Zwischen den Welten

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Zwischen den Welten

Der erste Post nach THE|trip.

Darüber, wie es sich anfühlt, zurück zu sein. Darüber, ob es mehr eine Rückkehr oder eigentlich der Start einer ganz anderen, neuen Reise ist. Und darüber, dass es gar nicht so einfach ist, mit dem nach Hause kommen.


Seit 9 Tagen sind wir nun wieder in Deutschland. Aber angekommen sind wir noch lange nicht. Und im Moment fühlt es sich nicht so an, als würden wir es bald tun. Als wären wir resozialisierbar.

Ein wenig hoffe ich im Moment, dass das auch so bleibt. Das alles, was wir während der vier Monate erlebt haben, wie wir uns verändert haben – was diese Zeit mit uns gemacht hat, dass es nicht nach wenigen Wochen wieder in der unterbewussten Versenkung verschwinden wird. So wie die Bräune bald weg sein wird. Eigentlich hoffe ich, dass sich halten kann, was gerade ist. Auch wenn es sich nicht nur schön anfühlt.

Reisen verändert. Das habe ich nach meinem Jahr in Neuseeland schon gemerkt. Und jetzt merke ich es wieder. Sogar noch bewusster. Weil ich die ganze Reise bewusster erlebt habe als die Monate Down Under. Selbst-Bewusster. Intensiver, würde ich sagen. Vorsichtiger. Achtsamer. Und mit dem Wissen um meine Borderline Persönlichkeitsstörung.

 From Bali to Bavaria

Wir vermissen die Wärme. Auch die menschliche. Wir vermissen die positive Einstellung zum Leben und zu anderen Menschen, welche so typisch ist für die Balinesen. Wir vermissen die Opfergaben vor der Tür und den Duft von Räucherstäbchen in der Luft – die können wir aber zum Glück noch selber anzünden. Und ja, Rollerfahren vermissen wir auch.

Mein Körper kämpft seit unserer Rückkehr an allen Fronten – Zeitverschiebung, Jetlag, Temperaturen, Schnee, Dunkelheit. Auftritt fiese Willkommen-in-Deutschland-Erkältung, die nicht nur die Nase, sondern den ganzen Kopf verstopft. Und die nicht nur die ersehnte erste Laufrunde an der Isar verhindert, sondern auch die meisten anderen sportlichen Aktivitäten. Und wer mich kennt – oder aufmerksam liest – der weiß, dass das schon mal eine ganz schlechte Ausgangslage für ein sonniges Gemüt ist.

So rund die letzten Tage auf Bali sich angefühlt haben – so sehr scheint jetzt der Wurm drin zu sein. Alles fühlt sich irgendwie schal an. Nicht komplett. Falsch. Einige oder vielleicht sogar alle dieser Gefühle mag jeder Langzeitreisende durchleben, wenn er nach einer längeren Zeit im Ausland wieder in seine gewohnte Umgebung zurück kommt.

Dinge, die man vorher nicht wahrgenommen hat, sieht man jetzt um so stärker. Die guten wie die schlechten. Über das Trinkwasser aus der Leitung werden wir uns sicherlich auch noch ein bisschen länger freuen (Was für ein Luxus!!!). Genau so über saubere Flüsse und Straßenränder. Über Bürgersteige, schnelles Internet und Käse. Und trotzdem schwimmt auch hier immer eine Portion Wehmut mit. Denn auf Bali ging es ja auch ohne.

Am meisten fällt auf – und auch das kennen vermutlich die meisten Rückkehrer – die, ich nenne sie jetzt mal „soziale Kälte“. Und der Mangel an fröhlichen Gesichtern. Dafür sieht man aber hunderte von herumfahrenden Vermögen auf der Straße. Ich fasse es zusammen: Den Menschen hier geht es so gut, und trotzdem schaffen sie es, mit runterhängenden Mundwinkeln herumzulaufen.

Ja, Pauschalisierungs-Alarm! Jeder Balinese ist nett und jeder Deutsche doof. Genau das will ich sagen (Sarkasmus). Natürlich lächelt einen auch hier mal die Kassiererin im Supermarkt an. Oder jemand hebt einem den heruntergefallenen Handschuh auf. Was ich aber meine, ist diese positive Grundeinstellung zum Leben, zu anderen Menschen – das Nicht-Nur-An-Sich-Selber-(und-vielleicht-noch-den-engsten-Freundeskreis-und-die-Familie)-Denken.

Hier taucht das Wort Karma auf meinem inneren Bildschirm auf. Vielleicht fassen diese fünf Buchstaben die ganze Sache besser zusammen, als ich es in noch drei weiteren Absätzen könnte. Und daher nur noch meine Lieblingsbuchstabenfolge im Moment:

I saw that.

– Karma

 Schön euch wiederzusehen…

… ihr üblichen Verdächtigen. Ihr alten Bekannten. Ihr Gedanken, Gefühle und Löcher. Und Welcome Back, instabiles Selbstbild, mangelndes Selbstvertrauen und nagende Selbstzweifel.

Meine Worte aus Viertel vor Rückreise klingen gerade ein wenig wie Hohn. Aus der Ferne sehen Pläne, Ideen und überhaupt die Realität wohl immer einfacher aus. Die Pläne und Ideen sind immer noch die gleichen, da hat sich nichts geändert. Aber in der Vorstellung lassen sich gerade diese wohl leichter und schneller in die Tat umsetzen, als in der Realität. 

Der von der Erkältung zermatschte Kopf hat nicht nur den Start des Studiums nach hinten verschoben (was zum Glück nicht schlimm ist, da ich mir die Module und meine Zeit ja frei einteilen kann). Viel mehr fühlt es sich so an, als hätte er mir den Wind aus allen Segeln genommen, die Energie und Motivation in den Keller gesperrt. Stattdessen sind die fiesen Stiefgeschwister Zweifel und Angst nach oben gekommen. Dann noch ein nicht ganz so schönes und vor allem sehr unerwartetes Gespräch kurz nach der Rückkehr – BÄM. Das haut um.

Ein geschwächter Geist hat all dem wenig entgegenzusetzen. So wie ich in den ersten Tagen der Reise innerlich ordentlich durchgeschüttelt wurde, so geht es mir jetzt auch wieder. Alles in mir fährt Achterbahn. Gedanken, Gefühle, Stimmung, Pläne, Wahrnehmung, Laune und Anspannung springen im Minutentakt hin und her. Ich würde sagen, Symptom N°3 ist gerade am Steuer. Und Symptom N°6 ist der Copilot.

Die Hoffnung ist, dass dieser ganze Terz vielleicht nur am Sportmangel und der allgemein im Taumel der Rückkehr etwas untergegangenen Selbstfürsorge oder generell dem Wieder-Zurück-Sein liegt. Und nicht die Vorstufe zu einer richtigen Talfahrt auf meiner Borderline-Achterbahn.

Keine Sorge, es ist nicht alles schlecht. Freunde und Familie wiederzusehen, Brot zu essen und unseren Bus wiederzuhaben, ist schon schön. Und außerdem muss ich durch dieses ganze Wirrwarr ja nicht alleine durch. Arvid erlebt die ganze Geschichte zumindest teilweise genau so wie ich. Und es ist schön, dass wir auch nach vier Monaten täglichem Sehen noch keine Partner-Überdosis haben. Sondern froh über den anderen sind.

 Hallo, Zukunft?

Vielleicht muss ich einfach mein neues (erstes!) Tattoo ernst nehmen und ihm folgen. Und gen Süden fahren. Denn in meinen geliebten Bergen war ich bisher noch nicht. Noch ein letzte Seitenhieb an die Erkältung an dieser Stelle. Vielleicht ändert sich dieses Fehl-am-Platz-Gefühl, dieser ganze Zweifelsbrei auch, wenn ich das erste Mal auf einem Gipfel stehe. Wäre auf jeden Fall schön, wenn sich die Sache so einfach klären ließe.

Bis zur wundersamen Besserung oder der ersten Bergtour heißt es, alle gesammelte, gespeicherte und verinnerlichte positive Energie, die wir auf Bali so mühelos sammeln konnten, wieder hervorzulocken. Oder herzurufen. Vielleicht sitzt sie ja noch im Flieger. Oder wartet am Flughafen auf mich – vielleicht sollte ich da mal nachschauen…

BPD Symptome erklärt | N°7

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BPD Symptome erklärt | N°7

In der Reihe BPD Symptome erklärt möchte ich euch nach und nach anhand der „offiziellen Kriterien“ des DSM die Symptome der Borderline Persönlichkeitsstörung vorstellen. Wie bei allen Beiträgen auf meiner Seite gilt: hier geht es um meine Welt, um meine Erfahrungen, um meine Ansichten. Wenn ihr Ergänzungen habt, könnt ihr diese gerne per Mail oder in den Kommentaren mit mir und allen Lesern teilen. Einen Überblick über die Symptome findest du im Grundkurs Borderline. Heute geht es zu Kriterium N°7:

Andauerndes Gefühl der inneren Leere.

Neben der Anspannung ist die Innere Leere eines der charakteristischsten Symptome für die Borderline Persönlichkeitsstörung. Und mit am schwersten zu beschreiben. Ich versuche es trotzdem Mal.


Wie schon im Teaser geschrieben – dieses Symptom ist schwer zu beschreiben. Noch schwerer, als all die anderen wahrscheinlich. Deswegen hab ich mich vielleicht auch ein wenig davor gedrückt.

Wie soll man Nichts in Worte fassen?

Einmal habe ich bereits versucht, bzw. angefangen die Leere zu beschreiben. Beim vorletzten Symptom, der N°5 | Selbstverletzung. Dort habe ich geschrieben:

Und warum nun das ganze? – Um die innere Leere füllen | Ein weiteres zentrales Symptom von Borderline ist das anhaltende Gefühl innerer Leere. Da ist einfach nichts. Der Körper ist wie eine Hülle. Und man versteht nicht, wie das sein kann. Egal wie sehr man in sich reinschaut, der Scheinwerfer findet nichts zum Beleuchten. Und je mehr und verzweifelter man sucht, desto weniger ist da. Das kann bis zu einer Art Panik führen. Und dann will man Bestätigung. Dass man am Leben ist. Dass man keine leere Hülle ist. Dass da etwas in einem drin ist. Also macht man auf, und schaut nach.

Das möchte ich auch so stehen lassen. Aber seit ich mich in den letzten Tagen mehr mit dem Thema auseinandergesetzt habe, muss ich erkennen, dass eigentlich noch viel mehr dahinter steckt. Und ich in diesem Absatz nur an der Oberfläche der Leere gekratzt habe.

Auf der Suche nach einer guten Beschreibung habe ich mich auch mal ein bisschen umgesehen, ob vielleicht jemand anders das Dilemma in gute Worte gepackt hat.

Auf www.borderline-borderliner.de habe ich folgendes gefunden:

Viele Borderliner spüren oft eine innere Leere und Langeweile, die auf Dauer zu einem Verlust des Selbstwertgefühls führen können. Diese Leere oder Langeweile kommt manchmal plötzlich, obwohl kurz zuvor das Leben noch ausgefüllt schien. Durch die Unfähigkeit, alleine sein zu können und zusätzlich dem Gefühl der Leere und Langeweile bekommt ein Borderliner schnell das Gefühl, daß nur andere das Leben sinnvoll machen können.

Beim borderline-spiegel schreiben sie

Es ist schwer für gesunde Menschen sich vorzustellen wie sich diese Leere im Körper anfühlt, denn es gilt als normal das man immer Zugriff auf seine Emotion hat, doch bei einer Borderline-Persönlichkeit ist diese Leere leider ein häufig anzutreffender Zustand. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, es ist die beständigste Phase im Leben eines Borderliners.

Beispiel eines Dialoges der dieses Dilemma anschaulich erklärt:

Therapeut: „Wie geht es Ihnen heute?“

Patient: „Gut, etwas Müde!“

Therapeut: „Oh gut, dann beschreiben sie mir doch einmal…wie fühlt sich diese Müdigkeit an, wo fühlen sie sich Müde!

Der Patient versucht nun in sich zu schauen und diese Müdigkeit zu fühlen, ist jedoch nicht dazu in der Lage. Es ist als würde er auf einem weißen Blatt Papier nach einem Text suchen der dort angeblich stehen soll. Weil er unfähig ist zu Fühlen hat er das Gefühl der Müdigkeit durch seinen Verstand erklärt und deswegen entsprechend geantwortet. Da er nur wenige Stunden geschlafen hat ging sein Verstand davon aus das er Müde sein müsste… er ist es vermutlich auch, aber er kann es nicht wahrnehmen.

Da in dieser Leere keine Freude und somit auch keine Lust auf das Leben möglich ist, kommt es in dieser Phase vermehrt zu dysfunktionalem Verhalten wie Selbstverletzungen, Hochrisikoverhalten oder sogar Suizid.

Alle drei Abschnitte zusammen genommen ergeben schon mal eine gute Annäherung. Außerdem habe ich auf Life in a Bind einen sehr guten Artikel zum Thema gefunden. Ich kann nicht alles unterschreiben, was die Autorin dort aufführt, finde den Artikel aber definitiv sehr lesenswert. (Leider) Auf Englisch.

Sie verfolgt dort einen eigenen Ansatz, der Leere auf den Grund zu gehen und zu schauen, was genau sich dahinter eigentlich verbirgt. Kurz habe ich überlegt, ob ich ihren Ansatz ins Deutsche übersetze – aber so weit wie sie bin ich wohl noch nicht. Im Verstehen der Leere.

Tschüss Leere – Hallo Volle!

Und ich muss ein bisschen aufpassen. Denn noch schwerer, euch das Gefühl der inneren Leere nahezubringen macht es mir die Tatsache, dass ich mit diesem Symptom immer weniger zu kämpfen habe. Seit ich angefangen habe, mich mit meiner Krankheit zu beschäftigen, seit ich Therapie mache und auf mich achte – hat die Leere kaum noch eine Chance.

Während ich hier nun schreibe, versuche ich mich daran zu erinnern, wie sich diese Leere angefühlt hat. Aber sie ist unmöglich aus dem Nichts heraufzubeschwören – und es wäre auch das Letzte, was ich möchte. So umkreise ich das Thema, möchte zurück ins Symptom, ohne es wiederzubeleben. Möchte nicht alle Fortschritte über den Haufen werfen, nur um einen guten Artikel zu schreiben.

Mein Bild über mich hat sich geändert. Nicht nur, was das Äußere betrifft. Sondern auch und vor allem wenn es um mein Innenleben geht. Seit ich mich mit meinen Gedanken, Gefühlen und allem, was da noch so in mir drin herumwuselt, beschäftige, habe ich erkannt, dass da alles andere ist – aber keine Leere.

Es sind nicht nur schöne Sachen, die ich da finde. Aber auch. Ich habe einen besseren Zugang zu mir gefunden. Laufe nicht mehr ständig vor Sachen weg, ohne eigentlich zu wissen, vor was ich weglaufe.

Immer noch gibt es Momente, wo ich meinem Innenleben keinen Namen geben kann. Nur weiß, dass ich gerade etwas fühle, aber nicht genau was. Mit meiner Therapeutin habe ich angefangen, hinter die Gedanken, Mechanismen und Reaktionen zu schauen, die sich immer wiederholen. Ich verstehe mehr, warum ich was wie mache, denke oder fühle. Und je mehr ich verstehe, desto weniger Chancen hat die Leere wohl.

Was tun?

Ich muss den Tenor des ganzen Artikels auch hier weiterführen: Ich kann euch keine konkreten Tipps oder Handlungsideen geben, wenn ich euch nicht beschreiben kann, worum es eigentlich geht.

Den Angehörigen unter euch kann ich nur raten, mit „eurem“ Borderliner über seine Leere zu sprechen. Wie sie sich für ihn oder sie anfühlt. Falls ich eines Tages auf eine gute Idee kommen sollte, wie ich euch das Thema näher bringen kann, werde ich das tun.

Und den Betroffenen unter euch möchte ich mit auf den Weg geben, dass es besser werden kann. Dass diese Leere nicht für immer als großes Loch in eurem Leben stehen wird. Sobald eine Therapie anfängt, zu wirken. Oder sobald ihr schafft, euch mit euch auseinanderzusetzen.

Als einzelnes Symptom ist die Leere wohl deutlich schwerer zu therapieren, als so manch anderes. Vielleicht kann man sich die Leere als eine Art Schmarotzer der anderen Symptome vorstellen. Solange sie bleiben dürfen, hat auch die Leere eine gute Zeit. Wenn aber durch eine gute Therapie und viel, viel Arbeit der Rest der Symptombande langsam zurückgedrängt wird, hat auch irgendwann die Leere keine guten Überlebenschancen mehr.

Es tut mir Leid, dass dieser Artikel nicht so erklärend und hilfreich ist, wie die anderen Symptom-Artikel es hoffentlich sind. Ich lege euch nochmals an Herz, einen Blick auf den Artikel auf Life in a Bind zu werfen, wenn euch das Thema wirklich interessiert und ihr es verstehen wollt.

Nun lasse ich dieses Schuldgefühl in diesem Artikel. Und freue mich ein bisschen, wie weit ich auf meinem Weg schon gekommen bin. Dass ich geschafft habe, die Leere aus meinem Leben zu vertreiben. Und stattdessen ganz schön viel in mir sehe.

Bali – 3| Raufkommen in Munduk

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Bali – 3| Raufkommen in Munduk

Zwei Wochen im grünen, hügeligen Herzen von Bali. Und wir haben wirklich viel Herzlichkeit, viel Natur, noch mehr Ursprünglichkeit und Ruhe gefunden. Und auch Weihnachten und Silvester dort verbracht.


Zwei Wochen Kolonial-Herrinnen-Feeling wie im Südstaaten-Film! Unsere Unterkunft hieß Atres Villas und dabei handelt es sich um mehrere ein- und zweistöckige Gebäude, die locker um ein Reisfeld herum verteilt sind. Und das alles war nochmal umgeben von Reisfelder. Von unserem Balkon konnten wir über all dies hinweg sehen, bis zur Küste und zu den Bergen Javas. Was ein Feeling.

6 Uhr morgens. Die Sonne über Bali geht auf. Und wir genießen den Ausblick, das Licht und die Stimmung.

6 Uhr morgens. Die Sonne über Bali geht auf. Und wir genießen den Ausblick, das Licht und die Stimmung.

Gestört hat da nichts. Außer das Geschrei unserer Nachbarn. Aber die haben nur ihren Reis verteidigt. Vor den Vögeln. Und da es um ihre Lebensgrundlage und Haupteinnahmequelle geht, konnten wir das sehr gut verstehen. Doof war nur, dass die netten Nachbarn damit immer schon um 6 Uhr früh begonnen haben. Die ganze Familie, von der 4- bis zum 70-Jährigen. Jeder schreit was die Kehle hergibt. Wedelt mit Plastikfahnen. Klopft und lärmt was er kann. Den ganzen Tag. Von früh bis spät.

Aber wie gesagt. Verstehen konnten wir es. Manchmal war der Geduldsfaden aber trotzdem ein bisschen angespannter als sonst. Wach waren wir um 6 Uhr aber meistens sowieso schon. Denn in der örtlichen Kirche wurde jeden Morgen pünktlich um 5:30 lautstark per Lautsprecher über Häuser, Köpfe und Hügel hinweg gebetet. Das Vogel-Verscheuch-Geschrei war also quasi nur der Snooze-Ton.

Natur pur!

Normalerweise bin ich kein Fan solcher Aussagen. Aber in diesem Fall komme ich irgendwie nicht drum rum; es fühlt sich einfach so an: wer nicht mindestens zwei Tage in der goldenen Mitte Balis verbracht hat, der hat die Insel nicht gesehen! Und damit meine ich die geographische Mitte. Wo es keinen Strand, sondern Dschungel gibt. Wo kein Meer, sondern Wasserfälle rauschen. Wo man nicht auf Surfer, sondern auf Berge starrt.

Arvid und ich sind nach jedem Umzug auf dieser Insel wieder überrascht, wie sehr sich die einzelnen Teile unterscheiden. Nicht nur was die Natur angeht. Sondern alles. Die Menschen. Die Lebensweise. Die Infrastruktur. Die Sprache. Die Religion. Wir haben eingesehen, dass die Insel noch viel vielfältiger ist, als wir am Anfang gedacht haben.

Wir können einfach nicht genug bekommen - von der Natur, von den Sonnenuntergängen, von den Farben - und von Fotos =)

Wir können einfach nicht genug bekommen – von der Natur, von den Sonnenuntergängen, von den Farben – und von Fotos =)

Die Mitte Balis wird von Bergen und Seen dominiert. Schmale Straßen führen in engen und engeren Kurven in mutigen Steigungen durch die Region. Über allem thronen die Berge. Zwischen 1000 und 3000 Meter hoch. Auf der Straße von Denpasar nach Munduk gibt es einen Abschnitt, der bei gutem Wetter eine besonders tolle Aussicht bietet. Zur einen Seite blickt man auf die Zwillingsseen Danau Buyan und den Danau Tamblingan. Beides Kraterseen. Dementsprechend tief eingebettet zwischen den Bergen rings herum. Und auf der anderen Seite reicht der Blick bis an die Nordküste Balis. Manchmal sogar rüber bis nach Java. Und solche Momente und Stellen gibt es hier überall. Immer wieder anders. Immer wieder schön.

Und womit man vielleicht nicht rechnet: hier oben kann es richtig kalt werden! Unsere Unterkunft lag zwar gerade mal auf 400 Meter über Meereshöhe. Aber so manche Straße, die wir gefahren sind, lag noch deutlich höher. Wenn dann Sonne nicht brennt, dann ist man schon froh über ein Jäckchen und eine lange Hose.

Vielleicht liegt es an unserer Liebe zu den Alpen, dass wir uns hier so wohl und fast heimelig gefühlt haben. Vielleicht hat sich dieser Teil der Insel aber auch einfach noch mehr seinen ursprünglichen Charme erhalten können als der touristisch perfekt erschlossene Süden. Auf jeden Fall waren alle anderen Reisenden, mit denen wir während unseres Aufenthaltes gesprochen haben, auch beeindruckt, gerührt und begeistert von Balis grünem Herz.

Ein ganz eigener Menschenschlag

Was natürlich auch erheblich zu dem großen Wohlfühlfaktor beigetragen hat, waren die Menschen. Noch mehr als in Ubud oder im Süden kann man hier die balinesische Freundlichkeit in ihrer Reinform genießen. Und zur Abwechslung nicht perfekt ausgerichtet auf Touristen. Denn von denen verirren sich nicht viele hierher. Leider. Oder zum Glück. Und wenn sie doch mal herkommen, dann nur für einen Tag. Wenn die wüssten, was sie verpassen.

Das muss fotografiert werden! Carolin, Dom & Arvid versuchen, die magische Kraft der Reisfelder zu fotografieren.

Das muss fotografiert werden! Carolin, Dom & Arvid versuchen, die magische Kraft der Reisfelder zu fotografieren.

Wir haben den Eindruck, dass die „Boles“ – also die Weißen – hier noch nicht als Geldkühe angesehen werden, die man nur melken muss und dann weiter schickt. Ganz einfach weil für solche Geschäfte noch zu wenige davon herkommen. Also läuft hier alles weiter wie gehabt. Es entstehen zwar ein paar Homestays, Hotels und Restaurants, aber das Leben ist nicht auf die Bedürfnisse geldbringender Durchreisender ausgerichtet. Die Leute sind nicht auf die Touristen angewiesen – ganz im Gegensatz zu manch anderer Region.

Das führt dann auch zu so netten Szenen wie beim Wäsche abgeben. Arvid, ganz braver Kunde, will einen Namen oder irgendwas hinterlassen, damit sie die Wäsche wieder richtig zuordnen können. Nein, brauchen sie nicht. „Aber wenn nicht ich sondern meine Freundin zum abholen kommt?“ Darauf die Antwort „Bole? As long as it’s Bole it’s no problem!“ und ein herzhaftes Lachen. Für solche Momente reist man doch gern.

Und egal ob beim Essen gehen, beim Rumfahren, beim Joggen, beim Wassergallone kaufen oder beim Spazieren – immer fallen wir auf. Werden begrüßt, angelacht, abgeklatscht und aus großen Augen angeschaut. Augen, die eine Mischung aus Neugierde, Interesse, Belustigung und Verwunderung ausdrücken. Besonders stark wurde dieser Ausdruck immer dann, wenn wir erzählt haben, dass wir zwei Wochen bleiben. Das war vielleicht immer eine Neuigkeit!

Natürlich hat die ganze Sache auch Nachteile. Aber nur Kleine. Das Zurechtkommen und die Kommunikation sind hier ein bisschen komplizierter als bisher. Ganz einfach, weil Englisch hier nicht annähernd so verbreitet ist, wie in den Touristenzentren. Dafür aber Französisisch.

Warum Französisch? Das haben wir uns auch gefragt. Ganze Speisekarten und Schilderwälder in Französisch. So manch Angestellter in unserer Unterkunft konnte kaum Englisch. Aber besser Französisch als ich zu meinen Schulzeiten. Und auch die klare Mehrheit der Gäste bei uns waren Franzosen. So richtig verstanden haben wir es nicht. Aber schon interessant, wie sich die Nationen so in ihrem Reiseverhalten und -vorlieben unterscheiden.


 


Das Herz und den Norden erkunden

So schön unsere Unterkunft auch lag und war, ab und zu haben wir sie doch verlassen um das grüne Herz und den Norden der Insel so richtig zu erkunden. Mal haben wir uns nur zum örtlichen Wasserfall aufgemacht. Durch Reisfelder und kleine Dörfer, an Tempeln und tollen Ausblicken vorbei.

Ja, in Lovina im Norden Balis dreht sich (fast) alles um Delphine.

Ja, in Lovina im Norden Balis dreht sich (fast) alles um Delphine.

An anderen Tagen ging es runter an die Küste. Nach Singaraja und Lovina. Früher, vor allem während der Kolonialzeit, war hier das Zentrum der Macht. Der größte Hafen. Die meiste Industrie. Die meisten Besucher. Heute, wo der ganze Tross in den Süden der Insel gezogen ist, spürt man an jeder Ecke den Hauch vergangener, besserer Tage. Noch dazu ist die ganze Nordküste sehr trocken. Und sehr heiß.

Lovina kann sich noch damit rühmen, dass man hier wunderbar Delphine beobachten kann. Darum dreht sich hier dann aber auch fast alles. Am Strand entlang führt ein (teilweise noch) gepflasterter Weg. Vorbei an Hotelruinen, verlassenen Holzhütten und dem ein oder anderen Laden, der sich halten konnte. Man fühlt richtig, wie hier früher die feinen Damen der Gesellschaft mit ihren langen Kleidern entlang flanierten, den Schatten der extra gepflanzten Bäume und den Blick auf’s Meer genossen haben, während sie über die anderen feinen Damen der Gesellschaft gesprochen haben.

Mal sind wir ohne ein Ziel losgecruist – einfach nur schauen und genießen. Mal mit einem Ziel wie Wasserfall, Seeufer oder Markt. Mal waren wir zu einer Tempeleinweihungszeremonie eingeladen, mal sind wir in eine Bestattungszeremonie gestolpert. Mal sind wir extra früh aufgestanden, um zum Pura Ulun Danu Bratan zu fahren. Einem Tempel am Seeufer, der so ziemlich auf jedem Reiseführer über Bali abgebildet ist. Leider war der See aufgrund mangelnder Regenzeit so ausgetrocknet, dass der Anblick eher trostlos als beeindruckend war. Dafür waren wir begeistert, wie wach diese Insel bereits vor 6 Uhr morgens sind. Kinder gehen zur Schule, Frauen zum Markt, Opfergaben werden verteilt – überall wuselt es. Toll!

Leider hat uns während unserer Zeit in Atres der ein oder andere schlechte Tag in die Magengrube geboxt. So waren wir nicht immer so entdeckungsfreudig und energiegeladen, wie wir es vielleicht gewesen wären. Aber wenn der Bali Belly mal zuschlägt, dann lässt man es lieber ruhig angehen. Und hofft ganz doll auf schnelle Besserung.

Weihnachten und Silvester

Umzug nach Munduk – oder genauer: Banyuatis – war am 23. Dezember. Wir sind also mit der neuen Unterkunft direkt ins Weihnachtsfest gestolpert. Und es war schön. Ganz anders, als daheim. Aber wie sollte es auf Bali bei 35° auch nur annähernd Ähnlichkeit damit haben. Wir wollten uns was schönes gönnen und darum zu Weihnachten ein Picknick à la Heimat machen.

Unser Weihnachts-Festessen! Käse, Brot und Rumkugeln. Mit Blick auf unser Häuschen!

Unser Weihnachts-Festessen! Käse, Brot und Rumkugeln. Mit Blick auf unser Häuschen!

So sind wir also am 24. Dezember früh am Morgen mit dem Roller los, um in der Lovina Bakery (unter deutscher Führung) Käse, Brot und neuseeländischen Wein zu kaufen. Alles Dinge also, die man sich hier normalerweise nicht leistet. Weil sie einfach absurd teuer sind. Aber an Weihnachten kann man’s ja mal machen.

Auf dem Rückweg wurden wir das erste Mal so richtig fies von einem Regenschauer auf dem Roller erwischt. Also, Regenjacken an. Visier runter. Und los. Die Fahrt war dann sehr abenteuerlich. Nicht nur wegen Regen, Wind, Nebel und auch Kälte. Sondern auch, weil wir einen anderen Weg als runter gewählt hatten. Und dieser stellte sich als von GoogleMaps fälschlicherweise als richtige Straße interpretiert heraus. Zum Glück hat Arvid inzwischen einiges an Rollererfahrung sammeln können, so dass wir beide heil in Atres angekommen sind. Natürlich genau dann, als es aufhörte, zu regnen. So stellt man sich Weihnachten auf Bali doch vor, oder?

Bis Abends war das schlechte Wetter glücklicherweise ein riesiges Stück weiter gezogen. Und so konnten wir unser Weihnachtsessen bei Sonne und mit Blick auf Reisfeld und Palmen genießen. Der Käse war hervorragend. Das Baguette besser als daheim. Und der Sauvignon Blanc schön gekühlt. Ein Essen wie Gott in Bali! Abends gab es dann noch Schnaps und Gebäck von unseren Gastgebern. So schnell werden wir dieses Weihnachten auf jeden Fall nicht vergessen!

Hallo 2016! Wir betröten dich aus vollem Hals. Macht man hier auf Bali wohl so =)

Hallo 2016! Wir betröten dich aus vollem Hals. Macht man hier auf Bali wohl so =)

Auch Silvester haben wir „bei uns daheim“ verbracht. Denn wir wurden vom Management zur Party mit Buffet eingeladen. Und zwar wirklich eingeladen. Zahlen dürften wir nicht. Weil wir zwei Wochen bleiben und somit special guests im wahrsten Sinne des Wortes sind.

An diesem Abend haben wir das erste Mal das berühmt (berüchtigte) Babi Guling probiert. Schwein am Spieß. Eine Spezialität hier. Und dazu gab es jede Menge anderer lokaler Leckereien. Das herzhafte war leider fast alles VIEL zu scharf für mich – was hier auf Bali eigentlich selten vorkommt, denn so scharf würzen die hier nicht. Aber es gab Gott sei Dank auch jede Menge süße Leckereien, wie Klebreis und Dadar Guling – grüne Pfannkuchen mit Kokosfüllung.

Die Zeit zwischen Essen und Mitternacht haben wir dann im Kreise einer fünfköpfigen französischen Familie verbracht. Jedes Jahr in den Weihnachtsferien fahren sie zusammen weg und haben so schon die halbe Welt gesehen. Nach unzähligen Runden exzessiven Kartenspielens haben wir gemeinsam um Mitternacht das Feuerwerk über den Reisfeldern bewundert, in unsere glitzernden Papptröten geblasen und so das neue Jahr begrüßt! Auch ganz anders, als wir es uns nicht vorgestellt hatten – aber ebenso unvergesslich.

Die Borderline schlägt zu

Und wie sollte es anders sein, natürlich hat sich neben dem Bali-Belly auch die treue Borderline hin und wieder in mein Wohlbefinden eingemischt. Unter anderem an einem wunderbaren Tag, als wir Carolin und Dom kennengelernt haben, die ebenfalls in den Atres Villen Unterkunft gesucht und gefunden hatten. Sie Spanierin, er Brite. Arbeiten von unterwegs und sind schon seit sehr vielen Monaten auf Reisen.

Grün, Hügel, Seen - kühl. Wie man an meiner Kleidung sehen kann.

Grün, Hügel, Seen – kühl. Wie man an meiner Kleidung sehen kann.

Wir haben uns am selben Tag zum selben Wasserfall aufgemacht und sind so früher oder später nebeneinander hergelaufen und ins Reden gekommen. Sehr interessante Geschichten, die beiden. Wir konnten uns gegenseitig ein paar Tipps zum Arbeiten unterwegs geben. Alles in allem wirklich eine tolle Begegnung, die auch mit dem Tausch von Kontakt- und facebook-Daten einherging.

Nach der Runde zum Wasserfall und einer Runde frisch machen ging es dann kurz darauf weiter mit einer Runde Bier, die wir gemeinsam den Blick genießend auf unserem kolonialherrschaftlichen Balkon eingenommen haben. Dazu mehr Gespräche über die DDR, Weltpolitik und das Leben auf Reisen. Je später der Abend wurde, desto lauter wurde jedoch eine Stimme in mir, die sagte „Die finden euch eigentlich doof. Die denken ihr seid langweilig. Die wollen am liebsten sofort weg von euch und auf ihr Zimmer!“ und so weiter.

Am Anfang konnte ich das zarte Stimmchen noch ignorieren bzw. mit meiner überlegenen Ratio in Schach halten. „Wenn sie uns so doof fänden wäre Dom wohl kaum mit drei Flaschen Bier zu uns hoch gekommen“ und so weiter. Aber je später der Abend desto unsicherer wurde ich. Und desto sicherer wurde ich, dass die mich bzw. uns blöde finden. Oder dachten, wir wären interessant und jetzt aber merken, dass wir es doch nicht sind. Lauter solche Gedanken. Das geht dann am Ende soweit, dass ich mich kaum noch aufs Gespräch konzentrieren kann, weil ich nur noch damit beschäftigt bin. Und damit, der Situation irgendwie zu entkommen.

Wahnsinn! Was die Sonne hier jeden Abend aufs Neue für eine Show abzieht! Und das ist nur das, was das iPhone aus den Farben macht...

Wahnsinn! Was die Sonne hier jeden Abend aufs Neue für eine Show abzieht! Und das ist nur das, was das iPhone aus den Farben macht…

Ich kenne das, sowas haut mein Kopf mir ständig um die Ohren. Neu war allerdings, dass Arvid in diesen Strudel mit reingezogen wurde. Normalerweise bleibt er außen vor, denn er ist ja toll, ihn mögen die Leute ja. Das war also neu. Alles andere war bekannt. In der Situation konnte ich dieses Mal nichts tun. Aber danach. Und zwar mit Arvid reden. Ihn fragen, ob es ihm ähnlich ging. Oder ob das alles nur Hirngespinst war. Mit durch ihn wieder einen realistischeren Blick auf die Dinge holen. Und das hilft. Mir im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf wieder ein wenig zurechter rücken.

Aber auch das wird mir nicht dabei helfen, dass soziale Situationen und Interaktionen – besonders mit völlig Fremden – einfach schwer für mich sind. Und anstrengend. Mein Kopf feuert dann ohne Pause. Und in alle Richtungen. Von „Wow – diese Person ist so toll! Das wird eine Freundschaft für’s Leben!!!!“ (nach 5 Minuten Bekanntschaft) bis zu „Oh mein Gott – jeder hier findet dich scheiße. Geh einfach sofort damit sie in Ruhe über dich reden können.“

Besonders gemerkt habe ich das, als wir per Zufall in eine Bestattungszeremonie geraten sind und anschließend zum Essen eingeladen wurden. Alle fünf betroffenen Familien hatten sich zusammengetan. Weit über 100 Leute waren dort, es gab Essen ohne Ende, jede Menge Dekoration, fünf Priester und ein Gamelanorchester. Eine einmalige Gelegenheit. Ein 12-jähriges Mädchen – eine der wenigen Anwesenden, die des Englischen etwas mächtig war – hat sich uns angenommen. Uns ein wenig herumgeführt, uns was zu Essen in die Hand gedrückt und so weiter.

Klingt toll? War es bestimmt auch. Für mich aber mehr Tortour als alles andere. Die Balinesen sind nun mal sehr gastfreundlich. Und es mag sein, dass es kaum jemanden gestört hat, dass wir dort waren. Eher das Gegenteil. Das Problem bei mir ist aber, dass ich so feinfühlig für die Stimmungen und Gefühle anderer bin, dass ich in dieser Menge an Menschen genau die zwei Stück finden werde, die nicht ganz so begeistert sind von unserer Anwesenheit. Und diese beiden überstrahlen dann die Menge an freundlichen und „Willkommen“-sagenden Gesichtern.

In diesem Fall überdeckt das Buchcover wirklich die Realität - Schade. Aber trotzdem ein schöner Tempel

In diesem Fall überdeckt das Buchcover wirklich die Realität – Schade. Aber trotzdem ein schöner Tempel

Ich fühle mich beobachtet – und irgendwie schäme ich mich. Dass ich nicht einfach locker neben den Frauen sitzen kann und mit ihnen plaudere. Dass ich vielleicht nicht so aufregend bin, wie sie sich eine Deutsche immer vorgestellt haben. Dass ich eben keine Idealbesetzung für eine Rolle bin, von der ich eigentlich gar nicht weiß, wie sie auszusehen hat. Lauter so Zeug schießt in meinem Kopf hin und her. Dazu trage ich ein verkrampftes Lächeln – man will ja höflich sein. Und bei nächster Gelegenheit muss ich Arvid sagen, dass wir jetzt gehen müssen weil ich einfach nicht mehr kann.

Das alles ist scheiße. Und schade. Nicht nur, weil Arvid tolle Fotos und mir tolle Erfahrungen entgehen. Aber im Moment arbeite ich nicht mehr daran, mich ändern zu wollen. Sondern zu akzeptieren, dass ich so bin. Dass es mir schwer fällt, mich in eine große Horde fremder Menschen zu stellen die gerade eine wichtige Zeremonie abhalten und deren Sprache ich nicht spreche. Aber das ist lange nicht so einfach, wie es sich hier so schreibt.

Und zwischendrin blitzt noch oft genug das Bild von der Person auf, die ich wohl manchmal gerne wäre. Die kein Problem hat, mit solchen Situationen. Die locker mit den Leuten ins Gespräch kommt. Sich am Büffet bedient und sich durch die Räume bewegt. Aber das bin einfach nicht ich. Meine Rolle ist eine andere. Mehr beobachtend, vielleicht sogar etwas introvertiert und schüchtern – dadurch fallen mir aber auch viele Dinge und Kleinigkeiten auf, die die meisten Menschen verpassen. Ich muss jetzt nur noch akzeptieren, dass ich so bin und dass es gut so ist. Und nicht länger versuchen, die Lücke zwischen Vorstellung und Realität krampfhaft zu füllen.

Kein Bali ohne Berge!

Zu besonderen Anlässen wird hier auf Bali ein ganzes Schwein gegrillt - und an Silvester haben unsere Gastgeber uns dazu eingeladen. Eine Erfahrung.

Zu besonderen Anlässen wird hier auf Bali ein ganzes Schwein gegrillt – und an Silvester haben unsere Gastgeber uns dazu eingeladen. Eine Erfahrung.

Wir wissen jetzt also: Bali ist nicht nur Strand. Bali ist auch Berge. Und in der Mitte Balis scheint die Welt sich wirklich etwas langsamer zu drehen, als drum herum. Und wir haben uns angepasst. Haben uns langsam mitgedreht und den Schwung und das Vibrieren, dass über dem ganzen Süden zu liegen scheint, bald abgelegt.

Nach der heimlichen Kulturhauptstadt Ubud, dem trendigen und wuseligen Süden und dem ruhigen, kühlen Munduk geht es als nächstes weiter an die Ostküste. Dort soll es etwas rauer sein, sowohl die Natur als auch die Menschen. Wir sind gespannt und verlassen Atres mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

Viertel vor Rückreise

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Viertel vor Rückreise

Der letzte Monat von THE|trip ist angebrochen. Lässt das in uns Wehmut aufkommen? Oder Vorfreude? Oder Panik? Wie sehen unsere Pläne aus – wenn es denn welche gibt. Und was macht überhaupt die Borderline?


Der aufmerksame Leser wird beim Lesen dieser Überschrift an den ersten Resümee-Artikel einen Monat nach Abreise gedacht haben. Der neugiereige Leser wird sich fragen, warum es denn eigentlich kein Wort zur Halbzeit von THE|trip gab. Nun, das lag daran, dass wir am Tag der Mitte, des Bergfestes, dem 2. Januar, zu beschäftigt waren. Mit dem Neuen Jahr, unserem Jahrestag als Paar und auch damit, zu begreifen, dass wir nochmal genau so viel Abenteuer vor uns haben, wie bereits hinter uns lag.

Nun, da ich hier auf Balis Nachbarinsel Lombok in einer wunderbaren Unterkunft, oder besser: Oase sitze, hat mich die Lust gepackt, mal wieder einen richtig klassischen Blogpost zu schreiben. Ohne großes Thema, einfach so. Was mache ich gerade? Wo bin ich? Wie geht’s mir? Und überhaupt. Und zufällig fällt diese Lust mit dem letzten großen Countdown unserer Reise zusammen. Was für ein schöner Zufall!

Die letzten Wochen waren ziemlich aufregend, turbulent und abwechslungsreich – als einziger roter Faden hat sich die Abwesenheit von gutem Internet herausgestellt. Die Weihnachtsferien haben wir in Munduk verbracht, in der Mitte Balis. Danach ging es für eine Woche an die Ostküste, nach Amed. Weiter ging es mit dem Visa-Run. Zwei Nächte in Sanur, an der Südostküste Balis, den Tag dazwischen in Singapur am Flughafen verbracht. Hach, war es dort sauber und das Internet schnell.

Am 15. Janaur schließlich ging es dann auf die Gili-Inseln. Drei kleine Landtropfen vor der Küste von Lombok. Wir haben uns für den größten der Tropfen entschieden, mit dem schönen Namen Gili Trawangan. Fünf Tage hatten wir geplant dort zu bleiben. Doppelt so viele sind es am Ende geworden. Und vor wenigen Tagen sind wir nun übergesetzt nach Lombok.

Das alles erzähle ich euch hier nur so kurz, weil es bald noch Artikel zu den einzelnen Stationen geben wird. Die sind auch schon geschrieben – aber Fotos hochladen ist bei diesen Internet-Verbindungen ein Ding der Unmöglichkeit. Und so viel Geduld hab ich einfach nicht. Deswegen schicke ich das alles nach, wenn der W-Lan Balken wieder auf grün steht. Damit ihr dann zu den grauen Worten auch schöne Bilder gucken könnt.

Vier Wochen To Go

Wahnsinn. Vier Wochen noch. Dann werden wir schon wieder daheim, im kalten (?) Deutschland sitzen und diese Reise wird Vergangenheit sein. Und andererseits: Wahnsinn! Vier Wochen noch! So viele Tage noch, die voll von Reisen, Abenteuern und Neuem sein werden. Der Endspurt von THE|trip ist länger als der Jahresurlaub so manch armem deutschen Büromenschen. Wirklich sentimental zu werden wollen wir uns also gar nicht erlauben.

Der Plan ist, noch ein paar Tage hier auf Lombok zu blieben. Vor allem, weil unsere Pässe im Büro der Einwanderungsbehörde gerade noch eine Auszeit von uns nehmen. Zweites Mal Visa-On-Arrival verlängern. Hier auf Lombok geht das etwas einfacher und vor allem günstiger als auf Bali.

Sobald das geregelt ist schnappen wir uns ein Boot und fahren wieder zurück nach Bali. Und zwar nochmal nach Ubud. Dort hat es uns einfach doch ziemlich sehr gut gefallen. Und in den fünf Tagen, die wir am Anfang der Bali-Zeit dort verbracht haben, haben wir ja nur einen Ausschnitt der Stadt und der Gegend gesehen. Wir haben beide das Gefühl „Da geht noch mehr!“.

In Ubud wollen wir es dann auch nochmal wie in Canggu machen. Eine feste Bleibe für die restliche Zeit. Keine Umherzieherei mehr. Sondern eine schöne Base. Hoffentlich mit gutem Internet. Dann und wann Ausflüge nach hier und dort. Wir freuen uns darauf, nochmal ein wenig reise-sesshaft zu werden.

Denn das viele Umziehen und ständig Ort wechseln der vergangenen Wochen hat uns wieder deutlich gezeigt: zu schnelles Reisen ist nicht unser Ding. Das langsame Reisen hat einfach verdammt viele Vorzüge. Im Moment fühle ich mich so, als wäre meine Speicherkarte voll. Kein Platz mehr, um neue Dinge und Eindrücke zu speichern. Ich brauche etwas Zeit, um ein bisschen was zu verarbeiten, bevor ich was neues oben drauf packen kann.

Außerdem möchten wir nochmal die Annehmlichkeiten, die sich in und um Ubud herum so angesammelt haben, auskosten. Ja, im ersten Ubud-Artikel habe ich ein wenig drüber gelästert. Über die Eat-Pray-Love Kultur. Und über Westlerinnen mittleren Alters, die hoffen, in Ubud von all ihren Sünden erlöst zu werden.

Aber wenn das Angebot schon so groß ist, dann werde ich nochmal so richtig reinhauen. Bevor ich auch mittleres Alter erreicht habe. Ein paar Yoga-Stunden im Reisfeld besuchen. Ein bisschen in den alternativen Lädchen letzte Mitbringsel shoppen gehen. Ein paar Tage vegan leben ausprobieren. Denn das geht wirklich nirgendwo besser als dort in Ubud. Und ich freue mich drauf! Healthy Body – Healthy Mind pur, also. Dazu ein bisschen Arbeiten, im Coworking-Space mit anderen Bloggern, Langzeitreisenden und digitalen Nomaden austauschen. Wenn ich das alles nur schreibe juckt es mich schon in den Fingern, endlich wieder nach Ubud zu kommen.

Heimweh oder Rückreisepanik?

Arvid und ich haben schon darüber geredet, wie es uns mit dem nahenden Ende der Reise so geht. Und wir sagen beide: es ist gut so! Wir haben alles richtig gemacht. Na klar, wir sagen auch: „Sobald wir wieder daheim sind, werden wir schnell wieder weg wollen.“ Aber im Moment fühlt sich einfach alles genau richtig an.

Ich habe so viel auf dem Zettel, was mich erwartet, wenn ich zurück in München bin. So viele Pläne, Dinge und Ideen, die auf Umsetzung warten. So viele Gedanken, die nun viele Wochen Zeit hatten, in meinem Kopf zu heranzuwachsen. Und die langsam reif werden. Es wird bald Zeit, da ein bisschen was zu ernten. Wenn ich durchgehe, was ich alles tun möchte, wenn THE|trip vorbei ist, dann werde ich ganz kribbelig.

Das Heimweh hat uns beide zum Glück immer noch nicht gepackt. Na klar, die Dinge und Menschen, die man vermisst, werden mehr. Mit am meisten freuen wir uns aber wahrscheinlich auf alltägliche Annehmlichkeiten wie trinkbares Leitungswasser, schnelles W-Lan, Bürgersteige, Mülltonnen, eine Waschmaschine mit heißem Wasser. Und Brot. Und Käse. Aber das sind alles Dinge, ohne die wir es auch noch eine Weile aushalten könnten.

Unsere Lieben zu Hause sind dank moderner Technik ja eigentlich immer bei uns. Auch wenn FaceTime mal nicht so will, schreiben geht immer. Die Lust an der guten alten Postkarte vermiest mir das aber noch lange nicht. Und natürlich ersetzt auch der ausführlichste What’sApp Chat nicht den gemeinsamen Tatort-Abend. Oder eine schöne, feste Umärmelung. Auch diesbezüglich gibt es also einiges, worauf wir uns freuen – keine Sorge!

Zwei Dinge vermisse ich aber dann doch ein bisschen mehr: unseren VW-Bus. Und die Berge! Das sind wirklich die einzigen Sachen, wo ich geradezu wehmütig werde. Wenn ich Fotos von unseren Bergtouren sehe. An Hütten mit Kaiserschmarren und Käsespätzle denke. Die Ruhe und Luft in den Alpen. Und unsere vielen schönen Bücher voller Touren, die noch absolviert werden wollen. Wenn ich also am Schluss doch nicht von hier weg wollen sollte – dann schaue ich nur durch meine Alben oder lese mir auf der Seite vom DAV ein paar Tourentipps durch und schon sollte das erledigt sein.

Kurz und gut: im Moment freuen wir uns sehr auf die Wochen, die noch vor uns liegen. Und wir freuen uns darauf, zurück nach Hause kommen. Und wir freuen uns darauf, bald wieder loszuziehen!

Wie geht’s uns denn heute?

Heute? Gut. Vor ein paar Tagen? Nicht ganz so gut. Das lag mal wieder an meiner unterbrochenen Selbstfürsorge-Routine. So sehr ich weiß, dass ich auf sie angewiesen bin – ab und zu passiert es trotzdem, dass die Umstände mich aus meiner Bahn werfen. Und diese Umstände haben sich auf Gili Trawangan zusammen gefunden.

Angefangen hat alles noch ganz kontrolliert. Während unserer fünf Tage Luxus-Leben-und-Genießen in der Pearl of Trawangan. Einmal richtig über die Budget-Stränge schlagen und das süße Inselleben in vollen Zügen genießen. Ohne auf das Geld zu schauen. Ohne schlechtes Gewissen. Und ohne meine normale Disziplin. Und das war wohl schon der Anfang allen Übels.

Meditation und Sport nur sehr halbherzig absolviert. Es war ja schließlich Relaxen angesagt. Den Schlaf vernachlässigt. Den Alkohl zu sehr genossen – was mich angeht sind das die Zutaten für eine garantierte Abwärts-Achterbahnfahrt.

Nach den fünf Tagen Pearl sind wir umgezogen, haben uns wieder in unsererm normalen Budget eingenistet. Und eigentlich sollte die Selbstfürsorge auch wieder mit uns dort einziehen. Leider kamen dazwischen: 1. eine zu kleine Unterkunft und zu hohe Temperaturen – das erschwert die tägliche Verabreichung der erforderlichen Sportdosis und das Nehmen meines nötigen Freiraums. 2. zu viele, zu nette Menschen, mit denen man zu gerne getrunken, gefeiert und die Nächte verquatscht hat – das wirbelt dann auch die letzten Reste meiner Routine durcheinander. Konsequenz und Disziplin lagen so wie ich in der Hängematte. Keine Wachen mehr, Tür und Tor standen offen für allerlei Gedanken. Und ich war wehrloses Opfer meines eigenen Kopfes.

Ergbenis dieser ganzen Geschichte waren einige Tage, in denen ich ganz schön zwischen meinen Launen umhergeworfen wurde. Viel schwarz war dabei. An manchen Tagen sogar sehr viel davon. Da konnte die Sonne noch so sehr scheinen, das Meer noch so schön rauschen und der Strand noch so weiß sein.

Am Schlimmsten an der ganzen Sache aber ist für mich gerade, dass es so komplett selbst verschuldet war. Ich sollte es doch inzwischen besser wissen. Sollte wissen, dass ich meine Anker brauche, um mich in der Bahn zu halten. Warum hat es mich dann also so erwischt?

Vielleicht, weil es nicht immer der spaßigste Weg ist, seinen Alltag „vernünftig“ zu verbringen. Wenn man früh am Morgen Sport machen und meditieren möchte. Wenn man auf seine Ernährung und sein Trinkverhalten acht gibt. Wenn man früh ins Bett geht, weil der Schlaf so wichtig ist – die Nächte durchsaufen und Tanzen bis zum Morgengrauen klingt da ganz anders. Mehr nach den Botschaften, die man von außen immer über das schöne Leben vermittelt bekommt.

Wenn dann neben mir andere Menschen all dies einfach tun, ohne am nächsten Tag zu bereuen, ohne mal einen Gang runterzuschalten. (Ohne auf sich zu achten?) Dann springt in mir wohl etwas an. Ist es Neid? Ist es Trotz? Ich weiß es nicht. Hätte ich eine „sichtbare“ Krankheit, dann würde mir auch keiner übel nehmen, dass ich kürzer trete und nicht bei allem mithalte.

Nun gut – seit wir auf Lombok sind hat sich die Achterbahn wieder beruhigt. Nur noch die normalen Ups and Downs. Ich absolviere wieder meine Morgenstunde (Yoga, Sport, Meditation), schlafe genug und lasse den Alkohol weg. Und schon geht es mir besser. Und ich schwanke zwischen „Mensch, Dommi, hätte jetzt echt nicht sein müssen“ und „Siehst du, es liegt an dir – du kannst beeinflussen, wie es dir geht“. Und ich glaube, letzteres gefällt mir besser.

Bali-Beobachtungen

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Bali-Beobachtungen

Wenn einer eine Bali-Reise tut, dann kann er viel erzählen… Wer einige Wochen hier auf Bali verbringt, der sieht wahrlich so einiges. Lustiges, trauriges, schönes, interessantes, sonderbares. Eine kleine Sammlung von Gedanken und Beobachtungen. Und natürlich Bilder dazu.


Wie ist es, fast drei Monate auf Bali zu sein? Wie fühlt es sich an? Was sieht man? Wovon wird der Alltag bestimmt? All dies sind Sachen, die sehr schwer über den halben Erdball zu transportieren sind. So viele Kleinigkeiten, die in den großen Reiseartikeln immer untergehen, keinen Platz finden. Vielleicht kann diese Sammlung hier eine Idee davon geben:

Ja, die Reisterrassen sind so schön wie sie auf Bildern und in den Reiseführern immer aussehen. Jedes Mal schön, jedes Mal anders.

Die Erwachsenen fragen einen zur Begrüßung meistens, wohin man geht oder woher man kommt. „Where you going?“ Das ist quasi das balinesische Äquivalent zum amerikanischen „How are you?“. Mit dem Unterschied, dass es die Balinesen wirklich zu interessieren scheint. Am Anfang wundert man sich noch und denkt „Das geht dich doch gar nichts an?!“ aber auch daran gewöhnt man sich und legt sich für den Fall ein „Jalan, Jalan!“ zurecht. Was soviel heißt wie „Weg, Weg bzw. Ich fahr einfach nur ein bisschen rum.“

Erschreckender können da schon die Kinder sein, die einen vom Straßenrand aus ansprechen. Meistens ist es nur ein fröhlich geschrienes „HELO!!!“ wenn wir vorbei fahren. Da freut man sich natürlich. Wir haben aber auch mehr als nur einmal erlebt, wie die Kinder bei unserem Anblick sofort die Hand hingehalten haben und „Money!“ sagen. Schön, dass sie Englisch sprechen.

Die Kinder sind hier sowieso zum Teil Vollprofis. Nicht nur im „Money“ rufen. Sondern im verkaufen und verhandeln. Nur eine von vielen Szenen: wir halten an einer ruhigen Straße um den Blick auf die Landschaft zu genießen. Da kommen drei wirklich knuffige Mädchen angerannt, 5,7 und 9 – grob geschätzt. Und zeigen uns Bilder. Natürlich selbstgemalt. Und machen große Augen. Wir blättern höflich durch. Ich frage mal höflich nach, was denn ein Bild kostet. Und auf die Antwort „Fifty thousand!“ muss ich nicht mehr ganz so höflich laut lachen. Worauf das Mädchen sagt „You can bargain!“ Also, dass ich ja handeln könne! Ohne mit der Wimper zu zucken. Gelernt ist gelernt. 50.000 Rupiah sind deutlich mehr, als die umgerechnet 20 Cent, die ich wahrscheinlich noch bereit gewesen wäre zu zahlen. Für das Geld bekomme ich in so manchem Warung drei Essen.

Drei Geräusche, die Bali für mich ausmachen: das Brummen, Röhren, Knattern von Motorrollern – das Krähen der unzähligen Hähne – der immer noch fremde Klang von Gamelan-Instrumenten.

Geckos sind toll! Und überall! Innen und außen. An Wänden, Decken, Lampen und Schildern. Und sie stören überhaupt nicht. Sondern sie essen brav Mücken und Co. Damit die einen dann im Schlaf nicht verrückt machen. Nur die Gecko-Kaka liegt manchmal an etwas ungünstigen Plätzen. Aber ist wohl auch schwer, von so weit oben gut zu zielen.

Zeit hat hier einen anderen Wert. Gefühlt gibt es mehr davon. Jeder einzelne Balinese scheint an einem Tag soviel Zeit zu haben wie wir nicht in einem Monat. Das bringt eine allgemeine, sehr entspannte Atmosphäre auf der ganzen Insel mit sich.

Es wird viel rumgesessen. Überall – ob auf der Straße, hinterm Tresen oder beim Arbeiten. Kein schlechtes Gewissen beim Nichtstun.

Diese allgemeine Ruhe ist schön. Und nicht vergleichbar mit der pausenlosen Hektik in Deutschland. Und sie ist ansteckend. Es dauert nicht lange, bis man feststellt, dass man sich auch langsamer bewegt. Ruhiger. Entspannter. Bei den Temperaturen hier sowieso eine gute Idee.

Und die Balinesen können trotzdem oder auch richtig hart anpacken. Ständig sieht man Frauen mit Zementsäcken auf dem Kopf. Oder Roller, die mit Zementsäcken beladen sind. Es wird gebaut, gehämmert, geschleppt, geerntet wohin das Auge sieht.

Es gibt kein Bier auf Hawaii? Es gibt keinen Wein auf Bali. Und wenn doch, dann ist er ungenießbar. Oder unbezahlbar.

Die sattgrünen Reisterassen – wir können uns einfach nicht satt sehen!

Nein, ich gewöhne mich einfach nicht an unter 7-jährige Kinder, die mit 40 km/h auf ihrem Motorroller an mir vorbeirasen. Und auch nicht an 12-jährige.

Und ich gewöhne mich auch nicht an mit allen erdenklichen Dingen vollbeladenen Roller. Ob vier Ziegen, 5 Meter hoch Reissäcke, Kühlschrank oder Rasenmäher. Jedes mal faszinierend. Und oft auch ein bisschen beängstigend.

Und wer keinen Roller zum Überladen hat, der nimmt eben seinen Kopf. Ob Hühnerbund, Opferschalen oder Wassergallonen – alles schon gesehen. Auch Pflastersteine landen auf dem Kopf. Mutti trägt 6 Stück, der 12-jährige Sohn 3 Stück und seine 4-jährige Schwester nur einen. Man muss ja klein anfangen.

Räucherstäbchen sind toll! Ich liebe den Geruch, der mehrmals täglich von den Tempeln, Opferstellen und zahllosen anderen Orten durch die Luft geweht wird.

Und den Duft von Nelkenzigaretten mag ich auch.

Ja, es findet jeden Tag irgendwo im näheren Umkreis mindestens eine Zeremonie statt. Meistens mehrere. Ständig, überall, immer wird irgendwas, irgendwo und irgendwie zeremoniert. Mit ein wenig Offenheit und vor allem wenn man etwas länger an einem Ort bleibt, wird man früher oder später zu einer Hochzeit, einer Tempeleinweihung oder einer Bestattungszeremonie eingeladen werden. Oder allen drei. So ging es uns.

Balinesen scheinen Harley Davidson zu lieben. Auch wenn man davon praktisch kein Exemplar herum fahren sieht. Dafür aber umso mehr Autos und Roller die Harley-Davidson Aufkleber durch die Gegend fahren.

Gefühlt leben 90% der Balinesen hinter, vor, über, neben oder in ihrem Shop. Aussehen tun diese Läden fast alle gleich. Eine bunte und unbeschreibliche Mischung. Der Tag wird damit verbracht, hinter, vor, über, neben oder im Shop rumzusitzen. Ist ja auch Zuhause. Wenn jemand kommt, um was zu kaufen – schön. Wenn nicht – passt auch. Man hat ja sein Zuhause nicht verlassen müssen.

Habe ich schon die Reisterrassen erwähnt? Jedes mal wieder unfassbar grün, schön und atemberaubend.

Auch an Männer, die auf ihrem Roller Schrotflinten, Gewehre, Sicheln, Sensen und Harpunen durch die Gegend fahren, habe ich mich noch nicht gewöhnt.

In so vielen Dingen ist Bali eine wahre Zeitreise. In die Vergangenheit. Viele Dinge, bei uns inzwischen von Maschinen & Co übernommen wurden, werden hier noch old-school und per Hand gemacht. Vom Ochsenkarren auf dem Reisfeld bis zum Betonmischen und Wäsche waschen im Fluss.

Die Balinesen kehren gerne. Und ständig. Quasi immer. Meistens mit kurzen Reisbesen. Auf der Straße, in der Einfahrt, vor dem Haus – das Geräusch ist so allgegenwärtig wie die warmen Temperaturen.

Entweder, die Balinesen haben alle etwas an den Ohren, oder ein extrem anderes Lautstärke-Empfinden als wir. Die Musik dröhnt hier an vielen Stellen mit einer solchen Wucht aus den Boxen, dass der Hörschaden unmittelbar mitschwingt. Und eng um die Lautsprecher scharen sich die Menschen. Dass die Boxen meistens schon den Geist aufgegeben haben und mehr Scheppern und Rasseln als klare Töne proudzieren – stört nicht.

Und bei den Mopeds scheint zu gelten „Wer am lautesten röhrt der hat gewonnen“. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie laut diese kleinen Dinger werden können. Ein startender Düsenjet ist nichts dagegen. Vor allem fahren die meistens nicht so viel in der Gegend herum.

Aber auch beim Arbeiten mit lauten Maschinen trägt hier keine Sau so etwas wie Gehörschutz.

Geschweige denn von Schutzbrillen. Egal ob Schweissen, Sägen oder Schleifen. Passiert alles mit Flipflops, nacktem Oberkörper und dem Kopf direkt am Gerät.

Wir haben uns ein paar Mal gefragt, ob das die Hölle oder das Paradies ist für Menschen, die in Deutschland für die Sicherheit am Arbeitsplatz sorgen.

Gleiches gilt aber für Tierliebhaber. Vor allem Hunde. Entweder man findet hier in den vielen verwahrlosten Straßentieren seine Lebensaufgabe. Oder verzweifelt anhand der vielen dürren und trauigen Gestalten überall.

Und für Menschen, die zu Hause irgendwas mit Strom und Kabeln, Sanitär oder Bauen zu tun haben – ich kann mir nur absolute Fassungslosigkeit oder grenzenlose amüsierte Faszination vorstellen. Was die hier zum Teil veranstalten ist wirklich unbeschreiblich.

Aber auch ihre Stärke: etwas funktioniert nicht? Also findet man schnell und unkompliziert eine Lösung. Pragmatisch, praktisch -nicht immer gut. Manchmal gefährlich. Oft kreativ. Und jedes Mal faszinierend. Plastikflaschen als Regenrohre. Kabel, die durch die Luft, über die Straße und in vielen Knoten locker verlegt werden. Ölkanister, die als Bojen, Gewichte oder Dekoration benutzt werden.

Der Balinese lächelt. Und ist nett. Und höflich. Was toll ist. Mit der Zeit aber auch anstrengend werden kann. Einerseits, weil man  es einfach kaum schafft, mal einen Blick hinter diese lächelnde Fassade zu werfen. Was denken die Locals wirklich über die Touristenmassen? Wie geht es ihnen, wenn ihre Kultur mit Füßen getreten und ihre Insel zerstört wird. Nach einer Weile fängt man an, sich kontroverse Diskussionen statt pausenloser Lächelfassade zu wünschen.

Aber im Alltag ist es natürlich auch toll, wenn alle um einen herum strahlen, was das Zeug hält.

Den Satz „Ich geh mal auf mein Zimmer“ wird man hier nicht hören. Die Menschen hier leben anders. Oft gibt es nur einen Raum, in dem gekocht, gelebt und geschlafen. Manchmal werden einzelne Dinge in einen offenen Teil des Hauses ausgelagert. Aber einzelne Zimmer, vor allem für die Kinder, mit Tür & Co sind hier noch sehr ungewöhnlich.

Die Gamelan-Musik ist eine schöne Metapher dafür, wie Bali funktioniert. Ein Gamelan-Instrument alleine klingt eher nicht so geil. Ein Gamelan-Orchester hingegen klingt faszinierend. Bali funktioniert nicht ohne die Gemeinschaft. Das mag so nicht mehr für die größeren Städte im Süden gelten, wo der westliche Lebensstil sich immer mehr durchsetzt. Aber für den Rest der Insel ist der Zusammenhalt und die Dorfgemeinschaft nach wie vor Alltag und Lebensgrundlage. Von der Versorgung der Alten und Kranken bis zum Straßenbau und gemeinsam gestemmten Zeremonien.

Wer nichts wird, wird Winker. Und nicht Wirt. Gerade im Süden stehen überall – wirklich überall Menschen mit Kellen, Schildern oder Pfeifen, die einen aus Ein- und Ausfahrten hinauswinken. Egal ob Supermarkt, Modeboutique, Restaurant oder Bank. Überall wird gewunken. Den ganzen Tag. Und (fast) immer in Uniform.

Denn auf Uniformen stehen die Balinesen. Keine Ahnung warum. Nicht nur die unzähligen Winker haben welche an. Auch jeder Pförtner, jede Pseudo-Security und viele Servicekräfte. Auf den ersten Blick denkt mal „Huch, so viel Polizei“. In Wahrheit macht dieser Uniform-Wahnsinn es nur extrem schwer, zu erkennen, wer hier eigentlich wirklich was zu sagen hat und sich Polizei nennen darf.

Selbst im hinterletzten, verlassensten, ursprünglichsten Dorf, zu dem man eine halbe Stunde auf nicht-aspahltierter Straße fährt, gibt es Coca-Cola. Ich sehe den netten Vertreter richtiggehend vor mir, wie er im Laden steht, einen Kühlschrank für umsonst verspricht wenn dafür nur noch ihr Produkt verkauft wird. Und welcher Tropenbewohner sagt schon Nein zu einem geschenkten Kühlschrank?

Und es muss nicht unbedingt Cola, Sprite oder Fanta sein, die verkauft wird. Viel häufiger ist es einfaches Trinkwasser. Dass hier leider fast ausschließlich in den Händen internationaler Konzerne, wie eben Coca Cola, liegt. Danone-Wasser gibt’s hier überall.

Mie Goreng ist toll! Jedes Mal anders. Fast jedes Mal lecker. Aber nach drei Monaten freut man sich auch mal über ne Pizza. Die hier erstaunlich gut ist.

Man muss beim Fahren hier auf der Insel ständig drauf gefasst sein, dass einem Hähne, Hühner, Küken, Kinder, Affen, Hunde, Katzen, Gänse oder Ziegen in den Weg springen. Ist eben so.

Man kann alles an der Straße kaufen. Von (noch verständlichem) Obst und Gemüse zu Feuerwerk, FlipFlops und Opfergaben.

Nichts – wirklich nichts ist selbstverständlich. Auch nicht, dass Katzen einen „richtigen“ Schwanz haben. Haben die hier nämlich zum Großteil nicht. Meistens sind es halbe Schwänze, Knoten, Ecken oder Bommel, die wohl mal ein Schwanz werden sollten. Schade, denn dadurch verlieren Katz und Kater eine große Portion von ihrer Eleganz.

Bambus ist einfach für alles gut. Vor allem, wenn er 20 Meter hoch und ordentlich dick wird. Baugerüste werden hier nicht aus Metall, sondern aus Bambus gebaut. Auch ganze Häuser. Und Möbel sowieso. Und manchmal dient er einfach als Wäscheleine. Bambus ist toll.

„Some people who don’t have much are truly happy. And some people who have nearly everything are truly unhappy.“ und dieser Satz beschreibt Bali in großen Teilen auf den Punkt. Trotz all der unschönen Dinge, die ich in dieser Liste auch aufgeführt habe: der durchschnittliche Balinese lacht, lächelt und freut sich jeden Tag so sehr wie es der Deutsche wohl gerade mal im ganzen Jahr zusammenbringt.

Und außerdem: die Reisterrassen! Jedes mal anders. Jedes mal schön!

Meditation | Der Kampf mit dem Kopf

Lesezeit: 14 minuten

Meditation | Der Kampf mit dem Kopf

Noch vor wenigen Monaten war das Schlimmste, was mir passieren konnte, dass ich meinem eigenen Kopf zuhören muss. Heute ist Meditation fester Bestandteil meines Alltags. Wie es dazu gekommen ist, wie sich Achtsamkeit und Meditation unterscheiden, beeinflussen und zusammenhängen und was der Buddhismus mit der ganzen Sache zu tun hat.


Seit ich regelmäßig meditiere, geht es mir besser. Besser im Bezug auf Borderline. Und auch auf vieles andere. Vor allem bin ich gelassener geworden. Das heißt nicht, dass ich nicht immer noch von jetzt auf gleich ausbrechen, explodieren und Wutanfälle bekommen kann. Aber weniger. Weniger oft. Weniger intensiv. Gelassenheit rauf – Grundanspannung runter. Es gelingt mir öfter, Menschen und Dinge so sein und passieren zu lassen, wie sie sind. Vor allem, wenn ich sowieso nichts dran ändern kann. Frei nach dem schönen Motto

Love it. Change it. Or Leave it.

Anfangs dachte ich, Meditation wäre nur für uns „Psychos“ eine Herausforderung. Aber je mehr ich mich mit dem Thema beschäftige und je mehr ich mit anderen Leuten darüber rede, desto mehr fällt mir auf, dass still dasitzen und sich mit dem Inneren des eigenen Kopfes zu beschäftigen auch für viele, für sehr viele „Normalos“ abschreckend ist. Wahrscheinlich haben wir einfach alle so ein paar Bilder, Sätze und Geschichten da oben schön tief weggepackt, die wir am liebsten für immer in ihrer Ecke liegen lassen würden. Aber meine Erfahrung: das klappt nicht. Allein schon das Wissen, dass da dieser Koffer mit dieser einen Erinnerung ist, die man nicht sehen möchte, kann fertig machen.

Aber auch wenn da oben kein Koffer liegt, keine Dämonen wohnen, kann 10 Minuten Ruhe für den Kopf eine ganz schöne Herausforderung sein. Bis vor wenigen Monaten war Meditation für mich etwas, was nicht wirklich in unsere Zeit passt. Nur was für Buddhisten und Hippies. Mittlerweile denke ich, dass 10 Minuten ruhig dazusitzen für unsere modernen Köpfen noch viel wichtiger ist, als je zuvor. Und schwieriger. Eine Pause von den ständig auf uns einprasselnden, bunten, lauten, „wichtigen“ und „dringenden“ Reizen. Dem Kopf eine Auszeit gönnen. Klingt unspektakulär und leicht. Ist aber ganz schön harte Arbeit. Und wenn ihr es schafft, den MonkeyMind etwas zu zähmen, dann werdet ihr sehen, was für Höchstleistungen unser Gehirn pausenlos abliefert – und schnell erkennen, dass es sich die 10 Minuten Ruhe mehr als verdient hat.

Es gibt so viel über Meditation zu sagen – erst habe ich keinen Anfang und dann fast kein Ende gefunden. Bei Rausgekommen ist eine Einführung à la Dommi, in der ich versuche, euch nicht zu überladen und euch trotzdem das Wichtigste und vor allem meine Erfahrungen näher zu bringen. Der Artikel ist darum recht lang geworden und ich helfe euch das erste Mal mit Sprungmarken. Ihr könnt also auswählen, was euch interessiert und dann direkt dorthin springen. Falls etwas nicht funktionieren sollte, sagt mir bitte Bescheid.

Was für Meditationen gibt es?

Achtsamkeit und Meditation – Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Meditation und Buddhismus

Anhaftung heißt Leiden

Einstieg in die Meditation

Bücher, Apps & Links

Mein Weg zur Meditation

Nachdem ich über die Klinik in Hamburg also zur Achtsamkeit gekommen war, hat mich der Weg weiter zur Meditation geführt. Denn nach einigen Wochen daheim mit unterschiedlichsten Achtsamkeitsübungen habe ich gemerkt, wie gut mir das stille Sitzen und das Konzentrieren auf den Atem gefällt. Und wie gut es mir tut.

Ich habe mir das mit der Meditation nicht groß vorher überlegt. Nicht geplant. Nicht groß vorgenommen. Und vielleicht war das gut so. Ich bin also quasi aus der Achtsamkeit rüber in die Meditation gerutscht. Anfangs habe ich mein Sitzen auch immer noch als Achtsamkeit bezeichnet. Aber als ich mehr über Meditation gelesen habe, bin ich bald selbstbewusster geworden und habe meine 10-Minuten Einheiten Meditation genannt. Für mich ein großer Schritt. Dommi meditiert. Wahnsinn. Wenn man mir das vor 5 oder gar 2 Jahren erzählt hätte, wäre vermutlich ein abfälliges Kommentar samt gezeigtem Vogel bei rausgekommen.

Mittlerweile werde ich nervös, wenn ich mal zwei Tage hintereinander nicht meditiere. Genau so, wie ich nervös werde, wenn ich mal zwei Tage hintereinander keinen Sport getrieben habe. Ich habe gelernt und begriffen, dass mir beides unheimlich gut tut. So wie der Körper sein Workout braucht, so braucht auch der Kopf seine regelmäßigen Trainingseinheiten. Healthy Body – Healthy Mind!

So oft es geht versuche ich morgens zu meditieren. Meistens 20 Minuten. Wie beim Sport gilt, dass ich den Tag über entspannter und gelassener bin, wenn ich meine Selbstfürsorge schon absolviert habe. Nach einer Meditation fühlt es sich für mich immer so an, als hätte mein Gehirn eine erfrischende, kalte Dusche bekommen. Ich bin wach, achtsam und – nun ja, frisch im Kopf.

Was für Meditationen gibt es?

Die „klassische“ Meditation, Grundlage aller Übungen und Variationen ist die Konzentration auf den Atem. Einfach sitzen. Atmen. Spüren. Zählen. Mehr nicht. Klingt einfach? Dann versuch mal, atmend bis 10 zu zählen. Und sonst nichts zu tun. Keine anderen Gedanken. Nur „Einatmen 1 – Ausatmen 2 – Einatmen 3 – Ausatmen 4 – Einatmen 5 – Ausatmen 6 – Einatmen 7 – Ausatmen 8 – Einatmen 9 – Ausatmen 10“.

Und, wie weit bist du gekommen? Ehrlich?

Bei mir hat es bestimmt 10 oder sogar 15 Sitzungen mit dieser Übung gedauert, bis ich das erste Mal bei 10 angekommen bin. Man macht sich gerne was vor, denn unser Gehirn kann über irgendwas nachdenken und im Hintergrund bis zehn zählen. Das ist aber nicht gemeint. Ich habe mal den Vergleich gelesen, dass diese Übung so ist, wie einem jungen, aufgedrehten Welpen beizubringen, dass er in seinem Körbchen bleiben soll. Er wird immer wieder rausspringen – so wie dein Kopf vom Zählen wegspringen wird. Du musst den Welpen (deinen Kopf) also nehmen, und wieder zurück zum Korb (Zählen) tragen. Und das sehr oft. Aber es lohnt sich.

Bei anderen Meditationen geht es darum, zu Visualisieren. Sich etwas vor dem geistigen Auge so genau wie möglich vorzustellen. Etwa einen Berg, um das eigene Selbstbewusstsein zu stärken. Oder einen sicheren Ort, den man in schwierigen Situationen aufsuchen kann. Oder die eigene Zukunft.

Auch sehr weit verbreitet sind die sogenannten Metta-Meditationen. Hierbei geht es darum, erst für sich und dann für andere wahrhaftes, ehrliches Mitgefühl zu erzeugen. Kein Mitleid. Sich und anderen etwas Gutes zu wünschen. Und zwar ohne Hintergedanken. Aus vollem Herzen. Meine Metta-Mediation lautet:

Möge ich gesund sein und frei von Leiden.
Möge ich erfüllt sein mit Ruhe, Gelassenheit und Frieden.
Möge ich frei sein von Hass, Gier und Verblendung.
Möge ich glücklich sein.

Wenn man es geschafft hat, diese Sätze ehrlich zu sich selber zu sagen, sie wirklich zu meinen und zu fühlen, dann geht man einen Schritt weiter und wendet die gleichen Wünsche auf einen geliebten Menschen an. Danach auf einen Menschen, der einen „herausfordert“. Und schließlich auf die ganze Welt – jeden Menschen, jedes Lebewesen. Ich kämpfe aber noch mit mir.

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Achtsamkeit und Meditation | Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Achtsamkeit und Meditation werden oft gleichgesetzt, vermischt, durcheinandergebracht, verwechselt und missverstanden. Im Grunde zielen beide in die gleiche Richtung: den Geist, der ständig im Gestern oder im Morgen unterwegs ist, zurück zum Körper im Jetzt zu bringen.

Ich finde, Meditation ist eine Art Erweiterung oder Add-On zur Achtsamkeit. Achtsam kann man in jedem Moment seines Lebens sein. Egal ob man isst, fährt, redet, arbeitet, faulenzt oder fernsieht. Mit der Meditation sieht das schon anders aus.

Für mich bedeutet Meditation aber auch, sich 10, 15 oder 20 Minuten still hinzusetzen. Die Augen zu schließen. Keinen Mucks und keine Move zu machen. Und zu atmen. Oder einer Klangschale zuzuhören. Oder Metta zu praktizieren.

Ja, in vielen Büchern, Kursen oder im Internet gibt es Anleitungen für Mini-Meditationen. Kurze Übungen, die man auch in der U-Bahn machen kann. In anderen Büchern heißen diese kurzen Einheiten dann Achtsamkeitsübung. Ihr seht, die Grenzen sind fließend. Wenn ich von Meditation schreibe, meine ich immer den Klassiker. Im Schneidersitz auf dem Boden hockend. Alles andere ist für mich Achtsamkeit.

Zum Meditieren muss man achtsam sein. Vielleicht ist Meditation sogar so etwas wie die Königsdisziplin der Achtsamkeit? Ich kann mich nicht hinter einem Sinn verstecken, hinter einem äußeren Reiz, den ich achtsam betrachte. Ich bin alleine mit meinem Kopf.

Von heute auf morgen mit Meditation anzufangen stelle ich mir allerdings schwieriger vor, als mit Achtsamkeit zu starten. Ganz einfach, weil Achtsamkeit flexibler ist. Alltagstauglicher. Und weniger Ausreden zulässt. Und vielleicht wird es dir dann wie mir gehen, dass dich die ganze Sache so packt und du dich eines Tages mit einem 20-minütigen Meditationstimer in deinem Wohnzimmer wiederfindest.

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Meditation und Buddhismus

Viele Leute denken, Meditation und Buddhismus bedingen einander. Nach dem Motto „Nur Buddhisten meditieren“ oder „Um zu meditieren muss ich Buddhist sein – oder werden.“ Das ist Unfug. Meditation hilft wissenschaftlich nachgewiesen, das Gehirn positiv zu verändern. Egal ob Buddhist, Manager, Hausfrau oder Borderliner.

Bereits nach wenigen Wochen regelmäßiger Meditation zeigen sich in den Köpfen der Probanden Veränderungen. Wer sich davon überzeugen möchte, findet bei 7Mind oder bei Headspace (englisch) schöne Zusammenfassungen der postivien Auswirkungen, die Meditation auf alle Bereiche des Lebens hat. Wer sich noch tiefer reinlesen möchte oder schwerer zu überzeugen ist, findet bei wikipedia eine lange Liste voller Studien, die sich mit Rund um Mediation drehen.

Ich selbst habe mich durch die Beschäftigung mit Meditation auch näher mit dem Buddhismus befasst. Und kann dieser Religion durchaus viel Positives abgewinnen. „Richtige“ Buddhistin zu werden, habe ich (momentan jedenfalls) aber noch nicht vor. Aber ich baue gerne Aspekte, Ideen und Vorstellungen der buddhistischen Lehre in mein Leben ein. Denn ich finde den Ansatz unheimlich interessant. Und auch sehr alltagstauglich.

Sei es die Gelassenheit – die auch durch Meditation kommt. Akzeptieren, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Nichts von Dauer ist. Wir mit Veränderungen bei uns selber anfangen müssen. Wir unser Glück nicht von irgendwelchen Gegenständen abhängig machen sollten.

Oder Karma. Auf gut deutsch würde man vielleicht sagen „Was du nicht willst das man dir tu das füg auch keinem anderen zu.“ Ich sage schon lange, wenn ich jemandem begegne, der nicht wirklich vorbildich handelt, manchmal sogar kriminell – ohne dass ich etwas dagegen tun könnte: Abwarten – eines Tages wird all das zurück kommen zu ihm. Und genau das ist Karma. Wenn wir positiv denken, handeln und gute Absichten verfolgen, dann ist das gut für uns. Genau so wie das Positive wird aber auch das Negative irgendwann zu uns zurück kommen.

Ich mag den Weg der Mitte, der im Buddhismus gerne gewählt wird. Schon Buddha selber hat erkannt, dass weder Völlerei und exzessiver Genuss, noch Askese und komplette Entsagung aller materieller Güter der richtige Weg ist. Sondern die Mitte. Dem Körper und dem Geist das geben, was sie brauchen. Aber nicht mehr.

Und wenn man einmal den Weg der Mitte entdeckt hat, dann fällt einem auf, wie richtig der oft ist. Der deutsche Regel- und Gesetzeswahn mag seine Nachteile haben. Übertrieben und spießig wirken. Der sehr lockere Umgang mit Genehmigungen und Vorschriften in anderen Ländern dieser Welt aber auch. Eine Kombination aus beidem wäre gut. Nur um mal ein Beispiel zu nennen. Extreme sind wohl selten gut. Weder beim Bauen. Noch beim Essen. Noch beim Sport. Noch beim Arbeiten. Eigentlich nie.

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Anhaftung heißt Leiden

Hier folgt nun keine buddhistische Lehrheinheit. Sondern ein kurzer Exkurs, warum mir die Beschäftigung mit Achtsamkeit, Meditation und Buddhismus beim täglichen Kampf mit meiner Borderline Persönlichkeitsstörung hilft.

Buddha verkündete, dass eigentlich alle Probleme, die der Mensch so hat, durch Leiden entstehen. Ein Teil dieses Leidens entsteht durch Anhaftung. Also dadurch, dass wir Dinge, Momente und Menschen gerne für immer festhalten wollen.

Aber das funktioniert leider nicht. Dinge gehen kaputt. Momente gehen vorbei. Menschen sterben. Je mehr wie akzeptieren können, dass alles ein großer Kreislauf ist, umso leichter fällt es, sich nicht an einzelnen Dingen festzuklammern.

Und wo kommt jetzt die Borderline ins Spiel? Beim Anhaften an Gefühle. An negative, wie an positive.

Im Bali-Artikel über unsere Zeit in Canggu habe ich beschrieben, wie schwer es mir beispielsweise an einem Abend gefallen ist, von einem schönen Strand nach Hause zu fahren. So viele Menschen waren dort. Die sahen alle so glücklich aus. Warum sollten wir also gehen? Nun, weil wir bereits mehrere Stunden an eben diesem Strand genossen und einen sehr langen Tag hinter uns hatten.

Ich hatte eine Vermutung, warum es mir so schwer fiel, mich zu lösen. Und zwar, weil es mir dort gut gegangen war. Ich war glücklich. Es war schön. Meer, leckeres Essen, tolles Licht, Arvid – alles war super. Und wer weiß, wie der nächste Moment sein würde? Welche Stimmung, welche Emotion, welche Laune mich hinter der nächsten Ecke anspringen würde.

Aber was soll ich jetzt tun? Ewig an diesem Strand sitzen? Wohl kaum. Das wäre auf jeden Fall nicht der Weg der Mitte. Oder der Achtsamkeit. Irgendwann wäre es dunkel geworden und es hätte nicht mehr viel zu sehen gegeben. Die Restaurants hätten zu gemacht, nett sitzen wäre also auch bald vorbei gewesen. Vielleicht wäre ich sogar irgendwann alleine am Strand gewesen – was ich wahrscheinlich auch irgendwie gruselig gefunden hätte. Es war also gut, dass wir gegangen sind.

Seit ich den Gedanken mit der Anhaftung, den Gefühlen und dem Leid das erste Mal hatte, versuche ich noch stärker zu akzeptieren, dass nichts – wirklich nichts auf dieser Welt für immer ist. Alles kommt und geht. So ist es. Es bringt nichts, sich an irgend etwas festklammern zu wollen. Weder an einem schönen Strand. Noch an dem Gefühl dazu. Oder dem T-Shirt, was man gerade trägt.

Genau so, wie wir das Schöne nicht festhalten können, wird aber auch das Schlechte nicht ewig bleiben. Das ist die zweite Erkenntnis, die ich aus der Anhaftung mitnehme. Und diese wiederum kann mir bei meinem zweiten Borderline-Problem helfen, welches ich im Canggu-Artikel beschrieben habe.

Was also wirklich hilft: Achtsamkeit. Den Moment genießen. Die Dinge wertzuschätzen, die wir besitzen. Die Momente mit unseren geliebten Menschen wirklich auszukosten.

Und weiter meditieren. Damit ich noch gelassener werde. Noch weniger anhafte. Und mein Glück noch mehr in mir selber finde.

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Einstieg in die Meditation

Du bist jetzt neugierig geworden? Sehr schön! Denn genau das wollte ich erreichen. Gönn dir und deinem Kopf ein bisschen Quality Time. Schalte das Dauerfeuer mal für ein paar Minuten ab. Es dauert nicht lange, bis du merkst „Irgendwas ist anders“. Versprochen!

Darum hier also ein paar Tipps und Anregungen, wie du die Meditation erfolgreich in dein Leben einbaust:

Handfeste Tipps:

  • Gedanken sind ok | Bei Meditation geht es nicht darum, nicht mehr zu denken. Deinen Kopf vollkommen zu entleeren. Es geht darum, sich seine Gedanken bewusst anzuschauen. Aus einer neutralen, beobachtenden Perspektive. Es geht darum, dem ständig umherspringenden MonkeyMind die Kontrolle wegzunehmen. Sich zurückzulehnen und zu schauen, was im Kopf so passiert. Ohne sich davon tragen zu lassen.
  • Feste Zeit, fester Ort | Versuche, besonders am Anfang, eine feste Zeit und auch einen festen Ort für die Meditation zu etablieren. Das hilft deinem Kopf und deinem Körper. Aha, 7:15 Kissen auf dem Wohnzimmerboden – jetzt wird meditiert. Mit der Zeit ist es mir immer leichter gefallen, auch zu anderen Zeiten und an anderen Orten zu meditieren. Aber für die ersten Wochen rate ich dir, feste Rituale um die Meditation herum zu legen.
  • Kleine Ziele | Nicht gleich 20 Minuten lang Atem zählen. Sondern vielleicht 5 Minuten still sitzen und 1 mal wirklich den Atem bis 10 zählen. Zu hohe Ziele zu Beginn deiner Meditationskarriere bergen nur Frustpotential. Wenn du merkst, dass die 5 Minuten gut gehen, dann erhöhe auf 10. Oder bleib erstmal drei Wochen lang bei 5 Minuten. Kein Stress, kein Druck. Einfach nur das, was sich richtig anfühlt.
  • Störungen vermeiden | Wenn du nicht alleine wohnst, kündige an, dass du jetzt die Zimmertür hinter dir schließen wirst und für kurze Zeit bitte nicht gestört werden möchtest. Telefon, Handy, Smartphone & Co ausschalten oder zumindest auf lautlos. Gerade am Anfang haben mich so Sachen wie der Rasenmäher vom Nachbarn trotzdem immer sehr geärgert. Ich nehme mir doch gerade Zeit für mich, muss der genau jetzt Lärm machen? Aber das wirst du nicht vermeiden können. Höre ein paar Momente genau hin, nimm das Geräusch wahr. Und dann kehr wieder zu deinem Atem zurück. Immer und immer wieder.
  • Wie soll ich meinen Atem zählen? | Es gibt verschiedene Herangehensweisen. Die gängigste ist „Ein 1 – Aus 2 – Ein 3 – Aus 4“ und so weiter. Schwerer ist „Ein 1 – Aus 1 – Ein 2 – Aus 2“ weil quasi doppelt so lang. Ob du nur die Zahlen denkst, sie dir vor deinem inneren Auge vorstellst oder auch „Ein“ oder „Einatmen“ hängt von dir ab.
  • Worauf soll ich mich konzentrieren? | Bei meinen ersten Versuchen habe ich mich nur auf die Nasenspitze konzentriert. Das hatte ich irgendwo gelesen. Und es ist mir nicht gelungen. Meine Nasenspitze ist scheinbar nicht aufregend genug. Ich habe dann ein wenig herumprobiert. Mal den Bauch erfühlt, wie er sich beim Atmen bewegt. Mal auf die Lunge konzentriert, wie sie sich füllt und leer. Auch heute wandere ich mich meiner Aufmerksamkeit zwischen verschiedenen Orten, an denen ich den Atem spüre. Mittlerweile kann ich auch der Nasenspitze etwas abgewinnen.
  • Jeder Tag ist anders | Und auch das ist ok. An manchen Tagen sind mir selbst 20 Minuten nicht genug. An anderen merke ich, dass ich heute kürzer machen muss – sei es wegen Unruhe, einem Termin oder einfach einer generellen Gemütsdelle. Meistens meditiere ich inzwischen ohne äußere Anleitung – manchmal merke ich aber, dass eine Stimme von außen mir heute helfen könnte, bei der Sache zu bleiben. Jede Meditation ist gut. Hör auf dich und denke nicht „ich sollte“.

Was ich dir außerdem noch mit auf den Weg geben möchte:

  • Hol dir Hilfe! | ich habe es sowohl hier als auch im Artikel zur Achtsamkeit schon mehrfach geschrieben: einfach so, von heute auf morgen mit diesen Dingen loszulegen, kann funktionieren. Besser gelingt es meiner Meinung nach jedoch durch ein wenig Starthilfe. Dazu müsst ihr ja nicht unbedingt für drei Monate in eine Psychiatrische Klinik verschwinden. Ob Kurs, Freunde, Buch oder App (s. Links) – such dir Unterstützung
  • Hab Geduld! | Marathon laufen ist toll! Von jetzt auf gleich, ohne Lauferfahrung einen zu schaffen – nicht sehr realistisch. Man muss eine Menge trainieren. Der Körper muss sich an die Bewegung gewöhnen. Er braucht Zeit um sich an die neuen Anforderungen anzupassen. Gleiches gilt für die Meditation. Dein Kopf wird nicht von heute auf morgen 20 Minuten Pause machen können ausschalten können. Dafür hat der Monkey Mind dein bisheriges Leben zu sehr den Ton angegeben. Sei nicht zu ungeduldig mit deinem Kopf.
  • Ohne Druck! | Bei der Meditation geht es nicht darum, besonders gut zu sein. Oder besonders intensiv zu meditieren. Oder gar nichts mehr zu denken. Je mehr Druck in diese Richtung dir machst, desto weniger wirst du loslassen können. Gedanken à la „Oh Mist, jetzt habe ich schon wieder an das Essen heute Abend gedacht und mich nicht auf meinen Atem konzentriert. Nicht mal meditieren kann ich“ gehören betrachtet, bemerkt und dann bei Seite gelegt. Registriere, dass du abgeschweift bist. Und gehe wieder zu deinem Atem zurück.

Bilder und Metaphern, die dir beim Meditieren helfen können

  • Der weite Himmel | Bei diesem Bild stellst du dir deinen Geist als endlos weiten, blauen Himmel vor. Das ist der Grundzustand. Und der Zustand, den wir durch Meditation wieder öfter erreichen wollen. Ab und zu zieht ein Gedanke, also eine Wolke vorbei. Manche sind klein und gleich wieder weiter geblasen. Andere sind dick und fett und verschwinden nicht so schnell wieder. Ziel ist es nun, die Wolkengedanken einfach zu betrachten, wie sie auf-, vorbei- und wieder weiterziehen. Ich bin ehrlich: ich konnte mit diesem Bild bisher noch nicht gut arbeiten. Meine Gedanken sind viel zu schnell, als dass ich sie mit Wolken vergleichen könnte. Die ziehen in meiner Vorstellung eher immer gemächlich. Aber ich wollte dieses Bild trotzdem mit hier aufnehmen, weil es der Klassiker in der Literatur ist, und ich deshalb vermute, dass es für viele Leute sehr gut funktioniert.
  • Gedanken ins Regal | Bei diesem Bild sollst du die auftauchenden Gedanken benennen und ins Regal legen. So dass dein Kopf Ruhe geben kann, weil er weiß, dass du nach der Meditation zum Regal gehen kannst und die all die „wichtigen“ Dinge nochmal anschaust. Denn manchmal tauchen bei der Meditation Gedanken auf, die gut sind, und die wir gerne aufschreiben möchten. Diesem Drang solltest du aber, wenn möglich, nicht nachgeben. Durch die Methode, dem Gedanken ein Symbol und ein Label zu verpassen, ihn also einmal kurz und bewusst zu visualisieren, fällt es dir leichter, nach der Meditation wieder daran anzuknüpfen.
  • Die Gedankenautobahn | Bei dieser Methode stellst du dir deine Gedanken wie vorbeifahrende Autos vor. Und du sitzt mittendrin, auf dem Mittelstreifen oder der Insel im Kreisverkehr, und schaust dir einfach nur an, was so vorbeifährt. Ohne ein Auto anhalten zu wollen. Oder einem anderen hinterherzutragen. Ich liebe dieses Bild. Weil es der Geschwindigkeit meiner Gedanken so sehr entspricht. Bei mir sieht die Szene folgendermaßen aus: ich sitze auf einem bequemen Ohrensessel auf dem Grünstreifen einer Autobahn. Links von mir drei Spuren in die eine Richtung. Rechts von mir drei Spuren in die andere Richtung. Für mich symbolisieren die Richtungen Zukunft und Vergangenheit. Fast jeder Gedanke lässt sich einer von beiden Richtungen zuorden. Es gibt schnelle Sportwagen, die mit 200 km/h an mir vorbei rasen und gleich wieder weg sind. Und es gibt große, schwere, voll beladene Laster, die ein bisschen länger zu sehen sind. Zusätzlich gibt es vor mir eine Brücke über die gesamte Autobahn. Dort fahren noch ein paar Autos drüber, von links nach rechts und umgekehrt. Das sind für mich Gedanken, die ich so noch nicht hatte. Die albern sind. Die ich nie wieder denken werde. Alles was ein bisschen aus der Reihe tanzt. Beim Meditieren stelle ich mir nun hin und wieder vor, wie ich auf meinem Sessel sitze und schaue, was heute so auf der Autobahn los ist. Viel Verkehr? Oder kaum? Stau? Haben es alle eilig? Ich möchte keines der Autos anhalten. Ich schaue einfach nur.


Vielleicht kann dir eines dieser Bilder helfen, etwas mehr Verständnis für deinen Kopf zu entwickeln.

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Bücher, Apps und Links zu Achtsamkeit & Meditation

Sowohl für Achtsamkeit als auch für Meditation gilt: hol dir Hilfe! Es ist enorm schwer, sich selber an diese großen Aufgaben zu machen. Mit der Zeit wirst du merken, wie du immer weniger Unterstützung brauchst. Unabhängier wirst. Freier. Aber gerade für den Start rate ich zu Büchern, Apps und Co.

Bücher

Achtsamkeitstraining von Jan Esswein
Das Buch, mit dem ich auch ins Thema eingestiegen bin. Eine tolle Einführung, guter Überblick, viele Übungen +CD

Gelassen wie ein Buddha: Meditationen und Achtsamkeitsübungen für 52 Wochen
Irgendwo hinstellen und jeden Woche neue Anregungen bekommen.

Gesund durch Meditation: Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR
DER Vater von Achtsamkeit & Co in der westlichen Welt – Jon Kabat-Zinn

Der kleine Alltagsbuddhist
Wie wir alle ein bisschen Buddhismus in unser Leben einbauen können.

Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst
Ja, Meditation verändert das Gehirn. Zum Guten!

Mit Buddha zu innerer Balance (mit Audio-CD): Wie Sie aus der Achterbahn der Gefühle aussteigen
Noch ein Buch mit CD. Mehr Gewicht auf Buddhismus, auch gute Übungen.

Mini-Meditationen
Kleines Buch, passt immer in die Handtasche. Wenn man zwischendrin mal eine Achtsamkeitsübung machen will. 

Apps

Headspace
Grandiose App, die einen langsam an die Meditation heranführt. Die ersten Sitzungen sind kostenlos. ENGLISCH

7Mind
Das Gleiche auf Deutsch. Auch sehr gut, setzt aber auf mehr Eigeninitiative als Headspace.

Achtsamkeits-App
Ein Klassiker im App-Store.

GU-App Achtsamkeit und Meditation
Habe ich selber noch nicht ausprobiert, steht aber auf der Wunschliste. Ich mag GU einfach.

NatureSounds
Verschiedene Töne wie Feuer, Regen, Wasser und so können selber kombiniert werden. Schöner Hintergrundsound für jegliche Achtsamkeits- oder Meditationsübung.

Links

achtsamleben.at
Seite rund um die Achtsamkeit. Woher sie kommt, was sie bewirkt und viele weiterführende Links und Tipps.

everyday-mindfulness.org (englisch)
Englischer Blog über Achtsamkeit, wie wir sie in unser Leben bringen können und was sie mit uns macht.

headspace.com (englisch)
Seite zur App. Viele Infos und toller Blog.


Für Achtsamkeit, Meditation und den Buddhismus gilt vielleicht noch viel mehr als für so manch anderes Thema auf meiner Seite, dass ich euch kein komplettes Bild vermitteln kann und will. Ich kann weder die Geschichte von Siddharta noch die buddhistische Lebensweise in ihrer Vollständigkeit hier widergeben.

Ich kann euch erzählen, wie es für mich ist, achtsam durch den Alltag zu gehen und täglich zu meditieren. Euch Anregungen und vielleicht sogar einen Schubs in die richtige Richtung geben. Euch weiterführende Literatur und Möglichkeiten der Information bereitstellen. Und ich kann euch gerne Fragen beantworten.

DBT und Achtsamkeit

Lesezeit: 4 minuten

DBT und Achtsamkeit

Dieser Artikel erschien zuerst auf achtsamleben.at. Mit der freundlichen Genehmigung von Herr Dr. Michael E. Harrer darf ich euch diesen Text hier auf meiner Seite präsentieren. Auf seiner Seite dreht sich – wie der Name schon sagt – alles um das Thema Achtsamkeit. Neben ausführlichen Erklärungen finden sich viele Anwendungsbeispiele und jede Menge weiterführende Links, Tipps und interessante Quellen. Schaut mal drauf! Hier ist der Link zum Originalartikel.


Dialektisch- behaviorale Therapie (DBT)

Die dialektisch-behaviorale Therapie wurde Anfang der 80er Jahre in den USA von Marsha Linehan zunächst als ein ambulantes Therapieverfahren zur Behandlung von chronisch suizidalen Patientinnen entwickelt. Es wurde bald klar, dass es sich dabei hauptsächlich um Frauen mit Borderline-Störungen handelte. Linehan sieht das zentrale Problem in einer Störung der Emotionsregulation: Eine emotionale Verletzbarkeit (schnelle, intensive und lang anhaltende Reaktionen) ist verbunden mit der Unfähigkeit, Emotionen modulieren zu können.

Nachdem sich ausschließlich kognitiv-behaviorale Verfahren als wenig wirksam erwiesen, entwickelte Linehan den komplexen Therapieansatz der DBT, der kognitiv-behavorale Interventionen (Fertigkeitentraining in der Gruppe, kognitive Umstrukturierung, Expositionstraining, Kontingenzmanagement, Verhaltensanalyse) mit Achtsamkeit verbindet und dabei auch humanistische und psychodynamische Ansätze integriert.

Die Grundidee ist jene der Dialektik: Es gibt kein Richtig oder Falsch, sondern verschiedene Positionen, die in Hinblick auf die Erreichung bestimmter Ziele beleuchtet werden. So pendelt der Therapeut beispielsweise zwischen den Polen von Akzeptanz und Veränderung mit dem Ziel eine entwicklungsfördernde Atmosphäre entstehen zu lassen. Andere Polaritäten sind Vernunft und Gefühl, oder Tun und Sein, die Synthese dieser Pole führt nach Linehan zum „wise mind“.

Auf Therapeutenseite besteht eine wesentliche Aufgabe darin, eine validierende Grundhaltung zu bewahren. Validierung lässt sich beschreiben als eine achtsame, nicht bewertende aber wertschätzende Wahrnehmung der Patientin. Jede achtsame Wahrnehmung eines Anderen ist gleichzeitig Wertschätzung.

Ein wesentlicher Baustein der DBT ist das sog. Skills-Training. Das Trainingsmanual umfasst vier Module, wobei Achtsamkeit in alle vier Module integriert ist:

  1. Innere Achtsamkeit
  2. Training der interpersonellen Wirksamkeit
  3. Training der Emotionsregulierung
  4. Stresstoleranz

Um den Sinn der Anwendung von Achtsamkeit bei Borderline-Patientinnen zu verstehen, kann man sich verdeutlichen, dass diese Menschen die meiste Zeit des Tages mit sorgenvollen, selbstabwertenden, kritischen, negativen und Katastrophen ausmalenden Gedanken beschäftigt sind. Sie verlieren sich in der negativen Bewertung von Situationen, Emotionen, Gedanken und/oder sich selbst, die Spannung steigt an, was zu dysfunktionalen Lösungsversuchen wie Selbstverletzungen führt.

Im Modul „Innere Achtsamkeit“ werden in Therapie-Gruppen folgende sog. „Was-Fertigkeiten“ vermittelt: Was tue ich?

  1. Wahrnehmen/beobachten mit den 5 Sinnen aber auch von Gedanken und Gefühlen, ohne zu flüchten und ohne sie festzuhalten.
  2. Beschreiben/Versprachlichung: Worte für das von Moment zu Moment Wahrgenommene finden, für das „was ist“, für die „Fakten“ (wobei nichts beschrieben werden kann, was nicht wahrgenommen wurde) als Schritt in Richtung Selbstkontrolle (z.B. Unterscheidung des Wahrgenommenen von Gedanken dazu), Kommunikation und Realitätskontrolle durch Vergleich mit der Wahrnehmung anderer Menschen.
  3. Teilnehmen: Voll bei einer Sache zu sein, und sich dabei nicht ablenken lassen. Dies kann zur Erfahrung von „flow“ verhelfen und verträgt sich nicht mit Gefühlen von Langeweile oder von ausgeschlossen sein. Beispiele: Jonglieren, Seiltanzen kann man nicht ohne sich darauf zu konzentrieren,

„Wie-Fertigkeiten“: Wie tue ich es?

  1. Nicht bewertend/beurteilend: Die „Wirklichkeit“ ist, wie sie ist, und das hat Ursachen. Daher ist das Wahrgenommene weder als schlecht, noch als gut zu bewerten. Die Dinge sind sachlich und neutral so zu beschreiben, wie sie wirklich sind und es gilt auch zu hören, wie sie von anderen beschrieben werden. Nicht bewerten bedeutet nicht, alles gut zu heißen oder keine Konsequenzen zu ziehen. Wahrnehmen ohne zu bewerten kann dazu verhelfen, aus begrifflichen Schemata und Automatismen auszusteigen und sich für neue Erfahrungen zu öffnen.
  2. Konzentriert: Fokussiert bleiben bzw. Ablenkungen wie z.B. Bewertungen frühzeitig bemerken. Das Bewerten selbst gilt es dann wiederum auch nicht zu bewerten. Das hilft, ganz in der Gegenwart zu bleiben, bzw. wieder zum Augenblick zurückzukommen.
  3. Wirkungsvoll: Tun, was möglich ist und was auch funktioniert. Sinn und Ziele einer Handlung im Auge behalten. „Die richtigen Dinge zum richtigen Zeitpunkt tun“.

Der einizige Fehler, den eine Patientin machen kann, ist der, aufzuhören zu üben.
Hilfreich ist auch zu bemerken, dass Achtsamkeitsübungen nur bis zu einem gewissen Spannungszustand möglich sind. Regulation in höheren Spannungszuständen wird im Modul „Stresstoleranz“ vermittelt. Dabei wird die Aufmerkamkeit mehr auf starke äußere Reize gelenkt., z.B. das Riechen von Salmiack.
Achtsamkeit ist eng verknüpft mit dem Prinzip einer „radikalen Akzeptanz“. So wird jede Achtsamkeitsübung zugleich auch zu einer einer Übung von Akzeptanz dessen, was ist. Auf eine gedankliche oder reale Ablehnung und einen Kampf gegen die Realität wird verzichtet. Es geht darum, sich der Erfahrung, genau so, wie sie in jedem Moment ist, zu öffnen. „Radikale Akzeptanz bedeutet, das volle Bild aller Kognitionen und Emotionen zu entwickeln, ohne diese in eine Handlung umzusetzen“ (Bohus & Wolf, 2009, S. 81) „Erst durch die Akzetanz dessen, was ist, wird der Weg frei für eine möglicherweise notwendige Veränderung“ (Bohus & Wolf, 2009, S. 83).
In der Gruppe gibt es eine Vielzahl von Übungen z.B. der „Fünf-Sinne-Achtsamkeit“

  • Sehen: Eine Person beschreibt ein Bild, das die anderen nicht sehen können und nach ihren Anweisungen malen sollen; durch ein Loch schwarzen Kartons schauen und nur den sichtbaren Ausschnitt beschreiben (zur Verdeutlichung und zum Üben des „Inneren Beobachters“);
  • hören: dem Klang einer Klangschale folgen; eine Glocke läuten jeweils beim Hören einer Bewertung; „Geräusch-Memory“ mit Filmdosen, die mit verschiedenen Dingen gefüllt sind (Sand, Reis, etc.);
  • riechen: an Kaffeebohnen riechen; in der Natur Gerüche wahrnehmen;
    schmecken: Brausetablette lutschen; Tee trinken;
  • fühlen: einen Stein ertasten; barfuß über Gras gehen.

Grundannahmen der DBT (nach Bohus & Wolf, 2007, S. 52)

  • Borderline-Patientinnen geben ihr Bestes.
  • Sie wollen sich verändern.
  • Es bedarf für sie einer größeren Anstrengung als für andere, sich zu verändern.
  • Sie tun gut daran zu lernen, ihre Schwierigkeiten selbst zu lösen, auch wenn diese oft duch andere verursacht wurden.
  • Sie erleben die Situation häufig als schmerzhaft und schwer erträglich.
  • Sie tun gut daran, in vielen Situationen ihres Lebens neue Verhaltensweisen zu lernen.
  • Sie können in der DBT erfolgreich sein.
  • Wahrheit ist immer subjektiv.

Weiterführende Literatur (s. achtsamleben.at)

Studien zur Wirksamkeit

  • 31 Borderline-Patientinnen, dreimonatige stationäre DBT, Follow-up über 21 Monate nach Therapieende: Der Therapieerfolg blieb auch nach Rückkehr in den Alltag stabil (Kleindienst et al 2008)
  • Pilotstudie an 6 Boderline-Patientinnen mit 5 sequentiellen fMRI-Scans im Laufe einer 12-wöchigen stationären Behandlung mit DBT: Die hämodynamische Reaktion auf negative Stimuli nahm im rechten vorderen, im temporalen und hinteren Gyrus Cinguli ab, ebenso in der linken Insel. 4 Personen zeigten verringerte Reaktionen in der linken Amygdala und in beiden Hippocampi (Schnell & Herpertz, 2007)
  • 100 Borderline-Patientinnen, Kontrollgruppendesign DBT (52 Wochen) vs. Therapie mit Experten (52 Wochen). Follow up über 2 Jahre: In der DBT-Gruppe Hälfte der Suizidversuche, weniger Klinikaufnahmen und Notfallambulanzbesuche, geringere drop-out-Rate (Linehan et al 2006)
  • 58 Borderline-Patientinnen, Kontrollgruppendesign DBT (52 Wochen) vs. „Treatment as usual“. 6 Monate nach Therapieende in der DBT-Gruppe weniger parasuizidales und impulsives Verhalten, weniger Alkohol-Missbrauch. Kein Unterschied im Drogen-Missbrauch (van den Bosch et al 2005)
  • 50 Borderline-Patientinnen, Kontrollgruppendesign, 31 Patientinnen nehmen an einem dreimonatigen stationären Programm teil. Vier Wochen nach Therapieende weniger Depression, Angst, besseres zwischenmenschliches „Funktionieren“, bessere soziale Anpassung, Abnahme psychopathologischer Symptome und weniger Selbstverletzung. (Bohus et al 2004)

Den Originaltext samt vollständige Literaturliste sowie allen Links findet ihr hier. Herzlichen Dank an Dr. Michael E. Harrer.

Alle Achtung, Achtsamkeit!

Lesezeit: 13 minuten

Alle Achtung, Achtsamkeit

Achtsamkeit hat mein Leben verändert. Das ist keine Übertreibung. Sondern Tatsache. Achtsamkeit ist für mich die Grundlage jeder Besserung. Ausgangspunkt für Veränderung. Und inzwischen fester Bestandteil meines Alltags. Wie es dazu gekommen ist, wie ich sie in mein Leben einbaue und was Achtsamkeit (nicht) mit Meditation zu tun hat.


Morgens um 7:15. Eine Klinik in Hamburg. Eine Tür öffnet sich. 15 Menschen kommen hinaus. Ins Foyer. Gehen im Kreis. Keiner sagt ein Wort. Nach einer Minute verschwinden sie alle wieder auf demselben Weg. Die Tür schließt sich. Das ist Achtsamkeit.

Und genau so wie ihr gerade vermutlich guckt und euch denkt „Was soll denn der Schwachsinn?“ ging es mir am Anfang auch. Ich konnte nichts damit anfangen, meinen Atem zu beobachten. Ich habe nicht verstanden, wie mir achtsames Sitzen auf einem hässlichen Klinikstuhl bei meinen Probelmen helfen soll. Und ich fand es doof, mit den anderen Patienten achtsam im Kreis zu gehen.

Niemals hätte ich geahnt, wie sehr die Achtsamkeit mein Leben verändern würde. Wie viel Positives sie in mein Leben bringen würde. Wie dankbar ich noch für jede einzelne Achtsamkeitsübung im Kliniksetting sein würde.

Wenn ihr also am Anfang Probleme damit habt, achtsam zu sein. Wenn ihr euch denkt „Das mach ich jetzt nicht. Das ist doch total doof! Ich komme mir einfach nur bescheuert vor.“ Dann sage ich: das ist normal. Lasst euch drauf ein, probiert mal aus und dann sprechen wir uns in ein paar Wochen wieder!

Aller Achtsamkeits-Anfang ist schwer

Das erste Mal wirklich mit dem Thema Achtsamkeit in Berührung gekommen bin ich also während meiner dreimonatigen stationären Therapie in Hamburg. Ich hatte schon mal von Achtsamkeit gehört. Auch schon was drüber gelesen. Aber wirklich gewusst, was mich erwarten würde, habe ich nicht.

Anfangs habe ich sehr mit der ganzen Sache gekämpft. Nicht nur fand ich manche Übungen albern oder sinnlos. Auch hatte ich gar keine Lust darauf. Vor allem nicht auf den Teil der Achtsamkeit, wo ich mich mit mir selbst beschäftigen musste. Für jemanden, der um jeden Preis verhindern möchte, seinen eigenen Gedanken und Gefühlen gegenüberzutreten, ist Achtsamkeit wohl das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Aber die Therapeuten hatten gute Tricks, Mittel, Wege und Übungen, um mich und meinen störrischen Kopf immer näher an den Kern der Sache heranzuführen.

Aber mal ganz kurz zur Begriffsklärung: Was ist denn nun Achtsamkeit? Achtsamkeit bedeutet, ganz im Hier und Jetzt zu sein. In Gedanken nicht bei gestern oder schon bei übermorgen, sondern wirlich im gegenwärtigen Moment. Innen wie außen. Mit dem Kopf und mit dem Körper. Und das ist genau so schwer, wie es sich anhört. Aber wie so vieles andere eine Sache, die man lernen kann.

Am Anfang ist mir jede Art der Achtsamkeit extrem schwer gefallen. Mein Kopf wollte einfach keine Ruhe geben. Konnte sich nicht 30 Sekunden lang auf eine Sache konzentrieren. Immer ploppten Gedanken in meinen Kopf. Ziemlich frustrierend. Mir kamen dann zwei Sachen zu Gute: so schnell gebe ich nicht auf! Und: in der Klinik gab es nicht nur jeden Morgen und jeden Abend eine Achtsamkeitsübung. Sondern mehrmals die Woche auch ganze Einheiten, die sich nur mit äußerer und innerer Achtsamkeit beschäftigen. Es gab also kein Entkommen. Und im Nachhinein muss ich sagen: das war verdammt gut so. Und ich bin trotz aller Anfangsfrustrationen saufroh, dass ich bei der Stange gehalten wurde. Und geblieben bin.

Dein Gehirn findet Multi-Tasking doof

Woher kommt es, dass ich und viele andere Leuten so schwer einen Zugang zur Achtsamkeit bekommen? Meine Vermutung: wir bekommen von allen Seiten gepredigt, wie toll Multi-Tasking doch ist. Beim Bügeln soll man am besten einen spanischen Sprachkurs hören und Yoga-Posen üben. Es ist „nicht normal“ sich nur mit einer Sache zu beschäftigen. Vor allem wenn diese Sache eine Kleinigkeit wie eine Erdbeere, eine Tasse Kaffee oder die Zahnbürste ist.

Aber nicht nur die Wissenschaft, sondern mit Sicherheit auch der ein oder andere von euch, hat inzwischen erkannt: unser Gehirn ist nicht dafür gemacht, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Es kann es schlichtweg nicht. Selbst der beste Multi-Tasker schaltet einfach nur ganz schnell zwischen den einzelnen Sachen hin und her. Klingt anstrengend? Frag mal dein Gehirn. Kein Wunder, dass wir am Ende schlecht gebügelte Wäsche im Schrank, Schmerzen im Knie von unsauberen Yoga-Posen und keine Erinnerung mehr an die eben gehörten Spanisch-Vokabeln haben.

Ja, unser Gehirn steht auf Sparmaßnahmen. Wann immer es geht möchte es den Autopiloten anstellen. Das ist oft auch gut so. Es ist gut, wenn ich nicht jeden Morgen eine halbe Stunde in der Küche stehe, weil ich überlegen muss, wie ich mein Müsli mag, wo die Zutaten sind und woher ich den Löffel hole.

Blöd ist nur, dass der Autopilot dann auch weiter läuft, während wir essen. Das geht ja auch von alleine, keine besonderen kognitiven Leistungen nötig. Also denkt man über den kommenden Tag nach anstatt sein Müsli zu genießen. Wir müssen unserem Gehirn also beibringen, dass wir den Autopiloten in Zukunft ein bisschen öfter abstellen wollen. Wir erwarten dafür nicht viel – nur die volle Konzentration auf den Moment.

Am Anfang wird dein Kopf denken und sagen „Ach komm, der Autopilot ist doch super! Ich spare Energie und du kannst dich schon mal auf dein Meeting vorbereiten.“ Mit ein wenig Übung und Ausdauer wird daraus bald „Leckeres Müsli! Die Erdbeeren sind so süß und frisch und kalt. Und die Kürbiskerne knacken so schön, wenn wir drauf beissen.“

Weniger mulit-taskender Autopilot. Mehr konzentriertes selber steuern. Das ist Achtsamkeit.

Hamburg meine Achtsamkeitsperle

Mittlerweile findet Achtsamkeit nicht nur im Rahmen der Dialektisch-Behavioralen-Therapie (DBT) – wie sie auch in Hamburg praktiziert wurde – weltweit Anwendung. Der „Klassiker“ des Achtsamkeitstrainings, die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (Mindfulness-Based Stress Reduction MBSR), ist inzwischen fester Bestandteil zahlreicher Therapieansätze. Von Sucht über Depression bis zu Migräne und Diabetes.

Wie ihr wisst möchte ich euch auf meiner Seite gerne meine Sicht der Dinge schildern. In lebhaften Worten, Tönen und Farben. Manchmal hilft es aber einfach, ein bisschen „trockene“ Information zu bekommen. Zum Thema DBT und Achtsamkeit habe ich auf www.achtsamleben.at einen wunderbaren Text gefunden. Den ich euch hier auf meiner Seite präsentieren darf. Darin erfahrt ihr, warum Achtsamkeit so zentral für den Erfolg der Therapie ist. Und noch vieles mehr.

Auch in Hamburg wurde die Achtsamkeit in innere und äußere Achtsamkeit aufgeteilt. Zu beiden Bereichen gab es regelmäßige Gruppen und Sitzungen. Darüber hinaus gab es zwei mal am Tag feste Achtsamkeitsübungen. Jede Woche gab es ein anderes Achtsamkeitsmotto, welches in den täglichen Übungen und auch in den Gruppen aufgegriffen wurde. Mal war es „Achtsames Gehen“ mal „Achtsames Sehen“ und so weiter. Zusätzlich wurde man dazu angehalten bzw. ermutigt, selber Achtsamkeitsübungen in den Tagesablauf zu integrieren.

Mir fielen die Aufgaben in der „Sinnesgruppe“, die sich mit der äußeren Achtsamkeit beschäftigte, gerade am Anfang sehr viel leichter, als mich mit meinen Gedanken und Gefühlen zu befassen. Überhaupt finde ich, dass sich dieser Teil besser dazu eignet, um einen Zugang zur Sache zu bekommen.

Äußere Achtsamkeit bedeutet, sich auf seine Sinne zu konzentrieren. Auf die Welt um einen herum. 10 Minuten still sitzen, Augen zu und einfach nur Hören. Oder sich drauf konzentrieren, wie sich Gehen eigentlich anfühlt. Oder Dinge mal achtsam zu betrachten, die man jeden Tag sieht oder in der Hand hält. Eben alles achtsam wahrnehmen, was uns umgibt.

In der zweiten Gruppe namens „Innere Achtsamkeit“ lag der Fokus dann bei den eigenen Gedanken und Gefühlen. Wahrzunehmen, was ist. Einzuordnen, welches Gefühl gerade vorliegt – für Borderliner eine extrem schwierige Aufgabe. Oft spürt man nur, dass da irgendwas ist, wahrscheinlich ein Gefühl – aber was genau da in einem brodelt, wirbelt oder einen nach unten saugt, kann man oft gar nicht so genau sagen.

Nicht vor den Gedanken und Gefühlen weglaufen, sondern bewusst hinschauen. Sehr ungewohnt. Vieles im Alltag läuft eben einfach automatisch ab. Oder man nimmt sich einfach nicht die Zeit, wirklich zu prüfen, was gerade in einem vorgeht. Oder man möchte sich schlichtweg nicht mit dem beschäftigen, was da oben so an Erinnerungen, Bildern und Sorgen auftaucht.

Heute frage ich mich oft so Dinge wie „Was brauche ich gerade?“ – „Soll ich das jetzt wirklich tun?“ – „Habe ich wirklich Lust darauf?“ und so weiter. Dadurch habe ich erkannt, wie oft ich Dinge getan habe, die ich eigentlich gar nicht tun wollte. Einfach nur, weil ich dachte, ich müsste das jetzt so machen. Und weil ich oft einfach nicht wusste, was ich eigentlich will.

Sobald ich aus der Klinik raus war hatte ich natürlich nicht mehr zwei Mal die Woche Achtsamkeits-Sitzungen. Jetzt lag es also an mir, das Gelernte in den Alltag zu retten und weiter zu entwickeln. Zu diesem Zweck habe ich einerseits ein paar Übungen aus der Therapie fortgeführt. Und andererseits mit einem kleinen Büchlein samt CD gearbeitet.

Und ich habe Arvid angesteckt. Worüber er glücklicherweise sehr erfreut ist. So kann man uns zum Beispiel bei so manchem Essen zusehen, wie wir uns gegenüber sitzen und schweigen. Mit geschlossenen Augen kauen. Die Nahrung auf unserer Gabel sehr genau betrachten. Dran riechen.

Heilung durch Achtsamkeit

Wenn man als beschriebenes Blatt anfängt, sich mit innerer Achtsamkeit zu beschäftigen, dann tauchen da auch ganz schön viele Sachen auf, die man sonst immer so schön beiseite geschoben hat. Gerade am Anfang sind das die Momente, in denen man sich sagt „Da hab ich keinen Bock drauf! Ich möchte das einfach weiter in den Kellern meiner Seele verstecken.“

Durch Achtsamkeit habe ich gelernt, mich mit allem zu beschäftigen, was mein Kopf so produziert. Das ist nicht immer schön. Ich habe mal gesagt „Früher bin ich einfach blind vor meinen Dämonen davon gelaufen – durch Achtsamkeit habe ich gelernt, mit ihnen zu tanzen.“ Und genau so ist es. Und es fühlt sich gut an, nicht ständig gegen den eigenen Kopf kämpfen zu müssen.

Ich habe mir die Kontrolle zurückgeholt. Durch die Fähigkeit, mich ganz ins Hier und Jetzt zu holen, kann ich Gedankenspiralen und Luftschlössern einen Riegel vorschieben. Was nicht bedeutet, dass es nicht auch Teil meiner Achtsamkeit ist, manchmal in die dunklen Ecken meines Kopfes zu leuchten, um zu sehen, was da eigentlich so passiert. Aber ich klebe nicht mehr an den Bildern und Gefühlen fest. Wenn ich mich ausreichend mit beschäftigt habe, kann ich sagen „So, und jetzt genieße ich es, hier zu sitzen und diesen Keks zu essen“ oder so.

Nachdem ich mich mit der Achtsamkeit auf äußerem Niveau irgendwann angefreundet hatte, habe ich mich das erste Mal hingesetzt, die Augen geschlossen, und mit voller Kraft an eine sehr unangenehme und schmerzhafte Geschichte aus meiner Vergangenheit gedacht. Nach ganz vielen Jahren des Wegschauens habe ich bewusst meinen Blick auf diese Sache gerichtet.

Für mich war das Folgende dann wirklich so etwas wie eine Erleuchtung: während dieser 15 Minuten habe ich begriffen, was genau ich da eigentlich nicht sehen, nicht fühlen und nicht denken wollte. In meiner nächsten Einzelsitzung mit meiner Psychologin habe ich es dann zur Sprache gebracht – und seitdem musste ich nie wieder vor diesem Gedanken weglaufen.

Solange die Borderline mich noch so richtig fest im Griff hatte verloren sich 99% meiner Gedanken entweder ganz tief in der Vergangenheit. Oder in der Zukunft bei Problemen die noch gar nicht da waren. Ich wurde von meinem Kopf weggetragen und hatte keine Kontrolle, wohin die Reise geht. Die meiste Zeit habe ich versucht, meinen Kopf auszuschalten. Zu übertönen. Immer Musik auf den Ohren. Ohne Fernseher einschlafen war unmöglich.

Durch all dieses ausblenden, vorausrennen, zurückschauen habe ich aber leider ganz schön viel Leben verpasst. Durch Achtsamkeit ist meine Vergangenheit jetzt nicht plötzlich perfekt. Oder es warten in der Zukunft keine Probleme mehr auf mich. Aber was Achtsamkeit schafft ist, dass ich mich trotz dieser beiden Dinge voll und ganz auf den jetzigen Moment konzentrieren kann.

Es geht nicht darum, nicht mehr über die Zukunft nachzudenken oder nicht mehr in glücklichen Erinnerungen zu schwelgen. Sondern darum, es kontrolliert zu tun. Dem Kopf nicht erlauben, die Richtung vorzugeben. Sondern die Fähigkeit zu haben, selber zu entscheiden, ob der Kopf nach vorne, hinten – oder gar nicht rennt.

Vielleicht habe ich mich gestern beim Essen mit den Kollegen lächerlich gemacht, weil ich mir Ketchup aufs T-Shirt gekleckert habe. Vielleicht habe ich morgen eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt, die höchstwahrscheinlich sehr unangenehm werden wird. Aber jetzt, in diesem Moment, sitze ich mit meinem liebsten Menschen zusammen. Die Sonne scheint. Das Essen schmeckt. Wir unterhalten uns angeregt. Was bringt es mir, diesen schönen Moment durch unnötiges Vor- oder Zurückrennen zu verpassen? Oder ihn sogar zu ruinieren?

Achtsamkeit bedeutet für mich also: im Hier und Jetzt zu sein. Ein Essen mit allen Sinnen wahrzunehmen. Eine Aussicht so konzentriert wahrzunehmen, dass ich kein Foto mehr brauche. Meinem Gegenüber die Ehre und den Respekt zu erweisen, mich voll und ganz auf ihn zu konzentrieren. Und nicht über den dringenden Einkauf oder den anstehenden Arzttermin nachzudenken.

Achtsamkeit und Meditation – Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Achtsamkeit und Meditation werden oft gleichgesetzt, vermischt, durcheinandergebracht, verwechselt und missverstanden.

Ich finde, Meditation ist eine Art Erweiterung oder Add-On zur Achtsamkeit. Achtsam kann man in jedem Moment seines Lebens sein. Egal ob man isst, fährt, redet, arbeitet, faulenzt oder fernsieht. Mit der Meditation sieht das schon anders aus.

Für mich bedeutet Meditation aber auch, sich 10, 15 oder 20 Minuten still hinzusetzen. Die Augen zu schließen. Keinen Mucks und keine Move zu machen. Und zu atmen. Oder einer Klangschale zuzuhören. Oder Metta zu praktizieren.

Ja, in vielen Büchern, Kursen oder im Internet gibt es Anleitungen für Mini-Meditationen. Kurze Übungen, die man auch in der U-Bahn machen kann. In anderen Büchern heißen diese kurzen Einheiten dann Achtsamkeitsübung. Ihr seht, die Grenzen sind fließend. Wenn ich von Meditation schreibe, meine ich immer den Klassiker. Im Schneidersitz auf dem Boden hockend. Alles andere ist für mich Achtsamkeit.

Zum Meditieren muss man achtsam sein. Vielleicht ist Meditation sogar so etwas wie die Königsdisziplin der Achtsamkeit? Ich kann mich nicht hinter einem Sinn verstecken, hinter einem äußeren Reiz, den ich achtsam betrachte. Ich bin alleine mit meinem Kopf.

Von heute auf morgen mit Meditation anzufangen stelle ich mir allerdings schwieriger vor, als mit Achtsamkeit zu starten. Ganz einfach, weil Achtsamkeit flexibler ist. Alltagstauglicher. Und weniger Ausreden zulässt. Und vielleicht wird es dir dann wie mir gehen, dass dich die ganze Sache so packt und du dich eines Tages mit einem 20-minütigen Meditationstimer in deinem Wohnzimmer wiederfindest.

Achtsamkeit im Alltag – so geht’s

Wenn man mit der Achtsamkeit anfangen möchte, ist das schwierigste, sich im normalen Tagesablauf daran zu erinnern. Es braucht eine Weile, bis der Kopf und der Körper das neue Konzept verstehen und annehmen können. Deshalb empfehle ich zum Einstieg folgende Dinge:

1. Hilfe von außen

Bücher, CDs und vor allem Apps können einen beim Einstieg helfen. Gerade die moderne Technik und die Tatsache, dass wir unsere klugen Telefone praktisch immer bei uns haben, könnt ihr hier zu eurem Vorteil nutzen. Es gibt zahlreiche Apps die anbieten, euch durch Töne oder kurze Nachrichten über den Tag verteilt immer mal wieder an Achtsamkeit zu erinnern. Wie oft, ob regelmäßig oder zufällig, mit Ton oder ohne – das kann man alles selber festlegen.

Bücher und CDs können einem dabei helfen, passende Übungen zu finden. Man braucht eine Weile, bis man rausgefunden hat, welche Übungen zu einem passen. Unter Anleitung ein bisschen rumprobieren kann da sehr hilfreich sein. Und eine Stimme von außen hilft gerade am Anfang, leichter bei der Sache zu bleiben. Außerdem helfen ein herumliegendes Buch oder eine gekaufte CD noch zusätzlich beim anfänglichen Erinnern. Wenn der Blick zufällig übers Cover streift.

Außerdem hilft es enorm, wenn man den Partner, die Familie, Freunde oder Kollegen mit der Idee anstecken. Sich gegenseitig anstacheln. Dran erinnern. Gemeinsam Freude dran entwickeln.

2. Alltagsroutine

Neben diesen Helferlein finde ich besonders gut, wenn man sich für den Start ins achtsame Leben Dinge im Alltag raussucht, die man sowieso jeden Tag macht.

Für mich der Klassiker: Zähne putzen. Das macht man zwei Mal am Tag – hoffentlich jedenfalls. Je nach Fleiß sind das circa vier bis sechs Minuten, die ich mit einer Tätigkeit verbringe, bei der ich normalerweise über die doofe Kollegin, den dringenden Einkauf oder den Müll nachdenke. Probiert mal aus, euch wirklich nur aufs Zähne putzen zu konzentrieren. Wie fühlt sich der Schaum im Mund an? Wie die Bürste auf den Zähnen? Wie bewegt sich der Arm? Wie schmeckt die Zahnpasta.

Wenn man erstmal merkt, wie sehr Achtsamkeit selbst eine solch langweilige und tausend Mal absolvierte Routine wieder interessant macht, dann will man bald mehr. Zu Beginn ist es aber einfach hilfreich, die beiden Dinge Routine und Achtsamkeit ganz fest zu verknüpfen. Um erstmal überhaupt anzufangen.

Ihr seht, mehr oder weniger profane Dinge, die man aber wie automatisch fast jeden Tag tut. Und genau darum geht es, den Autopiloten abzuschalten, und wirklich wahrzunehmen, was gerade ist. Welche Bewegungen macht mein Körper? Wie warm ist das Wasser? Rieche ich etwas besonderes?

Treppe steigen, das Geschirr spülen, den Briefkasten leeren, Haare kämmen, Schuhe zubinden, Tee kochen – alles Dinge, die wir selten bewusst machen.

3. Sinne auf!

Und da sind wir auch schon beim nächsten Punkt: den Sinnen. Wie oben beschrieben ist für den Einstieg am leichtesten, sich auf äußere Reize zu konzentrieren. Wenn man mal einen Anfang gefunden hat, dann wird euch bald auffallen, wie viele Möglickeiten so ein normaler Tag einem eigentlich zum Achtsam-Sein gibt.

Beim Warten auf den Bus oder die Bahn ein paar Schritte achtsam gehen.
Wie rollt mein Fuß ab? Wie fühlt sich der Boden an?

Beim Essen den Fernseher abschalten, das Handy weglegen.
Wie riecht mein Essen? Wie fühlt es sich auf der Zunge an? Was schmecke ich?

Beim Sitzen in der U-Bahn Leute beobachten statt das Handy anzustarren.
Was machen die Menschen um mich rum? Wie sind sie gekleidet? Wer fällt mir auf? Und warum?

Den Sinnen Futter geben. Die Umwelt auf sich einwirken lassen. Beschreiben, was man sieht, schmeckt, hört, fühlt und riecht. Worte finden. Ohne zu Bewerten – wenn möglich.

und so geht es dann weiter

Mit der Zeit werdet ihr feststellen, dass ihr immer öfter erfolgreich euren Autopiloten abstellt. Ihr merkt, was gerade passiert. In euch selber. Und um euch herum. Ihr merkt, wie oft ihr eigentlich ganz woanders seid. Und wie viel ihr dadurch verpasst.

Ihr werdet lernen, nicht mehr wegzulaufen und zu ignorieren – sondern bewusst hinzuschauen. Und wenn die Dinge, die euch aus der Gegenwart wegtragen, einen Namen und ein Gesicht haben, fällt es leichter, mit ihnen zu arbeiten. Probleme und Baustellen klarer zu sehen. Wenn nötig Maßnahmen zu ergreifen, Änderungen einzuleiten. Und dann wieder den Moment zu genießen.

Ganz wichtig: sei geduldig mit dir. Dein Kopf hat die letzten Jahre damit verbracht, wie ein hyperaktiver Affe zwischen tausend Gedanken hin und herzuspringen. Da schafft er es nicht in einer Woche, sich plötzlich nur noch auf einen Baum zu konzentrieren. Hab Geduld. Mit dir. Und deinem Kopf. Ärgere dich nicht, wenn du wieder abgeschweift bist. Zu bemerken, dass man gerade nicht mehr achtsam war, ist schon eine ordentliche Leistung.

Frag mal deinen Kollegen, wann er das letzte Mal bemerkt hat, dass er unachtsam war. Wenn überhaupt, dann fällt es Leuten immer nur auf, weil was passiert ist. Den Autounfall hat man verursacht, weil man nicht achtsam und in Gedanken beim Job war. Das Glas hat man fallen lassen, weil der Kopf gerade schon bei der Einkaufsliste war. Und so weiter. Also – lass dich nicht entmutigen. Es wird besser werden.

Bücher, Apps und Links zu Achtsamkeit & Meditation

Sowohl für Achtsamkeit als auch für Meditation gilt: hol dir Hilfe! Es ist enorm schwer, sich selber an diese großen Aufgaben zu machen. Mit der Zeit wirst du merken, wie du immer weniger Unterstützung brauchst. Unabhängier wirst. Freier. Aber gerade für den Start rate ich zu Büchern, Apps und Co.

Bücher:
Achtsamkeitstraining von Jan Esswein
Das Buch, mit dem ich auch ins Thema eingestiegen bin. Eine tolle Einführung, guter Überblick, viele Übungen +CD

Gelassen wie ein Buddha: Meditationen und Achtsamkeitsübungen für 52 Wochen
Irgendwo hinstellen und jeden Woche neue Anregungen bekommen.

Gesund durch Meditation: Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR
DER Vater von Achtsamkeit & Co in der westlichen Welt – Jon Kabat-Zinn

Der kleine Alltagsbuddhist
Wie wir alle ein bisschen Buddhismus in unser Leben einbauen können.

Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst
Ja, Meditation verändert das Gehirn. Zum Guten!

Mit Buddha zu innerer Balance (mit Audio-CD): Wie Sie aus der Achterbahn der Gefühle aussteigen
Noch ein Buch mit CD. Mehr Gewicht auf Buddhismus, auch gute Übungen.

Mini-Meditationen
Kleines Buch, passt immer in die Handtasche. Wenn man zwischendrin mal eine Achtsamkeitsübung machen will. 

Apps:

Headspace
Grandiose App, die einen langsam an die Meditation heranführt. Die ersten Sitzungen sind kostenlos. ENGLISCH

7Mind
Das Gleiche auf Deutsch. Auch sehr gut, setzt aber auf mehr Eigeninitiative als Headspace.

Achtsamkeits-App
Ein Klassiker im App-Store.

GU-App Achtsamkeit und Meditation
Habe ich selber noch nicht ausprobiert, steht aber auf der Wunschliste. Ich mag GU einfach.

NatureSounds
Verschiedene Töne wie Feuer, Regen, Wasser und so können selber kombiniert werden. Schöner Hintergrundsound für jegliche Achtsamkeits- oder Meditationsübung.

Links:

achtsamleben.at
Seite rund um die Achtsamkeit. Woher sie kommt, was sie bewirkt und viele weiterführende Links und Tipps.

everyday-mindfulness.org (englisch)
Englischer Blog über Achtsamkeit, wie wir sie in unser Leben bringen können und was sie mit uns macht.

headspace.com (englisch)
Seite zur App. Viele Infos und toller Blog.


Für Achtsamkeit, Meditation und den Buddhismus gilt vielleicht noch viel mehr als für so manch anderes Thema auf meiner Seite, dass ich euch kein komplettes Bild vermitteln kann und will. Ich kann weder die Geschichte von Siddharta noch die buddhistische Lebensweise in ihrer Vollständigkeit hier widergeben.

Ich kann euch erzählen, wie es für mich ist, achtsam durch den Alltag zu gehen und täglich zu meditieren. Euch Anregungen und vielleicht sogar einen Schubs in die richtige Richtung geben. Euch weiterführende Literatur und Möglichkeiten der Information bereitstellen. Und ich kann euch gerne Fragen beantworten.

Bali – 2| Ankommen im Süden

Lesezeit: 10 minuten

Bali 2| Ankommen im Süden

Während in Deutschland die zu warme Vorweihnachtszeit den Alltag bestimmte, haben wir den Dezember in einer tollen Villa in Strandnähe verbracht. Vier Wochen waren wir hier. An der Südwestküste Balis. Eigentlich immer noch zu kurz um so RICHTIG einzutauchen. Aber lange genug, um auch so etwas wie Alltag zu etablieren. Und viel zu entdecken!


Für mich steht fest: wir haben unsere Zeit in der Villa mit einer geradezu perfekten Mischung aus süßem Nichtstun, arbeitsreichen Tagen und ausführlichen Entdeckungstouren verbracht. Ankommen in der Auszeit – sozusagen. Ja, wir haben ganze Tage in der Villa verbracht. Mit Lesen zum Beispiel. Und in den Pool springen. Und dann haben wir wieder ganze Tage auf dem Roller verbracht. Viel davon geplant haben wir nicht. Aufwachen und beim Frühstück entscheiden, was wir das Leben an diesem Tag mit uns anstellen lassen wollen.

Auf den Straßen von Bali

Das erste Abenteuer hat schon gleich am ersten Tag nach dem Einzug auf uns gewartet: ein Roller. Unsere spanische Vermieterin/Mitbewohnerin/inzwischen Freundin Elena hatte – ohne unser Wissen – organisiert, dass uns ein solches Zweirad in die Einfahrt gestellt wurde. Wir, aus dem Häuschen wie zwei Kinder.

Aus dem Häuschen vor Aufregung. Und Nervosität! Arvid ist so ein Ding zumindest schon einmal gefahren. Ich dagegen bin kompletter Neuling. Wenn man den Verkehr hier auf Bali sieht, dann wird einem schnell klar, dass dies entweder der perfekte, oder der absolut ungeeignetste Ort ist, um das Roller fahren zu lernen. Aber gut, wir wollen die Insel erkunden. Und nicht jedes Mal 450.000 Rupiah (ca. 30€) an Gusti oder einen anderen Fahrer abtreten.

Arvid nach der ersten Roller-Fahrt | Froh und verschwitzt. Zu gleichen Teilen.

Arvid nach der ersten Roller-Fahrt | Froh und verschwitzt. Zu gleichen Teilen.

Also, Helme auf und los. Zum Glück ist unser Haus umgeben von einem ruhigen Wohngebiet. So konnten wir unsere verborgenen Talente erst einmal auf Spielstraßen-Niveau testen. Das ging ganz gut. Aber das Fahren an sich ist ja auch nicht das Problem. Wie Fahrrad. Nur schneller. Kompliziert wird es, wenn andere Verkehrsteilnehmer ins Spiel kommen. Nach einer halben Stunde im Kreis fahren und kichern haben wir den Sprung auf die Straße gewagt. Ab auf die Jalan Batu Belig. Hauptverkehrsstraße hier an der Küste. Ziel: Supermarkt. Etwa 2km entfernt.

Arvid hat die erste Runde übernommen. Ich hinten drauf. Bis wir uns aus der Einfahrt getraut hatten, verging für balinesische Zeitverhältnisse eine halbe Unendlichkeit. Aber schließlich kam eine Lücke, die so groß war, dass wir sie nicht mehr ignorieren konnten. Und schwupps – fahren wir Roller auf Bali! Und nach 10 Minuten waren wir tatsächlich am gewünschten Supermarkt. Schweiß gebadet. Und übers ganze Gesicht strahlend!

Anfangs waren wir besonders glücklich, wann immer es gerade aus ging. Denn das hatten wir schnell raus. Schwieriger waren da schon Kurven, Ampeln, Ein- und Ausfahrten, Abbiegen und solche Späße. Nach einigen Tagen, an denen wir extrem langsam, extrem passiv, extrem zurückhaltend, extrem zögernd und extrem vorsichtig gefahren sind, haben wir bald auf sehr langsam, sehr passiv, sehr zurückhaltend, sehr zögernd und sehr vorsichtig upgegraded. Aber auch bei aller deutschen Disziplin – manchmal hilft einfach nur noch: Losfahren! Denn sonst kommt man gar nicht weiter.

Und ich muss zwei Dinge sagen:

1. Wenn man erstmal drin steckt, dann ist der Verkehr gar nicht mehr so schlimm, wie er von außen aussieht. Alle folgen einer Art System. Einem System ohne offizielle Regeln. Aber jeder macht mit. Und das funktioniert überraschend gut. Man schwimmt mit dem Strom der Roller. Und solange man sich an die wichtigste und einzigste Verkehrsregel hält, die es zu geben scheint, rollt es wunderbar. Diese lautet: alles was vor einem fährt, hat Vorfahrt. That’s it!

2. Wir brauchen so einen Roller. Wenn wir zurück sind. In Deutschland. Unbedingt. Sofort. Auch wenn wir bestimmt am Anfang dank balinesischer Fahrweise für einiges an unfreiwilligem Aufsehen sorgen werden. Aber es ist einfach zu praktisch! Und macht zu viel Spaß, als dass wir diese neuerworbenen Kenntnisse hier auf der Insel zurück lassen wollen.

Meine Villa, Mein Strand, Meine Hood

Sonnenuntergang am heimischen Strand im heimischen Warung. Da ist das glückliche Lächeln wohl vorprogrammiert.

Sonnenuntergang am heimischen Strand im heimischen Warung. Da ist das glückliche Lächeln wohl vorprogrammiert.

Wie schon im ersten Bali-Artikel geschrieben, haben wir uns für die Gegend um Canggu herum hauptsächlich wegen der tollen Angebote auf airbnb, der Nähe zum Strand und einer bunten Gastro- und Shopping-Szene entschieden. Und das war auch genau, was wir gefunden haben. Wobei wir irgendwann festgestellt haben, dass wir eigentlich gar nicht in Canggu, sondern in Kerobokan wohnen. Manchmal hieß unsere Gegend aber auch Seminyak. Oder Nord-Kuta. So sicher ist man sich da nicht. So wichtig ist das vielleicht aber auch gar nicht.

Wohl gefühlt haben wir uns dennoch – auch ohne zu wissen, wo genau wir eigentlich wohnen. Was natürlich zum großen Teil an unserer Villa und ihren Annahmlichkeiten lag. Eine ganze Etage für uns. Zwei-Seiten Balkon. Tolle Vermieterin. Große Küche. Pool. Zwei Mal die Woche Zimmerservice. Ihr versteht – nicht wohlfühlen ging praktisch nicht.

Dazu kamen immer wieder neue Leute ins dritte-Villa Zimmer, das Elena auch über airbnb vermietet. Mal blieben sie nur für eine Nacht, mal für ein paar Tage. Dabei waren ein Pärchen aus Neuseeland, eine Business-Coachine aus England, drei spanische Surferjungs, ein (vermeintlich) schwules Pärchen aus Singapur, zwei Mädels aus Holland – und so weiter. Auf jeden Fall immer wieder anders – und immer wieder interessant.

Man packe auf dieses wunderbare Gesamtpaket noch den kurzen Fußweg zum Strand – und erhalte den Hauptgewinn. Egal ob abendliche Laufeinheit, Sonnenuntergänge im Schwulen-Warung oder lange Spaziergänge – das Leben am Meer kann schon sehr schön sein. Surfer beobachten, Einheimische beobachten, Selfie-Marathone beobachten – ein endloser Spaß.

Yoga-Delivery | Hier in Canggu kann man sich wirklich alles nach Hause liefern lassen. Auch Yoga. Danke, Kartana! Du warst ein super Lehrer!

Yoga-Delivery | Hier in Canggu kann man sich wirklich alles nach Hause liefern lassen. Auch Yoga. Danke, Kartana! Du warst ein super Lehrer!

Und ja, wir haben auch die 24-h-Supermärkte und die große Auswahl an Restaurants jeglicher Klasse, Kategorie und Preisspanne genossen. Und ja, wir waren in einer französische Bäckerei frühstücken, haben uns in einem Day-Spa drei Stunden lang zum Spottpreis massieren lassen und uns eine Yoga-Delivery gegönnt. Eine private Yoga-Stunde, direkt bei uns zuhause. Wir haben also alle Vorteile, die das Hip-Sein einer Gegend nun mal auch so mit sich bringt, in Anspruch genommen.

Bis auf ein überteuertes Edelrestaurant würden wir auch alles genau wieder so machen. Und ganz klar weitermpfehlen. Aber beim Essen gilt: wir ziehen inzwischen jeden einheimischen Warung mit wild möbliertem Speiseraum, zerliebter Küche und kleiner Speisekarte einem 4-Sterne Laden vor. Nicht nur des Geldes wegen. Sondern auch wegen der Atmosphäre. Und den Erlebnissen. Und oft auch schlicht wegen dem hervorragenden Essen.

Den Süden Balis erkunden

Und natürlich hatte unser Zuhause eine tolle Ausgangslage zum Erkunden der Region Südbali. Die Ergebnisse der Stunden vor dem Rechner konntet ihr zum Teil schon begutachten. Oder werdet es bald noch tun können. Die Tage, die wir versteckt hinter Buchseiten oder lümmelnd am Pool und auf unserem Balkon genossen haben, könnt ihr euch gerne vorstellen – wenn ihr euch ein bisschen wegträumen wollt. Von den Entdeckungstouren in drei Himmelsrichtungen möchte ich euch allerdings doch ein wenig erzählen.

Uluwatu-Tempel | Ruhig, grün, beeindruckend, stufig, heiß - der Tempel in Kurzfassung.

Uluwatu-Tempel | Ruhig, grün, beeindruckend, stufig, heiß – der Tempel in Kurzfassung.

Erstmal: Tempel. Die stehen bekanntlich hier auf Bali an jeder Ecke. Stichwort „höchste Tempeldichte der Welt“. Man kann also jeden Tag 20 davon besichtigen – wenn man denn möchte. Unter diesen zahllosen heiligen Gebäuden befinden sich aber ein paar, die etwas sehenswerter sind als der Rest. Dazu zählen ganz klar Tanah Lot und Luhur Uluwatu. Beides Tempel an der Küste. Zu den beeindruckenden Bauten und einer interessanten Geschichte kommt also noch ein herrlicher Ausblick.

In Tanah Lot haben wir zum Glück einen Tipp aus unserem Lonely Planet befolgt. Und sind ganz früh morgens dort gewesen. Noch vor 7 Uhr. Und das war einmalig. Der Parkplatz noch leer – keine Touristenbusse. Die unzähligen Shops, Läden, Stände, Bars und Restaurants – noch zu. Dafür: viel Ruhe, viele Einheimische die den kühlen Morgen für ein erfrischendes Bad im Meer nutzen. Es war herrlich. Je später der Morgen desto zahlreicher die Besucher. Von einem ruhigen Plätzchen aus haben wir dem bunter werdenden Treiben noch ein wenig zugeschaut – bevor wir wieder auf den Roller sind und los.

Denn ganz wichtig hier: Cruisen. Einfach drauf losfahren. Mal links, mal rechts. Wo einen der Wind und die Straßen so hintreiben. Dabei bekommt man dann eine Show zu sehen, die abwechselnd aus sattgrünen Reisterassen, fantastischen Weitblicken über die Insel, ursprünglichen Dörfern und chaotischen Kleinstädten besteht. Wir beide wechseln uns mit dem Fahren und dem Gucken immer ab. Es gibt so viel zu sehen. Und der Popo tut irgendwann weh und freut sich über Abwechslung.

Kindle-Freiheit | Da kann selbst ein unruhiges Persönchen wie ich mal zwei Stunden am Strand liegen.

Kindle-Freiheit | Da kann selbst ein unruhiges Persönchen wie ich mal zwei Stunden am Strand liegen.

Manchmal sind wir aber auch mit einem groben Ziel losgecruist. Und haben uns einzelne Orte oder Gegenden zum Erkunden vorgenommen. Mal ging es an die Ostküste rüber nach Sanur. Wunderbarer Strand, viele bunte Fischerboote – aber noch mehr aufdringliche Händler und Verkäufer. Das kann einem die beste Stimmung vermiesen.

Ein andernmal haben wir uns aufgemacht, den Süd-Süden von Bali zu erkunden, die Halbinsel Bukit. Über den abgefahrenen Fischmarkt bei Jimbaran zum schönen Tempel Uluwatu und weiter an einen ruhigen Strand. An dem wir dann kleben geblieben sind.

Überhaupt haben wir viele Strände gesehen und besucht. Manche rau und wild und ein Traum für Surfer. Andere weiß und palmengesäumt und wie aus dem Prospekt. Andere flach und badetauglich und perfekt für Familien. Wieder andere gesäumt von Restaurants und Bars und ideal zum Sonnenuntergang-Genießen. Es ist wirklich für jeden etwas dabei.

Mit Borderline auf Bali

Während unseren Wochen in Canggu gab es so einige Momente, in denen sich die Borderline bemerkbar gemacht hat. Am häufigsten in Momenten, in denen sich die arme Seite von Bali gezeigt hat.

Es ist vielleicht nicht die beste Idee, als so sensible Person wie ich es nun mal bin, auf eine Insel zu reisen, auf der das soziale Gefälle so krass ist. Und so nah nebeneinander existiert. Es ist wirklich unglaublich: fünf Meter neben einem Luxushotel steht eine Bretterbude, in der eine fünfköpfige Familie lebt – isst, schläft, arbeitet. Aus dem Hintereingang so mancher Touristenhochburg huschen die Köche einmal über die Straße, um sich beim Straßenverkäufer ihr Mittagessen zu kaufen. Alles andere wäre undenkbar und zu teuer. Links der Infinity Pool – rechts der Reisbauer der in der prallen Hitze auf seinem Feld schuftet. Ich könnte ewig so weiter machen.

Und mir tut es jedes Mal weh, diese Bilder zu sehen. Vor allem, weil sie hier zum Alltag, zum Straßenbild gehören. Ein wirkliches Gegenmittel habe ich noch nicht gefunden. Ich möchte diese Gefühle und Gedanken in keinster Weise vollständig loswerden. Es wäre nur manchmal schön, wenn sie mich nicht alle paar Minuten so knallhart von der Seite treffen würden.

Wenn die Emotionen zu stark werden, hilft nur eines: Ablenkung. Nicht mehr hinschauen. Auf was anderes konzentrieren. Und auf Dauer hilft es mit weiterhin, mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Um ihre Sichtweise, ihre Einschätzungen und ihre Geschichte zu hören. Und es hilft mir, mit Arvid gemeinsam diese Erlebnisse zu reflektieren. Sie einzuordnen. Momentan überlegen wir, ob man daraus nicht sogar eine Art Fotoprojekt machen könnte. Mehr wird aber noch nicht verraten.

So schwer mir diese „Anfälle“ den Alltag manchmal machen, so klar werde ich mich davon aber auch in Zukunft nicht abhalten lassen, weiter zu reisen. Weiter zu entdecken. Die Stimmung mag darunter manchmal leiden. Meine persönliche Entwicklung kann davon aber nur profitieren.

Eine Zweite Sache, die hier in Canggu das erste Mal seit dem Start von THE|trip aufgetaucht ist, waren ein paar schattige Gedanken. Und irgendwie ist es hier gerade besonders fies, wenn finstere, depressive Wolken im Kopf auftauchen. Dann kommt sofort der „Aber du bist doch gerade auf Bali! Also eigentlich im Paradies! Wie viele Menschen wären jetzt gerne hier? Wie kann es dir schlecht gehen? Wir kannst du es wagen, nicht permanent vor Glück zu explodieren?“-Wächter. Und der ist natürlich in keinster Weise hilfreich.

Was das angeht, muss ich wohl zwei Dinge lernen: 1. Es ist ok, auch bei Sonnenschein und 35 Grad mal melancholische Momente zu haben. Denn 2. Die gehen auch wieder weg.

Mit diesen beiden Punkten kämpfe ich auch zuhause ziemlich oft. Zu akzeptieren, dass Traurigkeit und Melancholie genau so normal sind, wie ihre angenehmeren Kollegen Freude und Glück. Dass die „negativen“ Emotionen genau so wichtig sind, wie die positiven. Ich esse ja auch nicht immer nur Pizza und Crème Brulée. Das wäre weder ratsam noch gesund. Ein bisschen Spinat und Brokkoli tun dem Körper zwischendrin auch ganz gut.

Mein Problem besteht wahrscheinich darin, dass ich in der Vergangenheit zu oft erlebt und mein Körper somit gelernt hat, dass ein schlechter Gedanken schnell zu einem Expresszug in die Depression werden kann. Trauer bedeutet Absturz bedeutet Loch bedeutet ungesunde Verhaltensweisen. Deswegen hat sich in mir eine Art Abwehr gegen jede Art von negativem Gefühl entwickelt. Ich will die am liebsten gar nicht haben! Wer weiß, ob die wieder weggehen?

Ich bemühe mich also, zu lernen, die positiven Seiten von negativen Gefühlen zu erkennen und zu verstehen. Den Wechsel wertzuschätzen. Zu viel gut ist nicht gut, zu viel schlecht aber auch nicht. Wie bei so vielem liegt die Wahrheit wohl in der Mitte. Nicht nur bei Gefühlen und dem Essen. Die gesunde Mischung – das sagt ja eigentlich schon alles. Ich muss es mir nur noch öfter sagen. Und vielleicht eine Pizza mit viel Gemüse bestellen.



Fazit zu 4 Wochen Süd-Bali

Während ich hier so schreibe rekapituliere ich den Monat in der Villa natürlich nochmal besonders gründlich. Und ich muss sagen: wir hätten es nicht besser machen können. Ich fühle mich angekommen, erholt und motiviert.

Die Rückkehr des Reisepasses | Nach fast zwei Wochen waren wir mehr als froh, unseren Pass mit der gültigen Visums-Verlängerung von unserer Agentur zurückzubekommen.

Die Rückkehr des Reisepasses | Nach fast zwei Wochen waren wir mehr als froh, unseren Pass mit der gültigen Visums-Verlängerung von unserer Agentur zurückzubekommen.

Elena ist die beste Gastgeberin, die man sich vorstellen kann. Unsere Villa samt Umgebung der absolute Volltreffer. Wir haben alles gesehen, was wir uns nicht vorgenommen haben. Und wir haben die Diems Gecarpt so sehr uns der Sinn danach stand.

Selbst den Abschied hat Canggu uns leicht gemacht. Mit Regeneinlagen, die für regelmäßige Überschemmungen vor unserem Schlafzimmer gesorgt haben. Mit Windböen, die uns die Jalousien nur so um die Ohren geworfen haben. Mit Stromausfällen tag und nacht, minuten- und stundenlang. Mit einer allabendlichen Flugameisen-Heimsuchung ohne Entkommen.

Das Gute daran war, dass es uns nicht zu schwer gefallen ist, die Villa zu verlassen. Wir freuen uns auf Nächte, in denen wir nicht alle paar Stunden zum Wasser schieben aufstehen müssen und von herumfliegenden Jalousien wach gehalten werden. Aber den ganzen Rest werden wir wohl schon ein bisschen vermissen. Zum Glück heißt die nächste Station „Balis Berge“. Und wir sind guter Dinge, dass die Natur und Ruhe da oben es schaffen werden, die Wehmut in Schach zu halten.

Borderline im Gepäck

Lesezeit: 8 minuten

Borderline im Gepäck

Schande über mich! In den bisherigen Reiseberichten habe ich vor lauter Begeisterung und schöner Bilder viel zu wenig darüber geschrieben, wie sich meine Borderline Persönlichkeitsstörung im Reisealltag so anstellt. Das hole ich jetzt nach:


Mehr Borderline!

Knapp zwei Monate nach dem Start von traveling | the | borderline habe ich eine kleine Umfrage auf euch losgelassen. Ich wollte wissen, wie die Seite bei euch da draußen ankommt. Aus den zahlreichen ausgefüllten Umfragen, die bei mir eingetrudelt sind, konnte ich vor allem rauslesen, dass ich wohl irgendwie auf einem guten Weg bin.

An dieser Stelle auch ein Danke an jeden einzelnen, der die Umfrage ausgefüllt hat (wenn du jetzt neugiereig geworden bist, die erste Runde verpasst hast und auch noch gerne ausfüllen möchtest, dann hast du hier die Möglichkeit dazu).

Eine Bemerkung gab es, die mir besonders im Kopf geblieben ist. Und zwar, dass in meinen bisherigen Reiseberichten meine Bewältigung der Borderline-Problematik im Reisealltag etwas zu kurz kommt.

Das stimmt wohl. Und ich werde versuchen, das in Zukunft zu ändern.

Aber erstmal habe ich mich gefragt, woran das liegt? Wahrscheinlich spielen hier mehrere Komponenten mit rein.

  • jeden Tag gibt es Momente und Minuten, in denen die Borderline die Oberhand gewinnt. Wenn ich hier schreibe, dann aber meistens über Tage und längere Episoden. Da gehen dir kurzen Momente dann unter.
  • von den „unschönen“ Momenten macht man keine Fotos. So gibt es keine fotografische Unterstützung, für meine Erlebnisse. (dass man sehr wohl auch davon Bilder machen kann, zeigt übrigens ein Film namens Ida’s Diary ganz hervorragend – ein Tipp am Rande)
  • ich bin nicht stolz drauf, wenn ich an Arvid mal wieder meine Stimmungsschwankungen, Launen und schlechten Seiten auslasse. Und natürlich fällt es besonders schwer, über Sachen zu schreiben, auf die man nicht stolz ist.

Das sind Gründe, die mir auf Anhieb eingefallen sind, als ich die Bemerkung gelesen hatte. Aber wie ist es denn nun? Wie zeigt sich meine Borderline hier in Asien im Alltag? Um das in den bisherigen Berichten versäumte etwas nachzuholen gibt es hier nun eine Art Überblick, wie sehr und auf welche Art und Weise meine Persönlichkeitsstörung mich in den letzten Wochen auf Reisen gestört hat.

Mit Borderline auf Reisen

Wie ich schon im Beitrag Und die Achterbahn fliegt mit … ganz am Anfang der Reise erzählt habe, verabschiedet sich die treue Borderline natürlich nicht, nur weil ich mich in einen Flieger setzte und einmal über den halben Erdball fliege. Ganz im Gegenteil. Zuhause hilft mir meine Routine beim täglichen Kampf mit den verschiedenen Symptomen. Durch Singapur laufen, einmal quer durch Malaysia fahren, Kuala Lumpur entdecken – auf Reisen sein – eher keine Routine. Zum Glück. Toll für uns, weil wir viel sehen und erleben. Toll für meine Borderline, weil ich meine Schutzschilder nicht so stark im Auge habe, wie daheim.

Die ersten Tage hat es mich ganz schön durchgerüttelt. Und ich habe schnell gemerkt und entschieden, dass ich etwas ändern muss. Und daraufhin versucht, die zuhause alltäglich absolvierten und fast automatisch ablaufenden Schutzmechanismen wieder hochzufahren. Das heißt also drauf achten, was ich meinem Körper so an Lebensmitteln vorsetze. Wenn möglich täglich zu meditieren. Ausreichend Sport und Bewegung. Und achtsam mit mir und dem Leben umgehe.

Mit der gesunden Ernährung klappt es hier in Asien naturgemäß sehr gut. So viel Gemüse und Reis und Fisch. Vielleicht könnte der Alkohol noch weniger werden. Aber auf das Bier am Strand möchte ich momentan noch ungern verzichten. Auch für die Meditation finde ich immer ein Plätzchen und (mindestens) eine Viertelstunde.

Schwieriger ist da schon der Sport. Besonders, wenn man dank der Temperaturen und fehlenden Strecken nicht dem wichtigsten Sport nachgehen kann: eine Runde laufen! Zum Glück bin ich auf alles vorbereitet und habe mir auf meinen Rechner zahlreiche Sport-DVDs kopiert. Und mir eine tolle App geleistet, die so anstrengend und gut konzipiert ist, dass auch zehn Minuten am Tag völlig ausreichend sind.

Kleiner Haken: für all diese Aktivitäten brauche ich doch ein Mindestmaß an Platz. Gar nicht so einfach. Vor allem wenn man sich zu zweit EINEN mittelgroßen Raum taucht. Hier muss ich mich mal wieder ganz klar bei Arvid bedanken. Wenn er mal wieder das Zimmer räumen muss, damit ich vor mich hin sporteln und schwitzen kann. Aber andererseits: ich sehe den Sport als meine Medizin. Wenn ich Diabetes hätte dann müsste er auch akzeptieren, dass ich mir Insulin spritzen muss. Aber natürlich ist es toll, wenn nicht jedes Mal große Diskussionen losgehen, weil ich mich meiner Selbstfürsorge widmen will, muss, kann und soll.

In Kuala Lumpur hatte ich Glück. Und einen Pool auf dem Dach. Den hatte ich jeden Morgen aufs Neue (fast) für mich alleine. Da oben konnte ich dann in Ruhe schwimmen, meditieren und eine kleine Runde Yoga machen. Und wenn ich dann nach einer Stunde wieder ins Zimmer bin hat Arvid System es auch in eine Art Wachzustand geschafft. Und wir können gemeinsam in den Tag starten. Selbstfürsorge pur!

Wenn ich es dann noch schaffe, meine Tage hier mit Achtsamkeit zu füllen, dann stehen alle Schutzschilder auf grün. Achtsamkeit, also voll im Hier und Jetzt sein, ist für mich auf Reisen vielleicht sogar noch ein klein wenig wichtiger als zu Hause. Einfach weil sie dabei hilft, all diese kostbaren Momente wirklich auszukosten und auch festzuhalten. Und Achtsamkeit heißt für mich auch, dem mächtigen Man-Müsste-Mann öfter mal die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Nicht müssen, sondern in mich reinhorchen, was ich will. Enorm wichtig!

Eine Borderline-Beziehung auf Reisen

Unterwegs in Asien ist Arvid natürlich meine einzige wirkliche Bezugsperson. Klar, wir lernen Menschen kennen und begegnen vielen Leuten. Aber meine Borderline ist ja doch ein bisschen schüchtern. Es braucht immer eine Weile, bis sie sich an der Ratio vorbeischleichen und sich einem Menschen zeigen kann. Das kam auf THE|trip bisher noch nicht vor.

Ich bin fast schon überrascht und vor allem sehr froh, wie harmonisch unsere Partnerschaft bisher auf dieser Reise ist. Kaum Streits, wenn dann kleine Zankereien. Ich bin jeden Tag glücklich, ihn an meiner Seite zu haben. Um mit den Worten des Symptoms N°2 zu sprechen: die Idealisierung lässt der Abwertung gerade keine Chance. Wir haben so lange auf diese Reise hingearbeitet, uns vorgefreut und gewartet. Und uns im Zuge dessen ein halbes Jahr kaum gesehen. Er hat in Schweden gearbeitet, ich in München. Wir haben also ein bisschen was aufzuholen. Das spielt bestimmt auch eine Rolle.

Das heißt nicht, dass Arvid hier in Asien von den Turbulenzen meiner gestörten Persönlichkeit verschont bleibt. Aber was die Gefühle ihm Gegenüber angehen, so gibt es keine Spur von Zweifel an unserer Partnerschaft. Was ja zuhause durchaus vorkommen kann.

Vor den Stimmungsschwankungen und den plötzlichen Wutanfällen bleibt er leider nicht verschont. Die sind einfach zu fest eingebaut. Die bekomme ich auch durch größte Mühe nicht weg. Und die machen mir hier auch am meisten zu schaffen. Wie ich im Post BPD Symptome erklärt | N°6 erzähle, bestimmt dieser Teil von Borderline auch zu Hause einen großen Teil meines Alltags.

Und so passiert es, dass die Borderline Arvid mehrmals am Tag am Kragen packt und mit in die Achterbahn zerrt. Dann wird er angepöbelt, angeschnauzt und abgefertigt was das Zeug hält. Nicht viel anders als zu Hause also. Der Unterschied, zu dem, was ich im Artikel über die affektive Instabilität schon geschrieben habe, liegt wohl am ehesten darin, dass meine Wutausbrüche hier noch viel mehr Fehl am Platz wirken als zu Hause. Und das schlechte Gewissen nochmal ein Stück größer. Wenn ich mit einem kleinen Anfall mal wieder ein schönes Essen ruiniere. Oder die gesamte Tagesplanung in Gefahr bringe.

Die Stimmungsschwankungen sind auf jeden Fall das Symptom, was am treuesten mitreist. Wie ich damit umgehe unterscheidet sich kaum von meinen Strategien zu Hause: versuchen, die Anspannung generell niedrig zu halten, weil die Ausbrüche dann weniger (heftig) sind. Und meiner Ratio einen Schubs geben, dass sie doch bitte da oben für Ordnung sorgen soll. Wir sind doch schließlich im Urlaub, da gibt es also noch weniger Grund, wild durch die Gegen zu pöbeln. Klappt (noch) nicht so gut, wie ich mir das Wünsche. Aber ich arbeite weiter dran.

Der Rest der Symptombande

Was steht noch so auf der schönen Symptomliste?

  • mein Selbstbild und meine Selbstwahrnehmung sind vielleicht ein bisschen stabiler als zuhause. Ich sitze viel und plane meine Zukunft, denke über Möglichkeiten und konkrete Maßnahmen nach.
  • die Impulsivität lebt sich hier ein bisschen weniger stark aus. Oder anders: sie schafft es, sich ganz gut unter dem Denkmantel des Urlaubs zu verstecken. Denn diese Reise ist nun mal auch Urlaub. Da möchte man sich mal was gönnen. Sei es ein Kleidungsstück, was man nicht braucht. Sei es ein Bier zu viel. Oder ein leckeres/teures Essen. Das Ganze läuft aber noch nicht aus dem Ruder. Und zu streng will ich auch nicht mit mir sein. Wie haben unser Budget immer im Blick und schlagen wenn überhaupt meistens sehr bewusst über Strenge.
  • Selbstverletzung (SVV) & Co sind bisher noch nicht hier in Asien aufgetaucht. Die sitzen wahrscheinlich in Deutschland und wundern sich, wo ich hin bin. Tja, zu langsam, Jungs. Der Flieger ist abgehoben. Und ihr müsst nicht auf mich warten. Ich finde es ganz schön ohne euch.
  • die innere Leere hat es auch nicht in den Flieger geschafft. Die sitzt wahrscheinlich daheim neben den Jungs der SVV und langweilt sich. Recht so. Ich bin auch momentan zu voll mit Reiseerlebnissen, Zukunftsplänen und anderen Vorhaben, als dass für die Leere noch Platz bleiben würde.
  • die Wut: siehe Stimmungsschwankungen. Ja, die kommt oft raus.
  • paranoide Vorstellungen. Auch die sind dabei. Das heißt bei mir nicht, dass ich denke, die schwarzen Männer wären hinter mir her oder die Geheimdienste kontrollieren unsere Gehirnströme. Mit Paranoia ist in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass ich denke, andere Leute reden über mich. Finden mich blöd. Lästern hinter meinem Rücken. Beobachten mich um dann über mich lachen zu können. Und so fort. Wie zuhause macht mir das auch hier zu schaffen. Verstärkt wird das natürlich dadurch, dass ich die Sprache hier nicht verstehe. Oder nur einige, wenige Brocken. Und wie auch zuhause versuche ich diesen Teil von Borderline mit meiner wunderbaren Ratio in den Griff zu bekommen. Auch das ist ein Skill. Indem man sich bewusst macht, dass die Menschen mit großer Sicherheit über etwas anderes Reden. Und auch wenn sie über mich reden versuche ich mir zu sagen: Sollen sie doch. Gar nicht so einfach, kann ich euch sagen.

Wie war die Fahrt also bisher?

Ich muss sagen: nach den Anfangsschwierigkeiten komme ich eigentlich sehr gut klar. Ich würde sagen, es hat sich mittlerweile auf einem ähnlichen Alltagslevel wie zuhause eingependelt. Es gibt bessere und schlechtere Tage.

Dass es (mittlerweile) so gut ist, liegt aber auch einfach daran, dass wir Tempo aus unserer Reise herausgenommen haben. Vier Wochen an einem Ort. Das ist das Beste, was mir und meiner instabilen Welt passieren kann. Ohne den Stress, den Ortswechsel nun mal mit sich bringen, können wir uns richtig auf diesen Platz hier einlassen.

Ich kann mir genug Zeit dafür nehmen, in mich reinzuhorchen. Worauf habe ich gerade Lust? Was will ich heute machen? Ohne Stress oder Druck, dass wir was verpassen. Oder etwas nicht schaffen. Oder, oder, oder. Dem Man-Müsste-Mann einfach immer wieder die Tür vor der Nase zuschlagen. Das tut meinem Kopf extrem gut.

Denn zu den Gefühlen, die mich gerne übermannen, zählt auch der Neid und eine besondere Form der Angst. Ich kenne das von zuhause. Wenn ich vom Berg runter gehe, möchte ich eigentlich sofort wieder rauf. Wenn ich gerade drei Stunden in der Sonne im Biergarten saß und auf dem Heimweg an zwei weiteren Biergärten vorbei fahre – dann beneide ich die Menschen. Und möchte auch gerne dort sitzen. Obwohl ich genau das gerade getan habe.

Darunter liegt bestimmt die Angst, etwas zu verpassen. Aber sicher auch eine Form der Unsicherheit, die so vielleicht nur bei Borderline-Betroffenen auftaucht: wenn es schön ist, dann will ich das gerne festhalten. Denn ich weiß nie, wie die nächste Station heißen wird und wie es dort aussieht.

Da herum entfaltet sich dann ein kleiner Kampf zwischen Kopf – dem vollkommen klar ist, dass wir eine tolle Zeit hatten und es total ok ist, jetzt vom Berg runter bzw. nach Hause zu fahren – und dem Herz, das Angst davor hat, nie wieder so glücklich zu sein.  Wahrscheinlich schlägt dies in eine ähnliche Kerbe wie der Man-Müsste-Mann. Wenn alle hier am Strand sitzen, dann muss es hier ja schön sein. Warum fahren wir also nach Hause? – Weil wir gerade vier Stunden hier am Strand gesessen, den Carpe ohne Ende gediemt haben, wir jetzt müde sind und eigentlich total gern nach Hause und ins Bett wollen. – Ach so, ok. Danke für’s Erinnern!

In solchen Momenten rufe ich mir einen Satz ins Gedächtnis, den ich vor Jahren mal gehört habe und der mir oft hilft:

Wenn etwas vorbei ist, sei nicht traurig, dass es zu Ende ist. Sondern sein froh, dass es gewesen ist.

Und wie geht die Fahrt weiter?

Über diese ganzen Symptome und Alltags-Special Effects darf eine Sache aber nicht vergessen werden: ich bin und bleibe eine junge Frau, die gerade vier Monate durch Asien reist. Dabei viel erlebt. Sieht. Genießt. Probiert. Und lernt. Die Städte, Länder und eine ganze Welt entdeckt. Eine Reiselustige auf lustiger Reise! Auch das gehört in diesen Artikel. Und auch das muss hier stehen.

In Zukunft werde ich, wie gesagt, versuchen, mehr vom Thema Borderline in jeden neuen Bericht einfliessen zu lassen. Ich muss mir einfach noch öfter noch bewusster machen, dass dies nur zweitrangig ein Reiseblog ist. Oder eigentlich drittranging. Sondern primär ein Alltagsblog. Und gleich dahinter ein Borderline-Blog. Was ziemlich oft das gleiche ist. Auch auf Reisen.

Eine Seite mit, über und für Borderline. Für euch. Für euch Betroffene. Für euch Angehörige. Für euch Interessierte. Wie es in Singapur ist, könnt ihr wahrscheinlich in 100 deutschen und 10 Mal so vielen englischen Blogartikeln lesen.

Wie es aber ist, mit einer treuen Borderline Persönlichkeitsstörung durch Singapur und Asien zu laufen, das könnt ihr nur hier bei mir lesen. Und dafür muss ich es natürlich schreiben.

An dieser Stelle also noch mal ein großes Danke an die oder den, der mich darauf aufmerksam gemacht hat.

Dir ist auch etwas aufgefallen? Oder du wünschst dir was? Schreibe mir, gerne anonym.