditiere und mehr auf mich achte, ist es definitv schon besser geworden. Aber ich fahre immer noch jeden Tag sehr viele unfreiwillige Runden auf der Gefühlsachterbahn.

Wenn der Blutdruck besonders hoch ist, dann schlägt das Herz auch schneller, kräftiger und wilder. Wenn die Anspannung besonders hoch ist, dann sind die Stimmungsschwankungen häufiger, kräftiger und wilder. Tabletten zum Senken des Blutdrucks gibt es schon. Wie wäre es, mit einer Tablette gegen zu hohe Anspannung? Jemand? Medizin-Nobelpreis?

Andersrum funktioniert das Spiel aber auch: viele wilde Herzschläge können die Anspannung nach oben steigen lassen. Die durch die heftigen Wechsel ausgelösten Gefühlsbrocken aus Scham, Hilflosigkeit und Selbsthass schwimmen durchs System, bis sie abtransportiert werden. Vom Blut. Oder Selbstfürsorge.

Opfer des Systems Borderline

Ich bezeichne mich nicht gerne als Opfer. Nicht als Opfer der Umstände. Nicht als Opfer einer Krankheit. Und schon gar nicht als Opfer meiner Persönlichkeitsstörung. Aber bei dieser ganzen affektiven Instabilität fühlt es sich manchmal doch gehörig danach an.

Erstens gibt es wie gesagt wenig, was ich aktiv dagegen tun kann. Im Gegensatz zu manch anderem Symptom. Und zweitens ist da noch das beschissene Gefühl, wenn man mal wieder seine liebsten Menschen ohne Grund angepöbelt, angeschrien oder beschimpft hat. Einfach nicht schön. Jedes Mal wieder, wenn es passiert, fühle ich mich danach beschämt. Und irgendwie auch hilflos.

Denn es ist ja nicht so, als würde die Achterbahn an mir vorbei fahren und ich ihr zuschauen. Ich sitze drin. Und bekomme alles mit. Bei vollem Bewusstsein. Manchmal ist es wirklich wie im Kino. Ich sehe mich von außen, wie ich in der Bahn sitze und herum katapuliert werde. Aber ich kann nichts machen. Kein Schalter zum Stoppen. Keine Taste zum Zurückspulen. Erst wenn die Achterbahn wieder am Einstieg angekommen ist, kann ich einschreiten. Oder besser: mich schlecht fühlen. Oder entschuldigen. Oder schämen.

Stell dir vor, du sitzt mit deinem Schatz gemütlich beim Essen. Welches super lecker ist. Das Restaurant ist nett. Die Getränke schmecken. Alles ist wunderbar. Und dann, nur wegen einem falschen Wort fährst du plötzlich an die Decke und haust deinem Liebling einen Satz wie „Gott, du bist so unfassbar dumm!“ um dir Ohren. Der Aggressions-Zug ist meistens schnell weitergefahren. Zurück bleibt ein Bahnsteig voller Selbsthass und Scham. Und da musst du dich dann wieder herausmanövrieren. Und kommst dir nur noch bescheuerter vor. Und kannst nicht glauben, dass dein Gegenüber immer noch da ist. Danke, Arvid!

Was hilft?

Wie schon angekündigt: nicht viel. Außer die Anspannung generell niedrig zu halten. Und zu lernen, den Kopf und die Gedanken ein bisschen besser unter Kontrolle zu haben. Deswegen zahlt sich meine ganze Arbeit und Mühe mit Meditation und Achtsamkeit hier definitiv aus. In den letzten Monaten ist es auf schon um einiges besser geworden. Ein paar Mal ist es mir sogar schon gelungen, einen Ausbruch zu verhindern.

Und zwar indem ich tief durchatme. Und mir sage, dass es eigentlich keinen Grund gibt, jetzt auszuflippen. Indem meine Ratio die Kontrolle übernimmt und der restlichen Truppe in meinem Kopf erklärt, dass es jetzt echt keinen Sinn machen würde, rumzuschreien / loszuheulen / aufzuspringen oder was auch immer. Und darüber hinaus vollkommen klar ist, dass ich mich danach mit hoher Wahrscheinlichkeit nur schlecht fühlen werde.

Und es hilft, sich mitzuteilen. Darüber zu reden. Ob mit dem Partner oder mit Freunden. Um sie über die ganze Sache aufzuklären. Damit sie Bescheid wissen. Sich nicht erschrecken, schockiert sind oder zurück brüllen, wenn dein Emotionszug vor ihnen entgleist. Ist auch irgendwie nur fair, sie nicht ins offene Messer laufen zu lassen.

Und versuche auch in Momenten, in denen die Achterbahn mit dir durchgeht, zu kommunizieren. Vor allem wenn das Gefühl in Richtung Traurigkeit geht (s. nächster Absatz). Das macht diesen Prozess für die Aussenwelt nachvollziehbarer. Wenn auch immer noch schwer zu verstehen, aber so holst du deine Angehörigen mit ins Boot.

Und hier noch mein Joker: Ablenkung. Auch ein Skill. Wenn die Bilder und Gefühle zu groß werden, dann spiel ein dummes Handyspiel. Ließ eine Illustrierte. Mach ein Hirn Flick-Flack. Schau dir Katzenvideos auf YouTube an (oder dieses kleine Video – einer meiner absoluten Top-Skills. Ein klein bisschen versaut, aber unfassbar lustig. Wer nicht lachen muss, dem kann ich nicht mehr helfen). Keine kognitiven Herausforderungen. Nur etwas, um erstmal wieder schnell am Einstieg anzukommen.

Was kann ich als Angehöriger tun?

Kurz und knapp: Reden, akzeptieren, genießen. Denn es kommt sehr auf die Emotion an, die gerade das Steuer an sich gerissen hat. Hauptsächlich sind das (bei mir) Kummer, Wut und Freude.

Wenn die Achterbahn in ein Trauertal fährt, dann zeige vor allem, dass du da bist. Und den Betroffenen nicht sofort im Stich lässt, nur weil er jetzt kein Sonnenschein mehr ist.

Versuche vielleicht, ein Gespräch über die Ursache in Gang zu bringen. Um mal ein Beispiel zu nennen: mir gehen Obdachlose, einsame (bzw. einsam aussehende) oder hilfsbedürftige (bzw. hilfsbedürftig aussehende) Menschen, die ich auf der Straße oder sonst wo sehe, immer sehr nahe. In meinem Kopf entspannt sich dann sofort eine komplette Geschichte. Ich sehe Bilder von ihnen, wie sie nachts bei Regen auf der Straße sitzen und Hunger leiden. Oder an Weihnachten alleine vor ihrem kargen Esstisch sitzen. Oder vor Schwäche die Packung Milch nicht mehr aufbekommen. Oder, oder, oder. Um nur mal drei von unzähligen Varianten zu nennen. So was macht mein Kopf nur allzu gerne aus einem objektiv unwichtigen, äußeren Reiz.

Das alles passiert in Sekundenschnelle. Ich fühle mich erdrückt von Schmerz, Mitleid, Hilflosigkeit und Wut. Wenn ich diese Gedanken- und Bilderflut nun ausspreche, hilft mir das einerseits, weil sich nicht alles in mir anstaut. Bis die Mauer irgendwann bricht. Außerdem hilft das darüber reden dabei, die Situation wieder etwas näher an die Realität zu holen. Vielleicht gibt es Dinge, die ich übersehe und die meine Emotionen wieder etwas mehr in die Waage bringen können.

Wenn du die volle Ladung Wut abbekommst, dann gilt wie auch schon bei Symptom N°2: versuche, die Ausbrüche nicht persönlich zu nehmen. Das kann extrem schwer sein. Vor allem, wenn du Zielfläche von blindem Hass und Schimpftiraden wirst. Versuche, das dir an den Kopf geknallte nicht in dein Herz und in dein Hirn durchzulassen. Wie bei einem Tourette-Erkrankten könnten uns Dinge herausrutschen, die wir überhaupt nicht so meinen. Und die wir so überhaupt nicht fühlen.

Stell dir einen knallroten Kobold vor (wie der aus dem fantastischen Disney-Film InsideOut), der in unserem Gehirn sitzt und wie wild an den Hebeln zieht und an den Knöpfen drückt, die für unsere Worte verantwortlich sind. Und hoffe mit uns, dass er schnell wieder von der Ratio-Polizei in seinen Käfig gesperrt wird. Dem nicht sehr ausbruchssicheren Käfig. Vielleicht hilft dir dieses Bild dabei, hinter den Verletzungen weiter die Person zu sehen, die du kennst und die dir wichtig ist.

Und wenn du es schaffst, dann lass keine Worte des Vorwurfs über deine Lippen kommen. Mach dir bewusst, dass wir diese Fahrt nicht freiwillig unternehmen. Das ist wieder kein Freibrief, dass du dir alles gefallen lassen musst. Aber ich kann dir immer wieder aufs Neue sagen: sei dir sicher, die Vorwürfe, die wir uns für jedes dich-verletzende Verhalten machen, wiegen größer und schwerer, als alles, was du jemals sagen könntest.

Ich werde dir nicht raten zu versuchen, die Achterbahn von außen zu steuern. Durch einen Witz oder eine Bemerkung. In manchen Fällen mag das vielleicht sogar funktionieren. Aber genau so gut kann ich mir vorstellen, dass die Sache nach hinten losgeht und der kleine Kobold im Kopf dann erst recht los wütet. Da ist aber bestimmt auch jeder Betroffene, jede Emotion und jede Situation anders. Nächste Möglichkeit: warte einfach zwei Minuten. Die Chancen stehen gut, dass sich das Ganze wieder beruhigt hat.

Was du aber durchaus machen darfst, ist den Betroffenen darauf aufmerksam machen, dass die Achterbahn gerade wohl richtig Fahrt aufgenommen zu haben scheint. So ein Pieks von außen kann manchmal auch helfen, schneller wieder am Einstieg anzukommen. Und auch hier der Joker, der sowohl für Betroffene als auch für Angehörige gilt: Ablenkung. Zum Beispiel durch ein lustiges 9Gag Bild oder YouTube-Video.

Und wenn die Fahrt bergauf geht: genieße sie, solange es geht. Hab Spaß, wenn die Freude regiert. Denn hier zeigt sich auch immer wieder, warum die Bekanntschaft mit einem Borderliner auch toll sein kann. So wie wir unsere Wut ungefiltert raushauen, so passiert es auch mit unserer Lebensfreude und dem Spaß, der in so manchem Moment die Gehirnströme kontrolliert.

Und fürchte dich nicht zu sehr, vor der nächsten Talfahrt. Sie wird kommen. Aber auch da kommen wir wieder raus. Und ihr wisst jetzt wieder einen Teil mehr von meinem emotional-instabilen Alltag. Ende gefunden!


So viel Wut

Beim finalen Durchlesen fällt mir auf, dass ich am meisten über Wut rede. Dabei kommen die Ausbrüche nach oben wahrscheinlich genau so häufig vor. Aber: sowohl für mich als auch meine Umwelt stellt plötzliche, übermäßig gute Laune ein weitaus kleineres Problem dar, als ein Wutausbruch und Schimpfwortsalven. Ist nun mal so. Ich fürchte gerade, dem Symptom nicht gerecht zu werden. Und könnte wohl noch 600 weitere Absätze schreiben.

Deswegen hier nochmal mein beliebtesFakt ist„: ich kann meine Emotionen nicht steuern. Und wie im (ich betone es gerne nochmal) wirklich tollen Animationsfilm „Alles steht Kopf“ sind Freude, Kummer und Wut die drei Parteien, die besonders oft die Kontrolle übernehmen. Wer den Film gesehen hat, kann sich jetzt die bunte Truppe auf einer ordentlichen Portion Drogen vorstellen und dann wisst ihr, wie es da oben zu geht.

Und bevor ich nun wirklich kein Ende finde, hier noch ein sehr schönes und passendes Zitat, welches in der Borderline-Literatur gerne herangezogen wird (wahrscheinlich ist es von Marsha Linehan, sicher bin ich mir aber nicht):

„(…) Wenn wir uns vorstellen, dass Pferde Gefühle sind, dann sitzen ‚normale’ Menschen auf einem alten Ackergaul und die ‚Borderliner’ auf einem Araber-Hengst. Er geht schnell durch, ist schwer zu kontrollieren und lässt sich nur langsam wieder bremsen. Reiten müssen alle Menschen lernen, aber die ‚Borderliner’ müssen Spitzenreiter werden (…)“

Bali – 1| Ankunft in Ubud

Lesezeit: 10 minuten

Bali – 1 | Ankunft in Ubud

Warum wir trotz verlorener Kreditkarte, Haus-Such-Stress und Baustelle vorm Fenster ab der 1. Minute mit einem entspannten Lächeln über die Insel gelaufen sind. Und warum mein Bali-Bild vielleicht genau so falsch war, wie euers. Und warum wir vorhaben, hier noch eine Weile zu bleiben.

Zwei Stunden auf dieser traumhaften Insel hat uns die gemeine Fluggesellschaft geklaut. Frechheit! Deswegen konnten wir auch nix sehen. Auf der Fahrt. Weil Nacht. Der Taxifahrer hat uns beide quasi also blind nach Ubud gebracht. Dieses wunderbare Städtchen gilt gemeinhin als das kulturelle Herz der Insel. Hier, fernab der Küste, umgeben von Reisfeldern kann man Bali von seiner grünen und künstlerischen Seite erleben.

Ankommen in Ubud heißt versonnen Lächeln

Mittlerweile auch ersehntes Ziel vieler Touristen hat sich die Stadt einen Charme erhalten können. Heute wird er ergänzt von einem westlich-alternativen Lebensstil. Damit meine ich zahllose Yogastudios, Heiler, vegane Cafés, Bio-Klamotten und ähnliches. Durch die Straßen laufen gleichermaßen Balinesen, asiatische Touristenguppen mit uniformen Reishüten auf ihren blassen Köpfen und eine wahre Heerschaar an Eat-Pray-Love-Damen mittleren Alters. Möge für viele von ihnen die Hoffnung in Erfüllung gehen, durch das Überstreifen eines wallenden, bunten Leinenkleides und dem fleißigen Absolvieren teurer Yogastunden alle verpassten Chancen und gemachten Fehler ihres bisherigen Lebens in die seelige Vergessenheit zu verbannen.

Das erste Frühstück auf Bali (Gott, wie toll es ist, diesen Satz auch nur zu schreiben!!!) Die Baustelle hinterm Zaun seht und hört ihr zum Glück nicht. Punkt 8 fängt der Hammer an zu Schwingen. Ausschlafen ist nich!

Das erste Frühstück auf Bali (Gott, wie toll es ist, diesen Satz auch nur zu schreiben!!!) Die Baustelle hinterm Zaun seht und hört ihr zum Glück nicht. Punkt 8 fängt der Hammer an zu Schwingen. Ausschlafen ist nich!

Vergessen habe ich auch. Und zwar meine Kreditkarte. Im Geldautomaten. Am Flughafen. Festgestellt am nächsten Morgen. Die ersten Stunden hier auf der Insel hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Die Folge waren zahlreiche Besuche der örtlichen Bankfiliale. Und ebenso zahlreiche Telefonate mit verschiedensten Telefonnummer. Alle Mitarbeiter waren äußerst freundlich und überaus hilfsbereit.  Leider konnten sie mir aber wenig helfen. Das lag zum Einen an der doch erschwerten Kommunikation. Englisch ist zwar Weltsprache, aber hier auf der Insel noch lange keine Selbstverständlichkeit. Die Hilflosigkeit hat aber jeder einzelne mit noch einer extra Portion Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft auszugleichen versucht. So kam auf jeden Fall kein Frust auf. Auch die Hilfe unseres einheimischen Fahrers Gusti hat am Ende nichts gebracht. Also habe ich die Karte fast zwei Wochen nach Verlust dann doch sperren lassen. So lange hielt die Hoffnung, dass sie auf verschlungenen Wegen noch zu mir zurück findet. Leider war dies nicht der Fall. Aber man muss ja immer das Positive sehen: wenigstens ist meine Karte nicht in falsche Hände geraten. Keine Abbuchungen vom Konto. Sie hat wohl einfach nur ein frühes Ende in einem balinesischen Geldautomaten gesucht.

Beim Versuch, uns die Stadt zu erlaufen, kam uns das erste Mal der Gedanke, dass zu Fuß gehen hier wirklich gefährlich ist. Sogar deutlich gefährlicher, als sich ohne vorhandene Kenntnisse auf einen Scooter zu setzen. Was wir definitiv ganz bald tun müssen. Bürgersteige gibt es nur vereinzelt. Verkehrsregeln gleich gar nicht. Groß ist die Stadt nicht, aber es gibt so viel zu entdecken. Und sobald man sich von der Hauptstraße wegbewegt, muss man auch nicht mehr um sein Leben fürchten. Sondern ist sofort mitten drin im balinesischen Alltag. Egal, wo man hingeht. Von überall schauen einen entspannt lächelnde Gesichter an. Nach 15 Minuten unterwegs hatten wir uns assimiliert.

Das Nichts-Tun ist hier wahrlich noch süß. Ohne sauer-bitteren Beigeschmack wie bei uns in Deutschland. Kein Kunde da? Was macht der Balinese also? Sitzen. Gucken. Auf dem Handy wischen. Gucken. Mit dem Nachbarn plaudern. Kein aufgesetztes, beschämtes, wiederholtes Wischen über saubere Flächen. Kein verlegenes Ausschauhalten nach etwas zu tun. Wenn’s grad nix gibt, dann gibt’s eben grad nix. Warum nicht locker machen? Sehr beneidenswert.

Die Jagd nach dem Zuhause

Erst die Arbeit – dann das Vergnügen. Also – erst eine Unterkunft für die nächsten Wochen finden, dann weiter Ubud erkunden. Wie schon ein paar Mal geschrieben wollten wir gerne etwas länger an einem Ort bleiben. Wir haben uns erstmal gegen Ubud als Dauerbase entschieden, weil wir beide näher ans Meer wollten. Nach ein wenig Recherche hat sich ziemlich bald die Gegend um Canggu (Tschangu gesprochen) an der Süd(West)Küste der Insel auf den ersten Platz unserer Wunschliste geschoben.

Strandinspektion | Nicht nur das Haus muss gefallen - sondern auch der dazu gehörige Strand. Und das will ordentlichst überprüft werden. Mit Argusaugen!

Strandinspektion | Nicht nur das Haus muss gefallen – sondern auch der dazu gehörige Strand. Und das will ordentlichst überprüft werden. Mit Argusaugen!

Nahe am Meer, viele kleine Läden, aufstrebende Gastroszene – nehmen wir. Also auf airbnb ein paar schmucke Häuser ausgeguckt. Und dann hingefahren. Denn bei so einem langen Zeitraum (und daher auch viel Kohle) wollen wir uns sicher sein. Weil alles andere wenig Sinn macht, haben wir uns für einen Tag einen Fahrer genommen. Von Ubud nach Canggu sind es eigentlich nur 30 km. In Deutschland würde man dafür vielleicht 20 Minuten brauchen. Ok, je nach Verkehr auch mal 30. Hier ist es (mindestens) eine Stunde. Die Straßen. Der Verkehr. Ihr versteht. Aber da wir uns noch nicht satt sehen können an den Straßenszenen und der Natur, die am Autofenster an uns vorbei rauschen, ist das gar nicht so schlimm.

Drei Häuser haben wir uns angeschaut. Eigentlich nur ein paar Straßenzüge auseinander – aber sehr unterschiedlich. Alles „Villen“. Klingt beeindruckend. Heißt aber hier: etwas größeres, und vor allem ziemlich westlich gestyltes Haus. Meistens mit Pool. Aber wir wollen nicht untertreiben: geil waren alle drei. Wir haben dann hauptsächlich nach den Menschen entschieden. Und da fiel die Wahl leicht: im letzten Haus hat uns ein spanischer Sonnenschein namens Elena erwartet. Wellenlänge? Passt! Als sie uns dann noch einen wirklich guten Deal angeboten hat, konnten wir quasi nicht mehr Nein sagen. Umzug in unser neues Domizil: Dienstag, der 24. November. Quasi ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. Und dort werden wir also für vier Wochen bleiben.

Bintag ist wie Tempo. Wer Bier will, meint Bintang. Der Traum eines jeden Marketinexperten, wie der Reiseführer es so schön beschreibt.

Bintag ist wie Tempo. Wer Bier will, meint Bintang. Der Traum eines jeden Marketinexperten, wie der Reiseführer es so schön beschreibt.

Das Ganze hat zwar ein paar Stunden gedauert, aber am Nachmittag blieb trotzdem noch etwas Zeit für Sightseeing. Wenn wir schon mal einen Fahrer haben. Der hieß übrigens Gusti (das Balinesische Äquivalent zu Michael. Oder Stefan.) Inseloriginal und echt gutes Englisch. Doppelglück. Er hat uns während der ganzen Fahrt viel erklärt. Zur Kultur. Zur Religion. Zur Entwicklung der Insel. Als die Haussuche abgehakt war, haben wir also gesagt: „Gusti, zeig und was Schönes!“ Und das hat er dann auch: einen riesigen hinduistischen Tempel, in dem lange die Königsfamilie gewohnt hat. Pura Taman Ayun, lautet der wohlklingende Name. Umgeben von einem breiten Wassergraben und einem riesigen Park hätten wir uns darin verlieren können.

Aber Gusti hat ja gewartet. Arvid und ich haben auf jeden Fall gemerkt, dass wir wirklich froh sind, nicht richtig reich zu sein. Wir kämen einfach nicht damit klar, dass jemand für uns arbeitet. Es war uns so unangenehm, dass Gusti immer am Auto geblieben ist, wenn wir uns die Häuser angesehen haben. Ja, es ist sein Job – aber trotzdem. Wir wollten ihn irgendwie immer nicht warten lassen. Also haben wir den Tempel zwar genossen, aber sind auch zügig wieder zum Auto zurück. Und dann auch nach Ubud.

Abwärts auf dem Fahrrad

Zwischen dem ganzen Herumlaufen in und Entdecken von Ubud haben wir uns auch noch einen richtig klassischen Touri-Tag gegönnt. Fahrrad fahren. Bei den Temperaturen zwar eigentlich der Wahnsinn. Aber es ging mit dem Auto ziemlich weit hoch. Und dann mit dem Fahrrad wieder runter. Wenig Anstrengung also. Dafür viel Fahrtwind. Das geht auch bei 35°.

Abenteuerlustiger Blick? Check! Sicherheitsausrüstung? Check? Bremsen? Ähm, ja....

Abenteuerlustiger Blick? Check! Sicherheitsausrüstung? Check? Bremsen? Ähm, ja….

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mein Bild von Bali war immer ziemlich dominiert von Strand und Meer. Wie falsch ich damit lag. Klar, es gibt viel Strand. Und sehr viel Meer. Und selbst da reicht die Bandbreite vom einsamen Sandstrand über schwarzen Lavasand bis zum überfüllten Partystrand. Aber es gibt noch so viel mehr. Ursprüngliche Dörfer, zahllose Tempel (Bali hat die höchste Tempeldichte der Welt), Kunst in allen Variationen. Dazu Natur in allen Formen und Farben. Grüne Reisterrassen, undurchdringlichen Dschungel, steile Felsküsten und: Berge! Besser: Vulkane. Der höchste ist 3142 Meter hoch. Heißt Agung. Und wir wollen da rauf!

Diese Vielfalt bringt dann also mit sich, dass man von der Küste weg quasi immer nach oben fährt. In höhere Lagen. Ubud zum Beispiel liegt 200 Meter über Meereshöhe. Klingt nicht nach viel. Heißt aber, dass es hier immer ein wenig kühler ist als an der Küste. Und je weiter man in die Inselmitte fährt desto höher wird es. Und desto angenehmer wird das Klima.

Zur Fahrradtour wurden wir morgens in einem Kleinbus vom Hotel abgeholt. Nach dem Einsammeln acht weiterer Teilnehmer ging es dann bergauf. Aber nicht nonstop. Sondern mit tollen Stopps. Zuerst an sattgrünen Reisterrassen, an denen wir uns einfach nicht satt sehen können. Dann an einer Plantage, auf der neben Kaffee auch viele einheimische Früchte und Kräuter angebaut werden. Anfassen, Probieren und Lernen. Und dann am Höhepunkt unserer Tour. Mit Ausblick auf ein tolles Panorama. Auf den Vulkan Batur und seinen Kratersee. Atemberaubend. Wir müssen wirklich bald auf einem von diesen Gipfel stehen.

Ein Weg, Respekt zu zeigen: Schilder respektieren und während (einer der zahlreichen) Zeremonien brav Schieben.

Ein Weg, Respekt zu zeigen: Schilder respektieren und während (einer der zahlreichen) Zeremonien brav Schieben.

Und dann ging es auf die Fahrräder. Spannend. Nicht ganz, was wir von zu Hause gewöhnt sind. Touri-Räder eben. Wir haben mal alle Bedenken bei Seite gelassen und uns nicht gefragt, wann die Bremsklötze das letzte Mal gewechselt wurden. Zum Glück war die Strecke so schön, dass wir bald nicht mehr viel darüber nachgedacht haben. Stone, unser Guide, hat wieder mehrere Stops mit uns gemacht. Unter anderem an einem Insel-typischen Dorf. Dort hat er uns viel zum traditionellen Leben der Balinesen erklärt und wie so eine Dorfgemeinschaft funktioniert. Außerdem haben wir fleißigen Frauen beim Ernten von Reis zuschauen können, bei einer Familie richtig balinesisches Essen und eine kleine Tanzaufführung bekommen.

Alles in allem ein wirklich voller Tag. Und sehr lehrreich. Und nicht anstrengend. Dank Fahrtwind. Aber auch der erste richtige Sonnenbrand. Dank Fahrtwind. Hab einfach nicht gemerkt, wie doll die Sonne brennt. Nun ja. Einer musste ja quasi sein. Ist dann aber auch abgehakt.

Die alte Fluch-Segen-Frage des Tourismus

Es ist schon ein sehr zweischneidiges Schwert. Die Beziehung zwischen Balinesen und Touristen. Einerseits sind sie so freundlich, hilfsbereit und nett. Aber andererseits hat der Tourismus ihr altes Leben über den Haufen geworfen. Sowohl Gusti als auch Stone haben beide eigentlich Kunst gemacht. Der eine hat Bilder gemalt, der andere Figuren geschnitzt. Bis vor ein paar Jahren konnten sie davon auch noch leben. Aber mehr Touristen – mehr Konkurrenz – und die Touristen kaufen keine Kunst mehr. Also blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Kunst sein zu lassen und sich anderweitig mit den Touristen zu beschäftigen. Und deswegen führen sie jetzt Leute über die Insel und kutschieren sie herum – anstatt zu malen. Richtig schön ist das nicht.

Ubuds Gastroszene in einem Bild. Vegan ist hier fast schon langweilig.

Ubuds Gastroszene in einem Bild. Vegan ist hier fast schon langweilig.

Und in Ubud konzentriert sich dieses Problem noch mal auf ganz besondere Weise. Uns wurde erzählt, dass es vor 40 Jahren nicht mal Strom in der Stadt gab. Heute gibt es eine westliche Infrastruktur und alles, was des West-Menschen Herz begehrt. Unser Eindruck ist aber, dass das einfach alles viel zu schnell ging. Die Menschen und die Städte sind einfach nicht mehr mitgenommen, mit der Entwicklung und der Modernisierung.

So kommt es also, dass hier die gegensätzlichsten Lebensweisen aufeinanderprallen. Und zwei Ubuds nebeneinander existieren. Ein bisschen wie in Singapur mit der High-Society und der arbeitenden Bevölkerung. Aber doch wieder ganz anders. Jeder findet, was er braucht. Der Expat seine ATMs, hochmoderne Hotels und Restaurants mit W-Lan und Klimaanlage sowie Supermärkte, Shops und Wäschereien, die seinen Vorstellungen entsprechen. All das gibt es auch für die Einheimischen. Nur sieht das ganz anders aus. Und spielt in einer ganz anderen Preisliga. Jeder findet das, was er braucht und erwartet. Und genau das macht wohl auch einen großen Teil der Anziehungskraft aus.

Wir finden nur Schade, dass es kaum Plätze gibt, an denen sich diese beiden Welten mal mischen. Die meisten Westler wollen sich einfach nicht auf ein lokales Niveau „herablassen“, und die Locals können sich die neue Welt nicht leisten. Also existiert beides parallel schön vor sich hin. Im Moment versuchen wir, durch Kellner, Verkäufer und Menschen wie unsere Fahrer und Guides ein wenig mehr in die Kultur einzutauchen.

Wie gern, wie verflucht gern würde ich die Radiowerbung hier von denen mal hören!

Wie gern, wie verflucht gern würde ich die Radiowerbung hier von denen mal hören!

Manchmal nervt es aber auch einfach nur doppelt, so klar als Tourist erkennbar zu sein. Ständig wird man auf der Straße angesprochen und angehupt. „Yes, Taxi?“- „Transport? Maybe tomorrow?“ „Hello?“ – „Yes, Information?“ – „I give you special price!“ – „Yes, have a Look at my Shop? Yes?“ Yes ist auf jeden Fall das erste Wort, was jedes Kind hier lernt. Gefühlt jedenfalls. Am Anfang denken wir noch „Wir verstehen euch ja, ihr müsst auch eure Familien versorgen.“ Aber wenn man keine zwei Meter in Ruhe laufen kann, dann nimmt das Verständnis irgendwann rapide ab. Leider. Zum Glück ist es bisher nur auf der Hauptstraße Ubuds schlimm. In den Seitengassen ist es ruhiger. Also halten wir uns dort einfach mehr auf. Und gehen besonders gerne in Geschäfte, vor denen wir nicht sofort angesprochen werden.

Doppelt verliebt

Verliebt haben wir uns trotzdem. Sowohl in Ubud, als auch in die Insel. Wir können verstehen, dass so viele Ausländer hier kleben bleiben. Denn trotz aller Veränderung haben die Balinesen sich ihr entspanntes und sonniges Gemüt bewahrt. Trotz aller Probleme hat man nie das Gefühl, unwillkommen zu sein oder zu stören. Wie es in den Köpfen der Menschen aussieht, kann ich natürlich nicht beurteilen.

Weh tut dann nur, wenn man sieht, wie wenig Einfühlungsvermögen so manch Besucher an den Tag legt. Respekt vor Kultur und Tradition? Nicht selbstverständlich. Manieren und Höflichkeit? Zu Hause gelassen. Aber ganz im Urlaubs- und Entspannungsmodus versuchen wir, uns nicht zu sehr über unsere Mit-Touristen zu ärgern. Sondern mit gutem Beispiel voran zu gehen. Das führt auch zu gemeinen Gefühlen wie grenzenloser Traurigkeit angesichts so manchen Strandverkäufers. Oder Mitleid mit Menschen wie Gusti und Stone. Aber lieber das, als blind zu sein für diese Seite der Insel.

Da freut sich aber einer! Umzug geschafft, Hausstrand erobert! Bali, wir lieben dich!

Da freut sich aber einer! Umzug geschafft, Hausstrand erobert! Bali, wir lieben dich!

Und wir schmieden einen Plan. Nämlich, dass wir Bali richtig erkunden wollen. Deswegen wird es nach unserer Zeit im Süden für eine Weile ins grüne Herz der Insel gehen. Und danach weiter an die etwas rauere Ostküste. Bevor es dann auf eine der Nachbarinseln geht. Wahrscheinlich eine der Gilis. Kleine Landtropfen, nahe an Balis Nachbarin Lombok gelegen.

Ihr seht, der Kopf und vor allem mein Gewissen reisen immer mit mir. Und meine Emotionen und Gedanken stehen nicht still. Und ich denke viel darüber nach, wie wir es besser machen können. Oder was wir anders machen können. Um den Balinesen vielleicht auch etwas zurück zu geben. Von all dem, was sie uns mit ihrer Mentalität und ihrer schönen Insel bescheren.

Viertel nach Abreise

Lesezeit: 10 minuten

Viertel nach Abreise

Nicht unglaublich und deswegen erst recht wahr: ein Viertel unserer Reise ist nun um. Schon. Oder eigentlich: erst. Es kommt uns deutlich länger vor.

Lektionen On-The-Go

Reisen macht ja bekanntlich klüger. Und ein bisschen was haben wir schon gelernt auf unserer Reise. Dass Singapur nicht repräsentativ für Asien ist, habe ich schon ganz am Anfang ausführlich ausgeführt. Hier haben wir eher erschrocken festgestellt, wie weit die Globalisierung schon voran geschritten ist. Und uns gleich als nächstes gefragt, wie es wohl in 20 Jahren sein wird.

Abflug | Kurz vorm Start von München nach Singapur. Schaut euch diese Gesichter voller Vorfreude und Erwartung an.

Abflug | Kurz vorm Start von München nach Singapur. Schaut euch diese Gesichter voller Vorfreude und Erwartung an.

Aber auch darüber hinaus haben wir schon so einiges lehrreiches am Wegrand unserer Reise aufgesammelt. Zum Beispiel: Ja, je nachdem wo wir hingehen, sind wir weißen Langnasen etwas besonderes. Das zeigen uns viele neugiereigen Augenpaaren und Begegnungen wie mit den beiden Töchtern von Riez’s Freund. Und der Besuch eines Seetempels vor ein paar Tagen: aus dem Nichts spricht mich eine Gruppe von circa 10 bekopftuchten Mädchen an. Vielleicht so 12 Jahre alt im Durchschnitt. Ob sie Bitte, Bitte, Bitte ein Foto mit mir haben können. So süß. Und natürlich gerne. Fünf verschiedne Smartphones werden gezückt. Allgemein nervöse und freudige Aufgedrehtheit bei den Mädels. Und ich mitten drin. Und jetzt auf vielen Facebook-Profilen, wahrscheinlich.

Auch habe ich mir vorgenommen, mich nie wieder über Touristen zu amüsieren, die in Deutschland bei etwas nicht weiterwissen, was für mich selbstverständlich ist. Nicht dass dies bisher einer meiner Haupt- und Lieblings-Zeitvertreibe war. Aber ab und zu erwischt man sich doch schon mal dabei, wie die ratlose Gruppe Asiaten vor dem Fahrkartenschaltern einem ein Lächeln auf die Lippen treibt. Ich bin mir sicher, viele dieser Menschen konnten sich während der letzten vier Wochen schon an mir Rächen.

Wie oft haben wir doof geguckt, doofe Fragen gestellt und uns doof angestellt. Oder uns über Sachen amüsiert, die hier selbstverständlich sind. Ob Ticketschalter, Währung, Supermarktkasse, Speisekarte, Bahnsteige, Verkehrsschilder, Pflanzen, Busse, Tiere, Sprache, Religion, Toiletten oder Angewohnheiten der Einheimischen – wir laufen wieder mit Kinderaugen durch die Welt. Entdecken alltägliches neu, werden überrascht und fragen uns auch manchmal, wie es zu dem ein oder anderen Unterschied gekommen ist. Es ist schön, auf Reisen zu sein.

Lektionen in Demut

Wenn ein Geldautomat da ist – nutze ihn! Wer weiß, wann dich der nächste mit seiner Anwesenheit überrascht und mit seiner Funktionsfähigkeit verwöhnt. Hier gilt wirklich noch: nur bares ist wahres. Also immer VORHER in den Geldbeutel gucken. Und nicht erst, wenn man am Ticketschalter ohne Visa-Symbol steht und der Taxifahrer schon lange umgekehrt ist.

Du bist Tourist, du zahlst. Wir können leider nicht verstecken, dass wir von ganz weit her kommen. Von ganz weit her wo alle ganz doll reich sind. In den Augen der Einheimischen zumindest. Das bedeutet, dass man bei Verhandlungen prinzipiell schon mal schlechte Karten hat. Mit ein wenig Erfahrung, Frechheit und Sprachkenntnissen kann man die Sache wieder ein bisschen ausgleichen. Aber die Preise der Locals werden für uns wohl unerreichbar bleiben.

Was ehrlich gesagt aber auch ok ist. Bei dem Preisniveau hier. Wir haben mal recherchiert, wie hoch der Durchschnittslohn in Indonesien so ist. 2011 lag er bei 250 US Dollar im Monat. Und das ist der Durchschnitt. Händler, Servicekräfte und Taxifahrer leben da noch mal in einer ganz anderen Welt. Da ist uns das Lachen ganz schnell in der Kehle stecken geblieben. Und dann gibt man auch gerne mal zu viel. Ob auf dem Markt, im Taxi oder im Restaurant.

Fähre Festland - Penang | Schaut sie euch an, die zwei müden Gesichter nach einer 10-stündigen, kalten Busfahrt durch die Nacht.

Fähre Festland – Penang | Schaut sie euch an, die zwei müden Gesichter nach einer 10-stündigen, kalten Busfahrt durch die Nacht.

Die Kombination aus den beiden vorherigen Phänomenen führt auch zu einem „Problem“. So nenne ich das jetzt Mal. Viele Indonesier haben (noch) kein wirkliches Verhältnis zu Geldautomaten. Hier geht man zur Bank, um Geld abzuheben. Dass man eine Karte in eine Maschine steckt und aus dieser dann Geld kommt, hat beinahe noch etwas Magisches. Das führt aber leider auch dazu, dass kein Verständnis dafür da ist, dass das Geld nicht einfach so da raus kommt. Sondern man es vorher drauf gearbeitet haben muss. Für die Einheimischen hier ist die Kette „Langnase – Karte – ATM – endlose Geldreserven.“ Und ihnen begreiflich zu machen, dass dem nicht so ist, ist gar nicht so leicht. Wohl auch ein Grund für das Scheitern vieler Beziehungen zwischen Europäern und Indonesiern.

Reiseführer zu. Internet aus. Augen und Ohren auf. Und in sich hinein horchen. Das haben wir definitiv gelernt. Mit erträglich schmerzhaften Konsequenzen in Form von einem mehr oder weniger unfreiwilligen Aufenthalt in Kuala Lumpur. Aber deswegen ein Rat von Herzen:

Wenn ihr die Möglichkeit und die Ressourcen habt, und auch noch der Typ dafür seid – dann lasst die Planung von zu Hause. Wir wissen selber, wie schön es ist, endlos durch Hotel- und airbnb-Inserate zu blättern. Mit google-Maps in entlegene Buchten zu reisen. Und wie viel Spaß es macht, sich mit Hilfe von Tastatur und Maus schon ein bisschen näher Richtung Reise zu tippen und klicken. Aber du weißt erst, wenn du hier bist, worauf du Lust hast. Erst wenn du mitsamt Kopf und Körper angekommen bist, kannst du wirklich wissen, wonach dir der Sinn steht.

Uns ist klar, dass das ein Luxus-Reiseproblem ist. Wenn man nur zwei Wochen hat, dann möchte man keine endlosen Stunden vor Ort mit dem Checken von potentiellen Zielen und Unterkünften verschwenden. Diese Lektion ist also eher für alle Leute, die ähnlich viel Zeit wie wir haben. Die es sich leisten können, mal einen Tag mit Recherche zu verbringen. Und die sich offen halten möchten, wohin die Reise als nächstes geht.

Die Sache mit dem Visa-Run

Bus auf Penang | Seht sie euch an, die zwei blassen Gesichter zwischen all den Einheimischen.

Bus auf Penang | Seht sie euch an, die zwei blassen Gesichter zwischen all den Einheimischen.

Wenn du einen Visa-Run planst, dann sei dir sicher, dass du auch wirklich das Land verlässt. Für uns eine der lustigsten Geschichten bisher. Und vielleicht der unumstößliche Beweis, dass unsere Gehirne langsam den Entspannungs-Modus erreichen.

Aber von vorne: Indonesien gibt einem bei der Einreise ein Visa-On-Arrival (VOA) welches für 30 Tage gültig ist. Dieses kann einmalig für weitere 30 Tage verlängert werden. Insgesamt also 60 Tage Aufenthalt. Dann muss man entweder richtig oganisatorischen und finanziellen Aufwand betreiben, um ein dauerhafteres Visum zu bekommen. Oder man verlässt mal kurz das Land. Und reist gleich darauf wieder erneut ein. Neues VOA. Neue Verlängerung möglich. Das ist dann ein Visa-Run. Das kann man aber natürlich nicht endlos machen. Irgendwann werden die Beamten am Immigration-Schalter unfreundlich.

Wir fühlen uns hier auf Bali sehr wohl. So wohl, dass wir in der Ecke gerne länger bleiben möchten. Auf jeden Fall noch ein paar Wochen. Der Plan steht auch schon. Teilweise sind Unterkünfte schon gebucht. Und nun kommt der Haken: wir waren mal wieder etwas übereifrig und haben über unseren ersten 60-Tage Zeitraum hinaus gebucht. Hmmm, doof das. Was also tun? Bleibt wohl nur ein Visa-Run. Jedenfalls wenn wir nicht all unsere Pläne komplett über den Haufen werfen wollen. Bei der Flugsuche sehen wir, dass wir unter 100 Euro pro Person nicht wegkommen. Und das sind dann Flüge nach Singapur. Freude. Unsere Lieblingsstadt. Vielleicht kann man die ganze Sache ja mit einem Zwischentrip verbinden? Leider sind die Flüge zu allen Zielen, die uns auch nur am Rande interessieren, gleich mal doppelt- bis dreifach so teuer.

Aber dann entdecken wir Sulawesi. Auch so eine Insel. Aber viel weniger touristisch. Noch so richtig ursprünglich – sagt man. Stand sowieso mehr oder weniger noch auf unserer Liste. Toll! Die Flüge dahin sind genau so günstig, wie die nach Singapur! Wird gemacht. Wir buchen Flüge und buchen Unterkünfte um, erstellen einen neuen Masterplan und sind prall gefüllt mit Stolz und Vorfreude. Haben wir doch super gemeistert. Im Reiseführer lesen wir schon mal ein bisschen rum und freuen uns über die niedrigen Preise. In Rupiah. Spätestens hier hätte es bei uns eigentlich klingeln sollen.

Hat es aber nicht. Das musste dann unsere spanische Vermieterin hier in der Villa ein paar Stunden später für uns erledigen. Und dann hat es laut geklingelt. „Sulawesi? But that’s in Indonesia?!“ „……“ Waren wir wirklich so doof? Ja, waren wir. Wir Helden haben tatsächlich vor lauter Flugpreisen und Ziele-Jonglieren irgendwann nicht mehr gerafft, dass Sulawesi genau so Indonesien ist, wie der Boden, auf dem wir gerade stehen. Und wir Pappnasen freuen uns auch noch über die günstigen Preise.

Zum Glück ist unser Gehirn mittlerweile so sehr im Urlaubsmodus, dass uns das Ganze nur kurzfristig minimal geärgert hat. Hauptsächlich haben wir gelacht. Und wie. Unfassbar. Und dann haben wir einen Flug nach Singapur gebucht.


 


 Oft gehört, aber jetzt erst gelernt

Dann gibt es da ja noch so Dinge, die man eigentlich weiß. Zum Beispiel: der Mittagshitze ausweichen. Aber irgendwie haben wir es trotzdem ein paar mal öfter als uns lieb ist geschafft, quasi genau dann loszuziehen, wenn die Sonne gerade ihren Zenit erreicht. Ob es am Jetlag, an der miesen Planung oder Naivität lag – das lasse ich einfach mal so stehen. Fakt ist: Vormittag ist Toll. Nachmittag ist Toll. Abend ist total toll. Mittag: nicht so toll.

Ja, es wird einfach alles auf zwei Rädern transportiert. Auf Bali hauptsächlich auf Rollern. Also, motorisierten. Nicht die zum Anschieben. Egal ob vierköpfige Familie, Hunde, Esstische, Bambusrohre mit vier Metern Länge, 30 Kokosnüsse oder der Kühlschrank. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Und jedesmal gucken wir verdutzt.

Strand auf Penang | Seht sie euch an, die zwei gestressten Gesichter voller Freude, endlich Strand gefunden zu haben.

Strand auf Penang | Seht sie euch an, die zwei gestressten Gesichter voller Freude, endlich Strand gefunden zu haben.

Aber nicht nur die Beladung der Roller, sondern auch deren Fahrer lassen uns oft genug große Augen machen. Es wird wohl noch ein wenig dauern, bis ich mich an das Bild zwölfjähriger Mädchen oder noch jüngerer Jungs auf den Rollern gewöhnt habe – wohl gemerkt: alleine. Nicht als Beifahrer. Ganz normal hier. Vor allem auf dem Land. Anders kommen die Kids nicht zur Schule.

Sprache öffnet einem Tür und Tor. Der Plan mit dem Indonesisch lernen ging zuhause leider nicht so ganz auf. Dafür merken wir hier mit jedem neuen Wort, das wir lernen, was für einen Unterschied solch kleine Gesten machen können. So eine Freude, die bei ganz vielen Indonesiern auftaucht, wenn man auch nur versucht, ihre Sprache zu benutzen. Anscheinend macht der Otto-Normal-Urlauber (vor allem auf Bali) sich nicht einmal die Mühe, auch nur ein Wort Bahasa zu lernen.

Bahasa ist indonesisch für Sprache allgemein, vor allem aber für das „offizielle“ Indonesisch. Daneben gibt es noch zahllose Dialekte. Wobei Dialekt ein wenig missverständlich ist. Hier auf der Insel mussten wir feststellen, dass der „Dialekt“ der Balinesen viel mehr eine ganz eigene Sprache ist. Und sehr wenig bis nichts mit dem Indonesisch zu tun hat, das wir uns mühevoll Wort für Wort anzueignen versuchen.

Beispiel: Terima Kasih ist Bahasa für Dankeschön. Suksuma ist das balinesische Äquivalent dazu. Sehr ähnlich, oder? Und so ist es mit praktisch allem.

Jeder Einheimische hat uns aber bisher dazu geraten, lieber erstmal Bahasa zu lernen. Das versteht eben jeder. Zumindest jeder, der zur Schule gegangen ist. Aber über das ein oder andere Bali-Wort freuen sich die Leute hier schon sehr. Es zeigt halt einfach, dass man sich interessiert und Mühe gibt. Wir haben schon Sätze von uns gegeben, die alle um uns herum zum Lachen gebracht haben. Aber wir wurden verstanden. Und jeder hier hat einen großen Spaß dran, uns dabei zu helfen, zu lernen, wie es richtig geht. Sehr schöne Momente und Erlebnisse hat uns das schon beschert.

Und die letzte Lektion: Lächeln. Kommunikationsmittel Nummer 1. Wenn nix mehr geht, einfach Lächeln. Das öffnet einem erst recht Tür und Tor – und Herzen. Wohingegen ein verkniffener, deutscher Durchschnittsgesichtsausdruck eher für das Gegenteil sorgt. Kann eben wirklich mehr sagen als tausend Worte, so ein Lächeln.

Ist es bisher so, wie ihr euch das vorgestellt habt?

Es ist genau so, wie wir es uns nicht vorgestellt haben!

Und das ist auch gut so. Mehr als ein paar Ideen, Bilder und Annahmen hatten wir sowieso nicht. Es gibt also – Gott sei Dank – keine Ideale, denen wir hinterher jagen müssen. Und die sich dann niemals erfüllen lassen. Wir können uns wirklich auf das einlassen, was uns jeden Tag erwartet. Und das ist bisher größtenteils einfach nur toll. Jetzt gerade, jeden Abend einen neuen, fantastischen Sonnenuntergang am Meer erleben zu können. Nach nur fünf Minuten Fußweg. Zum Beispiel.

Manchen Dinge sind schon so, wie man sie wohl unbewusst erwartet hat. Zum Beispiel so einiges, was mit Sauberkeit und Essen zu tun hat. Aber das gehört für uns dazu. Ist eben anders hier. Also gewöhnen wir uns um. Das mag bei der einen Sache leichter sein als bei der anderen. Aber nichts, was uns umbringt. Um ehrlich zu sein geniessen wir eher, dass uns das mal zum Nachdenken bringt, warum wir manche Dinge in Deutschland denn eigentlich so machen, wie wir sie machen.

Monorail in KL | Seht sie euch an, die zwei amüsierten Gesichter im fremden Nahverkehrsmittel.

Monorail in KL | Seht sie euch an, die zwei amüsierten Gesichter im fremden Nahverkehrsmittel.

Heimweh? Gab es bisher – bei mir jedenfalls – noch nicht. Wenn dann vermisse ich so einige Menschen. Manchmal doller, manchmal weniger doll. Aber weder das Wetter, noch unsere Wohnung, noch irgendetwas anderes daheim habe ich bisher wirklich herbeigesehnt.

Geld? Langsam haben wir uns an unser (doch recht begrenztes) Budget gewöhnt. Gerade Singapur hat da ein paar kleinere und größere Löcher hinterlassen. Aber hier kommt auch eine Sache ins Spiel, die wir beide uns dann doch anders vorgestellt hatten: das Reisen an sich. Zu Hause haben wir zum Beispiel gesagt „Zwischen Singapur und KL haben wir eine Woche. Da reisen wir dann einfach die Küste hoch.“ Jaja, von wegen. Das klingt wirklich einfacher, als es ist. Es geht bestimmt, einfach so. Aber dafür sind wir wohl nicht ganz die Typen. Wir wissen nach einer 10-stündigen Busfahrt wohl einfach zu gerne, was uns erwartet. Sind nicht so spontan und anspruchslos, wie es manchmal vielleicht hilfreich wäre.

Und wir sind wohl einfach eher von der Slow-Travel-Fraktion. Sogar ziemlich eindeutig. Lieber länger an einem Ort bleiben. Richtig ankommen, richtig entdecken. Als alle zwei Tage Rucksack zu packen und weiterzuziehen. Und da geht es auch zurück zum Thema Geld: das Leben hier ist wirklich nicht teuer. Gerade Lebensmittel und Essen gehen sind genau so günstig, wie alle immer erzählen. Was die Reisekasse strapaziert sind viel mehr die Ortswechsel. Flüge, Busse, Taxen, SIM-Karten kaufen und so fort. Das strengt also nicht nur unsere Köpfe, sondern auch unsere Konten an.

Drei Länder. Hunderte Kilometer zurückgelegt. Großstädte, abgelegene Dörfer und atemberaubende Natur gesehen. Dinge gegessen, von denen wir nicht wussten, was sie sind. Und ebenso getrunken. Dabei mal Glück, mal Pech gehabt. Freundschaften geschlossen, tolle Begegnungen gehabt und dabei immer wieder gedacht: Wow! Wir haben noch so viel Zeit vor uns, bevor es wieder zurück nach Deutschland geht. Wir sind gespannt, was noch auf uns zukommt!

all photos by Arvids|iPhone =)

BPD Symptome erklärt | N°5

Lesezeit: 7 minuten

Danke dir, Blut! War schön dich zu sehen.

BPD Symptome erklärt | N°5

In der Reihe BPD Symptome erklärt möchte ich euch nach und nach anhand der „offiziellen Kriterien“ des DSM die Symptome der Borderline Persönlichkeitsstörung vorstellen. Wie bei allen Beiträgen auf meiner Seite gilt: hier geht es um meine Welt, um meine Erfahrungen, um meine Ansichten. Wenn ihr Ergänzungen habt, könnt ihr diese gerne per Mail oder in den Kommentaren mit mir und allen Lesern teilen. Einen Überblick über die Symptome findest du im Grundkurs Borderline. Heute also geht es zu Kriterium N°5:

Selbstverletzungen, Selbstmordversuche oder Androhen von Selbstmord

Das nächste Symptom ist an der Reihe. Diesmal geht es um Selbstverletzung. Heißt in meinem Fall: Ritzen. Hierzu haben Außenstehende oft die meisten Fragen. Und den schwersten Zugang. *triggerwarning* 


Aus den oben genannten Gründen werde ich auch zwei Drittel des „offiziellen“ Symptoms nur am Rande ansprechen. Denn ich habe weder einen Selbstmordversuch hinter mir. Noch habe ich jemals eine Androhung von Selbstmord ausgesprochen. Die Gedanken waren eine Zeit lang da. Aber es gab viel zu viele Gründe, die mich abgehalten haben, so dass es nie in die Richtung einer konkreten Planung ging.

Auch bedeutet Selbstverletzung in diesem Artikel immer Ritzen. Ganz einfach deswegen, weil ich nur darüber aus persönlicher Erfahrung sprechen kann. Andere Arten der Selbstverletzung sind beispielsweise Verbrennen, Verätzen oder scharfe Dinge schlucken.

Warum das Ritzen so viel Aufmerksamkeit und auch so viel Bedeutung zugeteilt bekommt, hat meiner Meinung nach den einfachen Grund, dass man es von außen sehen kann. Im Gegensatz zu den Sachen, die sich nur in den Köpfen von uns Betroffenen abspielen.

Erstmal: Irrtümer aus dem Weg!

Und derer gibt es viele. Gerade beim Thema Selbstverletzendes Verhalten (SVV). Also weg mit den Irrtümern und her mit den Fakten:

  • Jeder Borderliner ritzt sich

Wie ich schon im Grundkurs Borderline geschrieben habe: nicht jeder Borderliner ritzt sich. Und nicht jeder, der sich ritzt – ist Borderliner. Dies ist eine sehr häufige und leider auch sehr falsche Annahme. Sowohl von Außenstehenden, als auch Betroffenen. Und leider auch immer wieder bei medizinischem Personal.

SVV ist keine Voraussetzung für die Diagnose Borderline Persönlichkeitsstörung.

  • Je schwerer das SVV desto schlimmer die Krankheit

Auch eine sehr verbreitete und leider genau so falsche Annahme. Sätze wie „Wow, dein Arm sieht ja krass aus. Du bist also echt ein heftiger Fall!“ sind einfach nur Schwachsinn. Und trotzdem hört man sie leider inner- wie außerhalb von Kliniken.

Jeder Betroffene ist anders. Jeder trägt seine eigene Symptom-Kombination mit sich herum. Bei dem Einen ist die Selbstverletzung besonders ausgeprägt, die nächste trägt jeden Tag unglaubliche Kämpfe mit ihrem Selbstbild aus. Vergleiche, Rangordnungen und ähnliches helfen keinem weiter. Fakt und wichtig ist: der Betroffene leidet.

  • Borderliner ritzen sich, um Aufmerksamkeit zu bekommen

Eher das Gegenteil: viele Betroffene verstecken ihre Narben und Wunden vor ihrer Umwelt. Und deswegen sind es auch Sprüche in diese Richtung („Du willst doch drauf angesprochen werden. Sonst würdest du deinen Arm ja wohl verdecken!“), die immer wieder aufs neue wehtun, wenn man sie mir um die Ohren haut. Denn der Sprechende weiß nicht, wie lange ich an mir gearbeitet habe, um mit den Spuren der Selbstverletzung offen umzugehen. Und wie lange ich die Sache vor der ganzen Welt versteckt habe.

Es mag Fälle geben, in denen das Ritzen AUCH dazu genutzt wird, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Sei es, weil man sie auf anderem Wege nicht erlangen kann, sei es als Hilfeschrei. In den meisten Fällen ist es aber einfach ein Weg, um mit Dingen fertigzuwerden.

Meine Zeit der Selbstverletzung

Ich habe mich über lange Zeiträume selber verletzt. Meine Wahl fiel auf Rasierklingen und meinen linken Unterarm. Zeitweise auch den rechten. Wenn links kein Platz mehr war. Angefangen mit der Sache habe ich irgendwann so mit 16. Ganz genau kann ich das nicht mehr rekapitulieren. Mir ging es schon lange nicht mehr gut. Und dann habe ich bei einem anderen Mädchen diese Narben gesehen. Und das war der Beginn einer langen, feindlichen Freundschaft.

Zu Beginn habe ich es ab und zu gemacht. Dann immer öfter. Irgendwann zweimal täglich. Ich habe es gebraucht. Es ist Routine geworden. Natürlich war mir bewusst, dass das weder besonders gesund noch besonders klug ist, was ich da tue. Aber in dieser Zeit war es für mich der einzige Weg, um die Tage irgendwie durchzustehen. Ich hatte immer eine Rasierklinge im Geldbeutel, um im Zweifelsfalle schnell „reagieren“ zu können. Ohne bin ich nicht aus dem Haus.

Gut, die Sache hat mir also geholfen. Aber ich wollte trotzdem auf keinen – auf Gar. Keinen. Fall., dass irgendjemand etwas mitbekommt. Also hieß es: Arm verstecken. Am Anfang ging das noch mit Schweißbändern oder Ketten. Aber irgendwann kam ich nicht mehr um lange Ärmel herum. Gerade im Sommer natürlich keine Freude. Und Grund für viele Fragen. Ich kann nicht mehr sagen, wie ich diesen Fragen ausgewichen bin. Was genau ich gesagt habe. Aber glaubt mir: man wird kreativ.

Inzwischen zweifle ich ein wenig daran, dass ich über all die Jahre so überzeugend war, wie ich immer geglaubt habe. Ob die Leute zufrieden waren mit meinen Antworten oder insgeheim Vermutungen hatten. Keine Ahnung. Aber es ist müßig, darüber nachzudenken. Fakt ist: Solange ich nicht wollte, dass jemand etwas mitbekommt, hat niemand etwas mitbekommen.

Irgendwann habe ich dann bei manchen Menschen die Mauer etwas gelockert. Allen voran bei meiner Band. Denn ich wusste, dass alle von ihnen das Ritzen zumindest mal ausprobiert hatten. Wenn auch auf einem anderen Level. Ich konnte also auf etwas Verständnis hoffen. Ab diesem Punkt habe ich gemerkt, dass die meisten Leute das Thema einfach ignorieren. Wenn sie es denn bemerken. Was mir ganz recht war.

Ein paar Jahre lange habe ich die Sache also ziemlich konstant durchgezogen. Aber die Phase mit dem täglichen Ritzen hat ein paar Wochen oder Monate gedauert. Dann gab es eine lange Zeit der sporadischen Selbstverletzung. Und irgendwann wurden die Abstände immer größer. In den letzten zwei Jahren habe ich mich vielleicht noch fünf Mal geritzt.

Im Moment sage ich, die Sache ist vorbei. Ja, ab und zu denke ich noch daran, es zu tun. Dann kommen die Skills ins Spiel, die ich während meiner stationären Therapie Hamburg gelernt habe. Am Wichtigsten ist, dass ich es nicht mehr machen WILL. Das ist Grundlage. Und von dort aus kann ich dann nach anderen Dingen schauen, die mir helfen. Mir was Gutes tun, Skills wie Entgegengesetztes Handeln, Fühlen, Denken und Wahrnehmen –  und drüber reden, wenn es mir schlecht geht. Oder schreiben. Mindestens genau so gut.

Ich habe mich dazu entschieden, auf meiner Seite keine Bilder meiner Narben zu posten. Auf manchen Bildern sind sie zu sehen, denn sie gehören zu mir. Aber ich möchte nicht ein weiteres Bild raus in die Netzwelt schicken, was möglicherweise jemanden triggern oder auf andere Weise schädlich beeinflussen kann. 

Und warum nun das Ganze?

Weil es gut tut. Weil es hilft. Weil es funktioniert. Schnell und zuverlässig. Das ist die Kurzfassung.

Es gibt mehrere Gründe, warum Borderliner sich Ritzen. Oder sagen wir, Komponenten. Mal treten sie einzeln auf. Mal mischen sie sich zu dunklen Gewittern heran.

  1. die innere Anspannung loswerden | Egal wodurch sie ausgelöst wurde. Sie soll wieder gehen. Der Druck soll verschwinden. Alles ist zu voll. Der Kopf. Der Körper. Wie eine Tüte, die bis an den Rand gefüllt ist und kurz davor ist, zu platzen. Und wenn es so weit ist, dann möchte man platzen. Den Druck ablassen. Die Tüte piekst man mit einer Nadel. Der Borderliner schneidet die Haut auf. Das Blut entweicht. Der Druck kann raus.
  2. die innere Leere füllen | Ein weiteres zentrales Symptom von Borderline ist das anhaltende Gefühl innerer Leere. Da ist einfach nichts. Der Körper ist wie eine Hülle. Und man versteht nicht, wie das sein kann. Egal wie sehr man in sich reinschaut, der Scheinwerfer findet nichts zum Beleuchten. Und je mehr und verzweifelter man sucht, desto weniger ist da. Das kann bis zu einer Art Panik führen. Und dann will man Bestätigung. Dass man am Leben ist. Dass man keine leere Hülle ist. Dass da etwas in einem drin ist. Also macht man auf, und schaut nach.
  3. der Hass auf die eigene Person | Wenn man sich selber von Grund auf nicht ausstehen kann. Sich nicht leiden kann. Glaubt, nur das Schlechteste verdient zu haben. Und eigentlich noch nicht einmal das. Wenn man sich verabscheut. Innen wie außen. Dann hilft es, sich zu bestrafen. Denn was soll man sonst mit sich selber machen?

Das sind die drei Hauptgründe, sich selber zu verletzen, die ich für mich und an anderen Betroffenen ausgemacht habe. Es mag sein, dass es noch tausend andere Auslöser gibt, sich selber weh zu tun. Aber das sind die, die ich aus eigener Erfahrung kenne.

Wie mit den Wunden und Narben umgehen?

Da braucht man ganz schön viel Feingefühl. Denn ich weiß, dass einige Betroffene überhaupt nicht gerne auf ihre Verletzungen angesprochen werden. Ich habe inzwischen die Stärke, offen mit dem Thema umzugehen. Wenn mir jemand eine Frage stellen sollte, die nicht angebracht ist und die ich nicht beantworten möchte, dann werde ich das immer klar sagen. Meine Narben gehören zu mir. Sie sind nicht schön. Aber sie sind da.

Mein Tipp ist: fragt vorsichtig aber direkt nach, ob die Person über das Thema reden möchte. Wenn es euch wirklich interessiert. Bitte keine heimlichen Blicke oder Spekulationen hinterm Rücken. Für so etwas sind Borderline-Betroffene extrem empfindsam. Wir bekommen das mit. Wenn euch die Person also wichtig ist und ihre Narben vor euch nicht versteckt, dann sind das zwei wichtige Voraussetzungen für einen guten Austausch.

Wenn euch jemand mit frischen Wunden begegnet, dann bitte keine Kommentare wie „Oh Gott, was hast du denn gemacht?“. Wie oben gilt: vorsichtig nachfragen. Vielleicht erwähnen, dass man schon mal etwas von der Borderline Persönlichkeitsstörung gehört hat. Fragen, ob der oder die auch betroffen ist.

Wenn es einen ultimativen Ratschlag gibt , dann ist es, einfach zeigen und anbieten, dass man da ist. Egal ob gleich oder später. Und versucht, nicht zu urteilen und zu denken „Wie kann man so etwas nur tun?“. Die Person hat sich das nicht ausgesucht.

Wenn du naher Angehöriger bist, dann noch ganz wichtig: Mach dir keine Vorwürfe! Nach dem Motto „Hätte ich besser aufgepasst, dann wäre das nicht passiert!“ oder so. Doch. Wäre es. Nur vielleicht etwas später. Du hast keine Verantwortung und bist nicht Schuld!

Was hilft gegen den Drang?

Nein, ich habe nicht den ultimativen Tipp für dich, wie du dich nie wieder ritzt. Mein Kopf funktioniert anders als deiner. Andere Mechanismen, Muster und kaputte Schaltkreise. Deswegen kann mein Rat eher in eine allgemeine Richtung gehen.

Zu allererst: Verstehen, was dahinter steckt. Ein erster Ansatz können die drei Gründe oben sein. Woher kommt die Anspannung? Was kann ich gegen das Gefühl der inneren Leere tun? Warum finde ich mich so unausstehlich?

Diese Dinge alleine zu bearbeiten, ist bestimmt möglich, aber ich rate nicht dazu. Wenn du dich schon lange ritzt oder mit einer anderen Art der Selbstverletzung kämpfst, dann bitte ich dich von ganzem Herzen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Ich habe selber lange gedacht, dass ich das alleine in den Griff bekomme. Und zwischendrin sah es auch immer wieder so aus. Aber früher oder später habe ich es doch wieder gemacht. Und zwar, weil ich nicht an den Ursachen gearbeitet habe. Und das anzupacken, dafür brauchst du einfach erfahrenen Beistand. Oder sehr, sehr viel Mut, Kraft und Ausdauer. Denn egal ob mit oder ohne Hilfe, es wird Rückschläge geben. Und damit diese nicht dazu führen, dass du wieder genau dort landest, wo du angefangen hast, braucht es gewisse Fertigkeiten. Denn man kann die Rückschläge auch dazu nutzen, um noch mehr zu lernen und zu verstehen.

Eine Sache muss hier noch zum Thema Skills stehen: fang nicht einfach an, auf Chillischoten rumzukauen, weil du irgendwo gelesen hast, dass das hilft. Es kann helfen, das stimmt. Aber nur wenn man es richtig macht. Und genau dazu ist das Skills-Training da. Denn Skills brauchen viel Übung, damit sie Dinge wie das Ritzen ersetzen können.

Ich wiederhole mich, aber es ist nun mal zentral und wichtig: Ganz am Anfang muss die Entscheidung stehen, etwas ändern zu wollen. Und dann kann es weitergehen. Oder losgehen. Mit einer Therapie, mit dem Skills-Training, mit der Besserung.

Kuala Lumpur | viel Regen und Riez

Lesezeit: 6 minuten

Kuala Lumpur | viel Regen und Riez

Eine Stadt zwischen gestern und heute. Zwischen Luxus und Lack-Ab. Aber trotzdem mit Charme und schönen Plätzen. Und einer Skyline vom Feinsten!

Kuala Lumpur. Wörtlich übersetzt bedeutet der Name: Schlammige Flussmündung. So schlammig war die Stadt gar nicht. Dafür aber ziemlich nass. Ganz schön viel Regen ist in den vier Tagen runtergekommen, in denen wir hier waren. Das hat unsere Aktivitäten natürlich ein wenig eingeschränkt.

Mein Spiel- und Sportplatz für die Zeit in KL. Ob morgens oder abends. Wie kann man das auch nicht nutzen wollen? Und immer dabei der Gedanke: Mann, geht's uns gut!

Mein Spiel- und Sportplatz für die Zeit in KL. Ob morgens oder abends. Wie kann man das auch nicht nutzen wollen? Und immer dabei der Gedanke: Mann, geht’s uns gut!

Bei der Unterkunft haben wir diesmal mehr als richtig gewählt: 19. Stock. Und Blick auf die Wahrzeichen der Stadt. Ein Stockwerk höher Dachterasse und großer Pool. Reiseherz, was willst du mehr?

Der ein oder andere von euch mag sich vielleicht fragen: Wie? Schon wieder Stadt? Grad eben sind sie doch erst aus Singapur raus und hatten auf ihre wehenden Fahnen stehen, dass sie keine Lust mehr auf Stadt haben. Nun ja, recht hat der aufmerksame Leser hier. Das kann ich nicht verneinen. Der Aufenthalt in KL – so nennen die Malaysier die Stadt, deswegen machen wir das auch – war noch Überrest unser spärlichen Planung von zuhause aus. Es war einfach zu schön, sich mit airbnb und anderen Seiten schon mal ein bisschen wegzuträumen.

Shoppen ohne System

Gar nicht so einfach, mit zwei verschiedenen Klo-Systemen. Sitzen oder hocken? Spülen oder Nicht? Wischen oder Waschen? Da braucht's schon ein paar Regeln zum friedlichen zusammenleben.

Gar nicht so einfach, mit zwei verschiedenen Klo-Systemen. Sitzen oder hocken? Spülen oder Nicht? Wischen oder Waschen? Da braucht’s schon ein paar Regeln zum friedlichen zusammenleben.

Deswegen also KL. War jetzt eben so. Und wir haben das Beste draus gemacht. Jedenfalls das Beste, was das Wetter uns erlaubt hat. Für unseren Geschmack haben wir ein bisschen zu viel Zeit drinnen verbracht. Vor allem zu viel Zeit in Shopping-Malls. Aber bei strömendem Regen macht alles andere auch nicht wirklich Sinn. Geschweige denn Spaß.

Mich hat auf dem örtlichen Central Market eine erste Asien-Shopping-Attacke gepackt und ich habe ordentlich zugelangt. Bei den Preisen und den schönen Sachen aber auch selbst für ein halbes Mädchen-Mädchen wie mich sehr schwer zu widerstehen. Und Arvid gefällt meine Beute. Also alles gut.

In dieser Stadt kann man sich auf jeden Fall viel einfacher verlieren und verlaufen als noch in Singapur. Weder die Straßen noch der Nahverkehr scheinen irgendeiner Art von System zu folgen. Aber wir haben immer nach Hause gefunden.

Ein Must-See in KL sind die etwas nördlich der Stadt gelegenen Batu Caves. Das Bild von den langen Treppen mit der riesigen, goldenen Statue daneben hat der ein oder andere von euch vielleicht schon mal gesehen. War auch wirklich toll, die Sache mal in echt zu sehen. Und auch genau so beeindruckend, wie man es erwartet. Das Innere der Höhle war dann leider nicht mehr ganz so sehenswert. Aber vielleicht haben wir die Bedeutung dieses für Hinduisten so wichtigen Ortes auch einfach nur nicht ganz verstanden.

Zum Glück sind wir früh los, denn auch an diesem Tag kam ab Mittag wieder der Regen. Das gute an dem Wetter war, dass die Wolken mit der Skyline so schön und abwechslunsgreich gespielt haben, dass man sich daran nicht satt sehen konnte.


 


 

KL aus einheimischer Sicht

Vielen Dank Riez, für diesen wunder-vollen Tag! Leckeres Essen, tolle Natur, freundliche Menschen und Kultur. Vieles davon hätten wir ohne ihn nicht gesehen!

Vielen Dank Riez, für diesen wunder-vollen Tag! Leckeres Essen, tolle Natur, freundliche Menschen und Kultur. Vieles davon hätten wir ohne ihn nicht gesehen!

Highlight des Aufenthaltes war dann ganz klar der Tag mit Riez. Den hatte Arvid beim Wäsche waschen im Homestay auf Penang kennengelernt. Und er und sein Auto haben sich einen ganzen Tag Zeit genommen, um uns herumzuführen. Wahnsinn! Und wir dürften nichts bezahlen. Das wäre glaub ich eine Art Kränkung gewesen.

Der Tag war so voll, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Na, vielleicht am Anfang. Erste Station war das wohl beste indische Curry der Stadt. Frisches Roti-Brot und wir als einzige Langnasen. Riez war ein bisschen stolz, uns seinen Freunden vorführen zu können. Bisschen seltsam für uns, aber alle waren so nett.

Nach dem fantastischen Essen ging es aus der Stadt raus. Genauer gesagt auf die Hügel um die Stadt. Dort gab es nicht nur einen tollen Blick über die Stadt, sondern auch Freunde von Riez, die an Ständen die leckersten Sachen verkaufen. Wir wurden empfangen und beachtet wie zwei Helden. Auch wieder etwas unangenehm, irgendwie.

Einer der Stände, von Riez's Freunden: hier gab es frittiertes. Fischbällchen, Krabbenchips, Süßkartoffel-Pommes und für die dommi: frittierte Bananen! Yummy!

Einer der Stände, von Riez’s Freunden: hier gab es frittiertes. Fischbällchen, Krabbenchips, Süßkartoffel-Pommes und für die dommi: frittierte Bananen! Yummy!

Und wir haben das erste Mal einen kulturtechnischen Faux-Pas gemacht. Einer der Verkäufer hatte zwei Töchter. Es wurden Hände geschüttelt und wie selbstverständlich wollte ich ihm und Arvid den beiden Mädchen die Hand geben. Macht man hier aber nicht. So zwischengeschlechtlich. Die Mädchen haben die Hand ignoriert und der Mann hat zum Glück gelacht und gesagt, ich kann es ja nicht besser wissen.

Wie die Mädchen mich begrüßt und verabschiedet haben war allerdings auch etwas besonders. So ehrfürchtig. Nicht nur beide Hände um meine gelegt, sondern auch noch mit der Stirn berührt. Ich weiß nicht, ob das hier so üblich ist oder ein Zeichen von Freude oder Respekt, dass wir diesen langen Weg auf uns genommen haben. Hier laufen nämlich keine Touristen mehr herum. Auf jeden Fall eine Erfahrung.

Air Terjun, Kunststadt und Helikopterlandeplatz

Unsere erste Moschee. Und dann gleich so eine große, neue, beeindruckende - und pinke!

Unsere erste Moschee. Und dann gleich so eine große, neue, beeindruckende – und pinke!

Nächste Station war ein versteckter Wasserfall, mitten im Urwald. Über steile Steinplatten stürzt das Wasser meterweit nach unten. Über mehrere Stufen verteilt, mal flach mal fast senkrecht. Zwischendrin sammelt sich das Nass in kleinen Becken. Und offensichtlich ist eine der Lieblingsbeschäftigungen der örtlichen Jugend, die Steine und Becken als Wasserrutschen zu nutzen. War ein großer Spaß, ihnen dabei zuzusehen. Und als Arvid seine Kamera ausgepackt hat, haben sie natürlich erst richtig losgelegt.

Das war immer noch nicht alles: letzte von Riez angesteuerte Station war Putrajaya. Dies ist eine künstlich angelegte Stadt, in der die Regierung von Malaysia seit einigen Jahren ihren Sitz hat. Sehr artifiziell, das ganze Areal. Aber auch eine besondere Atmosphäre.

Nicht nur ich, sondern auch Arvid musste sich so ein Gewand überziehen. Aber er durfte die Kapuze unten lassen. Haben wir gerne gemacht, wenn die Dinger nur nicht so schwer und warm gewesen wären...

Nicht nur ich, sondern auch Arvid musste sich so ein Gewand überziehen. Aber er durfte die Kapuze unten lassen. Haben wir gerne gemacht, wenn die Dinger nur nicht so schwer und warm gewesen wären…

Hier haben wir auch unsere erste Moschee betreten. Wie es sich gehört ordentlich verhüllt. Drinnen war dank Sonnenuntergang eine einzigartige Stimmung. Dazu hat uns eine kleine, alte und sehr eifrige Frau sehr viel über das Gebäude und den Islam erzählt. Wir haben definitiv viel gelernt.

Ich kann nicht mehr zählen, wie oft an diesem Tag ich Wow! gesagt habe und zum Glück haben wir es geschafft, am Ende des Tages unserem tollen Führer Riez auch noch genau dieses Wort zu entlocken. Denn die letzte Station des Tages haben wir ausgesucht. Einen Ort namens Heli Lounge Bar. Und es ist genau das, wonach es klingt. Eine Bar auf einem ehemaligen Hubschrauberlandeplatz. Wie toll der 360° Blick von oben war, kann ich nicht beschreiben. Man hat auf jeden Fall gemerkt, dass es auch Riez nicht kalt gelassen hat. Hier war er noch nie gewesen, obwohl er seit bald 20 Jahren in der Stadt lebt. Konnten wir also wenigstens ein klein bisschen von dem zurückgeben, was er uns den ganzen Tag beschert hat.

Nächste Station: Insel der Götter!

Auch wenn wir die Zeit in KL versucht haben zu nutzen – immer wieder haben wir uns dabei erwischt, dass wir uns schon an unsere nächste Destination träumen. Bali. Fällt auch schwer, bei diesem Zauberwort nicht gleich an das Paradies zu denken. Ob es diese Erwartungen erfüllen kann werden wir in den nächsten Wochen herausfinden.

Kleine dommi - große Treppe - noch größere Statue. Leider waren der Eingang viel sehenswerter als das Innere der Höhle. Draußen Ruhe, Affen und dieser Blick. Drinnen: Generatorlärm, Souvenirstände und Baugerüste.

Kleine dommi – große Treppe – noch größere Statue. Leider waren der Eingang viel sehenswerter als das Innere der Höhle. Draußen Ruhe, Affen und dieser Blick. Drinnen: Generatorlärm, Souvenirstände und Baugerüste.

Ganz am Anfang unserer Planung waren wir uns nicht mal sicher, ob wir diese unserer Ansicht nach überfüllte und ausgelaugte Insel überhaupt ansteuern sollen. Aber je mehr wir mit Leuten geredet und über Indonesien gelesen haben, desto größer wurde die Neugier. Mit jedem weiteren Wort und jeder neuen Info fühlten wir uns mehr zur Insel hingezogen. Und als wir nun, nach nur zwei Wochen auf Reisen schon gemerkt haben, dass wir nicht ständig umziehen wollen, kam die Idee dann doch auf, schon jetzt einen längeren Stop dort einzulegen. Die Insel bietet eben einfach alles: Strände, Vulkane, Reisterrassen, Urwald, Kunst, Kultur und tolles Essen.

Ihr seht, wir werden langsam besser darin auf uns selber und nicht auf den Man-Müsste-Mann zu hören. Wie lange wir nun auf Bali bleiben, wo es danach hingeht und was der Tag morgen bringt, wird sich zeigen.

Bis bald auf Bali!

Penang | eine Insel mit nem Hügel…

Lesezeit: 7 minuten

Penang | eine Insel mit nem Hügel…

In Singapur haben wir gemerkt, wir wollen nicht Stadt. Wir wollen irgendwie…. was anderes. Vielleicht mit Strand. Aber auch Kultur. Und irgendwie so. Die Wahl viel auf Penang, eine Insel nördlich von Kuala Lumpur. Die Woche in kurz: bergauf, Ruhe und ein beissender Bürgersteig

Typisch deutsch bzw. Reise-Anfänger mäßig waren wir viel zu früh am Busterminal. Zum Glück hatte der Bus nur eine halbe Stunde Verspätung. War also praktisch überpünktlich.

Typisch deutsch bzw. Reise-Anfänger mäßig waren wir viel zu früh am Busterminal. Zum Glück hatte der Bus nur eine halbe Stunde Verspätung. War also praktisch überpünktlich.

Aber zum Anfang. Nachdem wir uns für die Insel entschieden hatten, mussten wir da ja noch irgendwie hinkommen. Da wir ein bisschen zu lange gezögert und überlegt haben, war der einzige Zug leider schon ausgebucht. Fliegen? Zu teuer, zu umweltkaputtmachig – und man sieht so wenig. Also das Transportmittel Nr. 1 der Einheimischen und Backpacker gewählt – den Bus. Aber dann wenigstens die „Luxus-Variante“ für ein paar Euro mehr. Mit extra wenigen und dafür extra breiten Sitzen. Tschüss, Singapur. Wir sehen uns im Februar!

Der lange Weg ist das Ziel

Erstmal hieß es aber noch Spannung statt Entspannung. Denn es gab ja noch eine Grenze zu passieren. Dies lief in etwa so ab: Brücke zwischen Singapur und Malaysia. Eine Brückenseite – alle raus aus dem Bus, einmal laufen, Pass zeigen, wieder laufen, richtigen Bus finden. Bus fährt über die Brücke. Andere Brückenseite: alle raus aus dem Bus (diesmal mit Gepäck), Pass zeigen, Gepäck durchleuchten, wieder laufen, richtigen Bus finden. Sache erledigt. Froh, dass alles reibungslos geklappt hat und wir wieder im richtigen Bus saßen, widmeten wir uns nun der Entspannung. Sitze zurücklegen, Schlafmasken auf und erstaunlich gut schlafen.

Es war wirklich schön, mit den Liegesitzen. Extra weich und viel Platz. Aber es war soooo kalt! Und nicht nur uns! Alle im Bus haben geforen. Die Klimaanlage lief ohne Pause auf höchster Stufe. Verstehen wollen? Haben wir aufgegeben.

Es war wirklich schön, mit den Liegesitzen. Extra weich und viel Platz. Aber es war soooo kalt! Und nicht nur uns! Alle im Bus haben geforen. Die Klimaanlage lief ohne Pause auf höchster Stufe. Verstehen wollen? Haben wir aufgegeben.

Als die Augen das erste Mal Tageslicht erspähen sieht es draußen dann auch schon ganz anders aus als in Singapur. Grüner, hügeliger Dschungel so weit das Auge reicht. Morgengrauen, Nebel. Wunderschön. Bald darauf Häuser, Hütten, Villen und Stände an der Straße. An uns fliegt Alltag vorbei und die Augen können nicht so schnell schauen, wie der Bus fährt. Straßenhunde, interessante Mofa-Konstruktionen und deutlich mehr bekopftuchte Frauen. Wir fühlen uns endlich ein wenig fremd.

Immer mal wieder hält der Bus. Mal zum Pause machen, mal um Leute aussteigen zu lassen. Mal ohne Grund. Wir brauchen also ein wenig, bis wir merken, dass der Busfahrer von vorne aus mit uns redet. Offensichtlich will er uns sagen, dass wir aussteigen sollen. Draußen nur Straße und Rand. Nun gut, er wird schon wissen, was er tut.

Und das hat er auch. Denn nach kurzem, ratlosen im-Kreis-drehen begreifen wir, dass wir an einem Fährterminal aussteigen durften. Ist ja schließlich ’ne Insel, auf die wir wollen. Macht also irgendwie Sinn. Nach Währungsproblemen und Wartezeit setzen wir endlich über.

Hier werden wir auf jeden Fall schon etwas neugieriger beäugt, aus vielen großen und kleinen asiatischen Gesichtern. Die Zahl der Langnasen hat deutlich abgenommen. Und wir verstehen kaum noch, was um uns herum geredet wird. Geschweige denn können wir Schilder lesen. Und auch das allgemeine Sauberkeits- und Zustandslevel der Dinge um uns herum hat ein wenig abgenommen. Fühlt sich immer mehr schön fremd an. Vielleicht nähern wir uns langsam dem Asien unserer Vorstellungen. Oder Erwartungen.

Penang = Asien?

Die nächsten Tage verbringen wir mit einer Mischung aus Sightseeing, Arbeiten, Essen und süßem Nichtstun. Und langsam kommt uns die Sache auch wie ein Urlaub vor.

Ja, wir sind definitiv wirklich im Urlaub. Frische Kokosnuss schlürfen in Georgetown. Dazu Straßenkunst an allen Ecken. Und Tempel. Und Shops. Und Essen. Und Gerüche.

Ja, wir sind definitiv wirklich im Urlaub. Frische Kokosnuss schlürfen in Georgetown. Dazu Straßenkunst an allen Ecken. Und Tempel. Und Shops. Und Essen. Und Gerüche.

Georgetown haben wir uns beide ein wenig anders vorgestellt. Angepriesen wird die Stadt allseits als UNESCO-Weltkulturerbe mit vielen kolonialen Gebäude. Die gibt es auch. Aber viel mehr gibt es postblütezeitliche Bauten aller Art und Größe. Mal schick, mal abgewrackt. Und alles dazwischen. Läden und Stände die alles nur erdenkliche anbieten. Aber häufig nur eine Sache pro Laden. Die dann aber in allen erdenklichen Formen, Variationen, Farben, Dicken oder Größen. Reis, Nähmaschinen, Korbmöbel, Gummireifen, Rohre, Warnschilder, Räucherstäbchen, Lampions . Insgesamt ein ziemliches Durcheinander. An Farben, Kulturen, Religionen, Gerüchen, Küchen und Epochen. Schön hier. Und anders. Viel zu sehen und zu entdecken.

Leider beschließt der Gehweg bei unserer Bushaltestelle am nächsten morgen spontan, meinen Fuß essen zu wollen. Eben stand ich noch geduldig wartend da, (viel anders bleibt einem auch nicht übrig. Fahrplan? Ach ne. Angeschrieben steht, dass der Bus etwa alle 15 bis 20 Minuten kommt. Reicht.) schon war ich eine Etage tiefer und ein paar Schmerzen und Kratzer reicher. Aber von so was lasse ich mich bekanntermaßen ungern abhalten. Wie ziehen trotzdem los und bleiben bei unserem Plan, den 800 Meter Hohen Inselberg zu besuchen. Zum Glück will der Penang Hill nicht zu Fuß erklommen werden, sondern mit einem „funicular train“, also einer Standseilbahn.

Die Aussicht von oben auf die Stadt und die Insel ist wirklich atemberaubend. Noch schöner sind allerdings die 5/6 Grad Temperaturunterschied zu unten. So schön kühl. Nachdem Arvid sich oben die Finger wund fotografiert hat widmen wir uns schnell dem ursprünglichen Plan, 5km bergab zu den Botanical Gardens zu laufen. Ganz tolle Idee, sagt mein Fuß dazu. Wenigstens hat sich der Weg gelohnt. Unten angekommen können wir in schöner Umgebung und nur mit ein paar Affen als Gesellschaft die Ruhe hier genießen.

Tempel, Strand und Schlange(n)

Die Größe dieser Statue rüberzubringen, ist gar nicht so einfach. Hoffentlich helfen euch die beiden fleißigen Fotografen auf diesem Foto, um die richtige Relation zu finden =)

Die Größe dieser Statue rüberzubringen, ist gar nicht so einfach. Hoffentlich helfen euch die beiden fleißigen Fotografen auf diesem Foto, um die richtige Relation zu finden =)

Mein Highlight der Insel war definitiv der Kek Lok Si Tempel. Dabei handelt es sich um den größten buddhistischen Tempel Malaysias. Er erstreckt sich über zahlreiche Ebenen. Es gibt Bänke im Grünen, kleine und große Tempelhallen und vor allem eine riesige Statue, die über dem ganzen Gelände thront.

Gemischte Gefühle was den Ort angeht. Einerseits wirklich faszinierend und beeindruckend. Alleine schon die Größe. Andererseits aber auch sehr künstlich. Kein einziger Mönch zu sehen, dafür viele Souvenir-, Ramsch- und Devotionalienstände. Und eine Menge nicht sehr feinfühlige Touristen.

Zum Abschluss unseres Aufenthaltes haben wir uns noch eine ordentliche Portion Strand gegönnt. Und dabei noch ein richtig tolles Zufallserlebnis gehabt: Eben noch saßen wir in einer Strandbar und haben bei einem Bier langsam das Urlaubsgefühl in uns  sesshaft werden lassen. Und im nächsten Moment haben wir eine Schlange um den Hals. Genau vor unserer Nase platzierte sich eine Art Straßenkünstler. Der Besitzer der Bar rief uns näher, wir sollen uns die Snake-Show nicht entgehen lassen. Und er hatte recht. Erst zog der Schlangenmann eine wunderschöne, schwarz gelbe und harmlose Schlange aus seinem Korb. Etwas scheu waren wir schon, aber zum Glück haben wir uns doch noch getraut, sie um den Hals zu nehmen – so eine Chance darf man einfach nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Danach kam aber noch ein weiters Highlight: als nächsten warnte uns der Mann, ein paar Schritte zurück zu treten. Nahm eine Flöte und wie im Film stieg eine Kobra aus dem nächsten Korb. Wirklich ein tolles Erlebnis, und so unverhofft.


 


Essen  Schlemmen wie die Locals!

Geht es passender: beim Schlendern durch den Kek Lok Si Tempel kam Arvid die Frage, welches chinesische Sternzeichen er eigentlich ist. Schlange ist die Antwort. Und noch am selben Abend hat er eine um den Hals. Zufall?

Geht es passender: beim Schlendern durch den Kek Lok Si Tempel kam Arvid die Frage, welches chinesische Sternzeichen er eigentlich ist. Schlange ist die Antwort. Und noch am selben Abend hat er eine um den Hals. Zufall?

Wenn wir ein Fazit ziehen müssten (warum eigentlich?) und es nach so einer kurzen Zeit überhaupt möglich ist, dann würde es wohl positiv gemischt ausfallen. Penang hat unsere Erwartungen erfüllt, was den Asien-Faktor angeht. So nenne ich das jetzt Mal. Wir haben viel gesehen, probiert, gelernt – und auch gelassen. Unser Homestay war auf jeden Fall definitv eine eigene Erfahrung. Während ich diesen Artikel begonnen habe, bereitet eine etwa zehnköpfige indische Familie ein paar Meter weiter gerade ihr Mittagessen zu. Die zwei kleinsten Jungs laufen immer weg, wenn sie mich sehen, strahlen dabei aber übers ganze Gesicht. Das Oberhaupt der Familie begrüßt uns sogar mit einem deutschen „Guten Morgen! Wie geht es?“ und wir bekommen Litschies en Masse aus dem heimischen Garten geschenkt.

Neben dem Tempel bin ich vor allem froh über den Viva Local Food Haven. Bei uns hieße es wahrscheinlich Foodcourt, hier nennen sie es Hawker Center oder so. Viele, viele kleine Stände unter einem Dach. Es gibt alles, von koreanischen Suppen, ganzen Fischen am Spieß, gebratene Nudeln bis zu indischen Samosas. Mit am schönsten ist eigentlich, dass hier kaum Touristen sind. Der Ort vibriert richtig. So voll Leben ist er. Alle kommen her. Man trifft sich. Jeder findet was leckeres. Geile Atmosphäre, ich kann es nicht anders sagen. Dass es dazu noch unglaublich lecker und unglaublich günstig ist, setzt dem ganzen dann noch die Krone auf.

Nirgends haben wir auf Penang besser, abwechslungsreicher und authentischer gegessen. Und unter so vielen Locals. Viele Stände unter einem Dach, in der Mitte sitzt man, jeder sucht sich das aus, worauf er Lust hat. Brauchen wir bei uns auch!

Nirgends haben wir auf Penang besser, abwechslungsreicher und authentischer gegessen. Und unter so vielen Locals. Viele Stände unter einem Dach, in der Mitte sitzt man, jeder sucht sich das aus, worauf er Lust hat. Brauchen wir bei uns auch!

Asienkenner, Alte Hasen und Profis des Reisens werden bei diesen Worten wahrscheinlich ein gutmütiges Lächeln auf den Lippen haben. Ist halt normal hier. Für uns aber noch neu. Deswegen die Freude. Ich wünschte, dieses Konzept ließe sich bei uns auch etablieren. Aber da hat wahrscheinlich allen voran das Hygieneamt was dagegen. Aber das Auswärts-Essen wird hier auch einfach anders wahrgenommen. Viel normaler, weniger Brimborium. Alltag, eben. Asiatischer Alltag.

Nach einer Woche hier fällt der Abschied schon ein wenig schwer. Gerade haben wir uns ein wenig an alles gewöhnt, uns zurecht gefunden und die ersten indonesischen Worte kommen immer lockerer von den Lippen. Aber ich bin mir sicher, auch Kuala Lumpur wird uns gefallen. Und das nächste Hawker Center, das unsere Herzen und Bäuche vor Freude hüpfen lässt, wird sich auch finden! Und es wird wohl einfach bald Zeit, ein bisschen reise-sesshafter zu werden. Länger an einem Ort zu bleiben. Höre ich da Bali rufen?

 

Und die Achterbahn fliegt mit…

Lesezeit: 4 minuten

Und die Achterbahn fliegt mit…

Die Abreise hat meiner Borderline-Achterbahn einen ordentlichen Schwung versetzt. Wie ich versuche, das Tempo wieder zu drosseln; warum ich möchte, dass du deinen Besser-Weg findest und wieso ich noch nicht im Dachterrassen-Pool schwimme? Viele Fragen – ein Artikel voller Antworten.


Wie sagt man doch so schön: egal wo du hingehst, deine Probleme kommen mit. Vor denen kannst du nicht weglaufen. Und manchmal sagt dieses mächtige „man“ sogar die Wahrheit. Aber es ist ja auch nicht so, als hätte ich damit gerechnet, dass mit der Abreise alles heile Welt ist. Das wäre ein bisschen zu sehr Einhörner und Lalaland gewesen.

Nein, nein – die treue Borderline bleibt bei mir. Egal wo ich gehe und stehe. Oder hinreise. Aber die Achterbahn ändert ein wenig ihr Tempo und ihre Streckenführung, wenn ich unterwegs bin. Unbekannt und spannend bleibt die Fahrt in jedem Fall.

Servus Urlaub, Adios Routine – Welcome Chaos!

Gerade nun diese ersten Tage, die wir von zu Hause weg und in Asien unterwegs sind, treiben die Geschwindigkeit sehr in die Höhe. So viel Neues, so viele Eindrücke, so viele Reize, so viel von Allem. Das prasselt alles gerade auf mich ein, ohne dass ich mich an meinen gewohnten Ankern fest halten kann. Meine Selbstfürsorge-Routine aus Sport, Meditation, gesundem Essen & Co lässt sich nicht von heute auf morgen einmal über den halben Erdball bewegen.

Erstmal muss der Körper hier ankommen. Den Jetlag ausschlafen. Mit den ungewohnten Dingen klar kommen, die ich ihm hier vorsetze. Das alleine braucht schon seine Zeit und Energie. Und dann erst der Kopf. Der kann gar nicht so schnell  schalten, wie meine Anspannung gerade vorausrennt. Überhaupt erstmal verstehen, was hier passiert. Dass wir gerade in ein tolles Abenteuer gestartet sind. Für vier Monate. Schon bei einem „normalen“ Urlaub von zwei oder drei Wochen braucht es ein paar Tage, um den Organismus auf Erholungs-Temperatur zu bekommen. Nun sind weder mein Kopf, noch unser „Urlaub“ hier normal. Das macht den Prozess dezent langwieriger und Kräfte zehrender.

Ich weiß, so bald ich mich auf die neue Umgebung und den Zustand des Auf-Reisen-Seins eingestellt habe, wird die Achterbahn wieder etwas harmloser. Vielleicht wieder bekannter. Bis dahin schießt es mich aber wohl noch ein paar Mal ordentlich hin und her, zwischen Ungeduld, Unverständnis und Ärger. Zwischen Trauer, Entsetzen und Mitleid. Zwischen Freude, Neugier und Spaß. Zwischen Liebe und Dankbarkeit für Arvid. Der gerade so viel erträgt. Er ist hier viel mehr noch als zu Hause das einzige Ventil, an dem ich Dampf ablasse.

Ziel ist jetzt also erstmal, die Grundanspannung wieder niedriger zu bekommen. Daran arbeite ich, indem ich nun, da zumindest der Körper schon in Asien angekommen ist, öfter Zeitfenster für mich nehme. Und vor allem dadurch, dass ich und wir uns fragen, was wir gerade wirklich wollen. Und nicht zu sehr nach den verdächtigen man könnte – man sollte – man müsste handeln. Es ist ok, auch mal bis Mittags zu schlafen, wenn der Körper das braucht. Es ist ok, kein Interesse für gewisse Dinge zu haben. Auch wenn alle anderen dem Reiseführer nach dorthin rennen. Es ist ok, eine Sache blöd zu finden, von der die Mehrheit angetan zu sein scheint. Nach ein paar Tagen haben wir angefangen, uns weniger Druck zu machen. Für wen auch? Oder für was? Gute Entscheidung!

Besser, Bessererer, am Bessesten

Wenn der Start von THE|trip mich nun so aus der Bahn geschleudert hat, warum lege ich dann aber so viel Wert darauf, zu betonen, dass Reisen mir gut tut? Dass es mir nie besser geht? Besser ist eben ein sehr individuelle Sache. Besser hat für mich viele Komponenten. Angefangen dabei, dass ich etwas tue, was ich liebe. Reisen.

Besser heißt für mich, nach meiner eigenen Nase zu leben. Besser heißt für mich, meinen eigenen Weg zu gehen. Nicht in Lauerhaltung leben. Besser heißt für mich, mir selber das zu geben, was ich brauche. Auf mich zu hören.

Besser heißt für mich, an mir zu arbeiten. Meine Ansichten und Meinungen zu prüfen. Mir selber Entwicklungsmöglichkeiten zu verschaffen.

Besser heißt für mich, nicht zu viel Zeit mit Dingen verbringen zu müssen, die mich nicht vorwärts bringen. Die nirgendwo hin führen.

Vor kurzem bin ich über ein Zitat gestolpert, das mir sehr gut gefallen hat. Leider weiß ich es nicht mehr so ganz genau, aber es stand in etwa darin, dass viele Menschen auf diesem Planeten froh wären, Dinge tun zu müssen, über die wir uns beschweren. Hat mich zum Nachdenken gebracht. Wir selber sind halt der beste Punkt, an dem wir ansetzen können, wenn wir etwas verändern wollen. Deswegen heißt Besser für mich auch, zu versuchen, das Beste aus jedem Tag rauszuholen.

In meiner Küche steht in großen Buchstaben Change It – Leave It – Or Love It. Passt ganz gut dazu. Weniger beschweren, lieber aktiv verändern. Oder akzeptieren. Dann kann einiges ganz schnell ein Stückchen besser werden.

Und: Mein Besser muss nicht jedermanns Besser sein. Besser kann für dich ganz anders aussehen. Besser hat wahrscheinlich so viele Gesichter, wie es Menschen auf der Welt gibt.

Mein Besser fühlt sich gerade auf jeden Fall ziemlich gut an. Ich sitze in Kuala Lumpur, auf dem Dach unserer Unterkunft, Sicht auf die nächtliche Skyline, die Petronas Towers, der große Outdoor-Pool direkt neben mir wartet nur darauf, dass ich diesen Post für euch endlich fertig stelle. Ich wünsche mir, dass viele Leute anfangen, sich häufiger zu fragen, warum und für wen sie machen, was sie gerade machen. Welche Motive dahinter stecken. Und sich auf die Suche nach ihrem eigenen Besser machen.

Wo geht’s lang? Weiter!

Bei dieser Suche nach dem Besser taucht natürlich auch traveling | the | borderline mit auf. In den letzten Tagen habe ich viel Kopfarbeit geleistet und mich gefragt, wohin das Ganze führen soll. Was mein Besser in dieser Hinsicht wäre. Ganz unabhängig von Realismus oder Pessimismus. Und ich merke, dass mein Engagement für die Borderline Persönlichkeitsstörung auf jeden Fall einen großen Beitrag zu meinem persönlichen Besser leisten kann. Vor allem, wenn ich damit das Leben von anderen Betroffenen auch mit besser machen kann.

Das Reisebloggen, in das ich gerade ein wenig hineinschnuppere, ist wirklich toll. Ich es liebe, euch an unserem Abenteuer teil haben zu lassen. Aber mir wird auch mehr und mehr klar, dass mich diese Tätigkeit nicht durch ein ganzes Leben tragen kann. Jedenfalls nicht solo. Vielleicht auch, als Unterstützung oder Ausgleich. Aber irgendwann würde ich mir zwangsläufig Fragen stellen: Wofür das alles? Was ist der Sinn dahinter? Ist das Besser?

Da freue ich mich lieber, dass ich meinen Borderline-Joker habe. Denn der treibt mich an. Mit jedem Tag merke ich, wie sehr ich möchte, dass die Welt ein bisschen freundlicher auf psychische Erkrankungen schaut. Viele Gedanken, wie ich die Sache ein Stück weiter bringen kann, jagen durch meinen Kopf und genießen die Achterbahnfahrt. Wer könnte mir helfen? Wie finde ich andere Betroffene, die mit ich auf meine Seite ziehen kann? Wie erreiche ich mehr Menschen? Wo finde ich Unterstützung?

Aber zu weit voraus will ich noch gar nicht denken. Denn wer mich kennt der weiß, dass ich glaube alles kommt, wie es kommen soll. Und so genieße ich für den Moment den Ausblick. Diese Reise. Die Zeit mit Arvid. Das Neue. Und springe jetzt endlich in den Pool. Erst das Schreiben, dann das Schwimmen! Selbstfürsorge Ahoi!

Singapur | ordentlich. teuer.

Lesezeit: 6 minuten

Singapur | ordentlich. teuer.

Eine Stadt in den Wechseljahren. Keine Fahrräder, Hunde oder Dreck. Dafür Kameras, Regeln und ein Feeling wie in „1984“. Viel Asien erwartet uns hier noch nicht. Asien light beschreibt es dagegen ganz gut. Hat Vor- und Nachteile im bekannten Unbekannten zu starten.

Orchard Road bei Nacht | Lichtspektakel & Konsumwahnsinn

Spaziergang über die Orchard Road am ersten Abend. Malls und Weihnachtsdeko leuchten um die Wette. Das macht die Stimmung recht schön. Bei Tageslicht sieht die Sache dann leider ganz anders aus.

Noch ist THE|trip keine Woche alt – und endlich schaffe ich es, euch einen ersten BlogPost zu überbringen. Die ersten Tage waren so voll Jetlag, Ankommen und Reinfinden, dass kaum Zeit und Energie für RechnerArbeit war. Dafür jetzt.

Singapur also. Gut, heil und voller Erwartungen gelandet. Danke, liebe Qatar, für diesen wirklich wundervoll ruhigen, entspannten und bequemen Tranport über den halben Erdball. Nur zu empfehlen.

Ich muss zugeben, zum Eingwöhnen ins Reiseleben haben wir in Singapur keine großen Abenteuer gewagt. Sondern uns eher an ausgetretenen Touri-Pfaden entlang gehangelt. Von der Mega-Mall-Meile Orchard-Road über Chinatown mit buddhistischem Tempel bis zum entspannten Grün und einem tollen Ausblick an der Marina Bay. Bevor ich euch darüber trocken zuschreibe, lasse ich Bilder samt Unterschriften lieber für sich sprechen.

Kulturtausch in Perfektion

Beim Gang durch die Stadt und ihre Läden fällt mir auf jeden Fall auf, wie paradox die Globalisierung unsere Welt verwoben hat. Hier scheint man an jeder Ecke und Kante den westlichen Lebensstil zu idealisieren. Restaurants und Essensstände, die westliches Essen anbieten, sind deutlich besser besucht als die Anbieter asiatischer Küche. Von Locals, nicht von Touris. In den Drogerieabteilungen gibt es Regale voller Produkte, welche die Haut weißer machen. Auf den Plakaten präsentieren fast ausschließlich langnasige Models Marken und Waren. European und Western scheinen Zauberworte zu sein.

Bei uns in Deutschland scheint mir die Sache genau anders herum zu funktionieren. Alles was asiatisch ist, wollen wir. Achtsamkeit, Meditation, Buddhismus, Zen, Yoga, Sushi und Co sind extrem angesagt. Gerne möchten wir diese Dinge in unserem Leben haben. Der Mensch strebt wohl einfach gern nach dem, was er nicht hat. Ich schließe mich da nicht aus.

Ein bisschen macht mir das Angst. Wenn ich bedenke, wie es in dieser Stadt wohl vor 20 Jahren ausgesehen hat. Und dann heute. Wie sieht es wohl in weiteren 20 Jahren aus? Ich vermute, dass die Unterschiede und Eigenheiten – zumindest aus den Städten – immer mehr verschwinden werden und man irgendwann überall auf dem Planeten ohne Probleme die gewohnte Zahnpasta und das Lieblingsessen finden wird. Da wird wohl viel verloren gehen für den Preis von weltumspannenden Widererkennungswerten.

Open-Air-Dusche und alles schön sauber. Das macht das Ankommen leicht.

Open-Air-Dusche und alles schön sauber. Das macht das Ankommen leicht.

Wechseljahr-Simulator

Man erwartet es, aber trotzdem sind wir überrascht: die Klimaanlagen. Es ist faszinierend. Ich kann verstehen, dass man nicht überall schwüle 30 Grad und mehr ertragen möchte. Aber warum sämtliche Innenräume auf 20 oder gar 18 Grad runtergekühlt werden müssen – das will noch nicht so richtig in meinen Kopf. Klingt im ersten Moment nicht kalt, aber im Gegensatz zu den Außentemperaturen haut es uns jedes Mal um. Rein – Raus – Rein – Raus | Kalt – Heiß – Kalt – Heiß.

Arvid ämusiert sich köstlich, wenn wir eine Mall, einen Laden, einen Bahnhof oder ähnliches verlassen und uns estmal ausziehen. Beim Rausgehen. Kennen wir irgendwie anders von daheim. Wir wissen noch nicht, ob unsere Körper sich bald daran gewöhnen werden. Die Einheimischen lassen sich auf jeden Fall nichts anmerken. Eine meiner Theorien ist, dass die Stadt will, dass man nie zu lange an einem Ort bleibt. Zu warm draußen, also schnell rein, wo es kühl ist. Zu kühl, also schnell wieder raus, da ist es wärmer.

George Orwells Traumstadt

Und wo wir gerade dabei sind: die Stadt scheint so einiges zu wollen. Dass es hier viele Verbote gibt, liest man vorher oder bekommt es erzählt. Wie ausgeprägt diese Verbotswelt allerdings ist, begreift man erst, wenn man durch die Straßen geht.

Arvid hat passende Parallelen zum Roman „1984“ gefunden: Wir geben dir die perfekte Stadt. Wir regeln alles für dich. Sauberkeit, Ordnung, Verhalten. Im Gegenzug darfst du nur nicht gegen unsere Regeln verstoßen. Aber auch das übernehmen wir. Wir achten auf dich. Immer. Und überall.

Ja, dieser Mann wischt den Gehweg.

Ja, dieser Mann wischt den Gehweg.

Denn es sind tatsächlich überall Kameras. Und jeden Tag lernt man neue Verbote kennen. Nicht überall rauchen ist verständlich und bekannt. Keinen Kaugummi kauen kennt man aus dem Reiseführer. Aber dass auch Haustiere verboten sind, bestraft wird wer die Toilette nicht spült und praktisch nirgendwo gegessen und getrunken werden darf – daran muss man sich gewöhnen. Die Angst, irgendetwas falsch zu machen, wird zum ständigen Begleiter. „Küssen? Dürfen wir das hier im MRT? Lieber lassen.“ Denn die Strafen sind ja auch nicht gerade läppisch. Von mehreren Hundert Singapur Dollar bis zu mehreren Jahren im Gefängnis. Muss man ja nicht alles ausprobieren.

Das Ganze führt in jedem Fall zu einem wirklich fast makellosen Stadtbild. Allerdings kommt einem die Abwesenheit von Fahrrädern und Vierbeinern auch irgendwie komisch vor. Selbst der Verkehr ist so gut durchorganisiert, dass es trotz 5 Millionen Einwohnern keine Staus gibt. In den öffentlichen Nahverkehrszügen ist deutlich markiert, wo man zu stehen und zu gehen hat. Überall gibt es Wachleute, Aufpasser und Security. Echte Polizei haben wir – vor den Kameras – dafür praktisch keine gesehen.

 

Fazit: Asien Light – Singapur Light

Unsere Meinung über ist daher auch gemischt. Es ist eine Großstadt wie viele andere. Allerdings mit viel Grün und einer wirklich bunten Kultur und Gesellschaft. Verschiedenste Religionen und Weltanschauungen, Generationen und Lebensvorstellungen treffen aufeinander. Jeder darf sein und machen, wonach ihm ist. Solange es gegen kein Gesetzt verstößt.

Vieles hier ist noch bekannt. Englisch ist quasi Stadtsprache, zwar neben drei anderen offiziellen aber im Alltag bzw. in der Innenstadt sieht und hört man kaum andere Wörter. In den Läden kennt man mindestens 80% der Marken. Was wirklich schade ist, nachdem man doch immerhin den Globus ein gutes Stück unter seien Füßen bewegt hat. Auch bei den Preisen muss man sich noch nicht allzusehr umgewöhnen. Die Stadt ist für asiatische Verhältnisse sehr europäisch. Also teuer – da freut man sich dann wieder aufs Weiterreisen. Ins „richtige“ Asien.

Noch können wir wählen zwischen sitzen und hocken | die Frage nach der hygienischeren Lösung stelle ich nicht

Noch können wir wählen zwischen sitzen und hocken | die Frage nach der hygienischeren Lösung stelle ich nicht

Auf der anderen Seite macht einem der gewohnte Komfort das Ankommen natürlich etwas leichter. Auch wenn er den eigentlichen Asien-Kultur-Schock nur um ein paar Tage nach hinten verschiebt. Wir versuchen uns schon mal an einige Dinge zu gewöhnen, die uns in den nächsten Wochen das Leben leichter machen werden. Zähne putzen nicht mit Leitungswasser, vorsichtiger werden beim Essen werden und ein Gespür für die Menschen hier zu bekommen.

Klar ist, dass wir nach nur drei Tagen hier die Stadt nur sehr oberflächlich kennen lernen konnten. Mein Gefühl sagt mir aber, dass es eigentlich zwei Singapurs gibt:

Einmal das schöne, neue, glänzende Singapur der Wolkenkratzer und High-Society. Schein zählt mehr als Sein. Deine Adresse, dein Auto und deine Kleidung müssen stimmen, damit du auf die schönen Dachterassen eingeladen wirst.

Vorne Hui - hinten Pfui. Die Rückseite der Touri-Fress-Meile am Clarque Bay.

Vorne Hui – hinten Pfui. Die Rückseite der Touri-Fress-Meile am Clarque Bay.

Wer als Tourist das entsprechende Kleingeld hat, kann für seinen Aufenthalt Teil dieses Singapurs werden.

Und dann das andere Singapur. Dass der Arbeiter und normalen Leute. Die zwar durch die selben Straßen gehen wie die Oberen, aber in einer eigenen Stadt leben. Die Welten treffen sich, wenn die Kleidung, das Auto oder der Pool gereinigt werden muss. Ansonsten gibt es nicht viele Schnittstellen.

Von diesem zweiten Singapur hätte ich gerne mehr gesehen. Denn ich vermute, dass ich mich dort um einiges wohler fühlen würde, als im perfekten Glanzpalast, der die Stadt so gerne sein möchte. Allerdings hilft Geld hier nicht. Um Teil dieser „Subkultur“ zu werden, braucht es die richtigen Menschen. Leider haben wir diese bei unserem ersten Aufenthalt noch nicht gefunden. Aber wir haben ja noch eine zweite Chance, wenn wir wieder abfliegen.

Blick zurück in die Zukunft

Und auch darauf sind wir schon sehr gespannt. Wie der zweite Aufenthalt in vier Monaten in Singapur wohl sein wird. Werden wir uns darauf freuen, in eine „richtige, saubere, westliche“ Stadt zu kommen? Werden wir extra lange hier verbringen wollen? Oder werden wir genervt sein von der Aussicht, in diese 1984-Stadt zurückzukehren und den Aufenthalt so kurz wie möglich halten?

Werden wir zurück blicken und sagen „Weiß du noch, damals, wie doof wir uns angestellt haben? Kannst du glauben, dass wir dies und das gemacht haben?“

Reist mit uns und ihr werden die Antwort vielleicht sogar früher wissen, als wir selber.

BPD Symptome erklärt | N°4

Lesezeit: 5 minuten

Ich will das jetzt! Ich brauch das jetzt! Ich mach das jetzt!

BPD Symptome erklärt | N°4

In der Reihe BPD Symptome erklärt möchte ich euch nach und nach anhand der „offiziellen Kriterien“ des DSM die Symptome der Borderline Persönlichkeitsstörung vorstellen. Wie bei allen Beiträgen auf meiner Seite gilt: hier geht es um meine Welt, um meine Erfahrungen, um meine Ansichten. Wenn ihr Ergänzungen habt, könnt ihr diese gerne per Mail oder in den Kommentaren mit mir und allen Lesern teilen. Einen Überblick über die Symptome findest du im Grundkurs Borderline. Nun also zu Kriterium N°4:

Starke Impulsivität in mindestens zwei möglicherweise selbstschädigenden Bereichen, zum Beispiel Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, zu viel oder zu wenig essen.

Trinken um den Selbsthass ertragen. Essen um die Anspannung zu regulieren. Kaufen um die Trauer zu bekämpfen. Und das regelmäßig. Und unkontrolliert. Mechanismen, die teuflischerweise extrem gut funktionieren. Obwohl sie Körper, Psyche und Beziehungen langsam und stetig kaputt machen.


Zu allererst: hierbei geht es (noch) nicht um selbstverletztendes Verhalten. Denn das ist ein eigenes Symptom und als nächstes in der Reihe dran. Hierbei geht es wirklich darum, Dinge zu tun, die einfach nicht klug sind. Und darum, das auch prinzipiell zu wissen – aber in dem Moment einfach nicht anders zu können. Und auch darum, es hinterher gerne zu bereuen. Oder sich dafür zu hassen.

Am ausgeprägtesten trage ich diesen Kampf mit dem Alkohol aus. Oder habe es getan. Darüber hinaus habe ich aber auch immer wieder das Kaufen von Dingen, das eindeutig zu rücksichtslose Fahren und die Menge des Essens, das ich zu mir nehme, instrumentalisiert.

Aber warum und was steckt dahinter?

Kontrolle bitte zu mir! Die Kontrolle bitte!

Ganz kurz und knapp: diese Handlungen dienen dazu, irgendetwas in mir drin zu regulieren, zu kontrollieren oder zu ignorieren. Gefühle oder Gedanken. Dinge, mit denen ich nicht klar komme. Und auch dazu, die Anspannung in den Griff zu bekommen.

Ich bin mir sicher, viele von den Verhaltensweisen oben kennst du. Mal kauft man ein T-Shirt, dass man sich eigentlich gar nicht leisten kann. Und auch nicht braucht. Es passiert, dass man hinterm Steuer schimpft – mal ein wenig oder auch mal ein wenig mehr. Am Esstisch schlägt man über die Strenge – währenddessen ist es toll, danach fühlt man sich manchmal nicht mehr so toll. Oder Rauchen – ich tue es zwar nicht, weiß aber das viele es zum Runterkommen oder Entspannen nutzen. Ich habe es schon oft gesagt, aber es gilt auch hier wieder: mulitpliziere das dir bekannte nun mit hundert, und dann haben wir das Problem.

Mal ein wenig über die Verhältnisse zu leben, mal zu viel zu trinken, mal zu viel zu essen ist nicht schlimm. Wenn es jedoch regelmäßig vorkommt, ist das nicht mehr so harmlos. Ich habe Betroffene kennengelernt, die haben sich in den finanziellen Ruin gebracht; mit Shoppen oder Spielen. Andere balancieren am Rand einer Essstörung. Oder haben schlimme Verkehrsunfälle verursacht.

Das fiese für mich ist, was eigentlich dahinter steckt: Dir geht es nicht gut. Dann merkst du (zufällig) dass es etwas gibt, dass dir hilft. Das macht, dass es dir ein bisschen besser geht. Ob das nun Shoppen, Essen, Hungern, Schnelles Fahren, Trinken oder andere Drogen sind. Und mit der Zeit verlierst du die Kontrolle darüber, wann du es einsetzt. Von der Einmal- wird es zur Dauerlösung. Der Impuls, genau diese Sache jetzt zu brauchen, zu wollen, zu machen wird immer stärker, kommt immer öfter – und du wirst immer hilf- und machtloser. Und da du auch keinen anderen oder gar besseren Weg kennst, da rauszukommen, machst du es halt.

Gesunde Menschen können hier einen Riegel vorschieben wenn es zu viel / zu oft / zu stark wird. Sozusagen das Stoppschild hochhalten. Bei Menschen mit Borderline Persönlichkeitsstörung kommt hier aber die mangelnde Affektkontrolle ins Spiel. Der Impuls ist da also wird er bedient.

Diese Sachen zu brauchen, obwohl du weißt, dass sie dich auf irgendeiner Art und Weise kaputt machen, fühlt sich fast noch schlimmer an. Am Anfang denkst du darüber noch gar nicht nach. Du bist einfach nur froh, dass es etwas gibt, das funktioniert. Aber spätestens als ich mich in der Therapie immer mehr mit mir und meinen Angewohnheiten beschäftigt habe, desto klarer wurde mir, dass ich fleißig dabei bin mich selber zu zerstören. Leider ist diese Erkenntnis noch nicht gleichzusetzen mit einem Ende.

Sucht oder Ja?

Bei vielen Betroffenen gehen die selbstschädigenden Verhaltensweisen auf jeden Fall irgendwann in eine suchtähnliche Richtung. Ich finde den Vergleich von Minisüchten gar nicht so schlecht. Obwohl Mini eigentlich das falsche Wort ist. Denn das Ganze kann sich auswachsen zu eigenen Krankheiten. Nicht umsonst kommen Spiel- und Drogensucht sowie Essstörungen sehr häufig als komorbide Diagnosen bei Borderlinern vor.

Der Unterschied zu „klassisch“ Süchtigen ist meiner Meinung nach, das gezielte Einsetzen verschiedener selbstschädigender Dinge um verschiedene Gefühle zu regulieren. Wenn es uns Betroffene mal wieder von jetzt auf gleich zwischen unseren Emotionen hin- und herschiesst, wollen und brauchen wir eben auch schnelle Lösungen. Dann hilft es nicht zu sagen „Ich gönne mir heute Abend ein Bad.“ Nein – es muss jetzt sein. Jetzt! Sofort! Jetzt halte ich die Trauer nicht aus – also trinke ich. Jetzt überwältigt mich der Schmerz – also kaufe ich mir was.

Meine Erfahrungen

Essen funktioniert bei mir in zweierlei Hinsicht: zu wenig ist super, wenn ich mich „bestrafen“ will. Das leere Gefühl im Bauch, das Knurren des Magens – scheint zu sagen: „Recht so. Genau das hast du verdient.“ Andersrum kann Essen aber auch dazu dienen, ein gutes Gefühl hervorzurufen. Eine leckere Pizza, schön Schokolade – wenn es sonst nichts gibt, was mich glücklich macht dann wenigstens über die Nahrung ein paar positive Gefühle provozieren. Beides habe ich allerdings nicht oft, sondern nur in extremen Zeiten angewendet. Insgesamt muss ich sagen, dass ich mittlerweile ein sehr gutes Verhältnis zum Essen habe. Ich weiß, was mein Körper braucht und möchte es ihm auch gerne geben. Denn für den Einsatz, den er täglich bringt, hat er nur das Beste verdient.

Nächstes Thema: Riskantes Fahren. Ja, das gab es. Definitv. Oft. Und dieses Verhalten macht mich besonders wütend an mir selber, weil es so potentiell fremdschädigend ist. Zum Glück ist nie was passiert. Da war wohl manchmal eine Armada an Schutzengeln nur dazu abgestellt, um mich herumzufliegen. Mittlerweile bin ich vielleicht noch immer nicht die tiefenentspannteste Fahrerin, aber kein Vergleich mehr zu früher.

Und dann der Alkohol: definitiv mein stärkstes Lösungsmittel. Oft genutzt, lange erprobt, erfolgreich getestet. Für und gegen alles. Gefühle, Gedanken, Anspannung – name it, I did it. Wenn ich noch ein paar Jahre so weitergemacht hätte, wie ich es in meinen schlimmsten Zeiten getan habe, dann wäre das Ende nun mittlerweile definitiv nah. Oder sogar schon erreicht. Hier zeigt sich aber auch wieder der – meiner Meinung nach – vorhandene Unterschied zu einer reinen Alkoholabhängigkeit: sobald ich mich für die stationäre Aufnahme in der Klinik entschieden hatte, habe ich keinen Tropfen mehr getrunken. Ohne Probleme. Ohne Zittern, Schwitzen, Krampfanfälle oder ähnliches. Von heute auf morgen. Kein Ding.

Blöd oder unschön ist auch, wenn man die verschiedenen Mechanismen gegeneinander ausspielt oder gar kombiniert. Zum Beispiel: ich habe jetzt zu viel Alkohol getrunken, also viele Kalorien zu mir genommen – deswegen esse ich jetzt nichts.

Was tun?

Erkennen ist wohl auch hier der erste Schritt in Richtung Besserung. Je nachdem wie stark der Kontrollverlust gegenüber der Angewohnheit ist, wird es ohne professionelle Hilfe schwer. Hier können Angehörige wieder unterstützen, indem sie den Betroffenen nicht für seine Angewohnheiten verachten. Oder ihn darin unterstützen. Von außen ist oft leichter zu erkennen, ob es noch nur eine schlechte Marotte ist, oder schon gefährlich wird.

Je näher das ganze Richtung ausgewachsener Sucht geht desto wichtiger ist, sich Hilfe von außen zu holen.

Ich habe selber erstmal probiert, das Ganze alleine in den Griff zu bekommen. Ging auch irgendwie. Aber nur bis zur nächsten Krise. Dann war alles wieder wie vorher. Erst als ich in der Therapie gelernt habe, warum ich gewisse Dinge mache und was überhaupt mit mir los ist, konnte ich an den eigentlichen Ursachen arbeiten. Das war nicht schön, aber heute bin ich froh, dass ich mich da durch gekämpft habe. Meinen Dämonen sozusagen in die Augen gesehen habe. Und ich hab nicht als erste weggeschaut.

Jetzt möchte ich euch vor allem Mut machen: man kann lernen, die selbstschädigenden Sachen durch harmlosere zu ersetzen. Bessere Alternativen finden. Den Impulsen nicht mehr so hilflos ausgesetzt sein. Zum Schluss lasse ich gerne Mark Twain zu Wort kommen:

Eine Angewohnheit kann man nicht aus dem Fenster werfen. Man muss sie die Treppe hinunter prügeln. Stufe für Stufe.

Leitsymptom Anspannung

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Leitsymptom Anspannung

So unterschiedlich jeder Borderliner auch ist, so verschieden sich die Symptome mischen und zeigen – eines haben wir alle gemeinsam: den Kampf mit der Anspannung. Was ist das eigentlich? Woher kommt sie? Und wie geht sie wieder?


Als „nicht-normale“ finde ich es sehr schwer, nicht-Betroffenen dieses Phänomen näher zu bringen. Aber ich werde es versuchen.

Anspannungszustände sind nicht schön. Überhaupt nicht. Vielleicht hilft ein Vergleich, um die Sache deutlich zu machen: Kennst du die nervöse Unruhe vor einem Flug, einem wichtigen Gespräch, einem unangenehmen Arztbesuch oder einem Sportwettkampf? Die Gedanken drehen sich nur noch um diese eine Sache. Fragen drehen fleißig ihre Runden im Kopf. Wie wird es werden? Klappt alles? Habe ich an alles gedacht? Und so weiter. Es fällt schwer, ruhig dazusitzen oder sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Ein Buch zu lesen, wäre fast unmöglich. Die Gedanken wollen einfach nicht auf der Seite bleiben.

Vielleicht hilft Ablenkung. Beispielsweise ein simples Spiel auf dem Handy, das nicht viel kognitive Anstrengung benötigt. Oder das Durchblättern einer Illustrierten. Wenn der Startschuss dann gefallen, das Gespräch begonnen oder das Flugzeug abgehoben hat, ist die Sache vorbei. Erleichterung, der Körper und der Geist entspannen sich. Buch lesen geht jetzt wieder.

Bei Menschen mit Borderline braucht es nun gar kein äußeres Ereignis, um diese Anspannung hervorzurufen. Manchmal ist sie einfach so da. Manchmal wird sie ausgelöst von Außen, von externen Reizen. Ein Blick, ein Satz, ein Bild – das kann reichen. Und manchmal kommt alles von Innen, aus dem eigenen Kopf. Schmerz, Wut, Trauer, (Selbst)Hass paaren sich mit deinen Gedanken und Erinnerungen zu einem fiesen, schwarzen Etwas, dass dich komplett einhüllt.

Wie ein Karussel dreht sich alles und wird zu einer Art Strudel, der einen nach unten zieht. Es scheint nur noch eine Richtung zu geben. Schlimmer. Und höher geht die Anspannung. Und dann möchte man nur noch, dass dieser Zustand irgendwie aufhört. Egal wie. Bitte einfach Stopp! Kein Termin, der gleich vorbei ist. Kein Gespräch, dass bald vorüber ist. Ich weiß, wenn ich selber nichts tue, dann gibt es kein Ende. Und da kommt dann das selbstschädigende Verhalten ins Spiel.

Die Anspannung in der DBT – Skala und Skills

Die DBT-Therapie (Dialektisch Behaviorale Therapie) ist eine Behandlungsform für die Borderline Persönlichkeitsstörung. Mittlerweile ist sie wahrscheinlich die am häufigsten angewendete. Sie wurde auf die Bedürfnisse der Betroffenen angepasst und zeigt sehr gute Erfolge. Ich selber habe die DBT bei meiner stationären Therapie in Hamburg kennengelernt. Bald könnt ihr dazu einen ausführlicheren Artikel lesen. Dann werde ich genauer beschreiben, was die DBT ist und wie sie mir geholfen hat.

In der DBT wird die Anspannung auf einer Skala von 0 bis 100 eingeordnet. Veranschaulicht wird dies mit einem einfach Diagramm: Zwei Achsen, eine ansteigende Kurve. Und drei bzw. vier Bereiche: 0-30 | 30-50 | 50-70 (oder nur 30-70) | 70-100. Je höher die Kurve desto schlimmer die Situation. Die 70 stellt eine Art Point of no Return da – ab hier ist kein klares Denken mehr möglich.

Die 0 wird unterschiedlich gedeutet. In manchen Programmen als eine Art Tiefenentspannung, alles ist gut, Körper und Geist sind ruhig. Andere Therapeuten ordnen die 0 eher einer Depression zu. Nichts geht mehr, bis zur Lethargie. Auf diesen Skalen gilt dann die 30 als eine Art erstrebenswerten Idealwert. Ich bin eher Fan der zweiten Lösung. Zwischen 30 und 70 ist ok, drunter und drüber wird es gefährlich. Entweder die Depression oder die Krise wartet auf mich. Die 50 dient oft schlicht der Orientierung. 30-50: gute positive Anspannung. 50-70: immer noch gut, aber bitte schon aufpassen.

Die verschiedenen Module der DBT befassen sich nun mit den unterschiedlichen Anspannungsbereichen. Grundlage für alle Bereiche ist das Üben von Achtsamkeit. Sich voll und ganz auf eine Sache oder sich selbst konzentrieren. Denn auch der stärkste Skill kann wenig bewirken, wenn man in Gedanken nicht bei der Sache ist. Es geht darum, ganz im Hier und Jetzt zu sein. Und darum, das Bewusstsein für die eigene Innenwelt zu verbessern. Immer wieder Innehalten und schauen, wie hoch die Anspannung gerade ist – um dann dementsprechend handeln zu können. Wenn ein Handeln denn nötig sein sollte.

Solange man sich im Bereich zwischen 30 und 70 befindet wird nun einerseits daran gearbeitet, die Grundanspannung generell zu verringern. Das erreicht man zum Beispiel durch Selbstfürsorge – also ausreichend Schlaf, gute Ernährung, Bewegung, für positive Erlebnisse und Gefühle sorgen. Die anderen großen Baustellen sind zwischenmenschliche Fertigkeiten und der Umgang mit Gefühlen. Denn durch Probleme in einem dieser Bereiche entstehen viele Anspannungszustände. Wenn auch nicht alle.

Krisenstimmung

Ab einem Bereich von 70 spricht man in der DBT von Krise. In diesem Anspannungsbereich passieren auch die ungesunden Verhaltensweisen wie Selbstverletzung. Der oder die Betroffene möchte einfach nur noch, dass der Zustand aufhört. Einfach beenden, egal wie. Und leider funktionieren Dinge wie das Ritzen hier sehr gut. Und zuverlässig. Und schnell.

Ein zentrales Ziel der DBT ist es, andere Fertigkeiten – sogenannte Skills – zu finden, die das selbstschädigende Verhalten ersetzen können. Und trotzdem den Anspannungszustand beenden. Gar nicht so einfach. Denn egal, welche Skills man ausprobiert – es hilft nie so gut wie das Schneiden. Das macht es unheimlich schwer, dem Körper hier eine andere Lösung zu präsentieren, die er dann auch annimmt. Aber es funktioniert doch super – warum machen wir das nicht einfach weiter? Scheint er zu sagen.

Ab einer Anspannung von 70 geht es nun nur noch darum, wieder unter die 70 zu kommen. Keine kognitiv anspruchsvollen Techniken, keine Gefühlsprotokolle oder ähnliches. Diese sind dann wieder an der Reihe, wenn die Anspannung stabil zwischen 30 und 70 liegt. Dann muss aber auch eine Auseinandersetzung mit dem Auslöser stattfinden. Verstehen um in Zukunft zu verhindern, quasi. Denn wenn man sich mit Skills und anderen Techniken zwar aus dem Krisenbereich rausbringt, aber dann die Ursache ignoriert, wird es nicht lange dauern, bis die Anspannung wieder oben ist. Die Profis sagen dazu dann Sägeblatt-Kurve. Hoch – runter – hoch – runter. Immer wieder und schnell hin und her.

Die Skills zum „Runterkommen“ nennen sich Stresstoleranzskills. Sie dienen ausschlißlich dazu, den Fokus von der Anspannung wegzubewegen. Kopf und Körper austricksen, würde ich sagen. Ihnen andere Reize präsentieren, die so stark sind, dass für den Auslöser der Krise, das Gedankenkarussel und die Gefühlsexplosion gar kein Platz mehr bleibt.

Wie du dir bestimmt vorstellen kannst, müssen diese Reize dann natürlich wirklich sehr stark sein. Klassiker sind hier eiskaltes Wasser (den Kopf reinstecken oder über die Arme laufen lassen), eine Chilli-Schote oder etwas anderes scharfes zerkaufen oder auch an Ammoniak riechen.

Wie lange so eine Krise dauert, ist auch sehr unterschiedlich. Bei mir hängt es ganz klar damit zusammen, was der Auslöser war. Manche Krisen sind so schnell vorbei, wie sie gekommen sind. Wenn ich mich fürchterlich über Etwas oder Jemanden aufregen musste. Eine halbe Stunde lang Rambazamba, danach ist dann aber auch wieder gut. Öfter allerdings baut sich die Anspannung bei mir über mehrere Stunden oder auch Tage auf.

Zeichen der Anspannung

Irgendwie merke ich dann, dass etwas nicht stimmt. Früher hätte ich das nie an etwas festmachen können. Es war einfach so ein Gefühl. Das ging irgendwie von weiß bis schwarz. Mit meinem besten Freund hatte ich diese Codierung, damit er einordnen konnte, wie es mir geht. Ab Dunkelgrau war ich im 70er Bereich, würde ich heute sagen.

Während der DBT-Therapie lernt man nun, die eigenen Anspannungszeichen zu erkennen und auf sie zu achten. Denn wie sich die Anspannung äußert, sieht bei jedem Betroffenen anders aus. In den verschiedenen Stadien gibt es unterschiedliche Dinge, durch die sich die Anspannung bemerkbar macht.

Ich merke es zum Beispiel daran, dass mein ganzer Körper unruhig wird. Mir fällt es sehr schwer, still zu sitzen. Das gleiche gilt für meinen Kopf – er steht nicht still, haut mir unaufhörlich Gedanken um die Ohren, dreht sich im Kreis und es führt zu nix. Auch typisch für mich ist, meine Sinne zuzumachen. Kopfhörer auf, Sonnenbrille auf – nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Bitte nicht noch mehr Input für meinen Kopf.

Einfluss auf die anderen Symptome

Die Anspannung hat nichts oder nicht zwangsläufig etwas mit den anderen Symptomen zu tun. In jedem Fall beeinflusst sie aber die Stärke und Häufigkeit, mit der beispielsweise Wutanfälle auftreten. Je höher die Anspannung desto schneller und einfacher kann die Wut die Kontrolle über mich ergreifen.

Überhaupt zeigen sich alle Symptome mehr und selbstbewusster, wenn die Anspannung sich erhöht. Vielleicht kann man sich das so vorstellen, dass die Anspannung die Geschwindigkeit meiner Achterbahn ist. Niedrige Anspannung – die Bahn bewegt sich nur im Schneckentempo. Die Fahrt ist ruhig und kontrolliert. Je höher die Anspannung steigt, desto schneller fährt die Bahn. Rasantes auf und ab – keine Kontrolle mehr.

Was hilft gegen die Anspannung?

Zum Thema DBT wird bald ein eigener Beitrag folgen. Ebenso zum Thema Skills. Zur Achtsamkeit könnt ihr schon mehr lesen – unter anderem, wie und warum sie mir hilft.

Für den Moment aber schon mal so viel: zu allererst musst man sich ändern wollen! Du musst dich für den neuen Weg entscheiden. Du musst mit dem selbstschädigenden Verhalten aufhören wollen. Das ist eine Grundvoraussetzung. Solange du tief drinnen weiter denkst Eigentlich find ich Ritzen nicht so schlimm oder ähnliches, dann hat die Sache wenig Aussicht auf Erfolg.

Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, dann fange an, auf dich zu achten. Tu was dir gut tut. Versuche immer mal wieder in dich reinzuhorchen und zu schauen, was du im Moment wirklich brauchst. Wonach dir ist. Das braucht eine Menge Übung. Vor allem, weil wir Borderliner eigentlich nur allzu gern vor unserer eigenen Innenwelt weglaufen. Sich bewusst machen, dass es einem gerade nicht gut geht, ist der erste Schritt dahin, dass man heil wieder aus der Sache raus kommt.

Übe, die Anspannung im Auge zu behalten. Nutze dazu am besten die 0-100-Skala. Am Anfang hat man keine Ahnung, wo man sich darauf einordnen soll. Aber glaub mir, mit der Zeit bekommst du ein Gefühl dafür. Auf Station wurden wir zu Beginn jeder Einheit nach der Anspannung gefragt. Außerhalb der Klinik kann diese Aufgabe beispielsweise dein Handy erledigen. Stell dir einen regelmäßigen Wecker oder mach dir eine alle paar Stunden eine Erinnerung.

Auch für den Partner ist das eine sehr gute und hilfreiche Sache. Fragt immer mal wieder nach, wo die Anspannung gerade liegt. So kannst du einschätzen, woran du gerade bist. Vielleicht könnt ihr auch gemeinsam die Anspannungszeichen durchgehen. Dem Umfeld fallen oft ganz andere Sachen auf, als einem selber. Und wenn ihr beide lernt, darauf zu achten, kann sich vielleicht die ein oder andere Krisensituation verhindern lassen.

Eine Warnung will ich aber noch schnell loswerden: nur weil die Anspannung im einen Moment bei 30 ist heißt das nicht, dass sie in der nächsten Sekunde nicht bei 90 sein kann. Aber zu wissen, ob der Partner gerade nahe an der 70 oder weit davon entfernt ist, kann den Umgang miteinander wesentlich verbessern.

Meine Anspannung liegt gerade bei 55/60.