Die Dunkelheit lässt grüßen

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Die Dunkelheit lässt grüßen

Ein Post über Dunkelheit, über Kämpfe, die Hoffnung, Unterschiede und wie es so geht und steht. Da mal wieder die Zeit für klare Worte gekommen ist, an dieser Stelle vorsichtshalber eine ***triggerwarning***. Aber keine Angst – mir geht’s gut.


Dieser Beitrag ist vielleicht etwas emotionaler als gewohnt. Heute ist der 10. September 2019 – Welttag der Suizidprävention. Ist per se schon irgendwie ein emotionales Datum. Dazu sind dieses Mal die Akkus leer von zwei Tagen auf dem Streetlife-Festival. Und leere Akkus machen bei mir zuverlässig Tür und Tor für allerlei Emotionen auf.

WORLD SUICIDE PREVENTION DAY

Aber von Anfang an: finde ich viele Jahres- und Pseudofeiertage doch sehr dümmlich bis überflüssig („Welttag des Nutellabrotes“ & Co) so gibt es da doch auch ein paar von ihnen, über die ich froh bin, die ich wichtig finde. Ganz vorne stehen hier der 10. Oktober als WORLD MENTAL HEALTH DAY. Und eben der 10. September als Welttag der Suizidprävention.

Dass Suizid in meinen Gedanken über viele Jahre viel Raum eingenommen hat, habe ich schon des Öfteren geschrieben (u.a. hier). Dieser Tag ist sozusagen immer eine kleine Feier für mich, dass es mich noch gibt. Dass meine Krankheiten es nicht geschafft haben, mit endgültig das Leben zu nehmen. Er ist für mich Anlass, meinem früheren Ich fürs Durchhalten zu danken. Ebenso bin ich an diesem Tag wohl noch ein Stück dankbarer für mein heutiges Leben als sonst.

Es ist aber auch ein Tag, an dem ich an die vielen Menschen denke, die den Kampf nicht gewonnen haben. Ich denke an alle 53 Minuten, in denen sich ein Mensch in Deutschland das Leben nimmt. Und ich denke an alle 5 Minuten, in denen es jemand versucht. Ich denke an die Angehörigen, die zusätzlich zur Trauer auch noch mit Vorwürfen und Schuldgefühlen leben müssen. Und an eine Politik, die kaum Geld für Präventionsmaßnahmen ausgibt.

Ich denke dran, für wie viele Menschen Suizid jeden Tag ein Thema ist. Und dass ein Welttag eigentlich gar nicht ausreicht. Und dennoch ist es gut, ihn zu haben. Weil sich heute viele Menschen, Accounts und Medien dem Thema widmen. Und es ist auch für mich der Anlass, nochmal ein paar ehrliche Worte in diesem Zusammenhang zu verlieren.

„Hello darkness my old friend…“

Und ehrlich sein heißt in diesem Zusammenhang, auch mal drüber zu reden, dass es auch heute Phasen gibt, in denen ich auf die Frage „Wie geht’s?“ meinem Gegenüber am liebsten entgegen schreien würde „Scheiße geht’s! Ich hab da eine Krankheit in meinem Kopf sitzen, die mich zerstören, die mich sterben sehen will. Die es immer wieder schafft, dass ich an mir, am Leben, an allem zweifle. Die mir jegliche Freude, jede Hoffnung, jede Lust und jedes andere schöne Gefühl raubt.“

Ihr gegenüber steht meine Ratio. Mit all dem, was wahr ist, was stimmt, was ich gelernt habe und heute den Menschen mit auf den Weg gebe wenn ich für und mit meiner Mission unterwegs bin. Aber all das schützt mich nicht in vollem Umfang vor der Depression. Vor der Dunkelheit.

Ich frage mich manchmal, ob der Gedanke an Suizid auch bei „normalen“ Menschen ohne Depressions-Geschwür im Kopf so viel Raum einnimmt. Für mich ist es ganz normal zu denken „Na, wenn sich das und das Problem nicht erledigt, dann erledige ich eben mich. Und das Problem ist kein Problem mehr.“ Für mich ist das ein normaler Gedanke, der nicht gleich heißen muss, dass ich suizidal bin.

Wenn der Akku leerer wird, die Tage und Gedanken schwerer, dann kämpfe auch ich mit meiner Struktur, meinem Willen, meinen Vorsätzen. Dann tauchen da Gedanken auf, die ich eigentlich schon aus meinem Kopf raustherapiert hatte. Aber von denen wohl doch noch ein kleines Stück übrig geblieben ist, dass wachsen und wuchern kann. Und dass von dann auf wann, wenn ich eben mental geschwächt bin, einen neuen Angriff startet. Worauf hin meine mentale Abwehr aus Ratio, Therapie und Erfahrung loszieht um sich in den Kampf zu werfen.

Auf festem Boden

Und ja, es gibt Phasen, da möchte ich nicht mehr kämpfen. Denn ich will es nicht beschönigen: der Weg den ich hier gegen, mit meinen Krankheiten gehe, ist noch lange nicht zu Ende. Und auch die Anstregung, die es kostet, sich jede Sekunde dagegen zu wehren. Nicht nachzugeben, sondern dranzubleiben.

„Aber du sagst doch immer, dass heute Du Deine Krankheiten kontrollierst und nicht mehr Deine Krankheiten Dich? Das klingt hier eher irgendwie anders rum.“ – und darauf kann ich entschieden antworten – wäre ich nicht mittlerweile so gut darin, meine Krankheiten zu kontrollieren, wäre schon lange wieder eine Rasierklinge in meiner Haut, ein Schluck Alkohol in meinem Körper und der letzte Rest Hoffnung verschwunden. Eben weil ich heute so stark, so stabil bin gelingt es mir, auch in diesen Phasen Stand zu halten. Auch wenn die Depression es schafft, dass Borderline und Sucht mit an mir zerren.

Entscheidender als die Frage, ob es auch heute noch diese Dunkelheit in meinem Leben gibt, ist wohl die Frage, ob sich die Dunkelheit heute von der Dunkelheit damals unterscheidet? Ob sie sich anders anfühlt als früher? Darauf lautet die Antwort: Ja und Nein.

Nein, es fühlt sich nicht wirklich anders an. Denn die Hoffnungslosigkeit, die Gedanken und Gefühle sind fast die gleichen wie früher. Der Schmerz, die Erinnerungen, die Trauer, die Angst, das Grübeln. Und dieses absurde Gefühl, mir einerseits ein Leben ohne mich selbst vorstellen zu können, gleichzeitig vor alltäglichen Dingen Angst zu haben.

Anpfiff: Dunkelheit vs. Hoffnung

Und ja, es fühlt sich absolut anders und irgendwie gar nicht mehr wie früher an. Denn ich erlebe das alles heute sozusagen bewusst. Kann mir regelrecht zuschauen, wie ich kämpfe, mich versuche zu wehren, scheitere, falsche Entscheidungen treffe. Höre die Depression in meinem Kopf absurde Sachen sagen. Und während ein Teil von mir sofort drauf anspringt steht der andere Teil da und denkt sich „Echt jetzt?!“ Es ist ein bisschen so, als würde dieser Teil, der genau checkt was abgeht, gerade nicht am Steuer sein. Sondern der andere, der sich nach und nach von der Depression nach unten ziehen lässt, ihr jedes Wort glaubt.

Stellt man sich meine Psyche wie ein Fußballspiel vor dann ist die Depression die böse gegnerische Mannschaft. Der Coach – der Ratio-Teil in meinem Kopf – hat meine Mannschaft vorher vor allen Tücken gewarnt und gepredigt, sich nicht davon irritieren zu lassen. Sobald das Spiel beginnt, steht der Coach aber nur noch am Rand und kann wenig machen. Er kann meinen Spielern zu rufen und brüllen, gute Ratschläge und die Warnungen wiederholen. Aber spielen muss mein Kopf schon selbst. Das ist für den Coach manchmal ganz schön schwer mit anzusehen.

Und natürlich sind dann da auch ganz oft und schnell Selbstvorwürfe à la „Also eigentlich solltest Du das inzwischen ja besser wissen“ mit von der Partie. Ich laufe sozusagen sehenden Auges und wissenden Kopfes in der Dunkelheit herum. Das war früher nicht so.

Denn wohl der größte Unterschied zu früher ist, dass ich damals nicht gemerkt habe, wie tief ich in der Dunkelheit steckte. Oder besser: DASS ich überhaupt in der Dunkelheit steckte. Weil es ja normal für mich war. Heute weiß ich, dass es nicht normal ist, dass es anders geht – und meistens auch anders ist. Und ich weiß, oder zumindest ein Teil von mir weiß, dass das wieder vorbei geht. Aber das ist eben das fiese – steckt man drin, fühlt es sich absolut an. Bzw. absolut nicht so, als könnte es irgendwann wieder anders werden.

Geben und Nehmen

Und das ist der Punkt, an dem die Ratio, all die Therapie ihre große Stunde hat. In der sie mir heldenhaft zur Seite springen kann und mir ins Ohr flüstern oder entgegen schreien kann, dass es nicht so bleibt. Dass es wieder anders wird. Halbzeitpause. Der Coach kann in der Kabine nochmal ordentlich auf seine Mannschaft einreden. Das ist der Punkt, an dem mir die sozialen Medien helfen, weil dort immer jemand genau die richtigen Worte findet, die ich gerade hören muss. Ob ich selber schreibe und Reaktionen bekomme oder einfach nur passiv konsumiere, aufsauge. Hier bekommt mein eigener Coach sozusagen Unterstützung von außen.

Den Großteil meiner Arbeit, meiner Zeit bin ich diejenige, die anderen Mut, Hoffnung, Stärke, Zuversicht gibt. Die sagt, dass es besser wird. Oder die einfach nur da ist. Bin ich der Coach auf dem Spielfeld der anderen. Ab und zu aber bin ich eben nach wie vor auf der anderen Seite, stehe selber auf dem Spielfeld und freue mich, dass ich inzwischen so viele Menschen gefunden habe, die mir dann das geben, was ich so gerne verteile.

Wenn der Gedanke „Wie lange kenne ich diese Phasen jetzt schon? Wie lange werden sie mich noch begleiten?“ mal wieder groß wird, dann von außen zu hören, dass diese Phasen eben nur das sind. Phasen. Und gerade dann zu akzeptieren, dass diese Phasen eben zu mir gehören, weil die Krankheit Depression zu mir gehört. Nicht zu Erstarren davor, weil ich nicht weiß, ob mein Leben irgendwann frei sein wird von diesen Gedanken. Oder ob sie eben immer da sein werden. Sondern im Moment zu bleiben und mir jetzt das zu geben, was ich brauche.

#redenhilft – ist aber verdammt schwer

Und da ist der nächste Knackpunkt. Denn die Depression, die Dunkelheit isoliert mich. Nicht nur von all dem Wissen, von der Theorie – sondern auch von meiner Umwelt, von meinen Mitmenschen, Freunden und auch von Lasse. Von meinem inneren Coach, aber auch von allen äußeren.

Schon damals in der Klinik in Hamburg, als wir uns auf die Suche nach unseren „Frühwarnzeichen“ machen sollten, an denen wir merken, dass es bald krachen könnte, habe ich bemerkt, dass in-die-Augen-schauen bzw. dies nicht mehr tun zu können ein recht verlässliches Zeichen bei mir ist, dass was im Anmarsch ist. Auch Berührungen jeglicher Art werden dann für mich schwierig (aber weiter vollzogen, damit ich nicht auffalle).

Sage ich sonst, ach was, predige ich #redenhilft – so ist es genau das, was ich in diesen Phasen nicht kann. „Ich denke darüber nach, zu trinken / mich zu ritzen / Suizid zu begehen“ – das kommt einfach schwer über die Lippen. Vor allem weil die meisten Gegenüber nicht wissen, dass das darüber nachdenken noch wenig mit der tatsächlichen Handlung zu tun hat. Aber es macht Angst, wenn man solche Sätze aus dem Mund eines geliebten Menschen oder Freundes hört. Und ich möchte niemandem Angst machen.

Reden also geht nicht, schreiben aber geht. Und so hat mir schon mancher Text hier auf dem Blog, manch Post geholfen. Weil ich so teilen kann, was mit mir los ist, ohne wirklich reden zu müssen. Und weil ich weiß, dass das oft um einiges einfacher sein kann, gebe ich diesen Hinweis gerne weiter. Auch können sich aus diesen Posts dann Gespräche entwickeln – weil das schwierigste schon hinter mir liegt.

Worte aus der Dunkelheit

Vor wenigen Wochen erst war die Dunkelheit mal wieder zu Besucht. Einiges aus diesem Post stammt aus dieser Phase. Hier ein kleiner, ungeschliffener Abschnitt:

Gerade habe ich offensichtlich eine solche Phase. Bis dieser Artikel bei euch ist, könnte es trotzdem noch ein wenig dauern. Bis ich das schnell geschriebene sortiert und für euch verständlich verpacken kann. Aber es war mir wichtig, aus diesem Gefühl herauszuschreiben. Nicht aus der Erinnerung heraus, denn das verzerrt und verfälscht. Jetzt gerade, heute, am Sonntag den 21. Juli stecke ich in einer solchen Phase. Merke, wie die Depression in mir tobt, meine Gedanken dunkel färbt und auch Selbstverletzung, Suizid und Konsum eine Rolle in meinem Kopf spielen.

Schon die letzten Tage habe ich gespürt, wie ich insgesamt schwerer wurde. Dass ich dann noch in diversen Kontexten mit dem Thema Suizid konfrontiert wurde, war sicherlich nicht hilfreich. Gehört aber zu meinem Job dazu und ist meistens auch kein Problem für mich. Aber wenn man eh schon ein wenig aus dem Gleichgewicht ist, dann reicht eben ein kleiner Schubs in die falsche Richtung und eh man sich versieht ist man gefallen.

Wer das jetzt gelesen hat, und sich Sorgen macht oder Angst um mich hat, dem darf ich diese Sorgen und Ängste getrost wieder nehmen. Wenn es mir auch immer noch schwer fällt, das um Hilfe bitten und so, so habe ich doch inzwischen des Öfteren bewiesen, dass ich es doch kann. Wenn es hart auf hart kommt. Und immer öfter auch schon davor.

Seelisch ungeschminkt

Was ich wohl hauptsächlich mit diesem Artikel zeigen wollte ist, dass eben auch diese Gedanken, diese Seiten weiter dazu gehören. So zu tun, als ob das nicht der Fall wäre, hat schon einige meiner Kollegen kaputt gemacht (z.B. Amy Bleuel, die Initiatorin des Semikolon Projects). Mental Health Advocates, die nicht mehr geschafft haben ehrlich zu kommunizieren, dass es auch ihnen nicht immer gut geht. Aus Angst vor den Reaktionen ihrer Leser und Follower. Und sich eine zweite, eine neue Maske aufgebaut haben. Hinter der starken Rolle in Recovery. So ein Spiel will ich mir und euch einfach ersparen.

Oft wird auf Instagram der Hashtag #fürmehrrealitätaufinstagram verwendet. Leider meiner Meinung nach zu oft noch für äußerliches. Da wird sich dann ungeschminkt gezeigt und verkündet, wie wohl man sich doch in seiner Haut fühlt. Ich zeige mich in gewisser weise mit Posts wie diesem mental ungeschminkt, lasse euch an meiner Realität teilhaben. Eine Realität, die heute zu mindestens 85% hell und geil ist – aber deswegen dürfen die dunkleren 15% nicht unter den Tisch fallen. Eine Realität mit Gedanken und Phasen, die mir Angst machen, mich verunsichern – und das auch ok ist. That’s life with depression. Oder wohl einfach: That’s life.

Alleine zu akzeptieren, dass Tage wie heute eben emotional und bedeutsam für mich sind und ich mich dafür nicht schämen oder mir Vorwürfe machen muss, ist ja so ein Schritt. Und so denke ich heute, am Welttag der Suizidprävention, auch an euch – an meine Mission, meine Arbeit, die MENTAL HEALTH CROWD. Ich denke daran, was wir alles gemeinsam bewegen, verändern, schaffen können. Und dann wird die Welt, meine Welt gleich wieder ein Stückchen heller.


P. S.: Und für alle, die noch nicht restlos beruhigt sind, dass dieser Artikel wirklich quasi genau das Gegenteil eines Grundes ist, dass ihr euch um mich Sorgen machen müsstet: vor kurzem wurde bekannt gegeben, dass es bald einen neuen Dr. Strange Kinofilm geben wird. Er kommt am 7. Mai 2021 raus. Wir sehen uns im Kino.

Das Buch der Stunde #3

Lesezeit: 7 minuten

Das Buch der Stunde #3

Gefühle sind keine Krankheit von Christian Peter Dogs


In dieser Kategorie stelle ich in loser Reihenfolge Bücher vor. Bücher, die es sich zu lesen lohnt; oder die mit den Themen auf diesem Blog zu tun haben; die mir geholfen haben, die bei mir etwas ausgelöst oder verändert haben.

Ich bin keine professionelle Buchkritikerin. Wie eine »gute/richtige« Rezension auszusehen hat, weiß ich nicht. Und darum geht es mir auch nicht. 

Mir geht es darum, ganz im Sinne des schönen Postkartenspruchs »Glück ist das einzige, was größer wird, wenn man es teilt« mit euch zu teilen. Wenn ein Buch, ein Text, ein Autor es geschafft hat, mein Herz, mein Hirn oder im Idealfall sogar beides zu bereichern. 


Heute geht’s um Gefühle sind keine Krankheit von Christian Peter Dogs.

Geschichten, die das Leben schreibt

Als ich anfing, dieses Buch zu lesen, setzte schnell ein „Na endlich!“ ein. Endlich mal ein Profi – Dogs ist selber Psychotherapeut – der einiges ähnlich sieht wie ich. Der auch etwas verändern möchte. Das System Psychiatrie/Therapie derzeit auch nicht weiter so hinnehmen möchte.

Schon im Prolog heißt es: „Therapeuten sollten als Menschen erlebbar sein, mit Stärken und Schwächen – und keine korrigierenden Kontrollinstanzen darstellen, die zum Lachen in den Keller gehen.“ Danke, Herr Dogs! Ich kann die Profis unter den Lesern nicht oft genug bitten, gegenüber Patienten keine glatte Wand zu sein, an der sie ständig abrutschen.

Trockene Fakten oder Sachinfos gibt es im Buch wenige. Wenn dann sind sie meist in Geschichten eingebaut und gut verpackt. Sowohl die langjährige Arbeit als Therapeut als auch seine eigene – wahrlich nicht einfache – Biografie finden sich in großen Teilen des Textes wieder. So werden Gedanken oder Beobachtungen mit realen Patientengeschichten veranschaulicht, was vieles leichter greifbar macht.

Dogs Arbeit in unterschiedlichen Settings lässt Blicke hinter die Kulissen zu, die durchaus spannend, manchmal aber auch erschreckend sein können. Trotz des Titels geht es hier um deutlich mehr als „nur“ Gefühle. Eher geht es überraschend wenig um Gefühle direkt. Es geht um das deutsche Therapiesystem, um Behandlungsarten, um Menschen – Patienten und Profis. Und es geht darum, wie wir aus der aktuellen, nicht ganz so optimalen Situation heraus kommen könnten.

Es geht gut los…

Das Buch ist in vier Teile aufgeteilt. In Teil 1 macht Dogs sich auf die Suche, warum wir Menschen – und insbesondere wir Deutschen – eigentlich so ein seltsames Verhältnis zu unseren Gefühlen haben. Warum wir schlecht bis gar nicht mit den schwierigen Seiten des Lebens umgehen können. Was „typisch“ deutsche Tugenden damit zu tun haben und wie viele von Ihnen bis heute (unbewusst) auf uns wirken.

Wer in Deutschland aufwächst, ist fast schon dafür prädestiniert, sich eines Tages ziemlich schlecht zu fühlen. Bereits Kindern wird beigebracht, ihre Gefühle zu unterdrücken. Sie lernen, sich zu beherrschen, sich zusammenzureißen, keine Gefühle zu zeigen – in vielen Familien ist so etwas erstrebenswert. (…) Beim Aufwachsen fehlt es oft an der nötigen Wärme. Auch das ist ein deutsches Phänomen mit ungünstigen Auswirkungen. „Nicht geschimpft ist gelobt genug.“ So einen Satz haben viele tief in ihrem limbischen System verankert.

Bin ich auch kein Fan von Pauschalisierungen so tendiere auch ich zu der Meinung, dass viel gewonnen wäre wenn wir unseren Kindern schon früh beibringen würden, mit ihren Gefühlen umzugehen. Den angenehmen wie den unangenehmen. Da aber viele Erwachsene das nie gelernt haben, können sie es auch schlecht weitergeben. Und immer so weiter. Bis wir den Teufelskreis endlich mal unterbrechen.

Dogs wirft einen Blick auf unsere heutige Leistungsgesellschaft und wie diese mit unserer psychischen Verfassung zusammenhängt:

Das Leben verlangt ja viel von den meisten heute. Konkurrenz im Privaten wie im Beruflichen, sehr anstrengende Arbeitsbedingungen – und dann ist da niemand mehr, der erklären könnte, worauf es ankommt. Eltern, Pfarrer, Lehrer: Sie wissen es oft selbst nicht oder sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um andere zu stärken und vorübergehend zu stützen – vor allem aber: zu beruhigen.

Gefühle für alle

Im letzten Abschnitt dieses ersten Teiles sieht der Autor sich bestimmte Gefühlslagen bzw. Störungsbilder etwas genauer an. Von Trauer über Wut und Narzissmus bis zu Essstörungen und PTBS. Und vor allem versucht er Gründe zu finden, warum „negative“ Gefühle heute kaum noch da sein dürfen:

„In einer Leistungsgesellschaft sind fröhliche Gesichter erwünscht und nicht weiter auffällig, der Traurige, Weinende aber soll sich verstecken, weil er vermeintlich schwach ist – und auch, weil er mit seiner Reaktion zeigt, dass das Leben eben nicht immer zu kontrollieren ist, sondern manchmal sehr schwer und verstörend sein kann. Viele spielen dieses Spiel mit, vertuschen, wie verletzbar sie sind, wie schlecht es ihnen geht, und so machen es sich schließlich alle gegenseitig schwer, das zu leben, was wahr ist. Ein anstrengendes, verwirrendes Spiel: sich hinter einer Fassade zu verstecken, eine Maske aufzuhaben, bis man selbst kaum mehr auseinanderhalten kann, was Maske ist und was das eigene Gesicht.

Und ermutigt die Leser, auch mit diesen Gefühlen offener, besser umzugehen. Denn nur weil wir sie nicht rauslassen, verschwinden sie ja nicht. Sondern suchen sich andere Wege, in körperlichen Problemen oder psychischen Störungen. Wenn wir wieder lernen würden, Ärger und Wut rauszulassen, könnten wir so manch schlimmere Geschichte verhindern.

Der Übergang von Gefühlen zu Krankheitsbildern ist bei Dogs fließend, was ich mir für den Laien schwierig vorstelle. „Sehr oft ist die Depression ein überdeutliches Signal, dass man sich selbst zu wenig wichtig nimmt, sich nicht traut, Raum einzufordern und seine Gefühle zu zeigen.“ Das mag im Kern so stimmen, und auch an seinen weiteren Beobachtungen rund um Depressionen mag einiges dran sein. Jedoch braucht es hier meiner Meinung nach ein gutes Grundwissen über die Störung, um das dargestellte sinnvoll einsortieren zu können.

Ein Therapeut macht sich Luft

Der zweite Teil des Buches trägt den Titel „Therapie in Deutschland – eine Kritik“. Los geht es darin mit einer Art Bestandsaufnahme die man zusammenfassen könnte mit: Zu viele Menschen werden zu oft, zu lange wegen den falschen Dingen mit den falschen Methoden behandelt.

Kein Teil des Systems bleibt verschont von diesem Rundumschlag – und auch hier stimme ich Dogs in einigen Punkten zu. Kritik am aktuellen System, an gewissen Methoden und Verfahren (die Psychoanalyse würde Dogs am liebsten komplett streichen), an seinen Kollegen, an Kliniken, Gutachtern und Kassen. Ohne die Erfahrung bzw. die Einblicke zu haben, die der Autor in all seinen Jahren als Behandler gesammelt hat, bestätigt es mein Gefühl, dass man da einiges mehr an Effizienz rausholen könnte – zum Wohl des Patienten, und der Kosten.

„Wir müssen alle Gefühle leben können, damit die Psyche gesund bleibt.“

Den Abschluss dieses Teil bildet ein Blick auf „Sinnvolle Therapiemethoden“. Hier werden nicht nur die großen Schulen genannt, sondern zahlreiche Ansätze und Verfahren vorgestellt. Und hier fällt auch die kluge Aussage:

So ist es nicht überraschend, dass viele Patienten bei der Entlassung aus der Klinik wieder eine Verschlechterung ihrer Symptome verspüren, weil sie sich wieder dem Alltag mit all seinen Problemen und Konflikten stellen müssen.

Deshalb ist es so wichtig, sich in der Therapie seiner Gegenwart zu stellen und sich nicht in seiner Vergangenheit zu verkriechen. Es ist die Art und Weise, wie wir jetzt leben, die uns krank macht oder nicht gesund werden lässt – es ist nicht die Vergangenheit. Die kann uns höchstens erklären, warum wir uns heute so oder anders verhalten. Die Vergangenheit müssen wir akzeptieren, die Zukunft können wir gestalten. Das ist das Prinzip, das viele Menschen mit psychischen Problemen verstehen müssen.

Insgesamt merkt man dem Buch an, dass hier jemand dahinter steckt, der viele Jahre Unzufriedenheit mit sich herumgetragen hat. Mit seiner Zunft, seinem Berufsstand, dem System. Was nicht hießt, dass Verbitterung oder ähnliches auftaucht. An den vielen zusammengetragenen Geschichten und Begebenheiten merkt man, dass einige dieser Punkte den Autor einfach schon lange beschäftigen – und ich habe die Erleichterung, vieles davon endlich mal aufschreiben und raus in die Welt schicken zu können, geradezu spüren können.

Teil 3: Was kann ich selbst tun?

Im dritten – sehr kurzen – Teil gibt Dogs schließlich ein paar Tipps, was jeder einzelne für seine Psyche tun kann. Es geht um gesunde Beziehungen, Selbstfürsorge, Selbstwirksamkeit. Und Entspannung:

Als ich vor kurzem bei einem Vortrag gefragt wurde, warum die psychischen Erkrankungen so zunehmen, gab ich zur Antwort: „Weil wir die Fähigkeit verloren haben, in unserer Freizeit zu entspannen und Kräfte zu sammeln. Wenn wir Zug fahren, schauen wir nicht mehr aus dem Fenster, im Flugzeug schalfen wir nicht mehr oder lesen wir nicht etwas Entspannendes, unser Hinr wird ständig overloaded.“

Ein weiterer Punkt, in dem ich dem Autor absolut zustimmen kann. Und den ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Unsere Hirne werden heutzutage so bombardiert mit Reizen, dass wir kaum mit dem verarbeiten hinterherkommen. Nichtstun, Müßiggang, Ruhe, Freidrehen, aktives langweilen – enorm wichtige Beschäftigungen. Die in der sich immer schneller werdenden Welt drohen, in Vergessenheit zu raten.

Ende: unbefriedigend

Im vierten und letzten Teil des Buches geht es schließlich um „Eine Klinik nach meinen Vorstellungen“ – also, natürlich nicht meinen, sondern nach Vorstellungen des Autors. Und das ist dann auch der Abschnitt des Buches, mit dem ich wohl die größten Probleme hatte.

Wenn auch hier wieder spannende Ansätze und Ideen aufgezählt werden („schweigendes Essen, Inaktivitätstage, Hilfosigkeitstage, Nein-Tage, Komplimente-Tag, Positivwoche, meditatives Gehen, Medizinwanderungen“) und stimmige Vergleiche vorkommen so wurde mir das Geschriebene hier doch etwas zu selbstbeweihräuchernd.

Die eigene Arbeit als gar so toll, der eigene Ansatz als der beste, die eigenen Methoden als die einzig wahren dargestellt. Damit habe ich einfach meine Probleme. Leider wurde dieser Ton gegen Ende des Buches immer deutlicher. Was dafür sorgt, dass es genau dieser Eindruck ist, der nach der Lektüre bei mir Hängen bleibt.

Fazit: Gefühle sind keine Krankheit

Was Herr Dogs in Zusammenarbeit mit Frau Poelchau hier in ein Buch gepackt hat, ist auf jeden Fall mal erfrischend anders. Ja, manche Ansichten sind doch radikal. Nicht alle Gedanken kann ich nachvollziehen bzw. gut heißen. Und doch sind viele spannende Ansätze dabei, die ich vorher so noch nicht kannte. Die einfach einen neuen Blick auf althergebrachtes bringen. Ob man diesen dann beibehält oder wieder ganz zur eigenen Sichtweise zurückkehrt, ist damit ja noch nicht entschieden.

Die Hervorhebung der eigenen Arbeit, das Loben des eigenen Tuns und der eigenen Klinik wurde mir am Ende einfach etwas zu viel – egal wie viel Erfahrung jemand mitbringt. Bescheidenheit ist doch auch eine schöne Tugend.

Neuligen auf dem Gebiet der Psychologie würde ich das Buch nur begrenzt empfehlen. Für ein Einstiegswerk sind einige der dargestellten Sachverhalte doch sicherlich etwas zu überzogen, so dass ein gewisses Grund- oder Fachwissen dabei helfen kann, keine falschen Schlüsse zu ziehen.

„Fortgeschrittene“ können hier neue, ungewöhnliche Impulse bekommen – auf die man sich einlassen können muss. Ich kann mir wahrhaft vorstellen, wie Kollegen von Herrn Dogs das Buch wutentbrannt in die Ecke feuern – und damit leider etwas verpassen. Mit etwas Abstand, nicht zu viel Ernst oder Verbissenheit und wohl auch etwas Humor kann die Lektüre dieses Buches durchaus Spaß machen und bereichernd sein.


Gefühle sind keine Krankheit – Warum wir sie brauchen und wie sie uns zufrieden machen

von Christian Peter Dogs und Nina Poelchau

Taschenbuch: 240 Seiten

Verlag: Ullstein Taschenbuch; Auflage: 1. (29. März 2019)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3548377831

Preis: 12 €


Meine Meinung wurde weder vom Verlag angefragt, gekauft oder beeinflusst: Ihr lest einfach was ich über dieses Buch denke und wie ich fühle. 

Tschüss, Traveling | the | Borderline

Lesezeit: 6 minuten

Tschüss, Traveling the Borderline

… Hallo, MENTAL HEALTH CROWD.

Mit diesem Post ist es offiziell: Traveling | the | Borderline gibt es nicht mehr. Die Inhalte, die Ziele dieser Seite, meiner Arbeit, bleiben die gleichen. Ab heute aber unter einem neuen Namen. Wieso, warum, weshalb – das lest ihr hier.


Es wird Zeit

Am 1. Oktober 2015 ging diese Seite als www.travelingtheborderline.com online. Samt Social Media Kanälen. Die Vorbereitungen dafür gingen bereits ein halbes Jahr davor los. Inhalte erstellen, Posts vorbereiten, Seite gestalten. Den Moment, als ich dann schließlich auf „Veröffentlichen“ geklickt habe, werde ich so bald wohl nicht vergessen.

Mit diesem Blog wollte ich zeigen, dass Borderline mehr ist als „Blut und Tränen“. Dass es auch die guten Tage gibt, dass man trotzdem Reisen kann, dass das Leben auch mit Krankheit schön sein kann. Als ich im Herbst 2013 meine Diagnose bekam und mich im Internet auf die Suche nach Informationen machte, fand ich einfach nichts, was mir gleichzeitig seriös und hilfreich erschien. Da waren trockene Sachtexte und dunkle Blogs, auf denen seit Monaten kein neuer Post mehr erschienen war – nicht sonderlich ermutigend.

Und einfach nicht das, was ich fühlte. Wie es sich für mich anfühle. Also beschloss ich, das Angebot zu ergänzen, ein Gegengewicht zu werden. Meine Seite, meine Erfahrungen zu teilen. Anfangs spielte das Thema „Reisen“ auch noch eine etwas größere Rolle – nicht umsonst heißt die Seite ja TRAVELING the Borderline. Das wurde aber nach und nach weniger, es gab einfach genug rund um Mental Health, worüber ich schreiben konnte und wollte.

Über die nächsten Wochen, Monate, Jahre schrieb ich also weiter, blieb dran. Die Seite veränderte sich, die Themen auch – und auch ich änderte mich. Und vor allem änderte sich die Welt, meine Welt außerhalb des Blogs. Enorm.

Ikigai gefunden

Denn bald war der Blog nicht mehr das einzige, was ich in Richtung meiner Mission („Ich will verändern, dass und wie wir über psychische Gesundheit reden“) tat. Schulprojekte, Aufklärungsarbeit, Vernetzung. Schritt für Schritt entwickelte ich mich, entwickelte sich die Mental Health Advocate in mir.

Ich bekam mehr und mehr Rückmeldungen, Nachrichten, Anfragen. Am häufigsten darunter: Dankbarkeit. Dankbarkeit, dass endlich mal jemand den Mund aufmacht. Dass endlich mal jemand offen über diese Themen redet. Aber auch ich profitierte und profitiere von meiner Arbeit.

Wem der japanische Begriff Ikigai was sagt, den wird nicht wundern, dass ich heute eine deutlich höhere Lebensqualität habe, als früher (was nicht heißt, dass meine Krankheiten verschwunden sind). Bei Ikigai geht es um vier Kernfragen:

  • Was lieben Sie? (Leidenschaft)
  • Was braucht die Welt von Ihnen? (Aufgabe)
  • Worin sind Sie gut? (Berufung)
  • Wofür können Sie bezahlt werden? (Beruf)

Und meine Mission tickt alle diese Boxen. Ein unbezahlbares Geschenk – und nicht selbstverständlich, das weiß ich wohl.

Das magische Jahr 2018

Als ich damals mit dem Bloggen anfing las ich an diversen Stellen von diversen Leuten, dass es circa drei Jahre braucht, bis ein Blog „groß“ bzw. „erfolgreich“ ist. Was in meinem Fall genau jetzt „groß“ oder „erfolgreich“ heißt, ist eher schwierig zu definieren. Aber was drei Jahre nach dem Start des Blogs so passierte, spricht für diese Theorie. Wenn diese Dinge auch nicht direkt was mit der Seite zu tun haben mögen, so hat hier einfach alles seinen Anfang genommen.

2018 war nicht nur das Jahr, in dem ich sober wurde, Mr. A. endlich loslassen konnte. Es war auch das Jahr, in dem die Medien auf mich und meine Arbeit aufmerksam wurden. Das Jahr, in dem ich offiziell von der Einzelkämpferin zum Team wurde. Erst „nur“ Lasse, dann Marcel – und schließlich immer mehr Menschen, die auf die ein oder andere Weise, mit ihren Stärken, ihrem Wissen, ihren Erfahrungen meiner Mission und mir helfen.

2018 war das Jahr von #TUM4MIND, das Jahr des Buchvertrages, das erste Jahr mit vielen Reisen quer durch Europa als Mental Health Advocate.

Und es war das Jahr, an dessen Ende ich dann auch den Schritt in die volle Selbstständigkeit wagte – als Bloggerin, Autorin & Mental Health Advocate. Hatte ich vorher noch in Teilzeit in der Gastronomie gearbeitet, sozusagen als Absicherung, fühlte ich mich langsam bereit, alles auf diese Karte zu setzen. Und es war die richtige Entscheidung. Denn seither kann ich noch mehr Power, noch mehr Kraft in meine Mission stecken.

Hallo Mental Health Crowd

Neues Jahr, gleiche Richtung: mein 1-jähriger Soberday, das Buch kommt in die Läden, mehr Medienkontakt, unser Podcast geht online. Und dann natürlich: BERG & MENTAL. Das Crowdfunding und alles, was darum herum passiert ist.

Alles fühlte sich so toll, so richtig, so rund an. Nur eine Sache beschäftigte mich, uns immer wieder: Traveling | the | Borderline. So richtig passte der Name nicht mehr. Wir versuchten zu sortieren: Was mache ich als Selbstständige? Was ist BERG & MENTAL? Was TtB? Und kamen einfach nie zu einem schlüssigen Ergebnis.

Na klar tauchte recht früh die Überlegung auf, den Namen zu ändern. Aber wollte ich wirklich alles das, was ich mit TtB erreicht hatte, loslassen? Zumindest „in der Szene“ kannten inzwischen recht viele Leute den Blog, die Seite, den Namen. Ich hatte mir ein tolles Ranking in den Suchmaschinen erarbeitet. Diverse Verlinkungen in beide Richtung mit den verschiedensten Seiten. Um euch mal einen kleinen Eindruck zu machen, welche Reise diese Seite schon hinter sich hat, hier mal ein paar Zahlen:

  • 2015: 3547 Views bei 642 Besuchern
  • 2016: 5390 Views bei 1649 Besuchern
  • 2017: 13.527 Vies bei 5166 Besuchern
  • 2018: 42.732 Views bei 17.243 Besuchern
  • 2019: 61.803 Views bei 16.521 Besuchern (Stand 1. August 2019)

Das kann ich doch nicht alles weg tun?

Nein, kann ich nicht. Und muss ich auch nicht. Es war im „Urlaub“ in Kroatien, als wir mal wieder über die Aufteilung „was gehört wozu“ gesprochen haben, als die Idee kam: während unserer Crowdfunding-Kampagne hatte Eva aka. depridisco den Hasthag #mentalhealhcrowd ins Leben gerufen. Und wir ihn lieben gelernt. Warum dann nicht einfach so nennen?

Große Pläne

Das doofe an Traveling | the | Borderline – auch wenn ich den Namen bis heute toll finde – war zum einen die Länge, das fehlende „L“ in Traveling (leider hab ich damals auch welchem Grund auch immer die amerikanische Schreibweise verwendet) und vor allem die enge Verknüpfung zum Thema Borderline. Aber inzwischen waren ich, der Blog, wir ja soviel mehr als das.

Und vor allem wollten und wollen wir noch so viel mehr werden. Neben BERG & MENTAL – welches übrigens unter dem Dach der Mental Health Crowd als Produktmarke geführt wird, nicht als eigene Firma – können wir uns noch so viel mehr vorstellen. Das alles als TtB? Als TtB in Unternehmen gehen? Produkte entwickeln? Hätte vielleicht funktioniert. Aber mit dem neuen Namen fühlt es sich nochmal um einiges besser an.

An der Crowdfunding-Kampagne haben wir zu acht gearbeitet, über 500 Leute haben uns unterstützt. Auf dem Tollwood waren wir mehr als zehn Leute, beim Hackathon hatten wir ein ähnlich großes Team – nicht immer die gleichen Leute. Aber jedes Mal deutlich mehr als die eine Einzelkämpferin, die damals mit ihrem kleinen Blog die große Welt verändern wollte. Bei unserem ersten MENTAL HEALTH CROWD Meetup am 30. Juli im Café Bla in München waren wir knapp 40 Leute. Das kann man schon Crowd nennen!

Der Name trägt es schon in sich: Du bist nicht alleine! Wir alle haben eine Mental Health. Und wir als Crowd haben beschlossen, das Thema neu, anders, offener anzugehen. Wir wollen Dir zeigen, dass wir an Deiner Seite sind. Dass wir das zusammen rocken. Wieder Dank Eva haben wir schon ein wunderschönes Logo, in den letzten Wochen haben wir die Umstellung der Seite vorbereitet – und hoffen, sie gefällt euch.

Eine runde Reise

Und sicherlich werden die Rankings in den Suchmaschinen leiden. Leute verwirrt sein von der Namensänderung. Oder enttäuscht. Auf und hinter dieser Seite steckt zwar immer noch am meisten Dominique, aber die Gesichter, die Autorennamen werden mehr, zahlreicher, vielfältiger. Mails und Nachrichten nicht mehr nur noch von mir gelesen und beantwortet. Die Crowd ist jetzt der Ansprechpartner.

Nach außen hin werde wohl auch weiterhin ich das Gesicht sein – zumindest noch. Das Gesicht, die Stimme die raus geht. Dem Thema Öffentlichkeit verschafft, mit den Medien redet, Fotos teilt. Bis es auch in der Crowd Leute gibt, die sich das zutrauen. Die Bock drauf haben. So lange übernehme ich das gerne.

Und das ist wohl auch das, was diese ganze Reise so rund macht: Dass sich alles entwickeln, wachsen darf. Dass wir zwar Ziele haben und (große) Pläne – uns aber auch einfach dem Flow überlassen. Was seit diesem magischen Moment im Oktober 2015 alles passiert ist, hätte ich in dieser Form weder erwartet noch planen können.

Auf allen Kanälen wachsen die Zahlen stetig – ohne zu explodieren. Ich, wir kommen mit der Entwicklung hinterher, können uns dran gewöhnen. Können reagieren und werden nicht überfordert. Haben Zeit, zu verstehen, zu reflektieren, reinzufühlen.

Und so war und ist auch dieser Schritt jetzt hier einer, der sich von vorne bis hinten rund anfühlt. Klar war es komisch als wir beim Notar waren um die MENTAL HEALTH CROWD GmbH ganz offiziell zu starten. Ich bin jetzt Geschäftsführerin! (Lasse auch) Wer hätte das gedacht? Ich ganz sicher nicht. Aber es fühlt sich toll an. Auch Respekt, eine MiniDosis Angst, aber vor allem Vorfreude, Energie. Mal sehen, was die nächsten 3 Jahre und 10 Monate so bringen =)

Danke, Traveling the Borderline

Zum Anlass dieses großen Schrittes habe ich mal eine kleine Zeitreise in Videoform gemacht. Wer Lust hat und reinschauen möchte:

(ein ganz kleiner Fehler am Ende: statt 499 Besuchern waren es ein paar mehr, wie ihr oben lesen konntet. Da sollte 16.499 stehen)


Danke, TtB für vier wundervolle Jahre. Danke an meine Familie, Freunde, an Arvid und Lasse, an meine Crowd, an alle Leser, Unterstützer, Helfer. An alle, die Nachrichten schreiben und sich öffnen. An alle, die sich bedanken. Und Danke wohl auch an mich, dass ich damals auf „veröffentlichen“ gedrückt habe.

Hallo Mental Health Crowd – Hallo Leben und Arbeiten im Team, umgeben von einer fantastischen Crowd – Hallo Geschäftsführerin – Hallo Visionen – Ich freue mich auf euch!

Urlaub vom Urlaub

Lesezeit: 11 minuten

Urlaub vom Urlaub

Zwei Wochen Kroatien. Für mich der dritte Aufenthalt in diesem schönen Land. Ich liebe die Mischung aus Natur, Städten und vor allem die Menschen. Warum dieser Urlaub neben diesen schönen Erlebnissen auch jede Menge Erkenntnisse für uns bereit gehalten hat. Und wieso wir wohl so schnell keinen Urlaub mehr machen werden. Jedenfalls nicht so einen.


Das Crowdfunding ist vorbei. Die Emotionen noch da. Der Kopf hat das alles noch gar nicht verstanden. Und dann Urlaub. Seit Monaten geplant – und nun geht’s los.

Ja, wir hatten zwischendrin überlegt, den Urlaub ausfallen zulassen. Als wir ihn im November des Vorjahres gebucht hatten, konnten wir von Crowdfunding und Co noch gar nichts ahnen. Was wir aber damals schon wussten war, dass die nächsten Monate anstrengend und arbeitsreich sein würden. Auch wenn der Plan noch nicht fix war, so waren doch alle Ideen und Träume doch klar mit einigem an Arbeit verbunden. Diese frühe Buchung war der Versuch sicherzugehen, dass wir selber nicht zu kurz kommen würden. Dass wir unsere Akkus in jedem Fall aufladen würden. Selbstfürsorge und so.

Einmal Erholung bitte

So hieß es dann zehn Tage nach Ende der Crowdfunding Kampagne: Sachen in den Mietwagen und ab auf die Autobahn. Und ja, da war auch Freude. Aber da war auch viel anderes. Was wir erstmal gar nicht verstanden haben. Und auch die Freude war nicht extatisch oder befreiend, sondern eher kopfgesteuert. Aber das lag ja sicher nur an den stressigen Wochen, die grad hinter uns lagen. Oder?

So recht wollte sich die Freude, die Entspannung, die Erholung, das Abschalten auch nach der Ankunft nicht einstellen. Aber es dauert ja auch bekanntlich, bis man ganz im Urlaub ankommt. Oder?

Dazu kamen Erinnerungen an vergangene Urlaube und Aufenthalte in Kroatien und auch an anderen Orten. Mein Kopf präsentierte mir mein bisheriges Leben in verzerrten Tönen – und ließ mein aktuelles Leben langweilig und grau da stehen. Stichwort: Wahrnehmungsverzerrungen. Kennt man ja, wenn man Depressionen kennt. Da kann die Ratio noch so viel dagegen schleudern und anargumentieren. Es fühlt sich alles falsch an. Aber daran sind bestimmt nur die leeren Akkus Schuld. Oder?

Machen wir das auch richtig?

Besonders die ersten Tage haben ich quasi alles in Frage gestellt. Von der Wahl des Reiseziels („Aber du warst doch schon mal in Kroatien? Schau Dir halt mal was neues an, du Langweilerin!“) bis zur Wohnung („So weit weg vom Meer! Was hast Du dir dabei nur gedacht?“). Von unserem vielen Schlaf („Seid ihr zum Schlafen hergekommen oder was?“) bis zur Entscheidung, zwei Wochen an einem Ort zu bleiben („Alle anderen fahren alle paar Tage an einen neuen Ort. Und ihr hängt die ganze Zeit nur hier rum? Warum seid ihr nicht auf einer von den vielen Inseln?“). Alles.

Auch waren die bisherigen Urlaube in Kroatien – und generell das Reisen – für mich eng verbunden mit Mr. A. Trinken war meine Art, meine Ängste stummzuschalten, meine Bedenken auszublenden und meine Bedürfnisse gekonnt zu ignorieren. So waren die Urlaube mit Mr. A. bestimmt in einigen Punkten „spannender“ als die Urlaube heute ohne ihn. Aber sie haben mich auch kaputt gemacht. Da ich mit der Unterstützung vom Alkohol ständig über meine eigenen Grenzen getrampelt bin, meine Wünsche unhörbar gemacht wurden. Gemeinsam mit dem Trinken hat ein Wunschbild von mir, dass ich lange gejagt habe, den Urlaub übernommen, kontrolliert. Und ich habe eben mitgemacht. Irgendwie.

Was nicht heißt, dass alle meine bisherigen Urlaube falsch oder doof waren. Auch sie haben mich an schöne Orte, zu tollen Menschen und wunderbaren Ereignissen und Erinnerungen gebracht. Aber der Preis, den ich dafür gezahlt habe, war auch zum Teil ein sehr hoher.

Nun, in Kroatien, in den ersten Tagen, die Akkus vermeintlich leer, wir vermeintlichst und total dringend erholungsbedürftig, konnten einfach nicht abschalten. Mein Kopf hat getobt, die Gedanken darin waren alles andere als achtsam, ich sprang – wie früher normal – zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunftsszenarien hin und her. Und: habe pausenlos verglichen. Mit allem und jedem um mich herum. War praktisch nicht bei mir, sondern nur bei meinen Mitmenschen.

Wir sind unvergleichlich!

Und habe natürlich nur in die eine Richtung verglichen: nach oben. Mit der älteren Reisegruppe, die so offensichtlich schon lange befreundet sind und habe mich gefragt, warum wir nur als Paar verreisen – ohne Freunde. Habe die Yacht-Besitzer gesehen und mich arm gefühlt, weil wir eben auch im Urlaub auf das Geld achten müssen. Habe jugendliche Menschenhaufen für Ihre Leichtigkeit und Unbeschwertheit beneidet. Und dabei ganz vergessen, mal in mich zu horchen, wie es mir eigentlich gerade geht.

Mein Kopf ließ mich also als Versagerin dastehen – Nicht mal Urlaub machen kann ich! Mein (Therapie)Kopf und mein Gefühl waren pausenlos am streiten. Weil der eine sagte „Ihr müsst euch jetzt erholen!“ und das andere Antwortete „Nein, so geht das aber nicht!“ Und natürlich habe ich auch all die Vergleiche versucht, mit meinem Verstand zu bekämpfen und gerade zu rücken.

Wie großartig es ist, dass ich einen Partner habe, mit dem ich verreisen kann? Oder wie gar nicht selbstverständlich es ist, überhaupt Urlaub machen zu können? Wie viele Menschen gerade nicht im Urlaub, sondern in ganz anderen Umständen sind. Weiß ich, wie es in diesen Menschen wirklich aussieht? Ob sie nicht vielleicht nur auch eine Maske tragen? Und vielleicht sogar mich beneiden? Suchen sie vielleicht hier im Urlaub Erholung, von mehr als nur Stress? Wie ich es auch so lange getan habe? Sind diese Tage hier vielleicht die einzig leichten, freien, unbeschwerten in einem Leben, dass sonst von einem Alltag voller falscher Bedürfnisse, Anforderungen und Zwängen geprägt ist?

Und irgendwann dann viel der Groschen, habe ich verstanden, warum es mir dieses Mal so besonders schwer fiel, das Abschalten, das Nichtstun, das Erholen:

Urlaub – von was?

Dieser Urlaub war als Abstand, als Auszeit, als Pause vom Arbeiten gedacht. Mit Erholung in Form von ausgeprägtem Nichtstun, viel Faulenzen und noch mehr Rumhängen.

Was wir dabei nicht bedacht haben, bzw. unsere November-Ichs, die den Urlaub ja gebucht hatten, nicht ahnen konnten: wir wollen aber arbeiten! Wir lieben das, was wir tun! Irgendwie sind wir auf dem besten Wege ein Leben zu führen, von dem man quasi keinen Urlaub mehr braucht.

Diese Reise hat sich zu diesem Zeitpunkt also eher wie eine Verpflichtung, wie eine Blockade angefühlt – und nicht wie ein Blockadenlöser. Und genau da hatten wir das Problem an der Wurzel gepackt. Sobald wir das verstanden hatten – nach etwa einer Woche – konnten wir uns dann einlassen. Auf die Reise, das Entdecken, das Hier-sein. Und damit arbeiten.

Das bedeutet nicht, dass nicht auch für uns Pausen von der Arbeit wichtig sind. Oder das wir nicht gerne reisen. Aber ein Urlaub, der auf Nichtstun ausgelegt ist, ist wohl nichts für uns. Erholung mit Nichtstun, stunden- oder sogar tagelangem Liegen am Strand gleichzusetzen, mag für viele Menschen funktionieren. Das konnten wir in Kroatien und kann man auch an vielen anderen Orten der Welt beobachten. Mir persönlich gibt das aber keine Kraft, ist sogar eher enorm anstrengend bis abschreckend. Alleine die Vorstellung dass ich stundenlang einfach nur daliege und mich von der Sonne langsam verbrennen lasse jagt mir einen Schauer über den Rücken.

Aktive Erholung

Ich sage es immer wieder: Auch wir Menschen haben einen Akku. Um den wir uns kümmern dürfen und müssen und sollen. Aber was unsere Akkus auflädt, das kann bei jedem anders sein. „Faulenzen, Abschalten, Nichtstun“ ist wohl eine Pauschalantwort darauf, was so generell Akkus gut auflädt. Aber eben nicht unsere. Wir laden eher auf, wenn wir aktiv sind. Uns bewegen. Unterwegs sind. Den ganzen Tag rumsitzen kostet mich eher ganz schön viel Kraft, als dass es mir viel davon gibt. Dieses Wissen haben wir bei der Planung dieses Urlaubs aber wohl einfach ignoriert bzw. nicht berücksichtigt.

Nicht viel anders sieht es eigentlich im Alltag aus. Auch da lädt sich mein Akku nicht beim Rumliegen und Nichtstun auf. Wenn ich eine Pause von der Arbeit haben möchte, dann geht’s auf den Berg, raus zum Laufen, nehme ich mir ausführliche Lesezeit, mache ich Yoga. Da kommen Kopf und Körper auf ihre Kosten, dürfen mal an was anderes denken, was anderes machen.

Die letzen gemeinsamen Reisen waren eher „Aktivurlaub“. Mit viel Wandern und so. Das wollten wir in Kroatien schon auch machen. Aber eben nur ein bisschen. So waren dann auch neben den Tagen, an denen wir arbeiten „durften“ auch diejenigen mit am „erholsamsten“, an denen wir auf Achse waren. An denen wir auf Berge gestiegen, durch Nationalparks gewandert und mit Kajaks auf dem Meer herumgepaddelt sind.

Wir haben also irgendwie zwei Fehler gemacht, bei dieser Buchung: Wir dachten Monate im Voraus zu wissen, was wir ein halbes Jahr später brauchen würden. Und haben uns damit sozusagen die Wahl genommen. Dabei haben wir uns nicht an uns orientiert, sondern wir haben uns am „Man hat sich auf diese Art und Weise zu erholen“. Und ja, im Nachhinein kann ich mir auch nicht so ganz erklären, wie das alles so kommen konnte. Aber alleine für die Erkenntnis, nahe dran an einem Leben zu sein, von dem ich keine Pause brauche, hat sich das ganze Theater gelohnt.

Kroatien – Du schönes Land!

Und auch dieser dritte Aufenthalt in Kroatien hat meine Begeisterung für dieses Land nicht weniger werden lassen. Der Kontrast zwischen Bergen und Meer, das kristallklare Wasser – in dem sogar ich als alte Angsthäsin schwimmen war –, die umwerfend schöne Natur. Flüsse, Schluchten, Ausblicke, Inseln, Höhlen, Seen. So abwechslungsreich.

Die kleinen und großen Städte, in denen so viel Geschichte steckt. Der helle Steinboden, der in den Innenstädten nach Jahrhunderten schon ganz glatt gelaufen ist. Die Gebäude aus weißem Stein, die für die Gegend so typisch sind. Die vielen engen Gassen und Gässchen in Split, Zadar, Trogir und den vielen anderen kleinen und großen Städten entlang der kroatischen Küsten. Marinas und Häfen, in denen hunderte Boote liegen. Wo abends die Menschen zusammensitzen, draußen und in den Restaurants, die Lichter angehen und sich im Wasser spiegeln.

Kroatischer Schinken, kroatischer Käse, kroatische Oliven. Und die Kroaten an sich: so herzliche, gelassene, gastfreundliche Menschen. Unsere Vermieter hatten nicht nur bei der Ankunft kroatische Spezialitäten – auch Wein und Schnaps, den haben wir einfach ignoriert – für uns vorbereitet, sondern auch während des Aufenthaltes mit Gemüse und Obst aus dem eigenen Garten, mit kroatischer Schokolade und Eis versorgt.

Wenn ich an das Land und seine Einwohner denke fallen mir schnell pragmatisch, unaufgeregt, unprätentiös ein. Das mag für den ein oder anderen negativ klingen. Doch ich meine es von Herzen nett. Gefühlt wird hier deutlich weniger bewertet und kritisch beäugt als bei uns in Deutschland. Nach dem Motto: „Wenn du das so machen willst, dann mach doch. Ist Deine Sache.“

Abschied mal anders

Was an diesem Urlaub auch anders war, als an vielen früheren: Der Abschied, die Abreise, das Heimkommen ist mir wesentlich leichter gefallen, als das früher der Fall war.

Lange Zeit war das Ende einer Reise für mich richtig, richtig schlimm. Wenn ich unterwegs doch nicht ganz vor meinen dunklen Gedanken und Gefühlen sicher war, so gab es doch Ablenkung – und häufig viel Alkohol – die mir das Ausblenden, das Wegschauen leichter gemacht haben, als zuhause. Außerdem hatte ich eben lange ein Leben, was nicht wirklich zu mir, zu meinen Bedürfnissen passte. Es fühlte sich also häufig so an, als müsste ich nach einer wunderbaren Zeit des Auslaufs wieder zurück in den Käfig. Und regelmäßig waren die Zeiten nach Reisen dadurch die gefährlichsten für mich. Die Löcher, die in dieser Leere auf mich warteten, mit die schlimmsten.

Schon die letzten Tage einer Reise hatten für mich lange diesen fahlen Beigeschmack. Der Schmerz, über das Nicht-Enden-Wollen der schönen Zeit – es soll bitte immer so weitergehen. Das Wissen, dass die nächste Reise wohl erstmal etwas dauern würde. Die Trauer, nicht jede Einzelheit aus dem Urlaub mit nach Hause nehmen zu können. Die Angst vor dem, was zurück im Alltag wieder auf mich warten würde. All dies hat mir lange den Übergang vom Unterwegs-Sein zurück ins Wieder-Zurück sein richtig, richtig schwer gemacht.

Das war bei den letzten Urlauben und Reisen schon anders, aber dieses Mal habe ich es noch deutlicher wahrgenommen. Ja, da ist immer noch ein wenig Wehmut, wenn ich schöne Orte wieder verlassen, mich für eine Weile vom Meer verabschieden, lieb gewonnene Dinge nicht mit nach Hause nehmen kann. Aber gleichzeitig ist da viel Freude und auch Dankbarkeit für das Erlebte. Es hängt wohl auch damit zusammen, dass ich heute deutlich achtsamer, bewusster reise. Mir Zeit nehme, um wirklich wahrzunehmen, aufzusaugen, zu verinnerlichen – auf Instagram habe ich kurz nach unserer Rückkehr dazu geschrieben:

Nach all dem, was ich in den letzten Jahren gelernt habe, wie ich mich verändert habe und gewachsen bin, so sind auch diese Übergänge nicht mehr so gefährlich für mich. Vor allem, weil mein Leben zu Hause heute so viel besser zu mir passt als früher. Weil ich eigentlich fast so weit bin, ein Leben zu führen von dem ich keinen Urlaub mehr brauche. Weil ich erkannt und verstanden habe, dass das Leben ein ewiges auf und ab ist, und wir mit unserem verzweifelten Wünsch nach „Anhalten“ nur noch mehr leiden. Und auch, weil ich heute einfach viel achtsamer Reise. Ganz im Moment bin, und nicht in einer Gedankenwelt hunderte Kimometer entfernt. Weil ich genieße, wahrnehme, aufsauge – sehr oft ohne Handy. Und ich damit viele Erinnerungen schaffe, mit denen ich diese Momente doch irgendwie für immer bei mir behalte. Im Kopf, im Herz. 

https://www.instagram.com/p/BzV99ORiPje/

Die Zukunft des Reisens

Nach diesem Urlaub bleibt natürlich auch die Frage, wie wir solche Erlebnisse in Zukunft vermeiden können. Dass wir uns quasi einen Erholungsurlaub verordnen, der eigentlich gar nicht zu uns passt. Weil man das eben so macht.

Eines steht fest: Das Reisen werde ich nicht aufhören. Nur werde ich wohl auch dort besser werden darin, mich nach meinen bzw. nach Lasse und meinen Bedürfnissen zu richten. Und nicht nach gesellschaftlichen Normen oder Erwartungen. So wie es uns im Alltag ja auch schon wunderbar gelingt.

Und ja, natürlich darf auch der Nichtstu-Ausspann-Relax-Schlafen-Teil in Zukunft nicht zu kurz kommen. Aber verstanden zu haben, dass diese Teile zwar wichtig sind, aber die aktive Erholung quasi noch wichtiger, ist wohl ein ganz entscheidendes Puzzleteil. Ob das Wandern, Erkunden, Paddeln, Laufen oder Fahrrad fahren ist. Und all das sind Sachen, die wir ohne viel Aufwand auch im „normalen“ Alltag unterbringen können. Nach diesem Erlebnis vielleicht noch deutlich öfter.

Und dann ist da natürlich die Idee, das Reisen und Arbeiten einfach noch mehr bzw. noch besser miteinander zu koppeln. Warum die Mental Health Crowd nicht mal auf ein Boot nach Kroatien bringen? Um gemeinsam aufzuladen? Warum keine Crowd-Camps auf einer Berghütte oder am Meer veranstalten? Zusammen entdecken, aufladen, lernen und dabei auch noch wachsen, vielleicht sogar Geld verdienen? Fest steht: In der zweiten Woche Kroatien sind einige Ideen in unseren Hinterköpfen entstanden, die wir früher oder später mal etwas mehr verfolgen werden.


„Und, wie war der Urlaub?“

Wir sind nun schon seit zwei Wochen wieder zurück. Und natürlich werden wir gefragt, wie denn der Urlaub nun so war. Selten habe ich mich so schwer damit getan, eine kurze Antwort darauf zu geben. Natürlich könnte ich einfach „Gut“ oder „Schön“ sagen – denn das hat man nach einem Urlaub ja irgendwie zu sagen. Das erwarten die Leute. Wie toll erholt man ist und wie wunderbar alles war.

Aber wie für das Leben an sich gilt eben, es ist ein ewiges auf und ab. Und nur, weil unser Körper sich vielleicht an einen anderen Ort bewegt, heißt das eben nicht, dass alles mit einem Mal nur noch toll ist. Die ersten Tage in Kroatien waren auch ganz schön anstrengend. Dieses Nicht-Wissen-Wohin-Mit-Sich, dieses Fehl-am-Platz fühlen, dieses In-Frage-stellen. Das war nicht schön. Auch wenn Wetter, Land und Leute vom ersten Tag an toll waren.

Und so versuche ich auf diese Frage hin zu erklären, dass diese zwei Wochen neben Erholung, schönen Ausflügen und viel Sonne mir vor allem die Erkenntnis gebracht bzw. noch deutlicher gemacht hat, dass ich auf einem ganz schön guten Weg bin.

Einem Weg, von dem ich vor wenigen Jahren niemals gedacht hätte, dass ich ihn irgendwann mal beschreiten werde. Der mich zu einer Arbeit gebracht hat, die meine die ich liebe, mich motiviert und auch noch einen Sinn hat. Der mich Stück für Stück mehr zu mir bringt, zu meinem Kern, zu meinen Bedürfnissen. Ein Weg, den ich heute ohne Mr. A., ohne Selbstverletzung, ohne Suizidgedanken und Selbsthass beschreiten kann. Ein Weg, der oftmals ganz schön anstrengend war und ich heute erst erkenne, dass all dies dazugehört hat, dazugehören musste. Ein Weg, auf dessen weiteren Verlauf ich mich freue, der mir keine Angst, sondern Hoffnung macht.

All diese Erkenntnisse kamen im Gepäck mit zurück nach Hause. Und es gibt wohl wenig schönere Souvenire, mit denen man aus dem Urlaub heimkehren kann.

Essstörung und Borderline – „Iss doch einfach“

Lesezeit: 7 minuten

Essstörung und Borderline – „Iss doch einfach“

Ein Gastbeitrag von Anni, 19 Jahre. Neben der Borderline Persönlichkeitsstörung hat sie seit 5 Jahren eine Essstörung namens Anorexia Nervosa (Magersucht). Auf Instagram findet ihr sie unter @ancoffeelove. In ihrem Gastbeitrag schildert sie, wie sie den Kampf mit dem Essen erlebt hat, wie er bei ihr verlaufen ist, und wo man sich Hilfe suchen kann.

Über das Leben mit einer Essstörung und warum man sie wieder loswerden sollte ***TRIGGERWARNUNG***


Magersucht – „Hast du zu viel „Germanys Next Topmodel“ geschaut ?“

Tja, wenn das so einfach wäre. Aber leider musste und muss ich immer wieder die Erfahrung machen, dass viele Menschen genau so denken. „Magersüchtige, das sind die, die sich zu dick fühlen. Die, die nicht essen wollen. Und die, die nur Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchten.“

Wie komplex diese Erkrankung eigentlich ist, verstehen die wenigsten. Deshalb werde ich euch erzählen, wie das Leben mit einer Essstörung wirklich is(s)t.

Ich war 14 Jahre alt, als sich die ersten Symptome einschlichen.

Ich fühlte mich sehr unwohl in meinem Körper. Dazu kam, dass in diesem Jahr meine beiden Großeltern starben und es häufig Konflikte in meiner Familie gab. Es fing damit an, dass ich das Abendessen ausließ und sehr darauf achtete, mich möglichst gesund zu ernähren. Ich fing an Joggen zu gehen und probierte jede Ernährungsform aus, die damals in Mode war. Das ging circa ein Jahr so. Ich verlor etwas Gewicht, nahm wieder zu, alles in allem war es ein Auf und Ab. Und die Symptomatik blieb sowohl von mir als auch von meinen Eltern unbemerkt.

Im Herbst 2015 trennten sich meine Eltern. Ich stand in der Schusslinie, fühlte mich verantwortlich für die Trennung und wurde von beiden Eltern als „Seelischer Mülleimer“ (wie meine Therapeutin es später benannte) benutzt. Dazu kam, dass ich mich viel um meine jüngere Schwester kümmern musste, da meine Eltern sehr mit sich selbst beschäftigt waren. Und dass ich in der 11. Klasse (1 Jahr vor dem Abitur) war und auch die Schule und Klausuren anspruchsvoller wurden.

Kein Platz für die Gefühle

Unter diesen Belastungen und dem Stress reduzierte ich quasi intuitiv meine Portionsgrößen und hatte schließlich von Oktober bis Dezember 4 Kilo verloren. Ich bekam viele Komplimente und Anerkennung, was neu für mich war und gleichzeitig den Wunsch weckte, mehr Gewicht zu verlieren.

Im Januar 2016 zog ich mit meiner Mutter und meiner Schwester aus meinem Elternhaus aus, was mir sehr zu schaffen machte. Da sich aber alle und alles im Umbruch befand, hatten diese Gefühle in meinem Alltag keinen Platz, und ich fand kein Ohr, das bereit war mir und meinen Problemen gehör zu schenken.

Ich stieß über eine Bekannte auf eine App in der man seine Mahlzeiten eintragen und Kalorien berechnen konnte. Ab dem Zeitpunkt, würde ich sagen, stürzte ich ziemlich ab. Ich begann nach jeder normalen Mahlzeit selbst herbeigeführt zu erbrechen, trieb übermäßig viel Sport und reduzierte meine Portionsgrößen weiter. So ging es ungefähr von Januar bis April. Ich verlor weitere 6 Kilo. Langsam begann es meiner Mutter aufzufallen, jedoch war sie nicht wirklich offen und ihre halbherzigen Versuche mir zu helfen verliefen im Sand. Nicht zuletzt, weil ich zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht verstand, wie krank ich eigentlich war.

Ich schaute mir eine therapeutische Wohngruppe an, hatte zwei Termine bei einer Ernährungsberaterin. Alles ziemlich erfolglos. Für mich bedeutete der Wechsel aus Sport, Nicht-Essen, Essen und Erbrechen eine willkommene Ablenkung vom Trennungskrieg meiner Eltern und eine Möglichkeit all die unerwünschten Gefühle zu unterdrücken. Ich kotze, statt dass ich motzte (weiser Spruch meiner Therapeutin).

Die Welt (m)ein Zimmer

Irgendwann biss sich der Gedanke in mir fest, dass ich nur noch eine bestimmte Obergrenze an Kalorien zu mir nehmen durfte. Diese belief sich auf 200 Kalorien täglich, was ungefähr 2EL fettreduziertem Joghurt, 3 zerbröselten Vollkornkeksen und ein paar geschnittenen Erdbeeren entsprach. Von dieser „Nahrung“ ernährte ich mich von April bis Juni. Ich verlor 9 Kilo in diesen 2 Monaten, wurde zunehmend depressiver und verbrachte meine Tage zum Schluss nur noch bei heruntergelassenen Rollladen in meinem Bett, wo ich abwechselnd Harry Potter schaute, für meine Klausuren lernte oder mich an Kochbüchern und Essensvideos satt sah.

Ich war körperlich massiv geschwächt, schleppte mich nur noch unregelmäßig zur Schule. Auch dort wurde ich mittlerweile sowohl von Lehrern als auch von Schülern angesprochen. Ich wehrte jede Frage mit der Antwort „alles der Stress“ ab und ließ niemanden an mich ran. Und ich ging vollkommen aus dem Kontakt zu meinen Eltern.

Eine Woche bevor wir im Juni auf Kursfahrt fuhren (die ich mit Wasser, Salat und Jacke bei 33°C in Südfrankreich bestritt) schaute ich mir eine Spezialklinik für Essstörungen an. Die Krankenkasse lehnte jedoch aufgrund eines Fehlers im Antrag (falscher Body-Mass-Index) die Kostenübernahme ab. Zurück von der Kursfahrt war ich nicht mehr in der Lage von Sofa oder Bett aufzustehen. So fasste meine Mutter den Entschluss mich in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Nähe zu bringen.

Klinik Nummer 1

An die ersten zwei Wochen kann ich mich kaum erinnern, ich weiß noch dass ich dort erst einmal weitere 2 Kilo verlor. Insgesamt war ich 14 Wochen dort. Ich nahm bis zu einem gesunden Gewicht zu, schrieb von dort aus die nötigsten Klausuren um meine Abiturzulassung zu bekommen und spielte allen vor, ich hätte meine Erkrankung verstanden und wäre auf dem besten Weg der Genesung. Spoiler: Dem war nicht so.

Ich wurde Ende September 2016 entlassen, nur um postwendend in alte Muster zurück zu fallen. Ich ging 2 x wöchentlich zu Gewichtskontrolle zu meiner Ärztin und hatte einmal die Woche ambulante Therapie.

Der Knackpunkt war jedoch, dass es in meinem Umfeld genau die gleichen Probleme gab wie zuvor. Ich stand weiterhin zwischen den Stühlen meiner sich immer noch im Krieg befindenden Eltern. Mittlerweile hatten beide neue Partner und auch meine Schwester litt nach wie vor.

Ich stand also im Abitur, trug sowohl Konflikte mit meiner Mutter und ihrem Partner aus, als auch mit meinem Vater. Hatte die Verantwortung für meine Schwester, da meine Mutter sich ausschließlich um sich kümmerte und war immer noch genauso krank (wenn nicht kränker) wie zuvor. All das führte zwangsläufig dazu, dass ich langsam aber sicher wieder Gewicht verlor. Ich wechselte meine ambulante Therapeutin was mir half, mich selbst besser zu verstehen, trotzdem haperte es an der Umsetzung.

Neue Klinik, neuer Versuch

Am Tag meines Abiballs im Juli 2018 war ich erneut 9 Kilo von meinem Entlassgewicht entfernt. Lange wollte ich mir nicht eingestehen, dass es so nicht weiter ging. Ich verlor weitere 4 Kilo, meldete mich in einer sehr renommierten Klinik an. Irgendwann wies meine Ärztin mich mit einem Puls von 32 ins örtliche Kinderkrankenhaus ein. Dort angekommen bekam ich den lang ersehnten Anruf der Klinik. Ich durfte in einer Woche anreisen. Die letzte Woche verbrachte ich bei meinem Vater.

Mit einem BMI von 14 wurde ich schlussendlich aufgenommen.

Und diesmal wollte ich wirklich gesund werden. 5 ½ Monate verbrachte ich in Prien, bevor ich im Februar 2018 für ein sogenanntes Intervall für drei Wochen heim ging. Aus diesen drei Wochen lernte ich, dass ich dort niemals wieder einziehen kann. Ich verlor erneut Gewicht und hatte einfach keine Chance, all das erlernte anzuwenden. Ich verbrachte erneut vier Monate in der Klinik, bevor ich im Juli in meine erste eigene WG nach München zog. 800 Kilometer von Zuhause weg.

Die Klinik hat mir wirklich wirklich viel gebracht. Nirgendwo sonst, habe ich so viel Verständnis, Wertschätzung und Hilfe bekommen. Ich habe gelernt mich zu verstehen, zu reflektieren, und nicht nur mir die Schuld für alles und jedes zu geben.

Ich habe in der Klinik eine weitere Diagnose bekommen, die mich sehr umgehauen hat. Emotional-Instabile Persönlichkeitsstörung. Ich hatte seit Jahren Probleme mit Selbstverletzung, die sich durch das Erreichen und Halten eines gesunden Gewichts massiv verstärkten. Als ich entlassen wurde, schaffte ich es mich sehr gut an die Mahlzeitenstruktur und mein Gewicht zu halten. Jedoch nahm das Problem mit dem Schneiden neue Ausmaße an.

Im Oktober 2018 begann ich eine Ausbildung, die leider gut verdrängte Traumata antriggerte. Ich hatte mit Dissoziationen und Flashbacks zu kämpfen und rutschte ohne es richtig wahrzunehmen erneut in die Essstörung. Ich verlor innerhalb von 8-10 Wochen 11 Kilo. Und wurde im Januar erneut in der Klinik aufgenommen.

Essstörung ist mehr als dünn-sein-wollen !

Jede Art der Essstörung, egal ob Anorexie, Bulimie oder Binge-Eating ist eine sehr belastende, komplexe und vielschichtige Erkrankung, die keinesfalls auf ein einfaches Schlankheitsstreben runtergebrochen werden kann. Sie ist Ausdruck eines tiefen seelischen Leids und muss ernst genommen werden.

Es gibt viele Gründe für die Entstehung einer Essstörung, dabei ist jeder gleich schwerwiegend. Egal ob ein Wunsch nach Aufmerksamkeit dahinter steht, ein Betäuben und Verdrängen von unangenehmen Gefühlen, das Verlangen nach Kontrolle oder ein geringes Selbstwertgefühl, welches man durch das Gefühl dünn und dadurch schön zu sein steigern möchte.

Spoiler: Du wirst niemals dünn genug sein und eine Essstörung drückt (falls möglich) deinen Selbstwert nur noch mehr in den Keller anstatt ihn zu steigern.

Eine Essstörung zu haben bedeutet, sein Leben zu verpassen. Ich selbst konnte nicht mehr feiern gehen, weil Alkohol zu viele Kalorien hat. War 24/7 mit Gedanken über essen und nicht-essen beschäftigt, sagte Verabredungen ab, zog mich zurück, wenn ich draußen, war fror ich selbst im Sommer. Ich konnte nicht mehr lachen, keinen Spaß haben, war kraftlos und depressiv. Ich habe den Großteil meiner Jugend in Krankenhäusern und Kliniken verbracht. Nichts woran ich mich in 10 Jahren gerne erinnern möchte.

Langzeitfolgen von Essstörungen

Egal um welche Art der Essstörung es sich handelt, auch die körperlichen Folgen sind sehr gefährlich. Durch das anorexiebedingte Untergewicht entstehen nicht selten Herzfehler, schwere Nährstoffmangel, Osteoporose sowie Magen-Darm-beschwerden bis hin zur Unfruchtbarkeit. Menschen die unter Bulimie leiden (Essanfälle mit anschließendem Erbrechen oder Fastenperioden als Ausgleich), haben ebenfalls häufig Nährstoffmängel (v.a. Probleme mit dem Elektrolythaushalt durch das Erbrechen), bis hin zu Verätzungen in der Speiseröhre (Magensäure) und in Extremfällen Risse in der Magenwand durch die große Essensmenge die bei einer Essattacke aufgenommen wird (ca. 10.000 Kalorien pro Essanfall innerhalb weniger Minuten). Auch das Übergewicht, dass häufig ein Symptom der Binge-eating-Störung ist, hat gefährliche gesundheitliche Folgen. Es schlägt sich auf Knochen und Gelenke aus, kann zu Diabetes, Bluthochdruck, Antriebslosigkeit und Arthrose führen.

Ihr seht schon, auch in diesem Fall existieren viele einfache und oberflächliche Vorurteile gegenüber einer psychischen Erkrankung. Was nicht zuletzt daran liegt, dass es für die meisten Menschen absolut unverständlich ist, warum man sich das Essen verbietet, nach dem Essen absichtlich erbricht oder nicht aufhören kann zu essen. Manche Menschen wollen es auch schlichtweg nicht verstehen.

Ich für meinen Teil gehe offen mit meiner Erkrankung um, bin bereit Fragen zu beantworten und zu erklären. Keinesfalls aber zu rechtfertigen. Eine Essstörung bekommt man schließlich nicht, weil der Wind ungünstig steht, man es sich aus Langeweile überlegt hat oder es grade in Mode ist. Ich möchte nochmal erwähnen, wie furchtbar der Kampf um jeden Bissen, ums nicht bewegen und um die Gewichtszunahme ist. Es kostet Kraft, Überwindung und sehr viel Mut. Häufig fließen auch Tränen, wenn sich alles in einem gegen das Essen sträubt, du aber trotzdem essen musst.

Ich hoffe, euch ist durch meine Geschichte und den Infoteil ein bisschen klarer geworden, wie schlimm Essstörungen sind und dass es wichtig ist, sich Hilfe zu holen.

Schlussworte und Hilfe

Falls ihr das Gefühl habt, keine normale Beziehung zum Essen zu haben, sprich, dass ihr euch Essen verbietet, das Gefühl habt Sport treiben zu müssen obwohl ihr nicht wollt, regelrecht Heißhunger zu verspüren, den ihr nicht unterdrücken könnt und dadurch in kurzer Zeit sehr viel essen zu euch nehmt etc., sucht euch bitte Hilfe!

Diese können Eltern, Lehrer, Freunde oder Infohotlines und Hilfenummern sein. Ich werde euch einige informative Seiten verlinken auf denen ihr nochmal konkretere Listen mit Symptomen und Klassifizierungen findet sowie Hilfehotlines und Ansprechpartner.

Hier einige seriöse Seiten. ACHTUNG: Es kursieren viele Seiten, die Essstörungen verherrlichen und als lohnenswert darstellen. Finger weg von sogenannten „Pro-Ana-/ Thinspiration-Seiten“ !


Zur „Die Psychotanten“-Podcast Folge zum Thema Essstörungen, in denen Anke erzählt, wie es bei ihr war (ohne Borderline) geht’s hier.

Wie wird man Mental Health Advocate?

Lesezeit: 12 minuten

Wie wird man Mental Health Advocate?

In den letzten Wochen und Monaten haben mich viele Anfragen erreicht, die sich im weitesten Sinne um die Frage „Wie wird man Mental Health Advocate“ drehen. Menschen, die auch etwas verändern wollen. Angehörige, Profis aber vor allem auch Betroffene, die rausgehen wollen aus der Tabuecke. Die auch mit und vor anderen über ihre Erfahrungen sprechen möchten. Damit sich etwas ändert. Zu gern würde ich mir für jeden einzelnen Zeit nehmen. Erzählen, Fragen und Herausfinden, wie ihr oder sein Weg aussehen könnte. Denn das schon gleich vorne weg: Den einen Weg gibt es wohl nicht. Deswegen kann ich auch nicht sagen, wie „man“ das wird. Aber ich kann euch erzählen, wie es bei mir war. Schritt für Schritt:


Dieser Artikel ist nun (m)ein Versuch, vielleicht ein paar von euch dabei zu helfen, selber die ersten Schritte zu gehen. Wenn wir uns schon nicht zusammen setzen können.

Step 1: Erkennen

Nun, am Anfang muss wohl die Erkenntnis stehen, dass irgendwas in unserem Land nicht so ganz richtig läuft. Jedenfalls wenn es um psychische Gesundheit geht. Das, gepaart mit dem Willen, etwas zu verändern, sind wohl die wichtigsten Voraussetzungen. Bei mir war es eine Gruppentherapie in Hamburg, bei der ich sozusagen den Entschluss gefällt habe, dass es so nicht weitergehen kann. Die Scham manch Anwesender, die Ängste, die Irrationalität im Umgang mit ihren Krankheiten, hat mich schockiert, wachgerüttelt – und motiviert.

Denn dort oben habe ich auch erkannt, dass nicht jeder sich neben den täglichen Herausforderungen, vor die einen das Leben eh schon stellt und die durch psychische Krankheiten nicht gerade verringert werden, auch noch Kraft hat, sich mal eben für einen anderen Umgang damit einzusetzen. Ich aber hatte Ressourcen. Denn sobald ich aufgehört hatte, mich zu verstecken, verstellen und anderen heile Welt vorzuspielen, waren da auf einmal richtig viele Kräfte. Viel Power, die ich vorher verschwendet habe und die ich nun einsetzen konnte und wollte.

Trotzdem stand natürlich an erster Stelle, dass ich mich erstmal selber auf die Reihe bekommen muss, bevor ich die Welt rette. Darauf habe ich mich dann die nächsten Wochen auch erstmal schön brav konzentriert. Der Wunsch aber, was am absurden Umgang mit Mental Health zu verändern, blieb.

Step 2: Sortieren

Mein erster Schritt bestand dann in diesem Blog, auf dem ihr gerade unterwegs seid. Da Schreiben mir schon immer lag und so ein Blog heutzutage ja doch recht schnell aufgesetzt ist, waren die Hürden entsprechend klein. So ging knapp ein Jahr nach meiner Entlassung aus der Klinik Traveling | the | Borderline online.

Ich habe also nicht sofort angefangen, vor anderen über meine Erfahrungen, meine Probleme, meine Diagnosen und meine Geschichte zu reden, sondern habe erstmal mit mir und der Tastatur geredet. Ausführlich. Und das war – aus heutiger Sicht – auch enorm wichtig.

Das Schreiben hat mir erlaubt, die Dinge einmal selber gründlich zu durchdenken. Ich kann keinen Blogartikel über ein Borderline-Symptom schreiben und darüber, wie es für mich ist, ohne mich nicht richtig damit zu beschäftigen. So habe ich beim Schreiben viele Dinge für mich sortiert, und einiges auch erst im Prozess verstanden. Ich habe Zusammenhänge entdeckt, Worte gefunden die mir selber dabei geholfen haben zu merken, was meine Krankheiten eigentlich mit mir machen.

Ich rate heute jedem, diesen Prozess des Sortierens auf irgendeine Art und Weise zu durchlaufen, bevor man anfängt, weiter nach außen zu gehen. Man muss nicht schreiben, das ist klar. Malen, Singen, Musik generell, Tanz, Fotografie, Gedichte, Gespräche, Kunst – all das kann dabei helfen, diese formlosen Dinge in uns greifbarer zu machen. Und damit einfacher zu teilen.

Step 3: Ab in die Schule

Dass es Schulprojekte gibt, bei denen Betroffene in Klassen gehen, wusste ich noch aus meiner Bachelorarbeit. In der es darum ging, wie man Stigmatisierung psychisch kranker Menschen bei Jugendlichen verhindern kann. Die Projekte, auf die ich stieß fand ich toll und wusste aus der Recherche auch, dass sie statistisch signifikante Effekte erzeugen. Sie funktionieren also. Trotzdem dauerte es noch ein paar Monate bis ich zum ersten Mal Kontakt mit Irrsinnig Menschlich aufnahm.

Danach dauerte es aber nicht lange und ich ging selber regelmäßig in Schulen. Bald wollte ich mehr und meldete mich noch bei einem zweiten Schulprojekt namens BASTA an. Die Konzepte unterscheiden sich im Detail, im Mittelpunkt steht aber immer die Begegnung mit einem Menschen, der selber Erfahrungen mit psychischen Krankheiten gemacht hat. Mittlerweile bin ich nun seit circa drei Jahren dabei, gehe durchschnittlich zwei Mal im Monat in eine Klasse – und liebe es.

Ja, manche Klassen sind anstrengend. Jede Klasse ist anders. Man weiß nie so richtig, was einen erwartet. Manchmal sitzen quasi Psychologie-Profis vor uns. Manchmal müssen wir erst erklären, wie man Depression schreibt. Und ja, 90 Minuten Seelenstriptease vor 20 Schülern ist nicht ohne. Manchmal reden wir nur über Borderline, andere Male gehen wir meine komplette Biografie durch, und wieder andere Male liegt der Schwerpunkt bei Suizid, Depression, Selbstverletzung, Therapie oder Medikamenten.

Mir ist immer wichtig, dass die Schüler merken, dass sie mich wirklich alles fragen können. Und das tun sie auch. Manchmal wünschte ich, ich hätte alle Fragen mitgeschrieben, die mir je gestellt wurden. Und so komisch oder seltsam manche Frage zuerst vielleicht anmutet, wie tief manche auch gehen, mir ist lieber sie stellen sie mir als dass sie sich bei Google auf die Suche nach Halbwahrheiten verirren. Und ja, mir ist auch wichtig, dass zwischendurch mal gelacht werden darf.

Bei beiden Projekten gibt es eine kleine finanzielle Aufwandsentschädigung. Die für mich aber eher ein netter Nebeneffekt ist, da ich diese Arbeit ja nicht für das Geld mache. Aber die Dankbarkeit, der Respekt, die Offenheit sind es, die es jedes Mal wieder Wert sind, meine Geschichte zu erzählen.

(Über den genauen Ablauf der Schulprojekte gibt’s bald einen eigenen Post)

Step 4: Vernetzung

Den nächsten Schritt fasse ich unter „Vernetzung“ zusammen. Denn über BASTA bin ich beim Münchner Aktionsbündnis für Seelische Gesundheit ZehnZehn gelandet. Quasi zeitgleich wurde ich Mitglied bei Mental Health Europe, bei der Deutschen Depressionsliga, dem Münchner Bündnis gegen Depression und habe beim Borderline-Trialog München angefangen.

Ich habe mich online umgeschaut, was es für tolle Initiativen, Bündnisse, Verbände und Vereine gibt – und habe richtig viel gefunden. Man muss nicht alles neu erfinden sondern kann erstmal schauen, was vielleicht schon existiert. Ich bin mit offenen Augen durch die Welt gelaufen, hinzu kamen immer wieder Tipps und Hinweise über meine Mutter und andere aufmerksame Menschen die gemerkt haben, wie sehr das Thema mich packt.

Mittlerweile hat mein Netz sich verdichtet. Es gibt viele tolle Menschen mit ähnlichen Zielen, Vorstellungen und Motivationen, mit denen ich auf die ein oder andere Art und Weise zusammenarbeite. Dabei ist diese Zusammenarbeit ein Geben und Nehmen. Für kaum etwas dieser Arbeit bekomme ich Geld, aber ich bekomme etwas noch viel wertvolleres: Kontakte, Mitstreiter, Unterstützer, Partner, Gleichgesinnte, Möglichkeiten, Aufträge, Sichtbarkeit.

So wirke ich mittlerweile an diversen Veranstaltungen mit, bin Senior Policy Advisor von MHE geworden, werde für Vorträge angefragt, helfe bei Social Media Auftritten, schreibe Gastbeiträge, empfehle weiter oder kann im Zweifelsfalls den entscheidenen Kontakt herstellen. Vor wenigen Jahren noch habe ich mich selber für eine richtig schlechte Netzwerkerin gehalten. Heute weiß ich: Das stimmt nicht. Aber ich musste erst die Sache finden, für die es sich lohnt.

Step 5: Namen finden

Das war tatsächlich lange Zeit ein ganz schönes Problemchen: Wie nenne ich das, was ich tue? Wenn andere mich fragten, wollte ich mehr sagen als „Ich bin Betroffene“. Das war einfach nicht genug.

Als eh schon Englisch-affiner Mensch hatte ich im Netz immer wieder diesen Begriff gelesen – „Mental Health Advocate“. In England, Amerika, Australien und Neuseeland ist Advocate ein feststehender Begriff. Nicht nur in Verbindung mit Mental Health, auch für Umwelt oder andere Themen. Man setzt sich für eine Sache ein, möchte etwas verändern. Eine wirklich gute, deutsche Übersetzung gibt es meines Wissens nach nicht. Advocate heißt wörtlich übersetzt „Anwalt“ – aber ich hab ja kein Jura Studium. Auch Botschafter, Befürworter, Verfechter spuckt die Übersetzungsseite leo.org aus. Klingt alles nicht so wirklich sexy. Zwischendrin gab es auch mal die Variante Mental Health Aktivistin, aber das war mir irgendwie zu hart.

Ich habe also lange gesucht und bin dann einfach bei diesem Titel geblieben. Als ich angefangen habe, ihn zu benutzen, bekam ich noch viele fragende Blicke. Aber je öfter ich ihn verwende, desto mehr scheinen sich die Leute daran zu gewöhnen. Und vielen, vor allem jüngeren Menschen, muss ich auch gar nicht viel dazu erklären.

Seit dem Buch darf ich mich ja darüber hinaus auch „offiziell“ Autorin nennen. Daher stelle ich mich heute meistens als „Bloggerin, Autorin und Mental Health Advocate“ vor. Mit dieser Kombination kann jeder was anfangen. Und die Frage „Was macht ein Mental Health Advocate denn?“ hat schon so manch schönes Gespräch entstehen lassen.

Auch wenn ich nicht die einzige bin, die sich in Deutschland für das Thema Mental Health einsetzt, so ist die hauptberufliche Auseinandersetzung ohne Therapeuten-Ausbildung oder Prof. Dr. Dr.-Titel doch noch eine Seltenheit. Und so musste ich mir das Berufsbild quasi selber schaffen. Und durfte ihm selber einen Namen geben. Auch ziemlich geiler Scheiß, wenn man sich das mal so überlegt …

Step 6: Dranbleiben

Dieser Tage sieht es für manchen so aus, als wäre ich quasi aus dem Nichts aufgetaucht, hätte von jetzt auf gleich die Sichtbarkeit, die ich nun habe. Aber das ist falsch. Als ich mit dem Blog gestartet bin und viel zum Thema gelesen habe stieß ich immer wieder auf die eine Aussage: Durchschnittlich dauert es drei Jahre, bis ein Blog „erfolgreich“ ist.

Was in meinem Fall nun „erfolgreich“ heißt, ist gar nicht so leicht zu sagen. Aber das mit den drei Jahren stimmt ziemlich genau. Denn seit dem letzten, dem dritten Jahr, kommen die Dinge richtig ins Rollen. Davor habe ich viel, viel Zeit und Arbeit investiert, ohne zu wissen, ob es sich eines Tages lohnen würde. Einfach, weil ich nicht anders konnte. Weil ich so überzeugt von meiner Aufgabe war – und bin.

Ich habe Fehler gemacht und irgendwann vor allem gelernt, dass ich vertrauen kann – und muss. Dass die Dinge sich schon so entwickeln, wie sie sich entwickeln wollen; dass wenn ich zu sehr anfange strategisch zu denken oder zu planen, es nicht funktioniert; dass das wichtigste ist, authentisch und bei mir zu bleiben; dass ich lieber jeden Tag einen Follower dazu gewinne als von heute auf morgen Hunderttausend Abonnenten zu haben; dass ich mir und meinen Werten treu bleiben darf und mich nicht verbiegen muss.

Vieles – oder das meiste – von dem, was in den letzten Monaten und Jahren passiert ist, hätte ich so niemals planen können. Weder dass ich nichtsahnend eine Podiumsdiskussion an der TU München besuche und dort Marcel kennen lernen würde, mit dem wir wenige Monate später #TUM4MIND rocken. Noch dass ich irgendwann bei ZDF Volle Kanne sitzen würde. Sobald ich angefangen hatte und der Stein einmal ins Rollen gekommen war, gab und gibt es kein Halten mehr.

Step 7: Das liebe Geld

Natürlich interessiert es viele Menschen besonders, ob ich denn heute wirklich davon leben kann, über Mental Health zu sprechen. Und im weitesten Sinne kann ich das. Im weitesten Sinne deswegen, weil ich immer wieder auch Aufträge annehme, die nur indirekt was damit zu tun haben.

Ich bin ja in die Selbstständigkeit gestartet ohne den Plan, Mental Health Advocate zu werden. Ich habe hauptsächlich geschrieben, übersetzt, Websites erstellt und Social Media-Beratung gemacht. Und bis heute machen diese Jobs einen gewissen Anteil meiner Arbeit aus. Entweder, weil es längerfristige Aufträge waren. Oder weil ich Lust drauf habe. Denn den Luxus habe ich inzwischen: Wenn ein neuer Job so gar nichts mit meiner Mission, meiner Haupttätigkeit zu tun hat, dann nehme ich ihn auch nicht an. Wenn aber Partner oder Träger aus „meinem“ Bereich Unterstützung brauchen, so mache ich das doppelt gerne. Zum Beispiel habe ich in den letzten Wochen dem Paritätischen Landesverband Bayern dabei geholfen, für die landesweite Aktionswoche Selbsthilfe den „wir-hilft-Blog

Oben schreibe ich, dass ich vieles von dem, was ich tue, ohne eine finanzielle Gegenleistung mache. Oder nur gegen eine sehr geringe. Aber es ist nicht mehr alles. Mindestens die Hälfte, wenn nicht sogar noch mehr meiner Zeit, meiner Arbeit mache ich sozusagen ehrenamtlich. Aus reiner Überzeugung. Bis im letzten Jahr hat mich ein Gastro-Job dabei unterstützt. Ende letzten Jahres, als auch das Buch in Sichtweite war und langsam mehr Aufträge und Anfragen reinkamen, habe ich dann den Sprung gewagt in die volle Selbstständigkeit. Ich habe mir Zeit gelassen und herausgefunden, ob das alles etwas ist, was ich mir dauerhaft als meine berufliche Tätigkeit vorstellen kann. Und ich kann.

Vor allem musste – oder muss ich immer noch – lernen, zu verhandeln. Leider gab es in dieser Beziehung auch ein paar unschöne Erlebnisse. Wenn ich zum Beispiel für einen Vortrag angefragt werde und es selbstverständlich ist, dass der andere Referent mit Prof. Dr.-Titel ein saftiges Honorar bekommt – ich aber doch bitte froh sein soll, wenn die Fahrtkosten übernommen werden. Nach und nach bin ich frecher geworden und habe manche Dinge auch schon abgesagt. Weil auch das für mich Stigmatisierung ist. Und auch, wenn ich nicht reich werden will mit dieser Arbeit, so muss ich doch von irgendetwas meine Miete zahlen. Und weiß inzwischen eben auch, dass es oft genug vorkommt, dass das Publikum aus meinem lebendigen, frischen Vortrag am Ende mehr mit nimmt als bei der fachlich sachlichen Präsentation des Herrn Doktor.

Um meine Arbeit zu entspannen bzw. mich noch mehr auf den Mental Health Bereich zu konzentrieren überlege ich inzwischen auch, ob ich mal bei Stiftungen & Co auf die Suche nach einer Art Sponsoring gehe. Denn es gibt viele Menschen in diesem Land, die ein (finanzielles) Interesse daran haben, dass sich etwas ändert. Und ich weiß, dass in anderen Themenbereichen solche Förderungen existieren. Und auf Dauer bzw. ab Herbst soll natürlich auch BERG & MENTAL seinen Teil dazu beitragen.

Step 8: Medien

Schreiben und sprechen liegt mir. Auch das sprechen vor vielen Leuten, auf großen Bühnen oder vor einer Kamera macht mir nichts aus. Das geht aber nicht jedem so. Und deswegen muss auch nicht jeder zwangsläufig den Weg in die Medien finden. Da es aber doch früher oder später dazu kommen kann, hier ein paar Erfahrungswerte, die ich schon machen durfte, musste:

Auch Journalisten können sich mit Mental Health auskennen. Auch Journalisten können keine Ahnung davon haben. Besonders bei letzterer Sorte ist wichtig zu sagen, dass hinter etwaigen unglücklichen Aussagen oder Benutzung von Klischeebildern im Zweifelsfall keine böse Absicht steckt. Sondern schlicht Unwissenheit. Und genau so oft Unsicherheit. Genau deswegen ist es ja so wichtig, dass sie sich mal anhören, wie das wirklich ist.

Und ja, im Journalismus gilt leider der Satz „If it bleeds, it leads“ – also quasi je dramatischer die Nachricht, desto „besser“. Im gewissen Rahmen ist das ok, wenn es aber nur darum geht wie tief ich mich mal verletzt habe oder wie viel ich getrunken habe und wie schlimm überhaupt alles war, dann darf ich etwas sagen. Klar und deutlich. Oder das Gespräch charmant in eine andere Richtung lenken.

Ebenso kann es eine gute Idee sein, den Medienmachern bei der Bildauswahl zu helfen. Damit eben nicht immer die gleichen schwarz-weißen Klischeebilder in den Beiträgen landen. Man darf sagen, was gar nicht geht und auch, was bitte gehen muss, was einem wichtig ist. Man darf darauf bestehen, vor Veröffentlichung einmal drüberzuschauen oder zu lesen. Und man darf auch Nein sagen, wenn man kein gutes Gefühl hat.

Auch hier habe ich natürlich vor allem zu Beginn einige Fehler gemacht, musste auch erst lernen. Habe mich mal hingesetzt und mir überlegt, was bei den Zuschauern oder Lesern hängen bleiben soll, wenn sie etwas über mich sehen oder lesen. Habe mir Kernaussagen und Botschaften herausgesucht, die ich versuche immer unter zu bringen. Und habe immer besser gelernt, schon im Vorfeld einiges zu klären, damit es nicht zu bösen Überraschungen kommt – was ja leider auch schon der Fall war.

Step 9: Freuen und Stolz sein

Und das ist wohl der Punkt, an dem ich selber noch am meisten scheitere. Inne halten, auf die Schulter klopfen, sacken lassen, freuen. Bei so einem Berg an Arbeit, der da noch vor uns liegt, bei den vielen Missständen die ich jeden Tag wieder sehe, hört die Arbeit einfach nicht auf. Um so wichtiger ist es, immer wieder inne zu halten. Mal zurück zu schauen. Auf den Weg, den ich schon geschafft habe. Auf die vielen Menschen, die ich schon erreicht habe. Die vielen Meilensteine, über die ich schon gesprungen bin.

Wenig von all dem fühlt sich für mich groß an. Auch, dass mir regelmäßig Menschen „Mut“ bezeugen oder „Respekt“ vor mir und meiner Arbeit haben, kommt mir komisch vor. Aber natürlich haben sie in gewisser Weise recht. Noch ist es mutig bis außergewöhnlich sich so voll und ganz zu diesem Thema zu bekennen. Aber genau das muss sich ja ändern. Ich wünsche mir, dass es irgendwann nicht mehr „mutig“ ist, offen über seine psychischen Erkrankungen zu reden.

Aber ich schweife ab. Vor lauter neuen Aufgaben, Entwicklungen und auch Möglichkeiten vergisst man nur allzu leicht das Auge für die eigenen Leistungen. Und so ist es wohl gut, wenn mich immer wieder Freunde oder auch wildfremde Menschen daran erinnern, dass es für mich vielleicht normal sein mag, was ich tue. Aber für andere ist es mehr.

Vor kurzem kam mir beim Laufen der Gedanke, als der Kopf mal wieder in komische Richtungen lief, dass ich vielleicht jemand anderes Chester bin. Chester Bennington, der Sänger von Linkin Park, hat mir mit seinen Texten, seiner Musik Mut gemacht. Er hat mich teilweise durch meine Depression und von Suizidgedanken weg getragen bzw. gesungen. Weil ich, auch ohne ihn jemals getroffen zu haben, wusste, dass ich nicht alleine bin. Er hat nie erfahren, welch großen Einfluss er auf mein Leben hatte. Und wer weiß, vielleicht gibt es da draußen jemanden, in dem meine Worte, mein Buch, meine Arbeit etwas ähnliches auslösen. Darauf wäre ich stolz.

Step 0: Selbstfürsorge

Nein, kein Tippfehler – nach Step 9 kommt die Grundlage all dieser Schritte: Selbstfürsorge.

Man macht sich verletzbar und angreifbar, wenn man sich vor andere Menschen hinstellt und so persönliche Dinge preisgibt. Deswegen ist für mich wohl eine der wichtigsten Sachen: Du selber musst Dir darüber klar sein, dass Du nicht schwach bist, es nicht deine Schuld ist sondern dass du krank bist. Das muss sitzen und bis in dein inneres vorgedrungen sein.

Mental Health Advocate bedeutet nicht, perfekt oder geheilt sein zu müssen. Für mich bedeutet es, auch offen über die unschönen Momente, Stunden, Tage, Gedanken, Gefühle zu sprechen. Nichts zu beschönigen, nichts wegzulassen. Keine Angst davor zu haben, auch mal zu sagen, dass es der Depression heute besser geht als mir. Denn genau das ist im Zweifelsfall das, was anderen Mut macht. Schwäche zu zeigen bedeutet in diesem Fall wahre Stärke.

Leider gibt es Beispiele von Mental Health Advocates, die an dem Druck gebrochen sind. Die vor ihrer Community nicht zugeben konnten, wollten, dass es ihnen doch wieder schlecht geht. Das sie einen Rückfall hatten oder vielleicht doch nicht alles so rosig ist, wie es sich auf Instagram so leicht darstellen lässt. Aus Angst, ihren Followern ein falsches Vorbild zu sein? Weil es vielleicht extra viel Kraft kostet zu sagen „Mir geht es nicht gut“ wenn man lange und professionell kommuniziert hat, dass man die Krankheit besiegt hat? Nur Vermutungen.

Ich für meinen Teil musste auch erst lernen, wie ich bei diesem ganzen Thema gut auf mich aufpasse. Musste lernen, mit nach Schulprojekten nicht noch anstrengende Termine zu setzen. Dass ich nach Lesungen nochmal mindestens genau so viel Kraft brauche für die Gespräche. Ich musste lernen zu kommunizieren „Schluss jetzt, mein Akku ist alle“ auch wenn es Menschen gibt, die gerne noch mit mir gesprochen hätten. Aber ich kann nicht von Selbstfürsorge sprechen, wenn ich mich selber nicht dran halte.

Meine Mental Health Advocate-Tipps:

  • zwinge dich nicht sondern geh dein Tempo
  • nicht jeder muss auf Bühnen stehen und Bücher schreiben – auch der offene Umgang mit den eigenen Angehörigen kann für viele schon ein enormer Schritt sein
  • such dir Gleichgesinnte – online oder offline
  • schau was in deinem Heimatort schon für Angebote vorhanden sind
  • überlege Dir, was Dir geholfen hätte – mir sind die Schulprojekte auch deswegen so wichtig weil ich glaube, für mich hätte es viel geändert wenn mit mir jemand in der Schule über diese Themen gesprochen hätte
  • Auf die eigenen Stärken setzen! Hätte ich über Mental Health malen oder singen müssen, wäre es wohl alles deutlich anders gekommen

Ich hoffe, euch mit dem Beitrag ein paar Anhaltspunkte gegeben haben zu können, die euch auf eurem Weg helfen. Ob wir am Ende nebeneinander auf der Bühne stehen und für einen anderen Umgang mit psychischer Gesundheit eintreten, ob ihr in eurem Umfeld verändert, wie darüber gesprochen wird. Ob ihr euch einem Projekt anschließt oder was neues auf dem Boden stampft – jeder, der sich dafür einsetzt, dass wir offener, früher, normaler, mehr, besser über Mental Health reden, wird von mir gefeiert. Und darf sich die 28 Millionen Menschen vorstellen, für die wir stehen (jeder Dritte Deutsche einmal im Leben betroffen, dann kommt man auf diese Zahl) – das hilft mir enorm, wenn ich mal wieder ein bisschen Motivation brauche.

Noch sind wir Pioniere, Vorreiter, müssen Wege suchen und schaffen. Aber je mehr von uns zeigen, dass Mental Health ihnen wichtig ist, desto mehr können wir erreichen.

#mentalhealthrocks #mentalhealthadvocate #redenhilft #zuhörenauch

Oh Mann, Depression!

Lesezeit: 4 minuten

Oh Mann, Depression!

Ein Beitrag von Marcel. Darüber, wie sich die Depression für ihn angefühlt hat. Darüber, dass Männer die Krankheit anders erleben als Frauen. Und darüber, es dringend an der Zeit ist, über gewisse Klischees hinweg zu kommen.


Vorwort von Dominique

In den letzten Jahren habe ich verstanden, dass Männer psychische Probleme anders erleben. Sie anders damit umgehen. Sie sich anderen Vorurteilen und Klischees stellen müssen. Dass Fußball in unserem Land wohl unter anderem deswegen so wichtig ist, weil vor allem viele Männer hier „Emotionsoutsourcing“ betreiben können: Im Stadion darf geweint, umarmt, gejubelt, getrauert, berührt werden.

Ich habe aber leider auch verstanden, dass bei Männern noch viel mehr als bei Frauen der gesellschaftliche Druck ist, der davon abhält, sich Hilfe zu suchen. Und deswegen bedanke ich mich bei jedem Mann, der offen auch über seine unschönen Gefühle spricht. Oder dass er überhaupt welche hat. Der zugibt, dass auch er sensibel ist. Der sich so akzeptiert, wie er ist. Der nicht länger das „Starke-Mann-Theater“ mitmacht.

Und ich habe verstanden, dass es für Männer andere Angebote braucht um zu schaffen, dass sie sich mit sich selber beschäftigen. Deswegen bin ich großer Fan von Jeremy Forbes und seiner Baumarkt-Idee oder AndysManClub. So gern ich würde, aber an dieser Stelle ist mein Einfluss wohl beschränkt. Deswegen bin ich um so froher, dass es Männer gibt, die das übernehmen. So wie zum Beispiel Matt Haig, der inzwischen eine Art Symbolfigur geworden ist. Oder wie die beiden Beispiele oben. Oder eben unseren Marcel. Danke, dass Du Dich traust!


Ich habe mir ganz, ganz lange Gedanken darüber gemacht, wie ich das Thema „männliche Depression“ angehen oder beschreiben soll. Das Thema scheint ja im Moment überlagert von dem Begriff der „toxischen Männlichkeit“. Dieser Begriff, ich versuche ihn bewusst zu vermeiden, soll uns ja sagen, dass Männer, die weder Gefühle zeigen noch Schwäche zulassen, irgendwann mit psychischen Problemen zu kämpfen haben.

Phänomen Geschlechterparadox

Ich möchte den Begriff zunächst einmal außen vor lassen und an dieser Stelle ein Phänomen benennen, das in der Psychologie Fragen aufwirft. Das Geschlechterparadox beim Suizid zeigt nämlich, dass auf zwei depressive Frauen „nur“ ein depressiver Mann kommt. Auf der anderen Seite nehmen sich aber dreimal mehr Männer das Leben.

Warum ist das so? Männer neigen wohl eher dazu, eine Fassade aufrecht zu erhalten. Während bei einer Frau die Symptome einer Depression ziemlich schnell auf dem Tisch liegen, versucht ein Mann das Bild eines funktionierenden Individuums zu vermitteln. Der Mann passt kurz gesagt nicht so wirklich in das Diagonsebild „Depression“. Und fällt dann mehr oder weniger durch das Raster.

Das klingt ja schon wirklich wie eine vernünftige Erklärung. Psychische Probleme bei Männern werden weniger häufig diagnostiziert, weil die Symptome nicht zur Krankheit passen. Oder welcher Arzt würde bei Zahnschmerzen auf einem gebrochenen Zeh schließen? Ganz blödes Beispiel, ich weiß, aber es soll der Veranschaulichung dienen.

Nun bin ich ein Mann aber ich muss ehrlich sagen, mit den Problemen eines Mannes musste, durfte oder wie auch immer ich mich nie auseinandersetzen. Ich hatte nie Probleme damit, offen über meine Gefühle zu sprechen oder Schwäche zuzulassen. Die Diagnose Depression lag bei mir wie auf dem Silbertablett serviert vor den Füßen meines Therapeuten. Und dennoch liegt es mir am Herzen, über männliche Depression zu schreiben.

Warum? Nun ja, so ganz bin ich dann doch nicht ohne „typisch männliche“ Phänomene durch meine Depression gekommen. Und jetzt muss ich dann doch benutzen, den Begriff der toxischen Männlichkeit.

Wie sieht er aus, der „Idealtyp Mann“?

Ich war nie Macho, nie der Aufreißer und dennoch hat mich der Begriff – oder sagen wir besser: das was er suggeriert – sehr lange in der Therapie begleitet. Ich wollte irgendwann nicht mehr dieser sensible, rücksichtsvolle Mann sein, zu dem die Menschen… Frauen kommen, um sich auszuheulen. Ich wollte extrovertiert, unsensibel sein, weil ich diese Gefühle satt hatte.

Dieses ganze Gefühlsgedusel hat mich, so habe ich geglaubt, erst dort hin gebracht wo ich stand: Nämlich in einer dicken, fetten Depression. Meine Freundin hatte mich verlassen und ich war Schuld daran. Ich konnte ihr nicht das bieten, was sie brauchte, ich war schwach. Der Fehler lag ganz bei mir.

Ich wollte schlicht und ergreifend einer dieser idealtypischen Männer sein, wie sie uns nur allzu oft vorgezeigt werden. Starke, selbstbewusste, ach sagen wir ruhig selbstverliebte Männer. An deren Schultern sich die Frau ausheulen kann. Ein Mann ist stark und Emotionen kennt er nur aus dem Duden.

Mich hat nicht das „Mann-Sein“ belastet, mich hat das „Nicht-Mann-Sein“ belastet. Genau wie sich Frauen an den Schönheitsidealen abarbeiten, die sie aus der Werbung und den Medien suggeriert bekommen, so gibt es genauso Männer, die sich am Idealtyp Mann abarbeiten. Das ist so logisch wie unlogisch. Logisch, weil es wohl jeder und jede nachvollziehen kann, unlogisch weil es doch, wenn wir ganz ehrlich sind, total Banane ist.

Banane, weil wir uns doch einfach so akzeptieren sollten wie wir sind. Nicht, weil wir resignieren sollten. Sondern ganz einfach, weil wir genau so perfekt sind wie wir sind. Vielleicht bin ich an dieser Stelle etwas weit weg von dem Thema dieses Blog-Artikels. Doch mir ist es wichtig zu sagen, dass wir nicht Idealtypen hinterherrennen sollten, die doch am Ende gar nicht so ideal sind. Der Idealtyp von uns lächelt uns jeden Morgen im Spiegel an und wartet eigentlich nur darauf, genauso akzeptiert zu werden.

Niemand ist perfekt – Leider geil!

Für diese Erkenntnis, die hier und jetzt in ein paar Zeilen abgearbeitet wird, habe ich aber sehr lange gebraucht. Eigentlich geht es ja nicht um mehr oder weniger als sich so zu akzeptieren wie Mann ist. Das Wortspiel konnte ich mir nicht verkneifen. Und wenn das am Ende vom Tag heißt, dass ich eben ein sensibler, introvertierter Mann bin, der vielleicht auch mal in den Arm genommen werden will, dann ist das halt so. Nein, es ist gut so. Oder wie ich zu sagen pflege: Niemand ist perfekt – leider geil.

Es mag sie geben, die Depression bei Männern und die Depression bei Frauen und es ist auch mehr als sinnvoll, dafür nicht die gleichen Maßstäbe anzusetzen. Weil die Symptome und auch der Krankheitsverlauf unterschiedlich sind. Doch am Ende bin ich kein Psychologe oder ähnliches, der hier wirklich ein fundiertes Statement abgeben könnte. Ich bin nur ein Schreiberling, der sich ohne Wehmut vom Idealtyp Mann verabschiedet hat und damit sehr glücklich ist.

Crowdfunding-Kampagne für BERG & MENTAL

Lesezeit: 8 minuten

Crowdfunding-Kampagne für BERG & MENTAL

ES IST SOWEIT!!! ? Die Crowdfunding-Kampagne für BERG & MENTAL – Die Mental Health Hütte ist endlich gestartet. Nun können wir offiziell Trommeln, Sammeln, Erzählen, Weitersagen und euch – für die Dauer der Kampagne – vielleicht auch ein klein wenig auf die Nerven gehen. Denn das hier ist mal richtig, richtig wichtig. Für uns. Aber ja irgendwie auch für euch.


Damit ihr einen Überblick bekommt, warum wir diese Kampagne eigentlich machen, wie viel Geld wir uns erhoffen, was wir mit dem Geld anstellen, warum immer wieder vom Deutschen Integrationspreis die Rede ist und wie ihr uns – außer mit Geld – noch unterstützen könnt, darum gibt es diesen Artikel. Wir sagen schon Mal DANKE und sind gespannt, was uns in den nächsten Wochen erwartet.

DIE HARD FACTS ZUR CROWDFUNDING-KAMPAGNE

Link: BERG &MENTAL auf startnext

Zeitraum: 7. Mai 12:00 bis 6. Juni 14:00

Ziel: mindestens 75.000 €


Das Wichtigste in Kürze:

  • Je höher die Anzahl der Unterstützer desto besser – Das hat mit dem Deutschen Integrationspreis zu tun (s. unten)
  • Spenden geht nur direkt über Startnext – keine Umwege (nur bei sehr großen Beträgen lässt die Crowdfunding-Plattform da mit sich reden)
  • Wir können leider keine Spendenquittungen ausstellen. In manchen Fällen könnt ihr die Ausgabe als betriebliche Ausgabe steuerlich absetzen (da aber bitte euren Steuerberater direkt fragen)
  • Erzählt bitte jedem, mit dem ihr sprecht, von der Kampagne. Wer BERG & MENTAL und Crowdfunding googelt findet uns =)

Warum eine Crowdfunding-Kampagne?

Nun, so einen Traum wie BERG & MENTAL in die Tat umzusetzen ist natürlich leider nicht ganz ohne Geld zu machen. Da keiner von uns heimlich Millionär ist, gerade im Lotto gewonnen oder einen reichen Stiefonkel auf den Malediven sitzen hat, muss das Geld woanders herkommen.

In den letzten Wochen haben wir viele, viele Gespräche mit der Stadt, dem Bezirk, Stiftungen und Krankenkassen geführt. Mit dem Ergebnis: Jeder einzelne dieser Gesprächspartner ist begeistert von der Idee und stimmt uns absolut zu, dass Bedarf da ist. Da unser Ansatz so neu bzw. innovativ ist, passen wir im Moment noch nicht in die etablierten Förderstrukturen. Das bedeutet übersetzt: Bevor die ersten Förderungen bei uns ankommen, vergehen sicher zwei Jahre. Also müssen wir auf anderen Wegen an Geld kommen. Zum Beispiel über eine tolle Crowd wie euch!

Also haben wir uns dazu entschieden, die nicht-mehr-ganz-so-neuartige aber inzwischen etablierte Möglichkeit des Crowdfundings zu wählen. Jeder, der unsere Idee gut findet, kann uns unterstützen. Mit dem Betrag, der für ihn gut und machbar ist. Für wen Crowdfunding noch eine große Unbekannte ist, für den haben wir ein kleines Erklärvideo der IHK vorbereitet:

Was habt ihr von dem Ganzen?

Im Leben geht’s bergauf und bergab. Jeder von uns kennt das. Und es ist ok. Es ist ok, dass es Dinge gibt, die uns das Leben schwer machen; Tage, an denen alles zu viel ist; Gedanken und Gefühle, die wir einfach nicht denken und fühlen wollen. Und wir wissen, dass kein Kaffee der Welt daran etwas ändern kann. Aber zu wissen, dass man damit nicht allein ist, dass es einen Ort gibt, wo niemand von Dir verlangt, immer gut drauf zu sein, das kann etwas ändern. Es kann der Schluck Hoffnung sein, der diese Dinge, Tage, Gedanken und Gefühle ein wenig erträglicher macht.

Mit jeder Spende dabei helft ihr mit, das Thema Mental Health sichtbarer zu machen. Ihm die Klischeebilder zu entreißen und immer mehr Leuten zu zeigen, dass man auch ganz normal über psychische Probleme reden kann. Denn auf unsere Art und Weise haben wir alle damit zu tun. Und oben drauf gibt’s das gute bis geile bis hammergeile Gefühl, eine richtige und wichtige Sache unterstützt zu haben – Karma lässt grüßen. Ihr tragt dazu bei, dass wir einen – oder in Zukunft vielleicht sogar mehrere Orte – schaffen können, an dem (auch) solche Dinge Platz haben.

Denn BERG & MENTAL wird ein Ort sein, der sich um den Teil von uns kümmert, um den wir uns zu wenig kümmern: Uns selbst, unser Befinden, unsere psychische Gesundheit. Hier könnt ihr, müsst aber nicht reden. Es gibt Menschen, mit denen ihr gemeinsam allein sein könnt, aber nicht allein bleiben müsst, wenn ihr es nicht wollt. Hier wird geredet, zugehört, gelernt, gelacht, geweint, gefreut, gewachsen, aufgeladen, aufgetankt, bestärkt, ermutigt, umarmt. Ein Ort, an dem ihr euch nicht verstellen müsst. Ein Ort, an dem ihr merkt, dass ihr hier richtig seid. Diesen Ort wollen wir gemeinsam mit euch schaffen.

Was machen wir mit dem Geld?

Nun, da muss die Frage wohl eher lauten: Was machen wir mit WIE VIEL Geld? Und leider auch: Wie viel kommt nach Steuern etc. wirklich bei uns an? Denn ja, steuerrechtlich gesehen sind Crowdfunding-Beträge Betriebseinnahmen und müssen als solche besteuert werden. Das haben wir mit bedacht, wird aber deswegen nicht weniger weh tun.

Weniger als 10.000:

Nun, das wäre in der Tat gar nicht schön. Wenn wir unser 1. Fundingziel nicht erreichen, dann bekommen wir keinen Cent. Auch wenn wir 9.999€ gesammelt hätten. So funktioniert das Crowdfunding bei startnext bzw. das sind die Regeln des Deutschen Integrationspreises.

Dann müssten wir uns in der Tat Gedanken machen, ob unsere Idee vielleicht doch gar nicht so gut ist, wie wir denken? Aber irgendwie glauben wir nicht so recht, das dieser Fall eintreten wird *auf Holz klopf*.

Mehr als 10.000:

Wenn wir unser 1. Fundingziel erreichen und mehr als 10.000 € sammeln, dann ist das schon mal eine richtig, richtig gute Grundlage. Und eine Bestätigung dafür, dass unsere Idee einen Nerv trifft.

Aber es macht natürlich einen Unterschied, ob wir 10.001€ oder 74.999€ zusammen bekommen. In unserem Businessplan stehen knallharte Zahlen. Inwieweit die aber am Ende Realität werden, hängt stark von der Immobilie ab, die wir letztlich finden. Im Hinterkopf ist auf jeden Fall die Idee, wenn durch die Kampagne nicht genug zusammen kommt, mit einem Kredit der Bank nachzuhelfen.

Mehr als 75.000:

Wenn wir unser 2. Fundingziel in Höhe von 75.000 € erreichen dann werden erstmal Tränen der Freude und Rührung fließen – soviel ist sicher. Und gleich danach wird ein nicht schöner, aber sehr ehrlicher Freundentanz aufgeführt werden.

Denn mit so viel Geld können wir schon ordentlich was anstellen. Auch nach Abzug von Steuern Co bleibt uns noch genug, um eine Grundausstattung für BERG & MENTAL anzuschaffen – Stühle, Tische, Lampen, Wände schön, Kaffeemaschine, Tresen, Beamer, Whiteboards & Co. Erste Seminare, Kaffees, Kuchen, Produkte und vor allem eine richtig schöne Eröffnungsfeier, zu der ihr hoffentlich alle kommt!

Viel mehr als 75.000:

Und was, wenn wir eine irrsinnige Summe wie 100.000€ sammeln sollten? Oder sogar noch mehr? 150.000? (Dank unserer tollen Gründungsberaterin bereiten wir uns auch auf diesen Fall vor.) Nun, dann werden wohl noch einige Tränen mehr fließen, der Freudentanz noch deutlich ausdrucksstärker und sich ein paar mehr Sorgen in den Hintergrund verkrümeln können. Und unsere gemeinsame Eröffnungsfeier wird dann auch ein bisschen größer ausfallen.

Dann können wir den Laden so nachhaltig einrichten, wie wir gerne möchten. Müssten keine Kompromisse bei Qualität und Materialien eingehen. Sowohl die Immobiliensuche als auch ein eventueller Umbau ließen sich damit stemmen, was die Suche wiederum erleichtert. Außerdem hätten wir dann zumindest für die Anlaufphase den Betrieb gesichert, bis die Hütte sich selbst tragen kann. Ihr merkt schon, allein bei dem Gedanken an so einen Traumstart ins BERG & MENTAL-Leben bekommen wir Gänsehaut. Das wäre einfach ein Traum.

Und wenn das Geld am Ende einfach nicht reicht?

Dann heißt das nicht, dass wir BERG & MENTAL aufgeben. Sondern der Weg zur Umsetzung nur ein wenig anders aussieht. In diesem Falle lautet der Masterplan, mit einem Kredit der Bank nachzuhelfen. Eine große Münchner Bank hat sich auf Startups in Kombination mit Crowdfunding spezialisiert. Was bedeutet, dass eine gewisse Anzahl an Unterstützern ihnen als Proof-of-Concept reicht und wir somit je nach Crowdgröße gute Chance haben.

Wie könnt ihr uns (noch) unterstützen?

Vielleicht würdet ihr uns ja gerne gleich am liebsten die 150.000€ bar in die Hand drücken, aber euer Sparschwein lässt sich grad absolut auch nicht den kleinsten Betrag abnehmen? Dann könnt ihr uns trotzdem helfen und unterstützen:

  • Erzählt den Menschen von unserer Idee, unserem Traum, unserem Vorhaben, unserer Kampagne.
  • Ist euch in München eine Immobilie aufgefallen? Ist euer Onkel Vermieter? Wisst ihr, dass bald jemand seinen Laden abgeben möchte? Dann her mit den Infos!
  • Ihr seid selber Therapeuten, Seminarleiter, gebt Workshops oder könnt euch auf andere Art und Weise vorstellen, im BERG & MENTAL einen Beitrag zu leisten? Wir suchen jetzt schon nach spannenden Partnern die helfen, unsere Räume und Stundenpläne zu füllen. Ob Achtsamkeit, Yoga, Zeitmanagement, Ernährung oder knallharte Psychologie – so lange es was mit unserer psychischen Gesundheit zu tun hat, freuen wir uns auf eure Beiträge.
  • Ihr seid mehr praktisch veranlagt? Bastelt, sägt, malt und/oder schreinert gerne? Und/oder ihr habt eine Tante, die noch Möbel von ihrer alten Hütte in der Scheune hat? Oder möchtet auf andere Art und Weise konkret und in Form von Gegenständen oder Hand-anlegen dabei mithelfen, BERG & MENTAL aufzubauen? Dann her mit euch.
  • Erzählt JEDEM den ihr trefft, mit dem ihr redet oder mit dem ihr über die sozialen Medien vernetzt seid, von unserer Kampagne. Dem alten Schulfreund, der Kassiererin im Supermarkt, der Familie bei Kaffee & Kuchen. Wir brauchen jeden.

In Kürze: Wir suchen also außer Geld vor allem eine Immobilie. Außerdem eine komplette Café- bzw. Hütten- bzw. Seminarraumausstattung. Sowie Helfer, Unterstützer, Kontakte, Weitererzähler, Handwerker, undundund.

Warum „Deutscher Integrationspreis“?

Seit die Idee zu einem Mental Health Café in unsere Köpfe gesprungen ist, haben wir immer wieder und weiter Ausschau gehalten nach Wettbewerben und Ausschreibungen, die thematisch zu uns passen. Darum sind wir mittlerweile Profis im Anträge und Bewerbungen ausfüllen. Unter anderem ist uns da auch der Deutsche Integrationspreis (DIP) der gemeinnützigen Hertie-Stiftung unter gekommen.

Wer bei Integration nur an Religion und Hautfarbe denkt, denkt noch nicht groß genug. Uns geht es darum, ein ganzes Thema in die Gesellschaft zu integrieren. Denn im Gegensatz zu uns Menschen diskriminieren psychische Krankheiten nicht. Ihnen ist egal, welche Hautfarbe du hast, wie hoch dein Kontostand ist, an wen du glaubst, wen du liebst, was auf deinem Türschild oder Abschlusszeugnis steht, wen du wählst, wie du dich ernährst, aus welchem Land du kommst oder wie alt du bist.

Das und die Tatsache, dass praktisch jeder von uns einmal im Leben direkt oder indirekt mit dem Thema der seelischen Gesundheit zu tun hat, ist für uns Grund genug, es endlich dahin zu holen, wo es hin gehört: raus aus der Tabuecke, weg mit der vorgehaltenen Hand – rein in den Alltag, in Gespräche und in die Mitte der Gesellschaft damit.

Und so hat es uns natürlich sehr gefreut, als wir in die zweite Runde des DIP eingezogen sind, und somit die Teilnahme am Crowdfunding-Wettbewerb für uns möglich wurde. Das schöne und tolle am Wettbewerb ist, dass die knapp 40 Projekte mehr mit- als gegeneinander an den Start gehen. Es wird sich unterstützt, gepusht, motiviert und füreinander geworben. Denn jedes einzelne Projekt möchte etwas verändern, verbessern, hat einen Traum – und irgendwie wollen wir alle gegenseitig unsere Träume in Erfüllung gehen sehen.

Vorteile des Wettbewerbs?

Neben diesem tollen Spirit hat es aber noch weitere Vorteile, im Rahmen eines solchen Wettbewerbs an den Crowdfunding-Start zu gehen. So durfte unser lieber Marcel drei Tage lang in Frankfurt geballtes Crowdfunding-Wissen aufsaugen. Und auch darüber hinaus stehen uns diverse Experten und Profis in der Vorbereitung und auch während der Kampagne mit Rat und Tat zur Seite. Ebenso profitieren wir natürlich von all der medialen Aufmerksamkeit, die der DIP mit all seinen tollen Projekten bekommt. Von gemeinsamen Pressemitteilungen bis zu Berichten über andere Wettbewerber, über die wieder mehr Menschen auf Startnext schauen.

Aber mit das Tollste ist wohl, dass dank der Hertie-Stiftung zusätzlich zum Geld der Kampagne noch Preisgelder vergeben werden. Und zwar gar nicht mal so wenig: Insgesamt vergibt die Stiftung 150.000 €. Das Projekt, dass die meisten Unterstützer um sich versammeln kann, bekommt unfassbare 20.000€!!! Und das Projekt mit der zweitgrößten Crowd 17.500€. Das geht weiter bis Platz 20, der nochmal 2.500 bekommt.

Das war aber immer noch nicht alles. Denn zusätzlich vergibt eine Jury nochmal 50.000 € Preisgeld. Diese Jury entscheidet nach den folgenden Qualitätskriterien: Lösungsansatz, Innovativität, soziale Wirkung, Entwicklung und Skalierbarkeit, Einbindung der Projektzielgruppe, besondere Herausforderungen im Umfeld. In den letzten Jahren gingen so an den 1. Platz nochmal 50.000€, an den 2. Platz 30.000 und an den 3. 20.000 €.

Da nimmt man doch gerne die paar Nachteile bzw. Einschränkungen in Kauf, die der Wettbewerb so mit sich bringt. Wie zum Beispiel eine bestimmte Kampagnenlaufzeit, die mit vier Wochen recht kurz ist. Oder… Hmmm, irgendwie wars das schon mit den Nachteilen.

Crowdfunding – So geht’s:

Wenn ihr jetzt Lust bekommen habt, uns dabei zu unterstützen, in München Deutschlands erstes Mental Health Café zu eröffnen, dann ab mit euch zu Startnext. Wie genau das dort dann funktioniert, das könnt ihr euch hier nochmal anschauen:

DANKE!!!!

Und zu guter Letzt! Danke. An jeden von euch. An all eure Zuschriften und positiven Rückmeldungen, die uns jetzt schon erreicht haben. Für all eure Unterstützung – ob finanziell, moralisch, tatkräftig und/oder weitererzählend. Ohne euch wären wir nicht dort, wo wir heute stehen – an der Startlinie des DIP, mitten drin in einer Crowdfunding-Kampagne und einige Schritte näher dran, unseren Traum in die Tat umzusetzen. Danke!

E-Health in der Psychologie

Lesezeit: 4 minuten

E-Health in der Psychologie

Ein Gastbeitrag von Alex, unserem neuesten TtB-Team Zuwachs =) Sie studiert in Innsbruck Psychologie und interessiert sich vor allem für die Entwicklungen im digitalen Bereich rund um Mental Health. Daher hier dieser Überblick bzw. diese Einführung ins Thema.

Unpersönlich und Gefährlich? Oder doch die Zukunft der Psychotherapie? Es gibt viel Diskussion um die neuste Entwicklung der Gesundheitsversorgung – die Verbindung von Gesundheit und Technologie = E-Health.


Was ist E-Health überhaupt?

E-Health ist ein Begriff der viel verwendet und weit gespannt ist. Gemeint sind damit alle Therapiemöglichkeiten die durch Technik Gesundheit, Wohlbefinden und die Gesundheitsversorgung verbessern. Für die Psychologie spricht man genauer von E-Mental-Health. Dabei gibt es drei große Bereiche, in die die Möglichkeiten der Anwendungen aufgeteilt werden können: Selfcare, Supported Care und Public Health.

1. Selfcare

Selfcare ist der Anwendungsbereich, in dem kein Psychotherapeut oder sonstiger Experte aktiv involviert ist. Daher dient er eher der Prävention als akuten Behandlung von psychischen Krankheiten. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Apps nicht unter professioneller Expertise entwickelt wurden.

So gibt es beispielsweise verschiedenste Apps, die Stress über Fragebögen oder biometrische Daten erfassen und dem Nutzer Tools zur Stressvermeidung oder Stressbehandlung bieten. Apps die einen ähnlichen Aufbau haben sind auch bei Krankheiten wie Depressionen oder Angststörungen recht verbreitet. Darüber hinaus fallen informative Webseiten, Entscheidungshilfen und Communities zur gegenseitigen Unterstützung auch in diesen Bereich von E-Health.

2. Supported Care

Der zweite große Anwendungsbereich ist „Supported Care“. Hier ist nicht nur der Patient aktiv involviert, sondern auch ein Experte. Zum einen ist hier die Online-Therapie ein großes Feld. Patienten können Online mit ihren Therapeuten im Video-Chat kommunizieren. Oder verschiedene Übungen, meist aus dem Bereich der kognitiven Verhaltenstherapie, ausführen. Diese können dann in einem Gespräch oder einer persönlichen Sitzung mit dem Therapeuten nachbearbeitet werden.

Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Nutzungsmöglichkeiten, die den Therapeuten unterstützen können. Besonders viele Apps spezialisieren sich auf den Bereich Monitoring. Sie bieten eine einfache Lösung Essverhalten, Stimmungen und auch Verhaltensmuster in einem Journal festzuhalten. So kann sowohl der Therapeut als auch der Patient ein Verhalten einfach beobachten und analysieren.

3. Public Health

Als letzten Zweig gibt es noch Public Health. Dieser Bereich ist am unbekanntesten und es gibt bisher auch besonders im Bereich Mental Health wenige Beispiele. Wichtig, ist dass es hierbei um die Gesellschaft und nicht um das Individuum geht. Daher sind hier neben Patienten und Therapeuten meist auch die Regierung oder Non-Profit-Organisationen involviert.

Es geht dabei beispielsweise um die Verbreitung von Gesundheitsstandards. Beispielsweise das richtige Benutzen von Antibiotika oder die Schulung von Personal mithilfe eines Onlinetools. Oder auch die Aufklärung der Bevölkerung im Umgang mit Grippewellen.

Vorteile von E-Health

Es gibt also viele verschiedene Möglichkeiten E-Health anzuwenden. Aber das heißt natürlich noch lange nicht, dass es auch wirklichen sinnvoll ist, Therapie und die Gesundheit der Menschen mit Technologie zu verbinden. Damit ihr euch dazu ein Bild machen könnt, kommen wir nun zu den Vorteilen von E-Health und schauen später auf mögliche Probleme.

Einer der Wohl wichtigsten Vorteile digitaler Medien im Vergleich zum konventionellen Gesundheitssystem ist die viel einfachere Verbreitung der Leistungen. Unabhängig von Ort und Zeit können Patienten auf Therapie zugreifen. Und so ihren gesundheitlichen Status verbessern. Kein Warten mehr auf einen Therapieplatz. Keine Therapeutenknappheit in ländlichen Regionen stellt hier ein Hindernis dar. Das bedeutet auch, dass keine Gesellschaftsschicht abgehängt wird. Denn weder räumliche Abgeschiedenheit, körperliche Immobilität oder auch in einigen Fällen die monetäre Situation haben eine Auswirkung auf den Zugang zur Behandlung.

E-Health schafft also Gleichheit und Zugang zur Therapie. Im Zuge des Zugangs ist auch noch ein wichtiger Aspekt, dass viele Patienten sich nicht trauen in eine therapeutische Praxis zu gehen. Das Stigma um psychische Krankheiten ist internal und external oft einfach zu groß. Eine Therapie jedoch, die anonym ist und von zuhause aus stattfinden kann, ist eine weitaus geringere Barriere.

Chancen für Patienten

Des Weiteren bietet E-Mental-Health die neue Möglichkeit, den Patienten noch mehr in die Therapie zu involvieren. Er kann entscheiden wann und wo er die Therapie macht. Kann die eigenen Daten einsehen und reflektieren und ist somit viel informierter und im besten Fall engagierter. Das Engagement kann durch interaktive Übungen ohne den Therapeuten oder zum Beispiel digitale Erinnerungen an die Aufgaben und Ziele noch weiter verstärkt werden. Diesen Zugang hat ein Therapeut mit einer wöchentlichen Sitzung beispielsweise nicht.

Auch die Qualität der Therapie kann durch die Digitalisierung verbessert werden. Regulationen und Standards können einfacher umgesetzt werden. Durch den innovativen Charakter der Anwendungen werden veraltete Methoden überdacht und Raum für neue geschaffen. Was nicht bedeutet, dass bewährte Therapieformen keine Anwendungen finden. So ist beispielsweise die kognitive Verhaltenstherapie in sehr vielen Apps und Tools die Grundlage.

Als letzter Aspekt ist die Steigerung der Effizienz und Effektivität zu nennen. Diese Wörter klingen im Bezug mit der Gesundheit von Menschen zunächst fehl am Platze. Allerdings muss man diese nicht zwangsweise im Sinne von „Steigerung von Gewinn“ beleuchten. Sondern sehen, was eine vergünstigte Therapie bedeutet.

Gerade in Deutschland haben wir massive Probleme all die Menschen zu erreichen, die ein psychische Krankheit haben. Geschweige denn diese aufzuklären, die noch keine haben. Kostet eine Therapie weniger für das Gesundheitssystem und sind weniger Therapeuten involviert, schaffen wir es viel mehr Menschen zu erreichen und so die psychische Gesundheit unserer Gesellschaft zu verbessern.

Trotzdem noch lange nicht perfekt

Trotz vieler Vorteile, bergen E-Health-Anwendungen natürlich auch einige Probleme. Fehlende Nutzerzentriertheit und daraus resultierend fehlende Unterstützung der Nutzer können dazu führen, dass diese bei Übungen nicht am Ball bleiben und unmotiviert sind. Es ist sehr wichtig, dass die Entwicklung in jeglicher Hinsicht immer mit dem Fokus auf den Nutzer geschieht. Dazu gehört ein ansprechendes Design und abgestimmter Inhalt. Auch fehlendes Vertrauen in Online-Anwendungen und fehlendes technischen Verständnis führen in manchen Fällen zu fehlendem Erfolg von E-Health.

Hier ist vor allem eine ausführliche Aufklärung und Darstellung des Mehrwerts wichtig! Der Nutzer muss die Anwendung gerne ausführen. Darüber hinaus, gibt es in vielen Fällen immer noch legale Probleme und eine fehlende Standardisierung. Das führt leider auch zu unseriösen Angeboten und damit zu einer Schädigung des Rufs von E-Health. Es bräuchte hier besonders gesetzliche Regelungen und beispielsweise ein Gütesiegel, welches seriöse und klinisch getestete Angebote von unseriösen abgrenzt.

Mein Fazit:

Alles in allem ist E-Mental-Health ein sehr facettenreiches Thema, welches (noch) nicht ohne Probleme auskommt. Meiner Meinung nach ist aber die Möglichkeit so wahnsinnig viele Menschen zu erreichen, die sonst niemals Hilfe im Bereich psychischer Gesundheit kriegen würden, eine riesige Chance für unsere Gesellschaft. Psychisches Wohlbefinden muss mehr thematisiert werden und sollte jedem Menschen ermöglicht werden. Dabei ist und wird E-Mental-Health ein sehr wichtiges Werkzeug sein.

Zum Weiterlesen:

Das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit zum Thema E-Mental-Health

Ein Artikel aus dem Ärzteblatt zum Thema

Link zum Online-Depressions Tool iFightDepression

Die Psychotanten Podcast-Folge zum Thema Online-Beratung

Bin ich geheilt?

Lesezeit: 6 minuten

Bin ich geheilt?

„Bin ich geheilt?“ –Warum meine Sichtweise auf diese Frage sich in den letzten Wochen verändert hat. Warum die Antwort sehr darauf ankommt, was genau man mit „geheilt“ meint. Und warum ich froh bin, nicht austherapiert zu sein.


In letzter Zeit bekomme ich öfter die Frage gestellt, ob ich dann geheilt bin. Wahrscheinlich, weil ich so „normal“ wirke =). Weil man – auch durch das Buch und all das, was ich heute so tue und Arbeit nennen darf – wohl schnell den Eindruck bekommt, ich hätte all das, worüber ich so rede und schreibe, inzwischen hinter mir gelassen. Dass das nicht ganz den Tatsachen entspricht, dass meine drei Begleiter Borderline, Abhängigkeit und Depression nach wie vor Teil meines Lebens sind, sieht man mir ja weiterhin nicht an. Denn die entscheidenden Schritt Richtung Heilung sind wie die Krankheit an sich eben unsichtbar, schwer bis gar nicht zu sehen.

Auf die Frage, ob ich geheilt bin, habe ich daher auch lange sofort „Nein“ gesagt. Denn bisher war meine Ansicht, dass psychische Krankheiten nicht heil- sondern nur behandelbar sind. Aber nun frage ich mich selber: Sind sie vielleicht doch heilbar?

Was heißt denn „heil“ eigentlich?

So wie ich das sehe kann man heil, geheilt, Heilung sehr verschieden auffassen. Man kann damit entweder meinen, dass alles wieder so wie früher, wie vor der Krankheit wird. Sozusagen als wäre nichts gewesen. Das mag bei körperlichen Erkrankungen vielleicht funktionieren. Aber auch da nicht bei allen. Gut, wenn ich eine Grippe überstanden habe dann hat sich dadurch wohl nicht großartig etwas verändert für mich. Dann ist nachher quasi vorher.

Anders sieht es schon bei tiefgreifenderen Fällen, wie beispielsweise einem Beinbruch aus. Der Bruch mag heilen, man kann wieder laufen, springen, bergsteigen. Aber erstens dauert es lange, man muss viel Geduld mitbringen. Und viele berichten mir, dass sie auch Jahre später noch den Unterschied zum gesunden Bein merken. Eigentlich ist also alles wie früher. Aber irgendwie ist es doch anders.

Und das ist dann wohl auch, was ich unter Heilung verstehe. Es gibt keine direkten Leidensdruck mehr, die Krankheit schränkt einen nicht mehr im Alltag ein. Die Depression drückt einen nicht mehr Tag für Tag auf die Couch, die Sucht kontrolliert nicht mehr jeden Gedanken, man kann endlich wieder ohne fremde Hilfe einen Teller von der Küche ins Esszimmer tragen, weil man keine Krücken mehr braucht.

Aber die Erinnerung, wie es in der Krankheit war, die bleibt. Sie mag blasser werden, aber sie verschwindet nicht komplett. Sondern wird Teil des Lebens. Man wird sensibler in der Wahrnehmung, auch dankbarer. Achtet vielleicht mehr und früher auf Warnzeichen, versteht Zusammenhänge. Lässt gefährliche Hobbies weg, ändert Teile des Lebens, weil sie irgendwie mit der Krankheit zusammen hingen. Sucht sich statt den Menschen, die einem nicht gut tun, neue Kontakte. Sucht sich statt dem gefährlichen Hobby etwas ruhigeres

Lektion fürs Leben

Anders als bei körperlichen Erkrankungen gilt allerdings bei seelischen, dass die Auslöser oft schwerer zu erkennen und zu finden sind. Man im Zweifelsfall die Dinge, die mit verantwortlich waren, nicht mal eben in die Ecke stellen kann wie ein paar Skier, die nach dem Unfall vielleicht sowieso nicht mehr zu gebrauchen sind. Der eigene Kopf lässt sich nicht so eben abschrauben, das Trauma nicht aus der Erinnerung löschen, das Essen sich nicht komplett vermeiden.

Man muss also den schwereren Weg, die kompliziertere Lösung nehmen. Das „sich damit beschäftigen, sich auseinandersetzen, verstehen lernen“. Was begünstigt die Heilung, was die Erkrankung? Welche Auslöser gibt es bei mir, und wie kann ich damit umgehen? Ja, das ist ein mitunter wahnsinnig mühsamer Prozess – aus dem man aber gestärkt, gefestigt und auch klüger wieder raus geht.

Und genau das ist ja dann auch der Teil der Heilung, der bleibt. Der einen für den Rest des Lebens begleitet. Die Auseinandersetzung mit sich selbst, mit den unschönen Seiten des (eigenen) Lebens, mit den Stolpersteinen und Tiefpunkten. Denn im Zweifelsfall hält das Leben noch ein paar mehr davon für uns bereit.

So wurde mir vor kurzem die Frage gestellt, was es denn mit mir machen würde, wenn mir das Leben jetzt einen solchen Stein vor die Füße werfen würde. „Nun,“ habe ich gefragt „was würde es denn mit Dir machen?“ Woraufhin die Antwort ahnungsloses Schweigen war und schließlich ein „Keine Ahnung“ kam. Genau das gleiche sage ich auch. Keine Ahnung, was so ein Tiefpunkt mit mir machen würde. Ob ich wieder zurückfallen würde, ein paar Schritte auf der Heilungsleiter nach unten purzeln würde. Oder eben gerade nicht.

„Vielleicht habe ich sogar einen Vorteil anderen Menschen gegenüber“ habe ich weiter geantwortet. Weil ich inzwischen, dank meiner Krankheiten und vor allem der Therapiearbeit der letzten Jahre, viele Werkzeuge, Hilfsmittel und Strategien habe, um auch mit diesen Seiten des Lebens besser umzugehen. Weil ich nicht ahnungslos in die Falle tappe, sondern sozusagen vorgewarnt bin. Und das wird auch so bleiben.

Austherapiert? Zum Glück nicht!

Was allerdings nicht heißt, dass ich austherapiert bin. „Austherapiert“ hab ich immer so verstanden, dass man keine Therapie mehr braucht. Und damit lag ich komplett daneben. Und bin mit diesem Missverständnis nicht alleine, wie ich inzwischen weiß. Ich dachte es hieße so viel wie „geheilt“. Man ist quasi soweit, dass man aus der Therapie rausgehen kann, fertig, abgeschlossen.

Inzwischen weiß ich, dass austherapiert so ziemlich das genaue Gegenteil davon ist. Nämlich so viel wie „Wir haben alles versucht, aber nichts hilft“. Es ist also ein sehr unschönes Wort, was man sozusagen auf keinen Fall bei sich haben möchte. Keine Therapie hat angeschlagen, alles Versuche sind in die Hose gegangen, es gibt keine Hoffnung mehr, wir können nichts mehr für sie tun – könnte man es auch übersetzten bzw. interpretieren.

Und ich wundere mich nicht, dass viele Profis einen großen Bogen um das Wort machen, es am liebsten ganz umgehen wollen. Denn in gewisser Weise ist es ja ein Todesurteil für jede Art von Behandlung. Und damit auch ein Versagen.

Ich persönlich weiß – und viele Studien unterstützen mich darin – dass wirklich nur ein sehr kleiner Teil aller Menschen mit psychischen Erkrankungen sozusagen hoffnungslose Fälle sind. Viel häufiger ist aber, dass es die richtige Therapie, den richtigen Weg, die richtige Hilfe gibt. Bei einigen Menschen kann die Suche nach der passenden Lösung allerdings länger dauern, als bei anderen. Da kommen wieder viele Faktoren zusammen.

Auch welche, die nicht direkt mit der Krankheit zu tun haben, sondern diesen Prozess indirekt erschweren. Denn es hat wohl auch mit der Anspruchshaltung der Beteiligten zu tun und daran, welche Maßstäbe angelegt werden ob man irgendwann den „GEHEILT“-Stempel rausholen und aufdrücken kann oder nicht.

Ansprüche vs. Akzeptanz

Denn gefühlt prallen beim Thema Heilung mal wieder zwei Welten aufeinander, zwei Seiten. Auf der einen möchte man heil, gesund, normal sein. Auf der anderen Seite gibt es da aber etwas im Leben, was einen davon abhält so zu sein. Oder jedenfalls unseren Ansprüchen an diese Worte zu genügen.

Genau wie normal für jeden anders aussehen kann, kann auch geheilt für jeden Menschen anders aussehen. Was damit verbunden wird, wann man es erreicht hat. Und wenn ich Maßstäbe an mich anlege, die einfach komplett an meinen Fähig- und Möglichkeiten vorbeigehen, dann ist ein Scheitern vorprogrammiert.

So wie ich als Rollstuhlfahrer einsehen muss, dass gewisse Dinge gar nicht oder nur schwer für mich zu schaffen sind, so können auch psychische Krankheiten einem gewisse Türen im Leben einfach versperren. Wenn ich mich dann auf diese Türen konzentriere, weil ich unbedingt, unbedingt und warum auch immer da durch will, dann löst das natürlich Frust aus. Wenn ich mich aber mit den Türen, mit den Möglichkeiten beschäftige, die ich problemlos öffnen und verfolgen kann, dann ist das deutlich weniger frustrierend.

Vielleicht kann es also hilfreich und sinnvoll sein, sich mal ganz in Ruhe anzuschauen, was für einen persönlich denn „geheilt“ eigentlich bedeutet. Um dann sagen zu können, wann man es erreicht hat.

Bin ich denn jetzt geheilt?

Jetzt hier beim Schreiben habe ich gemerkt, wie viel die Wörter „heil“ und „normal“ gemeinsam haben. Sie sind wahnsinnig individuell, jeder hat seine eigene Auffassung. Meiner Auffassung nach kann ich heute sagen: „Ich bin geheilt.“ Was nicht bedeutet, dass meine drei Begleiter verschwunden sind. Oder dass ich keine schlechten Tage mehr habe. Oder dass immer alles gut ist.

Der Unterschied zu früher ist, dass heute ICH die Krankheiten kontrolliere, und nicht mehr SIE mich. Oder anders gesagt: Ich arbeite mit und nicht mehr gegen sie. Wenn die Depression alle paar Wochen mal einen guten Tag hat, dann nehme ich sie in den Arm, schenk ihr ein bisschen Aufmerksamkeit, bin gut zu mir und meistens verschwindet sie dann genau so schnell wieder, wie sie aufgetaucht ist.

Wenn die Akkus mal leer sind und die Borderline es doch mal ans Steuer schafft, dann werfe ich mir – und ihr – das nicht vor. Sondern sehe es als klares Zeichen, dass ich ganz dringen ein bisschen Aufladen muss. Oft passiert es auch, dass die erste Reaktion auf ein Ereignis die Borderline-Reaktion ist. Die schnelle, impulsive, heftige. Aber nach ein paar Sekunden schaltet sich dann der Kopf ein und sucht im gelernten Wissen der letzten Jahre nach der passenderen Reaktion und übernimmt. Das zu beobachten ist manchmal sogar irgendwie amüsant.

Wer sich zur Zeit wirklich verkrümelt hat, ist die Sucht. Ich habe nicht das Bedürfnis, „endlich“ wieder trinken zu wollen. Wie habe ich vor kurzem so schön auf Instagram gelesen „I never actually had a drinking problem, I had a reality problem.“ Und das kann ich unterschreiben. Das Trinken war nur ein Symptom, die Ursachen ganz andere. Und denen hab ich mich gewidmet, so dass es für mich keinen Grund mehr gibt, vor irgendwas fliehen zu müssen. Klingt gut? Ist es auch!